Rechtsextremistische Szene in Niedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.12.2008; Fragestunde
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stefan Wenzel, Helge Limburg (GRÜNE); Es gilt das gesprochene Wort!
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Bei einer Durchsuchung am 30. November 2008 haben Göttinger Polizei-beamte in den Wohnungen von Rechtsextremisten aus der Region ein umfangreiches Waffenarsenal vorgefunden. Darunter befanden sich u. a. eine Pumpgun, ein Revolver, eine Maschinenpistole sowie ein Repetiergewehr. Anlass für die Hausdurchsuchungen war eine Auseinanderset-zung, in deren Verlauf zunächst einer der Neonazis mit der Pumpgun auf den Geschäftsführer eines Göttinger Lokals geschossen hatte und zu einem späteren Zeitpunkt Molotowcocktails von Rechtsextremisten gegen das Lokal geworfen wurden. Laut Einschätzung des Göttinger Polizeiprä-sidenten Hans-Werner Wargel zeugen der umfangreiche Waffenfund und die bewaffnete Auseinandersetzung von einer "neuen Qualität" rechtsextremer Gewalt und einem "besonderen Ausdruck der Gefährlichkeit der rechtsextremistischen Szene".
Dem mutmaßlichen Haupttäter aus der Gruppe der Rechtsextremisten werden gute Kontakte zum NPD-Bundesvorstandsmitglied Thorsten Heise nachgesagt. Heise, der u. a. wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruch, Nötigung und Volksverhetzung vorbestraft ist, gilt als führen-der Kopf der Neonazi-Kameradschaft Northeim. Bei ihm waren im Rah-men einer Razzia im Oktober 2007 ebenfalls Waffen, darunter eine Maschinenpistole und ein Maschinengewehr, gefunden worden.
Im Mai 2008 hatte Innenminister Schünemann in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage die Aussage getroffen, die bis dahin registrier-ten Straftaten sowie die Einschätzung der Gesamtlage ließen "nicht den Schluss zu, dass die im südniedersächsischen Raum bzw. in der Südharzregion festgestellten rechtsextremistischen Bestrebungen einen
Schwerpunkt mit landesweiter Bedeutung darstellen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass in dieser Hinsicht ein entsprechender Impuls von der Region ausgeht."
Wir fragen die Landesregierung:
- Hält Innenminister Schünemann an seiner im Mai 2008 formulierten Einschätzung der Bedrohungssituation durch Rechtsextremisten in Südniedersachsen fest, oder schließt er sich der aktuellen Einschätzung des Göttinger Polizeipräsidenten Hans-Werner Wargel an, der aufgrund der jüngsten Ereignisse einen "besonderen Ausdruck der Gefährlichkeit der rechtsextremistischen Szene" konstatiert?
- Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über Verbindungen der im aktuellen Fall beschuldigten Rechtsextremisten und der NPD vor?
- Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über Verbindungen zwischen dem Waffenfund am 30. November 2008 und dem Waffenfund im Oktober 2007 bei Thorsten Heise vor?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Nach Bericht der Polizeidirektion Göttingen suchten am Sonntag, den 30.11.2008, sechs Angehörige der rechten Szene nach einer vorangegangenen privaten Feier eine Tabledance-Bar in Göttingen auf.
Eine Person führte dabei in einer Tasche eine sogenannte Pump-Gun mit sich. Im Verlauf der Nacht ergab sich zwischen einem Mitarbeiter des Lokals und dieser Person eine persönliche Konfliktsituation, in deren eskalierendem Verlauf es zu einer Schussabgabe kam. Nach einer anschließenden körperlichen Auseinandersetzung verließ die Gruppe das Lokal, ohne dass die Polizei alarmiert wurde. Nach etwa einer Stunde kamen fünf Personen zum Objekt zurück und versuchten mittels sogenannter Molotowcocktails das Gebäude in Brand zu setzen; aufgrund sofort durchgeführter Löschmaßnahmen durch Beschäftigte der Bar gelang dies nicht.
Drei Beschuldigte konnten noch am Tatort durch die Polizei festgenommen werden; bei zwei weiteren Beschuldigten erfolgte die Festnahme im Rahmen der sofortigen Fahndungsmaßnahmen.
Bei weitreichenden Anschlussmaßnahmen wurden mehrere Objekte in den Bereichen der Stadt Göttingen und der Landkreise Northeim und Osterode durchsucht. Dabei konnten u.a. Schusswaffen, Munition unterschiedlichen Kalibers sowie diverse Stichwaffen sichergestellt werden.
Gegen einen Beschuldigten wurde wegen versuchten Totschlags, versuchter schwerer Brandstiftung und Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz Untersuchungshaft angeordnet. Zwei Beschuldigte befinden sich wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Untersuchungshaft.
Für die weiteren Ermittlungen wurde durch die Polizeidirektion Göttingen eine inspektionsübergreifende Sonderkommission aus 20 Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern eingerichtet.
Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die Einschätzungen des niedersächsischen Innenministers und des Göttinger Polizeipräsidenten widersprechen sich nicht.
Die im Mai 2008 getroffene Einschätzung der Gesamtlage gilt nach wie vor.
Durch die Beschlagnahme der Schusswaffen konkretisierte sich jedoch die Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden, die im Übrigen von der niedersächsischen Landesregierung geteilt und in der zitierten Dringlichen Anfrage in der Sitzung des Niedersächsischen Landtages
vom 08.05.2008, TOP 12 a, auch so dargestellt wurde, dass in der gesamten rechten Szene eine deutliche Affinität zu Waffen feststellbar ist. Waffen werden von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene als Tatmittel, zur Bedrohung sowie als "Statussymbole" angesehen.
Zweifellos sind unter Verwendung von Schusswaffen begangene Straftaten, unabhängig davon, aus welcher Motivation heraus sie geschehen, generell ein deutliches Indiz für die besondere Gewaltbereitschaft der Täter und ein klarer Beleg für ihre Gefährlichkeit. Darüber hinaus bedürfen die Waffenfunde im Zuge der weiteren Ermittlungen zum Tatgeschehen bei Rechtsextremisten der besonderen Aufmerksamkeit der niedersächsischen Sicherheitsbehörden. Über die lückenlose Aufklärung des eigentlichen Vorfalles hinaus, dem nach bisherigen Erkenntnissen ein privater Streit zu Grunde lag, wird die niedersächsische Landesregierung weiterhin konsequent und nachhaltig gegen Rechtsextremisten vorgehen und in diesem Zusammenhang alle rechtlich möglichen Maßnahmen ergreifen.
Zu 2.:
Den Niedersächsischen Sicherheitsbehörden liegen Erkenntnisse darüber vor, dass die Beschuldigten der rechtsextremistischen Szene angehören. Sie haben in der Vergangenheit, wie auch andere so genannte Freie Nationalisten, sporadisch an von der NPD angemeldeten Demonstrationen teilgenommen.
Es liegen keine konkreten Erkenntnisse über Verbindungen der Beschuldigten zur NPD vor. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass vor dem Hintergrund persönlicher Kontakte innerhalb der rechten Szene, Kontakte zu Mitgliedern der NPD bzw. deren Umfeld bestehen.
Zu 3.:
Zu möglichen Zusammenhängen der Waffenfunde in den beiden Ermittlungskomplexen kann insbesondere vor dem Hintergrund der in beiden Fällen laufenden Ermittlungsverfahren vorerst keine Aussage getroffen werden.
Artikel-Informationen
erstellt am:
11.12.2008
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010