Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 23.09.2009; TOP 11
Konsequenzen aus Amokläufen
Rede von Innenminister Uwe Schünemann zum Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP; Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
die schreckliche Amoktat in Winnenden und Wendlingen liegt gerade ein halbes Jahr zurück, die Nachbereitung ist noch nicht abgeschlossen, da entsetzt uns bereits ein neuer Fall.
Ohne einer Nachbereitung vorzugreifen zu wollen, sehe ich aber in dem Verlauf einen Beleg dafür, dass die Polizeien in Deutschland gut und handlungsfähig aufgestellt sind, um Amoktaten erfolgreich zu bewältigen.
In Ansbach ist es gelungen, die Lage schon nach wenigen Minuten zu beenden, ohne dass Menschen zu Tode gekommen sind.
Auch in Niedersachsen ist die Polizei auf die Bewältigung von Amoklagen gut vorbereitet. Sie hat dabei sowohl polizeiinterne Erfahrungswerte als auch wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt.
Nach dem schrecklichen Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002 hat eine länderübergreifende Projektgruppe ein Grundlagenpapier für bis dahin bun-desweit nicht zur Verfügung stehende Handlungskonzepte erarbeitet. Hierauf aufbauend ist auch in Niedersachsen ein Rahmenkonzept erstellt worden, das nach dem Amoklauf von Emsdetten im Jahr 2006 im präventiven Bereich überarbeitet wurde.
Im Gegensatz zu Geiselnahmelagen kann in der Anfangsphase einer Amoklage gerade nicht auf Zeitgewinn gesetzt und auf das Eintreffen von Spezialkräften gewartet werden.
Die zuerst am Tatort eintreffenden Beamtinnen und Beamten des Streifendienstes müssen auch unter Hinnahme eines hohen, aber kalkulier-
baren, Eigenrisikos unverzüglich handeln. Sie sollen durch schnelles und entschlossenes Vorgehen den Amoktäter dazu veranlassen, seine Tathandlungen einzustellen. Unter Umständen müssen Zugriffs-, Rettungs- und Schutzmaßnahmen gleichzeitig bzw. parallel durchgeführt werden.
Insbesondere Aus- und Fortbildungsstand sowie Erfahrenheit der Einsatzkräfte haben erheblichen Einfluss auf das Erreichen der polizeilichen Ziele bei der Bewältigung von Amoklagen. Einsatztaktische Grundsätze müssen genauso automatisiert präsent sein wie Verhaltensregeln zur Eigensicherung.
Durch regelmäßige, intensive Schulungen und Trainings sind die niedersächsischen Polizeibeamtinnen und -beamten gut auf diese Lagen vorbereitet. Das beginnt schon in der Ausbildung. Dort wird die Vermittlung theoretisch-wissenschaftlicher Kenntnisse mit praktischen Trainings in Bezug auf das Handlungskonzept "Amok" kombiniert. Nach der Ausbildung werden sowohl durch die Polizeiakademie Niedersachsen als auch dezentral bei den Polizeibehörden weiterführende Schulungen zur Bewältigung von Amoklagen durchgeführt.
So wurden in den Jahren 2006, 2007 und 2008 insgesamt ca. 5.000 Beschäftigte fortgebildet und in diesem Jahr elf drei- bis fünftägige Fortbildungslehrgänge zum Thema "Umgang mit Amoklagen" durchgeführt. Natürlich erfolgt eine diesbezügliche Vorbereitung auch in Form von praktischen Amok-Übungen der Polizeibehörden und -dienststellen an geeigneten Örtlichkeiten.
Auch präventiv wird die Polizei in Zusammenarbeit mit anderen Stellen, insbesondere den Schulen, umfassend tätig. Allgemeine Maßnahmen der Gewaltprävention können auch auf potenzielle Amoktäterinnen und Amoktäter wirken.
Neben internen Maßnahmen der Schulen werden Schulleitungen und Lehrpersonal der niedersächsischen Schulen auch durch die Polizei auf Amoklagen vorbereitet. Mögliche Hinweise zur Früherkennung von Amoktätern werden dabei genauso vermittelt wie Verhaltenshinweise für den Ernstfall. Zahlreiche Informationsveranstaltungen haben auf örtlicher Ebene stattgefunden, aktuelle polizeiliche Handreichungen zu Gewalt im Allgemeinen und zu Amokläufen an Schulen im Besonderen wurden zur Verfügung gestellt und erläutert.
Teilweise sind bereits gemeinsame Sicherheitskonzepte entwickelt bzw. schulische Notfallpläne erstellt. Zur systematischen Zusammenarbeit zwischen den Polizeidirektionen und der Landesschulbehörde wurden bzw. werden konkrete Vereinbarungen für klare Kommunikations-strukturen und regelmäßige Austausche geschaffen. Darüber hinaus befindet sich ein von der Landesschulbehörde erarbeiteter Entwurf eines "Kriseninterventionskonzeptes zur landesweiten Vereinheitlichung der Verfahrensweisen bei Gewaltvorgängen an/in Schulen" zurzeit in der Ressortabstimmung.
Nach dem tragischen Amoklauf von Winnenden und Wendlingen am 11. März 2009 wurden von den Polizeibehörden in Niedersachsen zahlreiche Amoklauf-Androhungen registriert.
Zur Aufklärung und Gefahrenabwehr waren aus diesen Anlässen teilweise weitreichende polizeiliche Maßnahmen erforderlich. Erste Verurteilungen dieser sog. Trittbrettfahrer hat es in Niedersachsen bereits gegeben. Zukünftig werden ermittelte Täter in Niedersachsen, neben den strafrechtlichen Sanktionen, auch die Kosten für die Gefahren abwehrenden Maßnahmen der Polizei tragen müssen. Die Ereignisse in Winnenden und Wendlingen sind durch die Polizei Baden-Württemberg umfassend nachbereitet worden.
Derzeit prüft eine länderoffene Projektgruppe einen sich aus den gewonnenen Erkenntnissen möglicherweise ergebenden Handlungsbedarf für die Polizeien von Bund und Ländern. Niedersachsen beteiligt sich an dieser Projektgruppe. Ein entsprechender Bericht wird derzeit in den Gremien der IMK behandelt.
Als ein erstes Ergebnis kann ich sagen, dass sich die bundesweit einheitliche polizeitaktische Vorgehensweise bei einer Amoklage grundsätzlich bewährt hat. Der Fall Ansbach hat dieses gezeigt.
Soweit sich darüber hinaus neue Erkenntnisse ergeben, werden diese in geeigneter Weise in das hiesige Handlungskonzept einfließen.
Insgesamt sind die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten des Landes Niedersachsen, die ggf. mit diesen hochdynamischen und extremen Bedrohungslagen konfrontiert werden, bestmöglich vorbereitet, um die dabei an sie gestellten hohen Anforderungen professionell bewältigen zu können.
Artikel-Informationen
erstellt am:
24.09.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010