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Fußball und Gewalt - Situation in Niedersachsen

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 25.09.2009; Fragestunde Nr. 7


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Angelika Jahns (CDU); Es gilt das gesprochene Wort!

Die Abgeordnete hatte gefragt:

Die Landesregierung hat u. a. im November des letzten Jahres und im Januar dieses Jahres ausführlich über die Gewaltsituation bei Fußballspielen in Niedersachsen berichtet.

Hierbei wurde deutlich, dass sowohl der Umfang der Einsatzbelastung für die Polizei als auch die Intensität der Gewalt seit Jahren kontinuierlich zugenommen hat. Des Weiteren zeigen sich eine zunehmende Gewaltbereitschaft und damit verbunden der erhöhte Bedarf an Polizeieinsätzen auch bei Spielen unterhalb der Profiligen.

Vor dem Hintergrund der steigenden Gewalt bei Sportveranstaltungen hat die GdP im Rahmen eines "Fußball-Gipfel(s) für gewaltfreie Spiele" einen Forderungskatalog veröffentlicht, damit die Gewaltbereitschaft im Rahmen von Fußballspielen abnimmt.

Ich frage die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Forderungen der GdP zur Entzerrung der Spielpläne, zur einheitlichen Handhabung von Stadionverboten sowie zur Sicherstellung der Zuverlässigkeit der Ordnungsdienste auch in unteren Ligen?
  2. Wie hat sich die Gewaltsituation bei Fußballspielen in Niedersachsen seit Januar 2009 entwickelt
  3. Gibt es Gruppierungen, die bei Fußballspielen durch Gewaltbereitschaft besonders auffallen und, wenn ja, welche?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Die Verhinderung bzw. Bekämpfung von Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen hat für die niedersächsische Landesregierung bereits seit den Anfängen der Hooligan-Problematik Ende der 80´er Jahre einen hohen Stellenwert.

Durch stetig steigende Spiel- und Zuschauerzahlen, durch eine Ausweitung der Gewalt auf Bereiche außerhalb der Stadien, aber auch durch festgestellte Veränderungen in den Problemfanszenen sind in diesem Bereich sowohl die quantitativen als auch die qualitativen Anforderungen an die Polizei ständig gewachsen. Niedersachsen hat darauf jeweils frühzeitig und angemessen reagiert, z. B. indem Untersuchungen zu Ursachen von Gewalt angestellt sowie Konzepte und Netzwerke zur Eindämmung von Gewalt entwickelt bzw. aufgebaut wurden.

Die Inhalte des bundesweit für den Spielbetrieb der Fußball-Bundesligen, der 3. Liga und der Regionalligen geltenden Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit werden in Niedersachsen jederzeit konsequent umgesetzt und ihre lageangepasste Weiterentwicklung konstruktiv begleitet. Für Fußballspiele in darunter bestehenden Ligen ist darüber hinaus eine landesweite Rahmenkonzeption erlassen worden, die die in den Fußball-Profiligen bewährten Maßnahmen und Standards lageangepasst auf die niedersächsischen Amateurligen ausweitet. Eine auf Ebene des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration (MI) sowie des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV) eingerichtete Kommission "Sport und Sicherheit" sowie unterhalb dieser ein Ausschuss "Sport und Sicherheit" gewährleisten ein hervorragendes Zusammenwirken von Polizei und Verband bzw. Vereinen. Sowohl auf dieser als auch auf örtlicher Ebene wird entsprechend der konzeptionellen Vorgaben eng zusammengearbeitet und durch ständige Kommunikation sowie abgestimmte Maßnahmen ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet.

In Niedersachsen erkannte Sicherheitslücken werden so rechtzeitig geschlossen. Weitere Erläuterungen hierzu sind meiner Antwort auf die Mündliche Anfrage der FDP "Belastung der Bereitschaftspolizei infolge der Neugliederung der Fußballspielklassen?", LT-Drs. 16/615, Anlage 6, zu entnehmen.

Dies vorangestellt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1:

Die in der Frage genannten Sicherheitsthemen im Zusammenhang mit Fußballspielen sind von der Niedersächsischen Landesregierung schon vor den Forderungen der Gewerkschaft der Polizei aufgegriffen und deren Umsetzung vorangetrieben bzw. begleitet worden.

Zwar ist eine Entzerrung der Spielpläne aufgrund vertraglicher Bindungen der Verbände und internationaler Verflechtungen der Spielpläne nur in einem gewissen Rahmen möglich, polizeiliche Belange fließen aber auch heute schon in die Spielplangestaltung mit ein. So ist es im Vorfeld der Saison übliche Praxis, dass die vom Verband vorgesehenen Spieltagstermine auch mit der Polizei abgestimmt werden. Bereits vorhersehbare Einsatzlagen werden dabei soweit wie möglich berücksichtigt. Während der Saison, jeweils vor Festlegung der konkreten Spieltermine, bekommt die Polizei erneut Gelegenheit zu einer diesbezüglichen Stellungnahme. Dabei werden Termine möglichst ausgeschlossen, bei denen aufgrund zeitlicher oder örtlicher Gegebenheiten eine zu hohe Wahrscheinlichkeit des Aufeinandertreffens rivalisierender Fangruppen besteht und erforderliche Kräftegestellungen der Polizei nicht möglich sind.

Darüber hinaus besteht von Seiten der Polizei jederzeit die Möglichkeit, an den zuständigen Verband heranzutreten und eine Spielverlegung aufgrund von Einsatzkollisionen zu erreichen. Beispielhaft hierfür ist die Situation anlässlich des Einsatzes zum NATO-Gipfel 2009 anzuführen, bei der kurzfristig so genannte Risikospiele auf andere Spieltage verlegt wurden.

In Niedersachsen hat sich für derartige Abstimmungen der über die Kommission sowie den Ausschuss Sport und Sicherheit bestehende unmittelbare Kontakt zwischen Polizei und NFV außerordentlich bewährt.

Stadionverbote im Zusammenhang mit Fußballspielen stellen aus polizeilicher Sicht ein wirksames Mittel gegen Gewalttaten dar.

Für Spiele der Bundesligen, der 3. Liga und der Regionalligen sowie für andere Spiele, bei denen der DFB als Veranstalter auftritt, gibt es bereits seit langem überörtlich wirksame Stadionverbote. Ihre Handhabung durch den Verband, die Vereine und die Polizei erfolgt gemäß den Richtlinien des DFB zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten.

Zur Verhängung von Stadionverboten in anderen Spielklassen bedarf es gesonderter Festlegungen der zuständigen Fußballverbände. Im Rahmen der konzeptionellen Arbeiten im Niedersächsischen Ausschuss Sport und Sicherheit hat der NFV den Vereinen der Oberliga Niedersachsen bereits ab der Saison 2008/2009 vorgegeben, dass gegen Personen, die durch ihr Verhalten die Sicherheit oder Ordnung einer Fußballveranstaltung beeinträchtigen oder gefährden, ein örtliches Stadionverbot auszusprechen ist. Ein darüber hinaus ligaweites Stadionverbot war zunächst über den NFV zu beantragen. Seit August 2009 gelten Stadionverbote, die von einem Verein der Oberliga Niedersachsen ausgesprochen werden, automatisch für alle Stadien der Liga, weil sich alle Vereine zur Übernahme der Verbote für die eigene Sportstätte verpflichtet haben. Die hierfür erlassenen "Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten im Niedersächsischen Fußballverband e.V." vom August 2009 orientieren sich an den Richtlinien des DFB.

Insofern gibt es in Niedersachsen bereits eine einheitliche Handhabung von Stadionverboten von der 1. bis zur 5. Liga. Der nächste angestrebte Schritt ist eine Verzahnung der Stadionverbote zwischen den Profi- und den Amateurligen.

Auch hinsichtlich der Sicherstellung der Zuverlässigkeit der Ordnerdienste in unteren Ligen ist Niedersachsen bereits frühzeitig gut aufgestellt gewesen. In Abstimmung mit dem Niedersächsischen Ausschuss Sport und Sicherheit hat der NFV seit der Saison 2008/2009 Sicherheitsstandards unter anderem für den Ordnereinsatz eingeführt, die Bestandteil des Lizensierungsverfahrens zur Oberliga Niedersachsen sind. Aufgaben und Einsatz des Ordnerdienstes sind dabei detailliert erfasst, eine Mindestzahl von acht Ordnern pro Spiel ist vorgegeben. Zur Qualifizierung der Ordner sind mindestens einmal im Jahr durchzuführende Beschulungen vorgesehen, bei denen Verband und Polizei eng zusammenarbeiten.

Durchschnittlich wurden von den Vereinen der Oberliga Niedersachsen bei polizeilich begleiteten Spielen in der Saison 2008/2009 mehr als 19 ausreichend qualifizierte Ordner eingesetzt, in der Spitze waren es bis zu 65.

Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

Zu 2 und 3:

Ob es zu Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen kommt oder nicht, hängt von vielen, überwiegend situativen, Faktoren ab. Nach den polizeilichen Erfahrungen spielt dabei auch die An- oder Abwesenheit eines rivalisierenden Gegenübers und damit die jeweilige Spielbegegnung eine entscheidende Rolle.

Damit alle derartig kritischen Spiele in die Betrachtung einfließen, bietet es sich an, nur ganze Spielzeiten miteinander zu vergleichen. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend ein Vergleich der Saison 2007/2008 mit der Saison 2008/2009 angestellt. Erfasst sind dabei alle Fußballspiele, bei denen in Niedersachsen Polizeikräfte zur Verhinderung von Störungen eingesetzt wurden.

Dieses sind pro Saison etwa zwischen 260 und 300 Spiele, überwiegend in den ersten fünf Ligen, dazu aber auch Pokalspiele, Länder- und andere internationale Spiele, Freundschaftsspiele/ -turniere sowie teilweise unterklassige Spiele.

In der Saison 2007/2008 wurden im Zusammenhang mit diesen Spielen 351 Straftaten und 62 verletzte Personen polizeilich bekannt. Die Polizei traf 682 die Freiheit entziehende Maßnahmen, wie vorläufige Festnahmen und Ingewahrsamnahmen. Es entstanden ca. 150.000 Einsatzstunden von eingesetzten Polizeikräften.

In der Saison 2008/2009 haben sich die Zahlen auf 503 festgestellte Straftaten und 104 bekannt gewordene Verletzte gesteigert. Die Polizei traf 950 die Freiheit entziehende Maßnahmen und leistete ca. 170.000 Einsatzstunden.

Auch wenn Gewaltexzesse, wie sie im Zusammenhang mit Fußballspielen in anderen Bundesländern nach der Weltmeisterschaft 2006 durch die Medien gingen, in Niedersachsen nicht aufgetreten sind, zeigen diese Zahlen, dass wir bei der Bekämpfung des Hooliganismus nicht nachlassen dürfen.

Die Ursachen für die Steigerungen werden im Niedersächsischen Ausschuss Sport und Sicherheit ausführlich analysiert. Nach erster Einschätzung dürfte der Anstieg auch durch ein aggressiveres Verhalten von Fußballfans, hier besonders der sogenannten "Ultras", begründet sein.

Nach polizeilichen Erkenntnissen gehören in Niedersachsen derzeit insgesamt ca. 1100 Personen der Ultrabewegung an, davon ca. 650 der Fan-Kategorie B (der Fan, der Gewalt bei entsprechender Gelegenheit ausübt) und ca. 120 - 130 der Kategorie C (der Fan der Gewalt sucht). Die Ultras verstehen sich als die "wahren Fußballfans”, die durch Aktionen in den Stadien für Stimmung sorgen. Vereine und Polizei werden von ihnen zunehmend für eine Einengung der Fansubkultur verantwortlich gemacht.

Seit einiger Zeit ist dabei in großen Teilen der Ultrafanszenen eine stärkere Gewaltorientierung, auch gegenüber der Polizei und den Ordnungsdiensten, feststellbar. Darüber hinaus schotten sich die Ultragruppierungen zunehmend gegen Einflussnahmen der Polizei und der Vereine/Verbände ab, Aktionen werden überwiegend konspirativ vorbereitet.

Der dargestellten Entwicklung wird derzeit mit auf die jeweiligen örtlichen Verhältnisse abgestimmten Einsatzkonzepten begegnet. Darüber hinaus wird zurzeit auf Bundesebene abgestimmt, eine wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens vorzunehmen.

Unabhängig davon ist ein gemeinsames Projekt des Instituts für Sportwissenschaft Hannover und des Niedersächsischen Ministerium für Inneres, Sport und Integration in Planung.

Ziel soll es insbesondere sein, bestehende Feindbilder abzubauen und so der Anwendung von Gewalt entgegenzuwirken.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
25.09.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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