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Verfassungsschutzbericht 2008: Neue Informationsstelle NEIS

Schünemann: Niedersächsische Islamisten haben enge Kontakte zur Terror-Szene im Ausland


HANNOVER. "Die größte Gefahr für die Innere Sicherheit des Landes geht weiterhin von islamistischen Terrorgruppen aus", sagte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann bei der Vorstellung des Niedersächsischen Verfassungsschutzberichtes 2008 am Mittwoch in Hannover. "Wir haben zwar keine Erkenntnisse über konkrete Anschlagspläne. Aber es gibt enge Verbindungen von Islamisten aus Niedersachsen zur Terrorszene im Ausland."

Besonders beunruhigt ist Schünemann über militante Islamisten aus dem Raum Braunschweig, die Deutschland verlassen haben. "Wir haben Hinweise, dass einige von ihnen in Terrorcamps geschult werden oder sich terroristischen Gruppen angeschlossen haben." Man müsse mit einer Rückkehr dieser Personen nach Deutschland rechnen.

Minister Schünemann hob hervor, dass sich im Raum Braunschweig ein Teil der islamistischen Szene befände. Eine wichtige Rolle spiele darin, das von Muhamed Ciftci geleitete Islamische Bildungs- und Kulturzentrum (IBKZ) Braunschweig. Dort werde ein strenger Islam (Salafismus) gelehrt und gepredigt, der das Ziel habe, die Gesellschaft von allen unislamischen Elementen zu "reinigen". Der Verfassungsschutz befürchtet, dass das IBKZ zahlreiche Prediger als Multiplikatoren ausbilde und so ein religiöser Fundamentalismus wachsenden Einfluss auf die Muslime in Deutschland gewinnen könnte.

Schünemann wies darauf hin, dass es auch Bezüge zur Sauerland-Gruppe gibt, der gerade der Prozess in Düsseldorf gemacht wird. Ein Jugendlicher, der in der islamischen Gemeinde in Braunschweig verkehrte, wird verdächtigt, Bombenzünder für die Gruppe transportiert zu haben.

Sorge macht dem Innenminister auch die globale Vernetzung des militanten Islamismus. "Es gibt fast wöchentlich neue Drohvideos, die auch gegen Deutschland gerichtet sind. Das zeigt: Wir sind keine Insel. Auch wir sind im Visier des islamistischen Terrors", sagte Schünemann. Der Verfassungsschutz wird deshalb, so der Innenminister, seine Beobachtung des islamistischen Netzwerkes weiter intensivieren.

Anstieg politisch motivierter Ausländerkriminalität

Die Polizei geht weiterhin konsequent gegen die Aktivitäten des KONGRAL GEL (ehemals PKK) vor. Im Phänomenbereich der extremistisch motivierten Ausländerkriminalität stieg die Anzahl der registrierten Straften im Jahr 2008 auf 651 (Vorjahr 155) an. Dafür ursächlich sind Ermittlungen der Polizei im Zusammenhang mit verbotenen Aktivitäten der ehemaligen PKK in Niedersachsen. Im Rahmen einer Durchsuchung des Vereins Kurdistan Volkshaus "Mala Gel" in Hannover konnten umfangreiche Beweismittel sichergestellt werden, deren Auswertung zur Einleitung von insgesamt 686 Strafverfahren, unter anderem wegen Spendengeldsammlung zur Aufrechterhaltung der Organisationsstrukturen der ehemaligen PKK, führte. Von den eingeleiteten Verfahren wurden 581 für das Berichtsjahr 2008 erfasst.

Rechtsextremistische Straftaten in Niedersachsen auf dem Niveau des Vorjahres

Die Gesamtzahl der mit rechtsextremistischem Hintergrund begangenen Straftaten betrug im Jahr 2008 1.789 Delikte und lag damit auf dem Niveau des Vorjahres, so der Innenminister. Der Anteil der Propagandadelikte an der Gesamtzahl der Straftaten beträgt etwa 68 Prozent, im Vorjahr 67 Prozent. Auch die Zahl der rechtsextremistischen Gewaltdelikte liegt mit 111 etwa auf dem Niveau des Vorjahres (110), während bundesweit ein Anstieg von 6,3 Prozent zu verzeichnen ist. Den meisten der 111 Gewaltdelikte lag eine fremdenfeindliche Motivation zugrunde, auch die Konfrontation mit Linksextremisten war häufiger Anlass der Taten. 42 Prozent der Täter waren bei Tatausführung alkoholisiert.

Leichter Rückgang der gewaltbereiten Rechtsextremisten

In Niedersachsen verringerte sich das Personenpotenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten von 900 auf 870. Dieser erfreuliche Rückgang, so der Innenminister, dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die über CDs und das Internet verbreiteten Hassbotschaften der rechtsextremistischen Musik weiterhin ein großes Problem und eine unveränderte Herausforderung für die Präventionsarbeit darstellen. Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden bewerteten es in diesem Zusammenhang als Erfolg, dass in Niedersachsen 2008 wie im Vorjahr lediglich drei rechtsextremistische Konzerte durchgeführt wurden, betonte der Innenminister: "Eine Werbewirksamkeit solcher Konzerte über den Szenebereich hinaus ist damit in Niedersachsen weiterhin nicht gegeben". In Niedersachsen seien lediglich sieben der bundesweit ca. 150 rechtsextremistischen Bands aktiv.

NPD in Niedersachsen befindet sich in der Krise

Prägend für das Erscheinungsbild des Rechtsextremismus im Jahr 2008 waren innerparteiliche Auseinandersetzungen in der NPD und daraus resultierende Kontroversen mit den Freien Nationalisten über die künftige Gestaltung der Zusammenarbeit. Diese Umbruchssituation der NPD zeige sich nicht zuletzt in dem Rückgang der Mitgliederzahlen der NPD von 650 im Vorjahr auf aktuell 600. Der Konflikt auf Bundesebene spiegele sich auch im niedersächsischen Landesverband wider, so der Innenminister. Mit Andreas Molau, der seit März 2009 für die DVU tätig ist, verliere die NPD den Befürworter einer Verbürgerlichung. Der Grundkonflikt zwischen den Vertretern einer gemäßigt auftretenden NPD und den Verfechtern einer engen Zusammenarbeit mit den neonazistischen Freien Nationalisten wird das Erscheinungsbild der NPD auch in der nächsten Zeit bestimmen.

Wegen der offen ausgetragenen Streitigkeiten um die Ausrichtung der NPD hält der Verfassungsschutz eine Neugründung einer rechtspopulistischen Partei, die aus DVU und aus Molau-Anhängern der NPD hervorgeht, nicht für unwahrscheinlich. Mit der Niederlegung aller Ämter in der NPD habe Molau immerhin einen vorläufigen Schlussstrich gezogen.

Auf die Neuorientierung der NPD deute zudem die Gründung von Stützpunkten der Jungen Nationaldemokraten in Niedersachsen.

Neues Phänomen der Autonomen Nationalisten gibt Anlass zur Sorge

Mit zunehmender Sorge, so der Innenminister, müsse die Entwicklung im Neonazismus betrachtet werden. Der Verfassungsschutz registriere eine zunehmende Attraktivität der Autonomen Nationalisten. Aufgrund ihrer Militanz bestimmten sie mehr und mehr das Demonstrationsgeschehen. Viele Jugendliche ließen sich von dem Erscheinungsbild ansprechen. Insgesamt sei in Niedersachsen aber nur ein leichter Anstieg des neonazistischen Personenpotentials von 330 im Vorjahr auf aktuell 355 zu verzeichnen gewesen. "Autonome Aktionsgruppen ersetzen mehr und mehr das klassische Kameradschaftsmodell und propagieren die offensive und gewalttätige Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner." Die Symbolik und Rhetorik werde aus dem Linksextremismus kopiert, so Schünemann. Der Innenminister machte deutlich, ohne Rechts- und Linksextremismus gleichzusetzen, gäbe es jedoch zahlreiche strukturelle Gemeinsamkeiten.

Anstieg linksextremistischer Straftaten / Kein Anstieg von gewaltbereiten Autonomen

Die Gesamtzahl linksextremistischer Straftaten stieg von 528 im Jahr 2007 auf 666 Delikte 2008 an. Dieser Anstieg ist zurückzuführen auf 112 linksextremistische Straftaten im Zusammenhang mit dem Castor-Transport sowie 72 Straftaten im Vorfeld der Landtagswahl 2008. Auch bei den Gewaltdelikten war ein Anstieg von ca. 3% zu verzeichnen (von 98 Gewalttaten auf 101). In den Delikten spiegelten sich nicht zuletzt die Konfrontationen zwischen Links- und Rechtsextremisten wider.

