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Europäische Einwanderungspolitik darf Länderinteressen nicht ignorieren

Plenarsitzung des Bundesrates am 19.09.2008; TOP 61


Rede des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann; Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

in der Mitteilung entwickelt die Kommission gemeinsame Grundsätze für eine europäische Einwanderungspolitik und stellt ein 10-Punkte Programm auf. Damit soll die Richtung für eine einheitliche Migrationspolitik in der EU abgesteckt werden.

Uns liegt zur Abstimmung eine Empfehlung der Ausschüsse vor, die zu den einzelnen Vorschlägen der Kommission Stellung bezieht. Der von den Innenministerien aus Hessen, Niedersachsen und Sachsen erarbeitete Mehrländerantrag hat im Innenausschuss eine breite Mehrheit ge-funden. Das ist ein wichtiges Signal für eine gemeinsame Positionierung in der Migrationspolitik.

Fragen der Einwanderung können niemals isoliert betrachtet werden. Die europäische Migrationspolitik hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Innenpolitik. Sie berührt darüber hinaus die Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik des Bundes und der Länder. Auch sozialpolitische Fragen sind zu beantworten – insbesondere wenn es darum geht, eine ungesteuerte Zuwanderung in die Sozialsysteme zu vermeiden. Aus Sicht der Länder ist immer wieder zu fragen:

  • Beachten die Vorschläge der EU das im Vertrag von Lissabon festgeschriebene Prinzip der Subsidiarität?
  • Halten sie die dort festgelegte Kompetenzverteilung ein?
  • Und sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Notwendigkeit beachtet?

Allen Beteiligten hier im Raum muss doch klar sein: Die Folgen einer verfehlten Einwanderungspolitik haben in erster Linie die Länder und Kommunen zu tragen!

Der Zug der europäischen Gesetzgebung rollt in Richtung "Vereinheitlichung". Dabei werden die Stimmen, die auf das Subsidiaritätsprinzip hinweisen, zu wenig wahrgenommen. Umso mehr ist es geboten, sich rechtzeitig in die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene einzuschalten.

Ich will das an folgendem Beispiel veranschaulichen:

Für den Arbeitsmarktzugang besitzt die EU bislang keine Rechtsetzungskompetenz. Anders sieht es jedoch auf dem Gebiet der Asyl- und der Einwanderungspolitik aus. Die Beschlusskompetenz der EU ist Artikel 63 EG-Vertrag zu entnehmen.

Die Bereiche "Arbeitsmarktzugang" und "Einwanderung" sind jedoch untrennbar miteinander verknüpft, wenn es z. B. um die Einreise von Arbeitskräften geht. Zurzeit wird in Deutschland und anderen europäischen Ländern heftig diskutiert, wie viele qualifizierte Fachleute benötigt werden und wie sie ins Land geholt werden sollten. Unstreitig sind hier die innerstaatlichen Arbeitsmärkte tangiert. Trotzdem definiert die EU diesen Bereich als "Wirtschaftsmigration" und weitet damit ihre Zuständigkeit de facto aus. Mit der Richtlinie über die Einreise und den Aufenthalt Hochqualifizierter (sog. Bluecard-Richtlinie) wird es eine allgemein verbindliche, detaillierte Regelung für alle Mitgliedstaaten geben. Weitere Vorschläge, die die Aufenthaltsbedingungen für Saisonarbeitnehmer und Auszubildende EU-einheitlich festlegen sollen, sind angekündigt.

Wir werden damit ein supranationales Regelungswerk bekommen, das in den Mitgliedstaaten umgesetzt und beachtet werden muss. Es wird dann sehr viel schwieriger sein, eine flexible, an den Bedürfnissen der nationalen Arbeitsmärkte ausgerichtete Zuwanderungspolitik zu gestalten.

Aus meiner Sicht kann es nicht angehen, dass sich die EU über eine extensive Interpretation ihrer Zuständigkeiten neue Steuerungsinstrumente in Angelegenheiten verschafft, die die Mitgliedstaaten selbst besser regeln können. Wir müssen aufpassen, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht zum Papiertiger verkommt!

Darüber hinaus haben die auf EU-Ebene getroffenen Entscheidungen gerade im Aufenthalts-recht unmittelbar Auswirkungen auf die Länder und die Kommunen. Dort muss Integration stattfinden und dort gibt es Probleme zu lösen, falls die Eingliederung nicht gelingt. Zuwanderung und Integrationsfähigkeit gehören untrennbar zusammen. Es gilt zu verhindern, dass quasi "durch die Hintertür" Regelungen in die Welt gesetzt werden, die an den nationalen Interessen vorbeilaufen und deren nachteilige Auswirkungen zu Lasten der Länder und Kommunen gehen.

