Nds. Ministerium für Inneres und Sport Niedersachsen klar Logo

Verfassungsschutzbericht 2007: Rückgang extremistische Straftaten

Schünemann: Beobachtung der islamistischen Szene wird immer aufwändiger


HANNOVER. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann hat die propagandistischen Aktivitäten militanter Islamisten im Internet als weiterhin große Gefahr für die Innere Sicherheit bezeichnet. Bei der Vorstellung des niedersächsischen Verfassungsschutzberichtes 2007 sagte Schünemann am Mittwoch in Hannover: "Die Beobachtung islamistisch-extremistischer Gruppierungen und die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus ist zentraler Aufgabenschwerpunkt des Verfassungsschutzes und der Polizei." Als Beispiel für die auch auf Deutschland übergreifende globale Dimension des islamistischen Terrorismus nannte Schünemann die Verhinderung von Anschlägen durch die Festnahme mehrerer Mitglieder einer terroristischen Vereinigung am 4. September 2007 in Nordrhein-Westfalen. Die Gruppe habe im Verdacht gestanden, mehrere zeitgleiche Sprengstoffanschläge in Deutschland geplant und mit deren unmittelbarer Ausführung begonnen zu haben. Die mutmaßlichen Terroristen hätten ihre Kenntnisse zum Bau von Sprengvorrichtungen möglicherweise in speziellen Schulungen in Ausbildungslagern in Pakistan erhalten.

Als weiterhin großes Problem bezeichnete Schünemann die globale Vernetzung und den anonymen Informationsaustausch der Jihadisten über das Internet. Das Internet übernehme weiterhin die Funktion der virtuellen militärischen Ausbildungslager. Als prägnantes Beispiel für "Cyber-Jihadismus" in Niedersachsen nannte der Innenminister die Internet-Aktivitäten eines irakischen Staatsangehörigen aus Georgsmarienhütte, gegen den ein Strafverfahren vor dem OLG Celle anhängig sei. Durch die Verbreitung zahlreicher

Video-Botschaften Usama BIN LADINs, in denen der Jihad glorifiziert werde und dem Westen der Untergang angekündigt werde, habe er zur Vernetzung terroristischer Propaganda beigetragen.

Islamismus: Salafistisches Netzwerk gewinnt an Bedeutung

Nach Angaben des Innenministers belege die Zerschlagung der mutmaßlichen Terrorzelle in NRW auch die zunehmende Bedeutung salafistischen Gedankenguts in Deutschland. So habe über persönliche Bekanntschaften eine Anbindung der aufgedeckten Terrorzelle an ein im Raum Braunschweig/Wolfsburg agierendes salafistisches Netzwerk bestanden. In engem Kontakt mit islamischen Kernländern habe sich in Deutschland eine fundamentalistische Lehr- und Bildungsinfrastruktur mit salafistischer Ausrichtung herausgebildet. Kernforderung der salafistischen Ausrichtung sei die Reinigung der muslimischen Gesellschaft auch in Deutschland von "unislamischen" Elementen. Hierzu gehörten, so der Innenminister, z.B. Frauen- und Menschenrechte sowie demokratische Verfahrensweisen. Die salafistische Interpretation des Islam gehe sogar bis hin zur Rechtfertigung der Verheiratung neunjähriger Mädchen. Salafistische Ideen werden in Seminaren und Vorträgen propagiert. Neben Schulungsmaßnahmen vor Ort bestehe aber ein Trend zur Fortbildung über das Internet. "Online-Imame", Videoübertragungen von Predigten über das Internet oder Fernuniversitäten wie die "Islamschule" in Braunschweig ermöglichten eine islamistische Schulung vor dem Bildschirm.

Die Verbreitung salafistischer Lehren behindere die Integrationsbemühungen und fördere mittelfristig parallelgesellschaftliche Strukturen, da Ungläubige als prinzipiell minderwertig dargestellt werden, so der Innenminister.

Rückgang der politisch motivierten Ausländerkriminalität

Die Anzahl extremistisch motivierter Taten der politischen Ausländerkriminalität in Niedersachsen ging im vergangenen Jahr auf 45 zurück. Dies entspreche einem Rückgang um etwa 20 % und stelle den niedrigsten Wert seit 2001 dar, so Schünemann. Den Schwerpunkt stellen Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen sowie Verstöße gegen das Vereinsgesetz aus dem Bereich der PKK-Strukturen dar. Die Zahl der Gewaltdelikte ging von 8 auf lediglich 2 zurück.

Rechtsextremistische Gewaltdelikte stark rückläufig

Die Gesamtzahl der mit rechtsextremistischem Hintergrund begangenen Straftaten betrug im Jahr 2007 1.724 Delikte und ging damit um 8,9 % zurück, so der Innenminister. Der Anteil der Propagandadelikte an der Gesamtzahl der Straftaten betrage etwa 68 %. Die Zahl der rechtsextremistischen Gewaltdelikte sei um 25 % zurückgegangen. Den meisten der 110 verübten Gewalttaten lag eine fremdenfeindliche Motivation zugrunde, fast jeder zweite Täter war bei der Tatausführung alkoholisiert, betonte der Innenminister.

Leichter Rückgang der gewaltbereiten Rechtsextremisten / Rückgang der Skinheadkonzerte

Nach Angaben des Innenministers ist das gewaltbereite Personenpotenzial von 925 im Vorjahr auf aktuell 900 gesunken. Als regionale Schwerpunkte dieser Szene nannte Schünemann Braunschweig/Salzgitter, das Bremer Umland, die Region Hannover und Hildesheim, Lüneburg, Northeim, Soltau/Schneverdingen, Tostedt und Uelzen. Dieser subkulturelle Bereich stelle ein Rekrutierungsfeld für neonazistische Kameradschaften und die NPD dar.

Auch die Anzahl der Neonazis sei mit 330 Personen in unverändert etwa 20 aktiven Kameradschaften erfreulicherweise ebenfalls leicht zurückgegangen (Vorjahr 350). Schünemann verwies allerdings auf das gestiegene Aktionsniveau bei einzelnen Gruppierungen. In Niedersachsen sei eine Verstetigung und Vernetzung neonazistischer Aktivitäten zu registrieren, was auf einen zunehmenden Politisierungsgrad schließen lasse.

Insbesondere bei Demonstrationen und im niedersächsischen Landtagswahlkampf habe sich eine verstärkte Kooperation von Neonazis und NPD gezeigt, so der Innenminister. Die Neonazis seien mit dem Selbstverständnis eines gleichberechtigten Partners innerhalb der "Volksfront von Rechts" angetreten. Das starke Engagement zahlreicher Neonazis im NPD-Wahlkampf sei als ein Zeichen dafür zu werten, dass sich die Grenzen zwischen NPD und Freien Nationalisten immer mehr verwischen, so Schünemann.

Als Erfolg der Sicherheitsbehörden wertete der Innenminister den Rückgang der Skinheadkonzerte von 11 im Vorjahr auf 3 im Jahr 2007. Dem Druck der Sicherheitsbehörden sei es zu verdanken, dass die Konzerte nicht mehr die befürchtete Werbewirksamkeit entfalten konnten. Dessen ungeachtet gebe die hohe Anzahl von 80 rechtsextremistischen Vertrieben mit ihrem einschlägigen Angebot an CD’s, Kleidung und Devotionalien Anlass zur Sorge.

Geringer Mitgliederzuwachs bei der NPD

Nach Angaben des Innenministers sei angesichts des nur geringen Mitgliederzuwachses der niedersächsischen NPD (von 630 auf 650) die Einbindung der neonazistischen Kameradschaftsszene eine unabdingbare Voraussetzung für den Wahlkampf der NPD gewesen. Die Neonazis hätten das Kooperationsangebot des Spitzenkandidaten Andreas Molau nicht zuletzt deshalb akzeptiert, weil ihnen finanzielle Zuwendungen in Aussicht gestellt worden seien. Insgesamt aber blieben die Aktivitäten und das Ergebnis mit nur 1,5 % der Stimmen weit hinter den hochgesteckten Erwartungen der NPD zurück.

Der Innenminister verwies auf die inhaltliche Ausrichtung des Wahlkampfes auf soziale Themen weg von den tradierten vergangenheitsbezogenen Themenfeldern. Ungeachtet dessen propagiere die NPD weiterhin die ethnisch homogene Volksgemeinschaft.

Präventionsmaßnahmen und Aufklärung an Schulen über die Gefahren des Rechtsextremismus

Innenminister Schünemann bezeichnete die Bekämpfung des Rechtsextremismus durch gezielte Präventionsmaßnahmen des Verfassungsschutzes als besonders wichtig. Beispielhaft nannte er die seit Ende 2005 in Niedersachsen gezeigte Wanderausstellung des niedersächsischen Verfassungsschutzes "Unsere Demokratie Schützen – Verfassungsschutz gegen Rechtsextremismus", die bis Ende 2009 ausgebucht ist. Die Ausstellung, die zu Beginn des Jahres 2008 komplett überarbeitet und aktualisiert wurde, bietet insbesondere Jugendlichen Einblicke in die modernen Propagandaformen des Rechtsextremismus. Die Resonanz der bislang über 20.000 Besucher in 26 Städten ist durchweg positiv. Zu den erfolgreichen Präventionsmaßnahmen gehörten weiterhin fortlaufende Schulveranstaltungen, regionale Lehrerfortbildungen sowie die Beratung von kommunalen Mandatsträgern und Mitarbeitern in den Kommunen, so der Innenminister.

Rückgang linksextremistischer Gewalttaten / Kein Anstieg von gewaltbereiten Autonomen

Die Gesamtzahl linksextremistischer Taten ging von 552 im Jahr 2006 auf nunmehr 517 zurück. Bei den Gewaltdelikten war sogar ein Rückgang um etwa 30 % von 139 im Vorjahr auf aktuell 97 Taten zu verzeichnen.

Bedrohlichste Erscheinungsform des Linksextremismus sei, so der Innenminister, weiterhin das Spektrum der gewaltbereiten Autonomen, die in Niedersachsen erfreulicherweise keinen Anstieg zu verzeichnen haben. Wichtigstes Aktionsfeld für die Autonomen stellte im Jahr 2007 der G8 Gipfel dar, den die Autonomen als Plattform für ihren Widerstand gegen das System zu nutzen versuchten.

Die LINKE. wird weiter vom Verfassungsschutz beobachtet

Die LINKE. stellt das politische und das gesellschaftliche System der Bundesrepublik in Frage und will es überwinden. Die angestrebte Verstaatlichung von Grund und Boden und von Produktionsmitteln im Zusammenhang mit der Überwindung des Kapitalismus sowie Bekenntnisse zu den Theorien von Marx sind nicht mit der bestehenden Grundordnung vereinbar.

Die LINKE. bietet ein Sammelbecken für verschiedene linksextremistische Gruppierungen. Das Spektrum reicht dabei von gewaltbereiten Linksextremisten und Autonomen über offen extremistische Zusammenschlüsse wie die Kommunistische Plattform oder das Marxistische Forum sowie Linksruck bis zur DKP. Auch diese Zusammenschlüsse verstärken die Notwendigkeit, die gesamte Partei weiterhin durch den Verfassungsschutz zu beobachten. Sie werden von der Parteispitze nicht nur geduldet, sondern als wichtiger Bestandteil der Partei gesehen. Demnächst wird beim Verfassungsschutz zur Beobachtung und Bewertung des Linksextremismus ein Fachmann (z. B. ein Politologe) eingestellt.

Artikel-Informationen

erstellt am:
23.04.2008
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln