Rede des Niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann zur Bundesratssitzung am 15.05.09 - TOP 35
Gesetz zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes für Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen SBZ/DDR
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir feiern in diesem Jahr nicht nur 60 Jahre Grundgesetz. 2009 jährt sich auch zum 20. Mal die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR. Für uns Deutsche ist dieses Ereignis ein großer Grund zur Freude und Dankbarkeit. Mit ihrem Mut hat die Bürgerrechtsbewegung in der ehemaligen DDR die Mauer zum Einsturz gebracht. Diesen Menschen verdanken wir ganz entscheidend die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Aber an erster Stelle stand vor 20 Jahren der Wunsch vieler ostdeutscher Landsleute nach Freiheit. Sie wollten nicht länger entmündigt sein.
Das SED-Regime war eine Parteidiktatur und gründete auf Angst. Es gehörte großer Mut, ja Tapferkeit dazu, den Machthabern in Ost-Berlin die Stirn zu bieten. Bundeskanzlerin Merkel hat dies unlängst in eindrucksvollen Worten untermauert.
Keiner will die Lebensbiografien der Menschen in der DDR, ihre persönlichen Leistungen klein reden. Es geht auch nicht darum, die DDR zu dämonisieren. Aber dieses System war keine "Wohlfühldiktatur". Terror gegen Andersdenkende, Bespitzelung, Mauer-Schießbefehl und Wahlfälschungen – das waren keine Entgleisungen, sondern tragende Säulen des SED-Regimes.
Wer diese historischen Tatsachsen in Abrede stellt oder klein redet, der verhöhnt die Opfer von Diktatur und Gewalt. Das dürfen wir nicht zulassen! Mindestens 150.000 Menschen waren während der SED-Herrschaft aus politischen Gründen inhaftiert. Zu einem ganz überwiegenden Teil Menschen, die sich nach Freiheit sehnten, die staatliche Gängelei nicht länger ertragen wollten, die Lügen und Missstände offen ansprachen, oder die einfach nur einer "falschen" Gruppe angehörten.
Wer "Staatsfeind" war, bestimmte allein die Stasi. Es gab keinen Rechtsschutz. Erst 1971 wurde die Gewaltanwendung gegen Häftlinge im DDR-Strafvollzug offiziell untersagt. Insbesondere die Untersuchungshaft blieb für politisch Verfolgte bis zum Ende der DDR voller Schikanen wie Einzelhaft, Verhöre zur Nachtzeit, systematischer Schlafentzug, Isolierung und Informationssperren.
Nach der Haft mussten viele politische Häftlinge weiterhin Nachteile, z. B. ein Berufsverbot, hinnehmen. Sie waren diskriminiert und geächtet. Zu den Folgen gehören bei vielen Opfern – bis heute – Ängste und Depressionen, körperliche Erkrankungen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Diese Menschen dürfen wir nicht an den Rand drängen. Wir müssen ihnen helfen. Wiedergutmachung ist kaum möglich. Aber wir müssen das Unrecht aufarbeiten; wir müssen aufklären über das Geschehene; wir müssen die Täter zur Rechenschaft ziehen; und – wo es geht – müssen wir die Folgen für Betroffene lindern. Das war und ist für die niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Wulff ein zentrales Anliegen.
Nach langer Diskussion – ich möchte sagen: endlich – konnte vor zwei Jahren das "Dritte Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR" in Kraft treten. Seitdem erhalten politische Haftopfer, die bedürftig sind, eine monatliche Zuwendung in Höhe von bis zu 250 Euro. Geld allein kann das erlittene Unrecht nicht ausgleichen. Dennoch sind viele Opfer dankbar für diese Zuwendung. So erhielten allein in Niedersachsen seit 2007 insgesamt 1.200 SED-Unrechtsopfer Entschädigungszahlungen von rund 5,5 Mio. Euro.
Beim Vollzug des Gesetzes durch die Länder hat sich Änderungsbedarf ergeben. Niedersachsen und Sachsen haben daher gemeinsam schon letztes Jahr ein Änderungsgesetz auf den Weg gebracht. Eine Länderarbeitsgruppe unter Federführung Niedersachsens, an der auch das BMJ beteiligt war, hat den Gesetzentwurf abgestimmt.
Lassen sie mich zwei wesentliche Änderungsvorschläge aufgreifen:
- Nach derzeitiger Rechtslage werden bei der Prüfung der wirtschaftlichen Bedürftigkeit Altersbezüge nicht berücksichtigt. Das ist gut und richtig. Kindergeld, das die Anspruchs-berechtigten für ihre minderjährigen Kinder erhalten, wird jedoch angerechnet. Kindergeld wird also als Einkommen der Eltern gewertet. Haftopfer mit geringem Einkommen und unterhaltspflichtigen Kindern erhalten daher wegen fehlender Bedürftigkeit oftmals keine Opferrente. Das ist nicht hinnehmbar.
- Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz sieht nur zwei Einkommensgrenzen vor: eine Einkommensgrenze für ledige und eine Einkommensgrenze für verheiratete oder in Lebenspartnerschaft lebende Anspruchsberechtigte. Wer jedoch Kinder hat, wird generell ledigen oder verheirateten Opfern gleichgestellt. Das ist nicht sachgerecht. Denn diese Anspruchsberechtigten müssen ja aus ihrem verfügbaren Einkommen auch den Lebensunterhalt der Kinder bestreiten.
Ich halte fest: SED-Unrechtsopfer mit Kindern haben nach geltender Rechtslage klare Nachteile. Zum einen wird Kindergeld als Einkommen angerechnet. Anspruchsberechtigte mit mehreren Kindern überschreiten daher häufig die Bedürftigkeitsschwelle und gehen leer aus. Zum anderen sind keine Kinderfreibeträge vorgesehen. Beide Benachteiligungen beseitigt unser Gesetzentwurf. Das ist 20 Jahre nach dem Fall der Mauer mehr als überfällig!
Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz soll Haftopfern der SBZ/DDR in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage helfen. Die Opferrente ist ein Ausgleich für das Leid politischer Verfolgung. Und sie anerkennt den Widerstand politischer Häftlinge gegen die SED-Diktatur, ihren Einsatz für die Freiheit. Der Opferrente kommt daher ein besonderer entschädigungs- und rehabilitierungsrechtlicher Charakter zu. Auch vor diesem Hintergrund ist die Ungleichbehandlung von Anspruchsberechtigten mit Kindern nicht hinnehmbar. Unter der Repression und den unmenschlichen Haftbedingungen haben alle Anspruchsberechtigte gleichermaßen gelitten.
Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, Ungerechtigkeiten beim Gesetzesvollzug schnellstmöglich zu beseitigen. Die Zeit drängt. Denn der Kreis der Anspruchsberechtigten mit unterhaltspflichtigen Kindern wird naturgemäß von Jahr zu Jahr kleiner. Die Opfer von Diktatur und Gewalt haben ein klares Signal unserer Hilfe verdient.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Artikel-Informationen
erstellt am:
15.05.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010
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