Bedrohlichste Erscheinungsform des Linksextremismus sei, so Minister Schünemann, weiterhin das Spektrum der gewaltbereiten Autonomen. Zwar seien die Zahlen der Autonomen in Niedersachsen erfreulicherweise mit rund 690 konstant geblieben. Mit ihrem zentralen Agitationsfeld "Antifaschismuskampf", der sich nur vordergründig gegen Rechtsextremisten richte, zielten die Autonomen jedoch auf die Überwindung der freiheitlich demokratischen Grundordnung, so Schünemann.

DIE LINKE. wird weiter vom Verfassungsschutz beobachtet

DIE LINKE. stelle weiterhin das politische und gesellschaftliche System der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel in Frage, es zu überwinden, so der Minister. Nach wie vor stellt DIE LINKE. ein Sammelbecken für verschiedenen linksextremistischen Gruppierungen dar. Das Spektrum reiche dabei von gewaltbereiten Linksextremisten und Autonomen über offen extremistische Zusammenschlüsse wie die Kommunistische Plattform oder das Marxistische Forum und Linksruck.

Neben einem weiteren Anwachsen der Mitgliederzahlen der Partei DIE LINKE. von rund 2.500 auf etwa 3.000 sei vor allem eine Zunahme ihrer Bündnis- und Kampagnenpolitik zu beobachten. So habe die niedersächsische DIE LINKE. einen "Ratschlag für linke Politik in Niedersachsen" ins Leben gerufen, um möglichst viele außerparlamentarische Bewegungen an sich zu binden, betonte der Innenminister:

"Dabei fehlt ein klarer Trennungsstrich zu verfassungsfeindlichen Gruppierungen. Vielmehr sucht sie die Zusammenarbeit auch mit offen extremistisch auftretenden außerparlamentarischen Organisationen wie den Autonomen." Das zeige, dass DIE LINKE. nur ein schwach entwickeltes Verhältnis zum Parlamentarismus habe. Schünemann wies darauf hin, dass bislang das Bekenntnis des Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Manfred Sohn, das Ziel heiße nicht Sozialismus, sondern Kommunismus, unwidersprochen geblieben sei. "Ein Verzicht des Verfassungsschutzes auf Beobachtung der Partei DIE LINKE. würde nicht nur gegen seinen Auftrag zum Schutz des Grundgesetzes verstoßen. Er würde auch einem Gütesiegel gleichkommen, dass dieser Partei nicht zusteht", so Uwe Schünemann abschließend.

Gründung der neuen Informationsstelle NEIS

Schünemann sieht eine der Kernaufgaben des Verfassungsschutzes darin, über extremistische Erscheinungsformen und Gefahren zu informieren. "Wir tun auf diesem Feld schon viel. Aber wir wollen noch besser werden", sagte der Innenminister. Zu diesem Zweck werde ab sofort die "Niedersächsische Extremismuspräventions- und Informationsstelle – NEIS" beim Verfassungsschutz eingerichtet. NEIS soll die Aktivitäten des Verfassungsschutzes in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Prävention, Information und Beratung stärker bündeln und auch neue Aufgaben angehen. So soll neben der Aufklärung über den Rechts- nun auch verstärkt über den Linksextremismus informiert werden. Schon im Mai werde NEIS das "1. Niedersächsische Extremismus-Symposium" durchführen und die Gefahren des Linksextremismus thematisieren. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus will Schünemann lokale Projekte stärker fördern. Dabei möchte er über NEIS auch gesellschaftliche Gruppen, Organisationen, Vereine und Verbände einbinden und ihnen örtliche Ansprechpartner zur Verfügung stellen. Auch die Beratung der Kommunen im Umgang mit Rechtsextremisten möchte der Minister über NEIS intensivieren. Darüber hinaus plant Schünemann die Ausschreibung eines Bürgerpreises, mit dem er Initiativen gegen Extremismus besonders anerkennen und ermuntern will. NEIS ist ab sofort unter der Telefonnummer 0511-6709217 zu erreichen.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
29.04.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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