Eine transparente und geordnete Zuwanderung muss im Rechtsstatus klar unterscheiden zwischen Drittstaatsangehörigen,

• die dauerhaft legal bei uns leben wollen,

• die nur einen zeitweisen Aufenthalt anstreben

• und solchen, die illegal eingewandert sind.

Keinesfalls kann daher die sog. "Arbeitgeber-Sanktionsrichtlinie" der EU toleriert werden. Diese Richtlinie sieht vor, auch illegal beschäftigen Ausländern befristete Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, damit diese von hier aus Rechte gegen ihre Arbeitgeber geltend machen können.

Für Personen, die sich bewusst außerhalb der Rechtsordnung stellen, darf es keine Rechtsordnung "light" geben. Hier bin ich mit der Bundesregierung einig: Es wäre ein fatales Signal, diejenigen zu privilegieren, die sich illegal hier aufhalten, um einer Schwarzarbeit nachzugehen, während "einfach Ausreisepflichtige" das Land verlassen müssen. Damit würde die Bekämpfung illegaler Migration torpediert. Und die Hauptlast hätten einmal mehr die Länder und Kommunen zu tragen. Denn sie müssten während der Zeit des verlängerten Aufenthaltes für die Versorgung dieser Personen aufkommen.

Illegale müssen spüren, dass wir Ernst machen und alles daran setzen, der Rechtsordnung Geltung zu verschaffen. Um es klar zu sagen: Es gibt kein "Grundrecht auf Illegalität". Wer illegal zugewandert ist, darf am Ende nicht prämiert werden. Das sind wir zum einen den Menschen schuldig, die nicht versuchen den Staat auszutricksen und aus berechtigtem Interesse Schutz und Zuflucht suchen. Das sind wir zum anderen aber auch unseren Bürgern schuldig, von denen wir selbstverständlich Gesetzestreue verlangen.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage:

Wie gehen wir zukünftig mit Problemstaaten um, die nicht bereit sind, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, weil sie sich beispielsweise aus fadenscheinigen Gründen weigern, Pässe oder Passersatzpapiere auszustellen?

Nach dem Vorschlag der Kommission sollen sog. Mobilitätspartnerschaften vereinbart werden. Man bietet den Staatsangehörigen dieser Problemstaaten begrenzte Einwanderungsmöglichkeiten auf Zeit an und erhofft sich als Gegenleistung dafür eine verbesserte Zusammenarbeit in Rückführungsfragen.

Ich sage hier klar und deutlich: Die Erfahrungen mit den Gastarbeitern der 60er und 70er Jahre haben gezeigt, dass aus der vorübergehenden Aufnahme sehr schnell ein dauerhafter Bleibewunsch entsteht. Wir haben dann nichts gewonnen, im Gegenteil. Deshalb muss die EU den Problemstaaten unmissverständlich klar machen, dass ihre Verweigerungshaltung nicht hinnehmbar ist. Als letztes Mittel kommt meines Erachtens auch die Kürzung von Entwicklungshilfe in Betracht.

Mit der vorliegenden Empfehlung haben wir ein klares Meinungsbild der Länder, das in die laufenden Verhandlungen eingebracht werden sollte. Die Bundesregierung ist gehalten, die Voten des Bundesrates in ihre Verhandlungslinien auf EU-Ebene aufzunehmen und dort mit dem notwendigen Nachdruck zu vertreten. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass bei den Verhandlungen mit nunmehr 27 Mitgliedstaaten ein gewisses Maß an Kompromissbereitschaft notwendig ist. Aber es kann nicht akzeptiert werden, wenn Ergebnisse erzielt werden, die faktisch die Länderinteressen und damit unsere föderale Ordnung ignorieren.

Mit der im Vertrag von Lissabon enthaltenen Ausweitung des Mehrheitsverfahrens wird die EU ein Abstimmungssystem erhalten, das ihre Gesetzgebungsfähigkeit weiter erleichtert. Weitere verbindliche Regelungen werden die Folge sein. Aufgrund unterschiedlicher Interessen oder Strukturen gibt es allerdings eine Vielzahl von Bereichen, die im Interesse der Bevölkerung national oder regional zu gestalten sind. Diese Regelungskompetenzen müssen im Sinne des Subsidiaritätsprinzips weiterhin dezentral fortbestehen. Darauf zu achten ist unsere gemeinsame Aufgabe im Bundesrat.

Vielen Dank.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.09.2008
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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