Nds. Ministerium für Inneres und Sport Niedersachsen klar Logo

Bundeswehreinsatz im Innern

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 15.01.2009; TOP 10


Rede von Innenminister Uwe Schünemann zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen; Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat den Antrag gestellt, der Landtag möge die Landesregierung auffordern, einer Änderung des Grundgesetzes im Bundesrat für einen erweiterten Bundeswehreinsatz im Innern nicht zuzustimmen.

Macht der begehrte Beschluss zurzeit überhaupt Sinn macht? Die Frage kann nur mit "nein" beantwortet werden. Die Bundesregierung hat das politische Ziel einer Grundgesetzänderung durch Änderung des Art. 35 GG zwar nicht aufgegeben; aktuell gibt es aber kein parlamentarisches Verfahren. Auch im Bundesrat existiert eine solche Initiative nicht. Wie soll sich der Landtag zu etwas positionieren, was es noch gar nicht gibt. Angestrebt wird somit ein Beschluss zu einem nicht näher bekannten Geset-zesentwurf. Solche "Vorratsbeschlüsse" sind generell abzulehnen.

Ich will mich der politischen Diskussion nicht verschließen – gestatten Sie mir einige Anmerkungen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die grundlegende Bestimmung für einen Einsatz der Bundeswehr im In-nern in Friedenszeiten ist Art. 87 a Grundgesetz (GG). Hiernach dürfen die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur "eingesetzt" werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Einsatz der Streitkräfte ist de-ren Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt Hierzu gehören ins-besondere hoheitlicher Zwangs mit der Möglichkeit zur Anwendung von Waffengewalt. Davon zu unterscheiden ist das so genannte schlicht-hoheitliche Handeln unterhalb der Einsatzschwelle. Sachmittel und Personal der Bundeswehr, insbesondere im technisch-logistischen Bereich, können daher zur Unterstützung anderer Behörden nutzbar gemacht werden, wenn die Soldaten selbst keine Zwangsmittel anwenden.

Die Befugnisse der Streitkräfte im Innern sind zunächst ausdrücklich in Art. 87 a Abs. 3 und 4 GG geregelt. Der Einsatz der Bundeswehr zum Objektschutz ist hier an enge Voraussetzungen geknüpft (Spannungsfall, Verteidigungsfall, drohende Gefahr für den Bestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Bundes oder eines Landes). Es sind allerdings darüber hinaus Lagen denkbar und realistisch, in denen die Polizeien von Bund und Ländern mit vorrangigen originären Aufgaben ausgelastet sind und für Objektschutzmaßnahmen nicht mehr im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen. Insofern ist eine Anpassung des Grundgesetzes erforderlich. Das Argument, die Bundeswehr sei für polizeiliche Aufgaben nicht ausgebildet und könne daher diese Unterstützung gar nicht leisten, greift nicht. Objektschutzmaßnahmen sind der Bundeswehr nicht fremd und werden in Bezug auf militärische Objekte regelmäßig durchgeführt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

abgesehen von den Fällen des Artikels 87a Abs. 3 und 4 GG ist der Einsatz abschließend in Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 geregelt (Naturkatastrophen und besonders schwere Unglücksfälle). Die "Hilfe", von der Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG spricht, wird den Ländern gewährt, damit diese die ihnen obliegende Aufgabe der Bewältigung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen wirksam erfüllen können. Die Begrenzung auf die "Unterstützungstätigkeit" bedeutet, dass die Streitkräfte nur in dem Umfang eingesetzt werden können, wie das Recht des Landes es für die Polizei erlaubt. Das heißt, es dürfen zwar Waffen eingesetzt werden, nicht aber militärische Kampfmittel.

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum "Luftsicherheitsgesetz" vom 15.02.2006 anerkannt, dass der Einsatz der Bundeswehr sehr wohl Menschenleben retten könnte, wenn ein unbemanntes oder ausschließlich von Terroristen besetztes Flugobjekt als "fliegende" Bombe missbraucht würde.

Das Ziel des Gesetzgebers, auch für diese Fälle Sicherheit zu schaffen, wurde nicht in Frage gestellt. Der Einsatz wurde nur deshalb als unzulässig angesehen, weil es wegen der oben beschriebenen Regelungslücke an der Ermächtigung für den Einsatz militärischer Kampfmittel fehle. Nicht die Sicherheitslücke wurde in Frage gestellt, sondern es wurde die oben beschriebene Regelungslücke problematisiert.

