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Internationale Piraterie

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.12.2008; Fragestunde


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Helge Limburg, Ralf Briese, Enno Hagenah (GRÜNE); Es gilt das gesprochene Wort!

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Gegenwärtig wird das Phänomen der Piraterie auf unterschiedlichen politischen Ebenen kontrovers diskutiert. Vor allen Dingen am Horn von Afrika häufen sich Überfälle auf Containerschiffe und Mehrzweckfrachter. Niedersachsen hat mit seinen Seehäfen und großen Reedereien ein hohes Interesse an einem ordnungsgemäßen und reibungslosen Verlauf der Seeverkehre. Die Containerverkehre verteuern sich durch die steigenden Versicherungsprämien dramatisch.

Durch die Kaperung eines Superöltankers haben die Überfälle auf See eine gänzlich neue Qualität bekommen. Die internationale Gemeinschaft diskutiert u. a. die Entsendung von Marineschiffen unter spezifischen Mandaten, um die Piraten abzuschrecken und den Handelsschiffen Begleitschutz zu geben. Rechtlich ungeklärt und umstritten sind in Deutschland nach geltendem Recht die Befugnis zur Festnahme der Piraten und der mögliche Gerichtsstandort. Die Besetzung von Marineschiffen mit Polizisten wird daher diskutiert. Fraglich ist indessen, aus welchen Ländern und mit welcher Ausbildung die Polizisten kommen sollen, die diese gefährlichen Missionen begleiten sollen.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Sind niedersächsische Reedereien von der internationalen Piraterie betroffen und, wenn ja, in welchem Ausmaß (gekaperte Schiffe, Handelsvolumen, Lösegeld)?
  2. Welche Konzepte vertritt die Landesregierung zur Sicherung der niedersächsischen Handelsflotte sowohl in gesetzgeberischer Hinsicht als auch unter dem Gesichtspunkt der konkreten Gefahrenabwehr?
  3. Gibt es Überlegungen, niedersächsische Polizisten auf deutschen Marinebooten einzusetzen und, wenn ja, in welcher Anzahl, mit welcher Ausbildung und mit welchem Dienstgrad?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Die maritime Wirtschaft in Niedersachsen hat in den letzten Jahren erheblich von der weltweiten Zunahme des internationalen Seehandels und dem globalen Aufschwung der maritimen Branchen profitiert. Im Nordwesten Niedersachsens (Leer) ist mittlerweile der zweitgrößte deutsche Reedereistandort nach der Hansestadt Hamburg beheimatet. Da Schiffe niedersächsischer Reedereien weltweit im Einsatz sind, können auch sie von der internationalen Piraterie betroffen sein.

Piraterie ist eine der größten Gefahren für die internationale Handelsschifffahrt. Sie ist allerdings kein Problem der deutschen Küstengewässer, sondern konzentriert sich u.a. auf Seegebiete von Dritte-Welt-Staaten. Insbesondere im Raum West- und Ostafrika, speziell im Bereich des Golfs von Aden vor der somalischen Küste, aber auch im Raum Südostasien ist Piraterie ausgeprägt. Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union (EU) nehmen diese Bedrohung der zivilen Schifffahrt durch Piraterie sehr ernst.

Die Pflege der Beziehung zu auswärtigen Staaten wie auch die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an internationalen Friedensmissionen liegt ausschließlich in der Zuständigkeit des Bundes.

Am 10.11.2008 hat der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU beschlossen, eine EU-Anti-Piraterie Mission vor der Küste Somalias durchzuführen. Diese erste maritime Mission der EU heißt EU NAVFOR Somalia/Operation ATALANTA. Die EU plant für den Einsatz einen Verband mit mehreren Fregatten, Unterstützungsschiffen und Seeaufklärungsflugzeugen.

Die Bundesrepublik Deutschland wird sich, vorbehaltlich der am 19.12.2008 beabsichtigten Mandatierung durch den Deutschen Bundestag, nach derzeitigen Planungen für ein Jahr mit einer Fregatte beteiligen; die deutsche Beteiligung erfolgt "im Rahmen und nach den Regeln" von Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz (GG).

Das EU-Mandat ist "robust" gefasst und berechtigt die beteiligten Streitkräfte zu allen erforderlichen Maßnahmen gegen die Piraterie. Der Einsatz von Gewalt zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen ist als "ultima ratio" ausdrücklich erlaubt. Auch zur Ingewahrsamnahme von verdächtigen Personen sowie zur Beschlagnahme von deren Schiffen wird ermächtigt.

Zurzeit existieren mehrere nationale und multinationale Initiativen parallel zu der der EU. Unter anderem werden im Operationsgebiet der US-geführten Operation ENDURING FREEDOM Schiffe einzelner Nationen aus dem Verband herausgelöst und mit Anti-Piraterie-Maßnahmen betraut. Einheiten des ständigen NATO-Eingreifverbandes wurden abgestellt, um im Zuge der Operation ALLIED PROVIDER bei Bedarf Schiffe des Welternährungsprogramms gegen Piraterie zu schützen. Diese Operation wird am 15.12.2008 enden. Zu diesem Zeitpunkt soll ATALANTA beginnen.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Nach Mitteilung des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) wurden bisher insgesamt sieben Schiffe von vier niedersächsischen Schifffahrtsunternehmen von Piraten angegriffen (Stand Anfang Oktober 2008). Ein weiteres Schiff einer niedersächsischen Reederei wurde Ende Mai 2008 entführt und nach Zahlung von Lösegeld wieder freigelassen. Genauere Einzelheiten sind dem VDR nicht bekannt, auch nicht das Handelsvolumen. Es handelte sich um kleinere Containerschiffe, Stückgutfrachter und Chemikalientanker.

Zu 2.:

Seit Juli 2004 sind für Schiffe und Hafenanlagen weltweit umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen in Kraft getreten, die von der Seeschifffahrtsorganisation Internationale Maritime Organisation (IMO) nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf Initiative der USA erarbeitet wurden. Der so genannte International Ship and Port Facility Security Code (ISPS-Code) verpflichtet die Reedereien auf ihren Schiffen Eigensicherungsmaßnahmen zur Terror- und Piratenabwehr vorzunehmen. So müssen beispielsweise an Bord der Seeschiffe Gefahrenabwehrpläne vorhanden sein, die die notwendigen bordseitigen Sicherheitsvorkehrungen bei äußeren Gefahren, wie z.B. bei Terror-/Pirateriegefahr beschreiben. Zusätzlich ist auf jedem Seeschiff über 500 Bruttoregistertonnen in der internationalen Fahrt ein so genannter Stiller Alarm vorgeschrieben. Der Flaggenstaat, d.h. der Staat, in dessen Schiffsregister das Schiff eingetragen ist, wird mit Hilfe des "Stillen Alarms" im Gefahrenfall alarmiert.

Aufgrund fehlender Zuständigkeit des Landes Niedersachsen für die Gefahrenabwehr auf internationalen Seewegen und in Anbetracht nationaler und internationaler Bemühungen, der Piraterie entgegenzuwirken, erfolgen gesonderte niedersächsische Initiativen zur Sicherung internationaler Seewege nicht.

Die Strafverfolgung – d.h. konkret die Festnahme von Seeräubern – ist im deutschen Recht in der »Verordnung zur Bezeichnung der zuständigen Vollzugsbeamten des Bundes für bestimmte Aufgaben nach der Strafprozessordnung auf dem Gebiet der Seeschifffahrt « (Zuständigkeitsbezeichnungs-Verordnung See, ZustBV-See) vom 4. März 1994 (BGBl. I, S. 442), zuletzt geändert durch Art. 121 des Gesetzes vom 21.06.2005 (BGBl. I, S.1818), geregelt. Die Zuständigkeit der Strafverfolgung durch Festnahme obliegt seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres der Bundespolizei.

Zu 3.:

Bei der Landesregierung gibt es keine Überlegungen, niedersächsische Polizisten auf deutschen Marinebooten einzusetzen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
11.12.2008
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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