Bürgerbegehren in Niedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 04.06.2008; TOP 8
Rede von Innenminister Uwe Schünemann zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen; Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Ausschuss für Inneres, Sport und Integration hat über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP, also mit großer Mehrheit, empfohlen, den Antrag abzulehnen. Ich bin über diese breite Mehrheit im Ausschuss sehr froh, weil der vorgelegte Entschließungsantrag die Belange der Kommunen nicht berücksichtigt und seine Annahme starke Nachteile für die Handlungsfähigkeit der Kommunen und damit für die kommunale Selbstverwaltung mit sich bringen würde.
Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass das Zustimmungsquorum für den Bürgerentscheid abgeschafft wird. Damit würden wir im Vergleich mit den Flächenländern Neuland betreten, denn ein Bürgerentscheid ohne Zustimmungsquorum gibt es dort bisher nicht. In Niedersachsen beträgt dieses Quorum 25 Prozent. Das ist übrigens genau die Hürde, die wir auch in der Niedersächsischen Verfassung für Volksentscheide verankert haben. Auch im Ländervergleich stehen wir mit dem Zustimmungsquorum von 25 Prozent für Bürgerentscheide nicht allein da. Insgesamt acht Flächenländer haben eine entsprechende Regelung. Und zwar aus gutem Grund: Wegen der Bindungswirkung eines Bürgerentscheids – er wirkt wie ein Ratsbeschluss – muss er auch über eine gewisse Legitimität verfügen. Ich denke, die Mehrheit in diesem Haus ist sich darüber einig, dass es nicht demokratischen Prinzipien entspricht, wenn der Gesetzgeber es kleinen Minderheiten ermöglichen würde, ihre eigenen Interessen gegen eine schweigende Mehrheit durchzusetzen. Entscheidungen, die die Mehrheit binden, müssen vielmehr durch ein Mindestmaß an Bürgerbeteiligung gesichert sein.
Im Übrigen zeigt die Praxis ja auch, dass die 25-prozentige Hürde nicht unüberwindbar ist. Nach dem in dem Entschließungsantrag angeführten Bericht beträgt der Anteil der Bürgerentscheide, die das Zustimmungsquorum nicht erreicht haben, in Niedersachsen nur 40 Prozent. Weit mehr als die Hälfte der Verfahren erreichen also die erforderliche Beteiligung. Und wenn das Quorum nicht geschafft wird, dann wird es dafür sehr unterschiedliche Gründe geben. Misserfolg kann in diesen Fällen nicht einfach auf ein zu hohes Quorum geschoben werden. Die praktischen Erfahrungen lassen jedenfalls aus meiner Sicht keinen Handlungsbedarf bezüglich des Quorums erkennen.
Für ganz und gar unverantwortlich halte ich es, wenn man – wie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen es in ihrem Antrag fordert – neben der Abschaffung des Zustimmungsquorums auch noch die Anforderungen an die Kostendeckungsvorschläge für die mit dem Bürgerbegehren angestrebte Maßnahme zurücknehmen will. Bündnis 90/Die Grünen wollen also, dass eine einfache, in keiner Weise qualifizierte Mehrheit über den Weg des Bürgerentscheids verbindlich eine Maßnahme durchsetzen kann, ohne dabei ein tragfähiges Konzept über die Finanzierbarkeit dieser Maßnahme vorlegen zu müssen. Wer solche Forderungen erhebt, bereitet den Weg dafür, dass die Kommunen in Zukunft vor noch größere finanzielle Probleme gestellt werden als sie jetzt schon verkraften müssen. Derartige Regelungen zulasten der kommunalen Ebene werden von der Landesregierung abgelehnt.
Die 1996 mit der Kommunalverfassungsreform eingeführten Formen der direkten Beteiligung der Bürger an den kommunalpolitischen Entscheidungen fördern die Bereitschaft der Bürger, sich vor Ort für ihr Gemeinwesen zu engagieren. Direkte Bürgerbeteiligung als Ergänzung der Entscheidungsbefugnisse der Kreistage und Räte stärkt die kommunale Selbstverwaltung. Direkte Bürgerbeteiligung im Übermaß führt allerdings zu einer Entmachtung der Vertretungen, schränkt die kommunalen Mandatsträger in ihren Wirkungsmöglichkeiten ein und schwächt damit die kommunale Selbstverwaltung. Direkte Bürgerbeteiligung im Übermaß verstößt auch gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben, in denen der Grundsatz der repräsentativen Demokratie verankert ist. Danach treffen im Regelfall die gewählten Vertretungen, auf kommunaler Ebene also der Kreistag und der Rat, die erforderlichen Entscheidungen. Nur auf diesem Weg können alle Gesichtspunkte in die Entscheidungsfindung einfließen und ggf. Kompromisse geschlossen werden. Bürgerentscheide müssen demgegenüber die Ausnahme bleiben. Diesen Grundsatz hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei ihrem Entschließungsantrag aus den Augen verloren und deshalb ist ihr Antrag abzulehnen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
05.06.2008
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010