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine Novelle des Art. 35 GG ist daher zu begrüßen – und dies allein schon deshalb, um die vom BVerfG offen gelegte Sicherheitslücke endlich zu schließen. Darüber hinaus ist gerade für Niedersachsen die geplante Neuregelung sinnvoll und begründet, weil sie als verfassungsrechtliche Grundlage nicht nur für ein Luftsicherheitsgesetz, sondern insbesondere auch für ein zukunftsweisendes Seesicherheitsgesetz herangezogen werden könnte. Ein Küstenland wie NI hat ein fundamentales Interesse daran, dass seine maritime Infrastruktur gegen mögliche terroristische Bedrohungen von See aus wirksam geschützt werden kann. Die nachhaltige Sicherung von Häfen, Bohrinseln, Passagier-, Tank und Frachtschiffen etc. - gerade im küstennahen Raum - ist für den Export und die maritime Wirtschaft unseres Landes von zentraler Bedeutung.

Brauchen wir die Bundeswehr für Bedrohungen von See aus? Die Polizeien der Küstenländer und die Bundespolizei haben sich – zum Teil auch gemeinsam – auf eine Vielzahl polizeilicher Einsatzlagen vorbereitet. Dennoch sind besondere Gefahrenlagen möglich, für deren Bewältigung die polizeilichen personellen und materiellen Fähigkeiten nicht ausreichen und die den Einsatz der Bundeswehr erforderlich machen.

Grundsätzlich ist ein breites Spektrum für maritimen Terrorismus denkbar, da er potenziellen Tätern vielfältige Vorteile bietet und eine enorme Schadenswirkung entfalten kann. Neben Angriffen auf Schiffe ist daran zu denken, dass die Hohe See durch Terroristen als Transportweg genutzt werden kann und von See her Terrorangriffe gegen Ziele auf dem Festland denkbar sind. Auch seegestützte Angriffe mit Massenvernichtungsmitteln können nicht ausgeschlossen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine Änderung von Art. 35 GG könnte den subsidiären militärischen Einsatz von Kräften der Marine endlich verfassungsrechtlich zulässig werden lassen, wohlgemerkt in einem überschaubaren Umfang und nur als "ultima ratio". Es liegt daher im Interesse der norddeutschen Küstenländer, eine Ergänzung des Grundgesetzes als Basis für ein zukunftsweisendes Seesicherheitsgesetz zu unterstützen. Es ist allerdings sicherzustellen, dass ein gegenüber den Streitkräften bestehendes Weisungsrecht der Bundesregierung die Polizeihoheit der Länder unberührt lässt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Begründung des Antrags der Fraktionen Bündnis90/Die Grünen stellt nur auf den Einsatz bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen ab. Eine Grundgesetzänderung wird abgelehnt, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie denn terroristischen Gefahren insbesondere von See oder aus der Luft begegnet werden soll. Eine Grundgesetzänderung wäre kein Selbstzweck, sondern es soll eine notwendige Anpassung des Einsatzrahmens der Streitkräfte an die aktuelle Bedrohungslage im Hinblick auf Objektschutz, Luft- und Seesicherheit erfolgen. Stellen wir im Falle eines terroristischen Angriffs fest, dass wir mangels rechtlicher Ermächtigung nicht angemessen reagieren können, werden Terroristen einen begonnenen Angriff kaum solange unterbrechen, bis wir das Grundgesetz geändert und ein Sicherheitsgesetz erlassen haben. Die Konsequenzen hätten die Bürgerinnnen und Bürger zu tragen, die zu Recht kein Verständnis aufbringen würden, wenn auf Bedrohungslagen zu ihren Lasten nicht angemessen reagiert werden kann, weil wir nicht rechtzeitig unsere Schularbeiten gemacht haben. Ich darf in diesem Zusammenhang aus einer aktuellen Umfrage des Emnid Institutes zitieren (abgedruckt im Göttinger Tageblatt v. 10.01.2009): Hiernach meinen 75 % der Befragten, die Bundeswehr müsse Terrorangriffe mit Flugzeugen abwehren, 71 % fordern von der Armee einen wirksamen Schutz der Küsten- und Hafenanlagen und 66 % wünschen, dass Soldaten Kernkraftwerke, Chemieanlagen und ähnliche gefährdete Objekte schützen.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
15.01.2009
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln