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Aufnahme irakischer Flüchtlinge

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 19.02.2009, TOP 16c


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen; es gilt das gesprochene Wort!

Die Fraktion hatte gefragt:

Immer noch sind innerhalb des Iraks 2,7 Millionen Menschen auf der Flucht. In den Nachbarstaaten, vor allem Syrien und Jordanien, leben inzwischen 2,5 Millionen Flüchtlinge unter desolaten Bedingungen. Die Erstaufnahmestaaten sind überfordert. Weder Syrien noch Jordanien haben die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Insbesondere 400 000 Angehörige der ethnischen oder religiösen Minderheiten haben keinerlei Perspektive in den Erstaufnahmestaaten, und eine Rückkehr erscheint auf lange Sicht ausgeschlossen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen fordert seit Längerem die europäischen Staaten auf, Resettlement-Programme einzurichten, auch um die desolate Lage der irakischen Flüchtlinge zu lindern. Dieses Programm richtet sich an besonders schutzbedürftige Personen, sogenannte Härtefälle, wie alleinerziehende Mütter, Folteropfer, Kranke, Minderjährige oder Alte.

Der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble stellte ursprünglich einen Plan vor, ein solches Programm einzurichten und speziell christliche Flüchtlinge nach Deutschland zu holen.

Diese konfessionsgebundene Auswahl wurde nicht zuletzt von den Kirchen sowie dem UNHCR stark kritisiert, woraufhin der Innenminister diese Selektierung Absicht und nur noch davon sprach, irakische Minderheitenangehörige im Rahmen eines Resettlement-Programmes aufzunehmen.

Von den EU-Staaten haben bisher Schweden, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Großbritannien und Irland entsprechende Programme eingerichtet, außerhalb der EU auch die USA, Norwegen, Kanada und Neuseeland.

Vor dem Hintergrund u. a. stark gesunkener Asylantragszahlen sind größere Ressourcen für ein Resettlement-Programm unbestreitbar vorhanden.

In Europa sollen nun 10 000 irakische Flüchtlinge, in Deutschland davon 2 500, die zunächst in Niedersachsen unterkommen, aufgenommen werden.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Gibt es ein abgestimmtes Konzept für die Aufnahme dieser speziellen Personengruppe unter Einbeziehung der in Friedland tätigen Wohlfahrtsverbände, und wie sieht dieses aus?
  2. In welcher Form und unter welchen Bedingungen soll eine Umsiedlung bzw. Unterbringung in der ZAAB Bramsche erfolgen?
  3. Sieht die Landesregierung darüber hinaus die Notwendigkeit und die moralische Verpflichtung zur Einrichtung eines kontinuierlichen Resettlement-Programms für schutzbedürftige Flüchtlinge, wie es der UNHCR von Deutschland erhofft?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Dringliche Anfrage wie folgt:

Die Europäische Union hat sich im Herbst des vergangenen Jahres darauf geeinigt, aus dem Irak nach Syrien und Jordanien geflüchtete Menschen aus humanitären Gründen aufzunehmen. Selbstverständlich beteiligt sich Niedersachsen an einer solchen internationalen Hilfsaktion.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Dringliche Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Ja, es existiert ein mit allen Beteiligten abgestimmtes Konzept.

Alle Beteiligten stehen in engem Kontakt und bereiten auf Grundlage der bisherigen erfolgreichen Zusammenarbeit die Aufnahme der irakischen Flüchtlinge bestmöglich vor.

Nach dem aktuellen Sachstand ist davon auszugehen, dass im März die ersten Flüchtlinge im Grenzdurchgangslager Friedland – niedersächsisches Zentrum für Integration (GDL) - eintreffen und danach kontinuierlich alle 14 Tage ca. 145 Personen über den Airport Hannover nach Deutschland einreisen. Die Vorbereitungen für die Durchführung der Erstaufnahme im GDL, die quotenmäßige Verteilung der Personen auf die Bundesländer sowie die sich für eine Reihe von Personen anschließenden Basisintegrationskurse laufen planmäßig und in enger Abstimmung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, den Bundesländern, dem niedersächsischen Ministerium für Inneres, Sport und Integration und dem GDL.

Die Wohlfahrtsverbände nehmen im Grenzdurchgangslager Friedland – niedersächsisches Zentrum für Integration (GDL) seit vielen Jahren unverzichtbare Betreuungsaufgaben wahr. Auf dem Gelände des GDL stehen hierbei Mitarbeiter des Deutschen Caritasverbandes, des Deutschen Roten Kreuzes und der Inneren Mission zur Verfügung.

Die Wohlfahrtsverbände halten im Rahmen der Aufnahme von Spätaussiedlern und jüdischen Zuwanderern folgende Betreuungs- und Beratungsangebot vor:

  • Migrationserstberatung (MEB) insgesamt 1,5 Stellenanteile (0,75 Caritas, 0,5 DRK, 0,26 DW)
  • eine Vollzeitstelle Jugendmigrationsdienst (JMD)
  • drei Vollzeitstellen für Jugendarbeit für 12- bis 27-Jährige

Im Jugendtreff "Kakadu" treffen sich Jugendliche und junge Erwachsene zur gemeinsamen Freizeitgestaltung, im "Mini-Club" werden Kinder und Jugendliche von 10 bis ca. 17 Jahre betreut. Sozialarbeiter vor Ort sind für Probleme aller Art Ansprechpartner.

  • Kinderhaus (Kindergarten und Vorschulbereich)
  • niederschwellige Begegnungsangebote (Café und andere Treffpunkte)
  • diverse Betreuungs- und Freizeitangebote für Erwachsene
  • Betreuungsangebote für Grundschulkinder (Basteln, Spielen, Tanzen)

Neben den beschriebenen Aufgaben betreiben die Wohlfahrtsverbände (insbesondere die Friedlandhilfe e.V.) Kleiderkammern, in denen die Neuankömmlinge mit Bekleidung und Hygieneartikeln versorgt werden. Das Problem "Winterkleidung"/Erstausstattung ist erkannt und wird zurzeit mit dem Bund abgeklärt. Tendenz einer Lösung: Die Friedlandhilfe e.V. und/oder das DRK erhalten zusätzliche Mittel für die Einkleidung der irakischen Flüchtlinge.

Eine Anpassung dieser bereits bestehenden Angebote der Wohlfahrtsverbände auf die Bedürfnisse der irakischen Flüchtlinge ist in konkreter Vorbereitung. In Friedland vor Ort sind mehrere Gespräche zwischen dem Leiter des GDL und den Verantwortlichen der Wohlfahrtsverbände geführt worden. Alle Beteiligten stehen in engem Kontakt und werden auf Grundlage der bisherigen erfolgreichen Zusammenarbeit die Aufnahme der irakischen Flüchtlinge bestmöglich vorbereiten.

Die Wohlfahrtsverbände verfügen über eine ausgesprochen gute und langjährige Fachkompetenz bei der Betreuung von Spätaussiedlern und jüdischen Zuwanderern. Gleichwohl wird es darauf ankommen, auf die speziellen Bedürfnisse der irakischen Flüchtlinge unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes einzugehen und die Betreuungs- und Beratungsangebote entsprechend abzustimmen. So wird beispielsweise der Caritasverband nach eigener Aussage seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in speziellen Schulungen auf diese Aufgabe vorbereiten. Die Innere Mission baut ihr Betreuungsangebot für Mütter und Kinder im Vorschulalter aus. Zusätzlich stellt die Innere Mission Sozialbetreuer für notwendige Fahrten zu Ärzten und Beratungsstellen zur Verfügung. Der Medizinische Dienst im GDL wird die Flüchtlinge je nach Bedarf und gesundheitlichem Zustand an entsprechende Fachärzte und Kliniken in der Region überweisen.

