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Zweckverband Großraum Braunschweig

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.12.2008; Fragestunde


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne); Es gilt das gesprochene Wort!

Die Abgeordnete hatte gefragt:

Die Industrie- und Handelkammer Braunschweig hat im Rahmen ihrer Vollversammlung am 24. November 2008 eine Entschließung verab-schiedet, mit der sie deutliche Kritik an der derzeitigen Verwaltungsstruk-tur in ihrem Zuständigkeitsbereich übt und Reformen dringend anmahnt. Dabei wird kritisiert, dass mit der Abschaffung der Bezirksregierungen nicht gleichzeitig leistungs- und aufgabengerechte kommunale Gebietszuschnitte und Verwaltungsstrukturen geschaffen wurden. Die Kammer schlägt u. a. vor, bestimmte kommunale Aufgaben in der Region Braunschweig auf den Zweckverband Großraum Braunschweig (ZGB) zu über-tragen, mit dem Ziel, das derzeitige Gebiet des Zweckverbandes (Braunschweig, Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Peine, Salzgitter, Wolfenbüttel, Wolfsburg) ganz oder teilweise unter Auflösung der Landkreise in eine "Region Braunschweig" einmünden zu lassen. Die Vollversammlung der IHK sieht vor allem das Land in der Pflicht, nach Abschaffung der Be-zirksregierungen statt deren Weiterentwicklung zu einem leistungsfähigen Regionalmanagement die notwendigen Maßnahmen für eine zu-kunftsfähige Verwaltungsstruktur im Wirtschaftsraum Braunschweig zu treffen.

Die IHK stützt sich mit ihrer Position u. a. auf das im September 2008 vom Lehrstuhl für vergleichende Städte- und Regionalplanung der Ruhr-Universiät Bochum (Prof. Jörg Bogumil) vorgelegte Gutachten "Modernisierung der Verwaltungsstruktur im Großraum Braunschweig". Die Gut-achter stellen in ihrer Analyse u. a. eine Fragmentierung regionaler Zuständigkeiten in einem sehr heterogen strukturierten Raum fest und be-werten die regionale Koordination vor allem nach Wegfall der Bezirksregierungen als unterentwickelt. Die Regierungsvertretungen des Landes können diese regionale Bündelungs- und Koordinationsfunktion nach Auffassung der Gutachter kaum wahrnehmen. Daraus ergibt sich u. a. eine mangelnde Außenwirkung der Region als Wirtschaftsstandort. Ferner werden unter Bezugnahme auf Berichte der Kommunen im Großraum Braunschweig erhebliche Probleme nach Fehlen der Bündelungsbehörde Bezirksregierung benannt: Es gebe einen beträchtlichen Mehraufwand im Verwaltungshandeln, Abgrenzungsprobleme und Koordi-nationsschwierigkeiten insbesondere bei komplexen Genehmigungsverfahren und kreisüber-greifenden Maßnahmen, etwa der Ausweisung von Überschwemmungsgebieten.

Die Gutachter schlagen neben der Bildung einer Region Braunschweig bei Auflösung der Land-kreise auch eine Gebietsreform auf gemeindlicher Ebene vor, da viele – vor allem kleinere – Kommunen ihres Erachtens nicht in der Lage wären, zusätzliche Aufgaben, die ihnen bei Bil-dung einer Region sinnvollerweise zusätzlich übertragen werden könnten, tatsächlich wahrzunehmen. Da eine solche Lösung eines längeren Prozesses bedürfte, schlagen Bogumil et al. zumindest übergangsweise die Verlagerung weiterer Aufgaben auf den ZGB vor, dem bisher lediglich der öffentliche Personennahverkehr und die Regionalplanung übertragen wurden. Als mögliche zusätzliche Aufgaben des ZGB werden u. a. die Bereiche Naturschutz, Wirtschaftsför-derung und die Genehmigungsfunktion im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung vorgeschlagen.

Wie u. a. die Peiner Allgemeine Zeitung am 1. Oktober 2008 berichtete, lehnt Innenminister Schünemann die Planungen zur Bildung einer Region Braunschweig jedoch ab.

