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Räumung der Boehringer-Besetzung

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 28.08.2009; Fragestunde Nr. 36


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Enno Hagenah (GRÜNE); es gilt das gesprochene Wort!

Der Abgeordnete hatte gefragt:

Am 12. August 2009 kam es in Hannover zu einem Großeinsatz der niedersächsischen Polizei, um 33 Besetzerinnen und Besetzer von dem Bauplatz für ein Forschungszentrum des Pharmaherstellers Boehringer Ingelheim zu entfernen. Mit Wasserwerfer, schwerem Räumgerät, Pferdestaffel und, wie es in der Zeitung am nächsten Tag hieß, mit 500 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten trat die "Staatsmacht" gegen eine kleine Gruppe Tierschützerinnen und Tierschützer an. Inzwischen wurden unbestätigte Hinweise laut, dass sogar 1.000 Beamtinnen und Beamte bei dem Einsatz beteiligt waren. Angesichts dieses Verhältnisses von 15 oder gar 30 Polizeibeamtinnen/Polizeibeamten pro Demonstrantin/Demonstrant wurden Fragen nach der Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Vorgehensweise der Polizei auch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter laut, zumal die Besetzerinnen und Besetzer erklärtermaßen friedlich waren und sind.

Ich frage die Landesregierung:

  1. Welche konkreten Hinweise und Einschätzungen zur Gefahrenla-ge auf dem Gelände lagen der Einsatzplanung vor dem Einsatz zugrunde, und mit welchen Konflikten wurde hinsichtlich der Räumung gerechnet?
  2. Welche Kosten hat der Einsatz verursacht, und wie viele Beamtinnen und Beamte waren insgesamt an ihm beteiligt?
  3. Welche weiteren polizeilichen Maßnahmen bis zur voraussichtlichen Fertigstellung des geplanten Forschungszentrums werden vonseiten der Polizei im Umfeld des Baugeländes für erforderlich gehalten?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Zu dem mit der Mündlichen Anfrage thematisierten Polizeieinsatz hat mir die Polizeidirektion Hannover wie folgt berichtet:

Nach der Besetzung eines brach liegenden, ehemaligen Kleingartengeländes am Bünteweg in Hannover-Kirchrode in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 2009 entschied der Grundstückseigentümer, der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, dieses zunächst auf unbegrenzte Zeit zu dulden. Auch nach Bewertung der Polizei bestanden keine Gründe für eine sofortige Räumung des Geländes.

In der Zeit vom 12. Juli bis zum 9. August kam es in der Umgebung des Geländes zu mehreren Straftaten, überwiegend Sachbeschädigungen in Form von Farbschmierereien bzw. Bewurf mit Farbbeuteln. Im Rahmen polizeilicher Aufklärung verdichteten sich zudem Erkenntnisse, dass die Besetzerinnen und Besetzer Vorkehrungen trafen, die geeignet sind, eine Räumung bzw. Maßnahmen zur Nutzung des Boehringer-Geländes als Tierversuchsanstalt zu verhindern. So waren offensichtlich Vorbereitungen für eine gewaltsame Auseinandersetzung getroffen und gefährliche Hindernisse auf den Wegen bereitet worden.

Bei einer erneuten Bewertung, der rechtlich als Versammlung eingestuften Besetzung, kam die Polizei daher zu dem Schluss, dass von dieser zwischenzeitlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Die Firma Boehringer Ingelheim bekundete mit Schreiben vom 10. August, dass sie das Betreten und den Aufenthalt unberechtigter Personen auf ihrem Grundstück ab dem 11. August nicht mehr dulde.

Am 11. August verfügte die Versammlungsbehörde die Auflösung der Versammlung auf dem Boehringer-Gelände und ordnete den sofortigen Vollzug der Maßnahme an.

Die polizeiliche Räumung des Geländes unter Leitung der Polizeiinspektion Hannover-Süd begann am 12. August, um 05.30 Uhr. Die dabei durchgeführten Maßnahmen umfassten unter anderem das lückenlose Absperren der über 1.000 Meter langen Grundstücksgrenze, die systematische Absuche des unwegsamen Geländes, den Schutz von Bauarbeitern und deren Arbeitsmaschinen sowie alle erforderlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit den 33 angetroffenen Personen. Von diesen hatte sich eine in acht Metern Höhe in einem Baum angekettet; drei weitere Personen waren am Boden mit Ankettvorrichtungen verbunden. Mehrere Personen mussten zudem von Hausdächern herunter geholt werden.

Die Räumung war um 10.30 Uhr beendet. Auch der Versuch von bis zu 30 Sympathisanten, auf das Gelände zu gelangen, konnte durch die Polizei verhindert werden.

Im Anschluss wurden Sperren und Hindernisse auf dem Gelände beseitigt sowie rundherum ein Baustellensicherungszaun errichtet. Ab 15.00 Uhr erfolgte die Bewachung des umzäunten Geländes durch ein privates Sicherheitsunternehmen.

Durch anlassbezogene Schutzmaßnahmen sowie einen Präventionseinsatz konnte die Polizei zu erwartende unmittelbare Folgeaktionen weitgehend verhindern.

Seit der ersten Besetzung des Boehringer-Geländes sind mit Stand 24. August 2009 insgesamt 33 Straftaten im Zusammenhang mit dem Protest gegen die Tierversuchsanstalt begangen worden, darunter auch Sachbeschädigungen zum Nachteil der Geschäftsstelle des Landesverbandes Bündnis 90/ Die Grünen sowie an dem Gebäude der Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Eine erneute Besetzung des Geländes durch 16 Personen, die in der Nacht zum 22. August unter Beschädigung des Zaunes eingedrungen waren, wurde durch die Polizei unmittelbar beendet.

Dies vorangestellt, beantworte ich namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Die diesem Polizeieinsatz zugrunde liegende Kräfteberechnung wurde insbesondere durch die Faktoren Störerlage und -aktivitäten sowie die besonderen Umstände des Einsatzraumes bestimmt.

Im Laufe der Besetzung wurden durch die Polizei ca. 10 - 15 Zelte, davon zwei Großraumzelte, auf dem Grundstück festgestellt. Im Rahmen von Identitätsfeststellungen am 28. Juli waren auf dem Gelände 19 Personen angetroffen und bei einigen von diesen Bezüge zur linksextremis-tischen Szene - auch der gewaltbereiten - festgestellt worden. Gegenüber Polizeikräften zeigten die Besetzerinnen und Besetzer ein zunehmend aggressives verbales Verhalten.

Auf dem rund 51.000 qm großen Boehringer-Gelände befinden sich ca. 35 überwiegend massive Gartenhäuser in unterschiedlichem Erhaltungszustand, der weitere Bereich ist überwiegend dicht mit Bäumen, Büschen und Sträuchern bewachsen. Das Gelände ist dadurch sehr unübersichtlich und teilweise schwer begehbar. Mit zunehmender Besetzungsdauer waren auf dem Gelände errichtete Fallgruben und Barrikaden erkennbar, so dass Straßen und Wege gesperrt bzw. unpassierbar waren. Daneben erhärtete sich der Verdacht, dass Steindepots und Ankettvorrichtungen angelegt worden waren. Zusätzlich zu bereits auf dem Gelände befindlichen Materialien wurden von den Besetzern offensichtlich weitere Gegenstände, die sich zum Barrikadenbau oder als Wurfgeschoss eignen, auf das Brachgelände gebracht.

Da von der Polizei, aufgrund der Bebauung und des Bewuchses, nur ein kleiner Teil des Geländes einsehbar war, und bereits hier deutliche Maßnahmen zur Verhinderung einer Räumung offenkundig wurden, bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass in den bisher nicht beobachteten Bereichen weitere Vorkehrungen getroffen worden waren.

Des Weiteren war bei Bekanntwerden der bevorstehenden Räumung mit einem deutlichen Zulauf zur Besetzung zu rechnen. Dafür sprach auch, dass die Personen auf dem Gelände Wachposten einsetzten, offensichtlich um ohne zeitlichen Verzug die lokale bzw. überörtliche Unterstützer-szene mobilisieren zu können.

Es musste davon ausgegangen werden, dass sich diese Personen durch aktiven oder zumindest passiven Widerstand der Räumung widersetzen würden. Daneben waren Protestaktionen, z. B. in Form von Versammlungen, Blockaden oder aber Sachbeschädigungen unmittelbar am Gelände sowie im gesamten Stadtgebiet einzuplanen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.

Zu 2:

Die Gesamtzahl der eingesetzten Kräfte betrug in der Spitze vorübergehend rund 960 Polizeibeamtinnen und -beamte. Unmittelbar nach der Räumung um 10.30 Uhr erfolgte eine Kräftereduzierung bzw. -umgliederung auf rund 580 Beamtinnen/Beamte. Die übrigen Einsatzkräfte verlegten zunächst auf Abruf in ihre Ortsunterkünfte und wurden im Anschluss sukzessive entlassen.

Die zusätzlichen Ausgaben für den Polizeieinsatz am 12. August lassen sich abschließend noch nicht genau beziffern, da die Einsatznachbereitung durch die Polizeidirektion Hannover noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

Zu 3:

Die Bewachung des umzäunten Geländes erfolgt seit dem 12. August, 15.00 Uhr, durch ein privates Sicherheitsunternehmen. Ob polizeiliche Maßnahmen im Umfeld des Baugeländes erforderlich sind, wird jeweils lageabhängig geprüft werden.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
31.08.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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