Aufgrund von fehlenden arabischen Sprachkenntnissen der Mitarbeiter vor Ort, ist ein wesentlicher Aspekt für den Erfolg des Beratungs- und Betreuungsangebot die Bereitstellung von qualifizierten Dolmetschern. Von Seiten des GDL sind bereits gezielte Anfragen für vereidigte Dolmetscher getroffen worden. Verbindliche Verträge können jedoch erst nach Vorliegen der Kostenübernahmeerklärung des Bundes getroffen werden (ist auf dem Weg). Die Dolmetscher werden in ausreichender Zahl sowohl den Hilfsorganisationen als auch weiteren Einrichtungen des GDL wie zum Beispiel dem Medizinischen Dienst zur Verfügung stehen. Das bisher bewährte und professionelle Zusammenspiel aller Organisationen im GDL wird wesentlich zu einer erfolgreichen Aufnahme und sensiblen Betreuung der irakischen Flüchtlinge beitragen.

Darüber hinaus hat das Migrationszentrum des Diakonischen Werkes Göttingen über die Innere Mission Friedland Dolmetscherdienste angeboten. Diese könnten nach einer vertraglichen Bindung an das GDL das Dolmetscherangebot ergänzen, sodass Sprachbarrieren auch im Freizeitbereich kein Hindernis bei der Betreuung der irakischen Flüchtlingen sein dürften.

Wie unbegleitete Minderjährige, so werden auch Schwerstkranke – und dazu gehören auch offensichtlich schwer Traumatisierte – nicht über Friedland kommen, sondern unmittelbar individuell in die Zielbundesländer/Zielkommunen überführt.

Für die übrigen traumatisierten und anderweitig erkrankten Flüchtlinge ist das GDL Friedland bestens vorbereitet. Der medizinische Dienst des Grenzdurchgangslagers organisiert die medizinische Versorgung erkrankter Personen. Hier bestehen bewährte Kontakte zur örtlichen Ärzteschaft und zu den Klinken im Umland.

Das bisher bewährte und professionelle Zusammenspiel aller Organisationen im GDL wird wesentlich zu einer erfolgreichen Aufnahme und sensiblen Betreuung der irakischen Flüchtlinge beitragen.

Zu 2.:

Von einer "Umsiedlung" in den Standort Bramsche der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde des Landes Niedersachsen kann nicht die Rede sein. Bramsche war und ist integraler Bestandteil des Aufnahme- und Unterbringungskonzepts des Landes Niedersachsens. Seit Sommer 1989 wurden in Bramsche unterschiedliche Flüchtlingsgruppen aufgenommen, untergebracht und betreut. Damit verfügen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtung über langjährige Erfahrungen in diesem Bereich.

Die Unterbringung der nun aufzunehmenden irakischen Flüchtlinge erfolgt für die Dauer der Basisintegrationskurse, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisiert werden, in Gemeinschaftszimmern unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles, insbesondere familiärer Strukturen.

Während des Aufenthaltes in Bramsche werden die irakischen Flüchtlinge an der Gemeinschaftsverpflegung teilnehmen und von den Bediensteten der Einrichtung betreut.

Zu 3.:

In Situationen, in denen sich die Lage von geflüchteten Menschen wie aktuell in Syrien und Jordanien derartig verschärft, werden auch künftig die solidarisch handelnden Kräfte auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene zur Entspannung der Krisensituation Lösungen anbieten.

Soweit Niedersachsen als Bundesland etwas zur Entspannung der weltweiten Flüchtlingsproblematik beitragen kann, wird es sich auch zukünftig im Rahmen europäischer Lösungskonzepte und Aktionen an der Aufnahme besonderer Flüchtlingsgruppen aktiv beteiligen.

Es ist aber zu bedenken, dass Resettlement nicht die Generallösung für die weltweite Flüchtlingsproblematik ist.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.02.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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