Ich frage die Landesregierung:

  1. Wie beurteilt die Landesregierung die Kritik der IHK, die es als Versäumnis ansieht, nicht gleichzeitig mit der Abschaffung der Bezirksregierungen und der Übertragung von Aufgaben auf die kommunale Ebene leistungsfähige kommunale Gebietszuschnitte und Verwaltungs-strukturen geschaffen zu haben?
  2. Mit welchen Maßnahmen plant die Landesregierung, ihrer Verantwortung für die Behebung der festgestellten Defizite in den Verwaltungsstrukturen im Wirtschaftsraum Braunschweig gerecht zu werden?
  3. Wie bewertet die Landesregierung die Übertragung weiterer Aufgaben auf den Zweckverband Großraum Braunschweig oder als Alternative eine Landkreisreform?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Aufgrund einer vor Ort geführten Diskussion über die Bildung einer Region Braunschweig als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist im September dieses Jahres im Auftrag der Industrie- und Handelskammer (IHK) Braunschweig ein Gutachten durch die Ruhr-Universität Bochum (Prof. Dr. Jörg Bogumil et. alt.) zur "Modernisierung der Verwaltungsstrukturen im Großraum Braunschweig" erstellt worden. Das Gutachten enthält zunächst eine Problem- und Defizit-analyse. Deren Kernaussagen sind: Unzureichende Gemeindegrößen, nachteilige demografi-sche Entwicklung, problematische kommunale Haushaltslagen, zu geringe regionale Koope-ration, keine ausreichende Bündelung der Interessen in der Region und mangelnde Außenwirkung der Region. In einem Unterkapitel beschäftigt sich der Gutachter auch mit den möglichen bzw. vermeintlichen Ursachen festgestellter Probleme und Defizite und verweist insoweit einige Male auf die Niedersächsische Verwaltungsreform mit der Auflösung der Bezirksregierungen.

Die Hinweise auf die niedersächsische Verwaltungsreform als mögliche Ursache festgestellter Probleme und Defizite sind allgemein gehalten und werden vom Gutachter nicht näher substanziiert, in der Mündlichen Anfrage aber dennoch fälschlich so dargestellt, als seien sie Untersuchungsergebnisse. Die Hinweise gehen im Übrigen auch inhaltlich fehl. Sie verkennen insbesondere die Rolle der Regierungsvertretungen. Auftrag der Regierungsvertretungen ist die Förderung des ländlichen Raumes mit seinen Regionen. Die Mitarbeiter der Regierungsvertretungen dienen damit als Ansprechpartner für die regionalen Interessen. Eine besondere Bedeutung kommt ihnen als Entwicklungspartner der Kommunen und Regionen zu. Auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung für die aktuelle Wahlperiode wird darüber hinaus die Kernkompetenz der Regierungsvertretungen, die Unterstützung der regionalen Entwicklung und Zusammenarbeit, ausgebaut. Nicht substantiiert und damit so weder nachvollziehbar noch zutreffend erscheint auch die von den Gutachtern wiederholt vorgetragene These, die Voll-zugsqualität der gesamten Verwaltung habe nach Abschaffung der Bezirksregierungen gerade in Sonderordnungsbereichen (Natur- und Umweltschutz, Denkmalaufsicht) gelitten. So deuten die im Rahmen der Evaluation der Regierungsvertretungen gesammelten Erkenntnisse auf keine derart verallgemeinerungsfähige Situation hin. Die pauschale Kritik an der niedersächsischen Verwaltungsreform, wie sie aus dem Gutachten hervorgeht, wird deshalb von Prof. Dr. Hesse (ISE Berlin) nicht nur nicht geteilt, sondern ausdrücklich verworfen. Sie ist im übrigen auch durch die ständige Praxis und den damit verbundenen Erfahrungen von mehr als vier Jahren widerlegt.

Hinsichtlich der festgestellten Probleme und Defizite selbst teilt die Landesregierung im Übrigen die auch auf viele andere Landesbereiche zutreffenden Ausführungen des Gutachters zur demografischen Entwicklung, der Situation vieler kommunaler Haushalte und zur Verbesserungsfähigkeit der kommunalen Zusammenarbeit im Großraum Braunschweig trotz des Bestehens des Zweckverbands Großraum Braunschweig und des Projekts Region Braunschweig GmbH. Die letztere Feststellung deckt sich mit Ausführungen von Prof. Dr. Hesse in seinem im Jahre 2006 für das Land erstatteten Gutachten zur "Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit in Niedersachsen". Der diesbezügliche Endbericht enthält die Aussage, dass in Süd- und Ostniedersachsen ein insgesamt geringerer Bestand an interkommunaler Zusammenarbeit feststellbar sei als in anderen Landesteilen.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Die in der Entschließung der IHK Braunschweig vom 24. November dieses Jahres auf der Grundlage des Gutachtens der Ruhr-Universität Bochum zum Ausdruck kommende Kritik, die Landesregierung habe nicht zugleich mit der Auflösung der Bezirksregierungen aufgabengerechte kommunale Gebietszuschnitte geschaffen, ist schon deshalb falsch, weil Aufgaben der aufgelösten Bezirksregierungen den Landkreisen und kreisfreien Städten und nicht den kreisangehörigen Gemeinden übertragen wurden. Nur für letztere werden im Gutachten der Ruhr-Universität Bochum aber im Allgemeinen unzureichende Größen festgestellt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen und die Ausführungen zu 2. verwiesen.

Zu 2.:

Die Landesregierung teilt weder die in die Fragestellung eingearbeitete, pauschal für alle kommunalen Ebenen und Bereiche geltende Feststellung, dass "Defizite in den Verwaltungsstrukturen im Wirtschaftsraum Braunschweig" vorliegen noch trägt sie im Sinne der Fragestel-lung "Verantwortung" für eine unzureichende Kreis- und Gemeindestruktur im Raum Braunschweig. Auf die Vorbemerkungen und die Antwort zu 1. wird insoweit verwiesen.

Im Übrigen hat die Landesregierung wiederholt erklärt, dass sie auch in dieser Wahlperiode des Niedersächsischen Landtags keine allgemeine kommunale Gebietsreform anstrebt, dagegen aber örtliche Initiativen zu freiwilligen Zusammenschlüssen, die von den beteiligten kommunalen Körperschaften getragen und von der Bevölkerung unterstützt werden, aufgreifen und fördern will. Dazu gehört nicht nur eine Begleitung durch die örtliche Regierungsvertretung. In Fällen, in denen Kommunen beabsichtigen, die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit durch ernsthafte Fusionsüberlegungen zu verbessern und überzeugend darlegen können, dass durch diese freiwillige Fusion und eine finanzielle Unterstützung zur Teilentschuldung ein Haushaltsausgleich dauerhaft gelingen wird, kann dies auch durch die Bewilligung einer kapitalisierten Bedarfszuweisung finanziell unterstützt werden. Gefordert sind dabei stets individuelle, konsensuale Lösungen, die sich nach ihren Größenverhältnissen in die Gesamtstruktur der niedersächsischen Landes- und Kommunalverwaltung einfügen und auch das verfassungsrechtliche Erfordernis bürgerschaftlich-demokratischer Mitwirkung wahren. An alledem bestehen hinsichtlich der Bildung einer Region Braunschweig, wie sie vor Ort zurzeit diskutiert wird, erhebliche Zweifel.

Zu 3.:

Die Übertragung weiterer Aufgaben auf den Zweckverband Großraum Braunschweig kann auch nach Auffassung der Landesregierung durchaus ein Weg sein, die kommunale Leistungskraft im Großraum Braunschweig zu steigern. Erfolgversprechend ist ein solcher Weg allerdings nur, wenn grundsätzlich alle beteiligten kommunalen Körperschaften einverstanden sind. Darüber hinaus müsste sichergestellt sein, dass auch nicht nur vorübergehend eine "dreistufige" Kommu-nalverwaltung (Gemeinden, Kreise, Zweckverband) entsteht.

Zur Frage einer möglichen "Landkreisreform" wird auf die Ausführungen zu Nr. 2 verwiesen.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
11.12.2008
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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