Integrationsstudie des Berlin-Instituts für Entwicklung und Bevölkerung
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 20.02.2009; Fragestunde
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Christian Biallas (CDU); Es gilt das gesprochene Wort!
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Das Berlin-Institut für Entwicklung und Bevölkerung hat seine Studie "Ungenutzte Potenziale - Zur Lage der Integration in Deutschland" (Januar 2009) vorgestellt. Die Untersuchung bemisst den Integrationserfolg nach 20 Kriterien. Dazu gehören etwa der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, Eheschließung mit Deutschen, Bildungsniveau, Einkommen, Erwerbs- und Hausfrauenquote oder der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst.
Ich frage die Landesregierung:
- Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse der Studie "Ungenutzte Potenziale - Zur Lage der Integration in Deutschland" des Berlin-Institutes für Bevölkerung und Entwicklung vor dem Hintergrund eigener, der Landesregierung vorliegender Erkenntnisse?
- Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen bzw. geplant, um die Integration insbesondere junger Menschen mit Migrationshintergrund sowie von Aussiedlern in Niedersachsen weiter zu verbessern?
- In welcher Weise werden Kommunen bei den Integrationsaufgaben unterstützt?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Zu 1.:
Die im Januar 2009 veröffentlichte Studie "Ungenutzte Potenziale - Zur Lage der Integration in Deutschland" des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung bewertet die Angaben von 70 % der im Mikrozensus 2005 Befragten und berechnet daraus einen Index zur Messung von Integration (IMI). Der Index soll einen Vergleich der unterschiedlichen Zuwanderungsgruppen wie auch der Bundesländer ermöglichen. Während die amtlichen Statistiken sich in der Regel auf das Merkmal deutsche bzw. ausländische Staatsangehörigkeit beziehen und daher auf die Integration bzw. die Integrationsfortschritte von Spätaussiedlern oder eingebürgerten Zuwandern keine Auskunft geben können, sind die Daten des Mikrozensus im Gegensatz dazu bedingt für genauere Auskünfte geeignet, da erfasst wird, ob die Befragten einen Migrationshintergrund besitzen.
Während der Mikrozensus jährlich erhoben wird, werden Daten zum Baustein "Migration" nur alle vier Jahre erfasst – letztmalig 2005. die der Studie zugrunde gelegten Daten aus dem Jahr 2005 bilden den Zeitraum vor 2005 ab.
Die Studie des Berliner Instituts fasst die Zuwanderergruppen und z.T. auch die Bundesländer in unzulässiger Weise zusammen. Die unterschiedlichen Zuwanderungswellen wie die der Gastarbeiter bis 1973, der Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge und der Spätaussiedler stießen je nach Zuwanderungszeitpunkt mit sehr unterschiedlichen beruflichen Voraussetzungen auf eine jeweils unterschiedliche Arbeitsmarktsituation in den alten Bundesländern. Die Zuwanderung in die neuen Bundesländer hat eine andere Vorgeschichte und eine andere Zusammensetzung. Die Ergebnisse der Integrationsprozesse dort lassen sich schon deshalb nicht ohne weiteres mit der Situation in den alten Ländern vergleichen.
Die Studie bescheinigt den neuen Bundesländern eine hervorragende Integration der türkischen Zuwanderer. Sie lässt dabei außer Acht, dass es türkische Gastarbeiter in den neuen Bundesländern nie gab. Eine kleine Zahl türkischstämmiger Zuwanderer ist nach der Wende als Unternehmer oder Arbeitnehmer in die neuen Bundesländer gegangen. Die Werte der einzelnen Indikatoren sind daher mit denen der alten Bundesländer kaum vergleichbar. Die Aussagen dazu sind widersprüchlich. Die Studie führt aus, 81 % der Türkischstämmigen in den neuen Ländern seien erwerbstätig (in Bayern und Baden-Württemberg liegt die Quote bei 65%); 26% seien selbstständig (nächst höchste Quote in Berlin 12 %). Dem gegenüber steht der Extremwert von 41 % Angehörigen dieser Gruppe, die auf öffentliche Leistungen angewiesen sind. Das ist nicht plausibel.
Ebenso sind Zweifel hinsichtlich der Gewichtung einzelner Indikatoren geboten. Niedersachsen und Bremen zusammen erzielen zum Beispiel gute Ergebnisse mit ihrem Anteil von 19 % von türkischstämmigen Schülern, die die gymnasiale Oberstufe besuchen und von 14%, die das Abitur schaffen. Beides weist auf eine Verbesserung der Integration im Vergleich zu der Elterngeneration hin. Die auch in Niedersachsen relativ hohe Quote der nicht erwerbstätigen Hausfrauen spiegelt einerseits ein konservatives Frauen- und Familienbild wieder. Die Quote ist andererseits auch damit zu begründen, dass die Frauen im Vergleich mit der Mehrheitsbevölkerung jünger sind und sich in der Familiengründungsphase befinden. Das wird undifferenziert zu Unrecht als integrationshemmender Faktor ausgemacht.
Die Studie unternimmt den Versuch, den Stand der Integration anhand von Indikatoren zu ermitteln. Sie stützt sich dabei auf die Ergebnisse des Mikrozensus von 2005, der die damalige Situation abbildet. So werden die in den Vorjahren entstandenen Defizite in den Integrationsbemühungen deutlich. Der beschriebene Handlungsbedarf entspricht folglich ebenfalls den Notwendigkeiten von 2005.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Mündliche Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 2.:
Zur Beantwortung darf ich verweisen auf das von meinem Haus herausgegebene "Handlungsprogramm Integration" in der Fassung November 2008.
Zu 3.:
Ob Integration gelingt, entscheidet sich vor Ort in den Städten und Gemeinden, in Wohnvierteln und Nachbarschaften. Deshalb steht das Land Niedersachsen auch hier an der Seite der Kommunen und hat im Jahr 2005 zunächst 15 Leitstellen für Integration durch die Bereitstellung von Landespersonal in folgenden Kommunen ermöglicht: Stadt Braunschweig, Stadt Delmenhorst, Landkreis Emsland, Landkreis Gifhorn, Landkreis Goslar, Region Hannover, Landkreis Harburg, Stadt Hildesheim, Stadt Lüneburg, Stadt Osnabrück, Landkreis Peine, Stadt Salzgitter, Landkreis Schaumburg, Landkreis Verden sowie Landkreise Wittmund und Friesland.
Die Leitstelleninhaber nehmen eine Bestandsaufnahme der örtlichen Integrationsangebote vor, verzahnen diese miteinander, binden Selbstorganisationen ein und stellen Defizite und Schwachstellen im lokalen Integrationsgeschehen fest. Sie koordinieren weiter die kommunalen Aufgaben, die sich auf die Integration von Migranten und Spätaussiedlern auswirken. Damit leisten die Leitstellen einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung der Integrationsprozesse.
Zugleich unterstützen wir die Kommunen mit breit angelegten Fortbildungsoffensiven für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kommunalen Ausländerbehörden. Auch hier geht es darum mit einzelnen, auf die lokalen Bedürfnisse ausgerichteten Trainingsmodulen die interkulturelle Kompetenz der Beschäftigten dieser Dienststellen nachhaltig zu verbessern. Im vergangenen Jahr haben rund 300 Mitarbeiter von 20 Ausländerbehörden an den Fortbildungen teilgenommen.
Ein wichtiger Baustein der Integrationsarbeit ist das ehrenamtliche Engagement. Orientiert am Osnabrücker Modellprojekt hat das Projekt "Integrationslotsen in Niedersachsen" in kürzester Zeit in vielen Kommunen Fuß gefasst. Auf der Grundlage der im Mai 2007 veröffentlichten Richtlinie "Integrationslotsen" haben bis Ende des Jahres 2007 76 Basiskurse und 40 Spezialisierungsmodule stattgefunden. Das Land Niedersachsen hat für diese Maßnahmen in 2007 500.000 € und in 2008 weitere 300.000 € zur Verfügung gestellt. Ca. 1.000 Interessierte – ein beachtlicher Teil mit Migrationshintergrund – haben sich in Kursen verschiedener örtlicher Bildungseinrichtungen zu Integrationslotsen qualifizieren lassen.
Entscheidend ist, dass das ehrenamtliche Engagement von Politik und Verwaltung vor Ort in den Kommunen unterstützt, gefördert und geschätzt wird. Der Beitrag der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände zum Nationalen Integrationsplan unterstreicht neben der Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für die Entwicklung des Gemeinwesens die kommunalpolitische Bedeutung der Integration vor Ort.
Land und Kommunen sind in Niedersachsen gemeinsam auf einem guten Weg. Fünf gemeinsame Impulsveranstaltungen zum Thema "Integration geschieht vor Ort – Integration muss Chefsache sein" haben 2007 dazu beigetragen, das Thema Integration noch fester vor Ort in den Kommunen zu verankern. Ich selbst habe bei diesen Veranstaltungen viele Gespräche mit kommunalen Vertretern aus Politik und Verwaltung, sowie mit Akteuren aus Verbänden und Vereinen geführt. Wir alle waren und sind uns einig: die Potenziale der Vereine und Verbände vor Ort müssen für die Gestaltung von Integration noch stärker genutzt werden. So unterstützen wir das ehrenamtliche Engagement in Sportvereinen jährlich mit 500.000 €. Hier geht es vor allem darum, die interkulturelle Kompetenz der Verantwortlichen im organisierten Sport zu verbessern und Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zu Sportvereinen zu erleichtern.
Nicht nur der organisierte Sport, auch die Freiwilligen Feuerwehren leisten in Niedersachsen einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung unseres Gemeinwesens. Gemeinsam mit der Jugendfeuerwehr Niedersachsen bereiten wir zurzeit umfassende Fortbildungsmaßnahmen vor mit dem Ziel, die interkulturelle Kompetenz der Jugendfeuerwehr zu steigern und zugleich den Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund in dieser Organisation zu erhöhen. Hierfür stellen wir allein in diesem Jahr bis zu 30.000 € zur Verfügung.
Fazit:
Erste Erfolge zeigen, dass wir bei unseren Integrationsanstrengungen auf dem richtigen Weg sind.
- Die eingeführte Sprachstandserhebung und die Förderung bei den Kindergartenkindern zeigen, dass immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund ohne Verzögerung in die Grundschule aufgenommen werden können.
- Besonders erfreulich ist der Trend zu höheren Abschlüssen bei den Kindern und Jugendlichen aus Spätaussiedlerfamilien und den Familien der jüdischen Zuwanderer.
- Auch ein weiterer Vergleich zeigt die positive Entwicklung der Integrationsbemühungen im schulischen Bereich. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2006 38,2 Prozent der ausländischen Schüler in Niedersachsen den Realschulabschluss absolviert. Bundesweit waren es nur 30,8 Prozent. Den Hauptschulabschluss legten in Niedersachen 27,7 Prozent der ausländischen Schüler ab, bundesweit waren es 41,6 Prozent. Mehr Realschulabschlüsse und weniger Hauptschulabschlüsse als bundesweit. Auch bei der Fachhochschulreife liegt Niedersachsen 2006 vorn: 1,9% zu 1,5% bundesweit.
Sie sehen, die Landesregierung hat eine Vielzahl von Maßnahmen seit 2005 in Angriff genommen. Die positiven Wirkungen sind bereits heute sichtbar. Das wird sich bei der Auswertung der Daten der Migrationsdaten im Mikrozensus 2009 bestätigen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
20.02.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010