Islamistischer Terrorismus
Regierungserklärung von Innenminister Uwe Schünemann im Niedersächsischen Landtag; Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Niedersächsische Landesregierung ist sich einig:
Die Festnahme der drei Terrorverdächtigen am 4. September im nordrhein-westfälischen Sauerland und der Ernst der Sicherheitslage in Deutschland machen eine Regierungserklärung unausweichlich. Die Bürgerinnen und Bürger Niedersachsens haben ein Recht darauf zu erfahren, mit welcher terroristischen Bedrohung wir es zu tun haben und wie diese Landesregierung zu handeln gedenkt.
Spätestens seit Dienstag letzter Woche ist überdeutlich geworden:
Die Bedrohung Deutschlands durch den islamistischen Terrorismus ist unmittelbar und gegenwärtig. Und sie besteht in einem Ausmaß, vor dem wir alle nur erschrecken können.
Wie wir wissen, hatten die letzte Woche verhafteten Terrorverdächtigen die Absicht, mittels mehrerer Sprengstoffanschläge möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzen. Hierzu hatten sie sich Material für die Herstellung von Sprengsätzen besorgt, die in ihrer Wirkung die bei den Anschlägen von Madrid oder London benutzten Bomben bei weitem übertroffen hätten.
Erinnern wir uns: Allein bei den Anschlägen in Madrid im März 2004 gab es über 190 Tote und über 1000 Verletzte – Zahlen, die wir allzu leicht verdrängen!
An der mörderischen Entschlossenheit der Terrorverdächtigen, die letzte Woche festgenommen wurden, können keine Zweifel bestehen. Sie hatten ihren Anschlagsbefehl aus dem Ausland bereits bekommen und waren bereit loszuschlagen. Obwohl sie spürten, dass sie in das Visier unserer Sicherheitsbehörden gerieten, brachen sie ihre Aktivitäten nicht ab, sondern setzten die Anschlagsvorbereitungen mit Hochdruck fort. Sie wollten hier bei uns in Deutschland ein Fanal des Terrors setzen – um jeden Preis!
Wir haben es der vorbildlichen Zusammenarbeit und hohen Professionalität deutscher Sicherheitsbehörden zu verdanken, dass diese verblendeten Fanatiker ihr verbrecherisches Werk nicht vollenden konnten. Viele Menschen bei uns in Deutschland haben den Verfassungsschutz- und Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihr Leben zu verdanken.
Die Frauen und Männer, die für unsere Sicherheit verantwortlich sind, handeln professionell, gesetzestreu und mit Umsicht und Augenmaß. Sie schützen unser aller Freiheit und die Fundamente des Rechtsstaates, indem sie Terroranschläge und den massenhaften Mord an wehrlosen Menschen vereitelt haben.
Die durchgeführten Maßnahmen haben allen eingesetzten Beamtinnen und Beamten höchsten Einsatz unter sehr schwierigen Bedingungen abgefordert. Und ich bin – das sage ich als Innenminister dieses Landes – stolz darauf, dass auch niedersächsische Kräfte zu diesem wichtigen Schlag gegen den Terrorismus aktiv beigetragen haben.
Ich glaube, dass ich nicht nur im Namen der niedersächsischen Landesregierung sagen kann: Wir danken Ihnen allen für ihren unermüdlichen Einsatz und ihre professionelle Arbeit!
Trotz des herausragenden Ermittlungserfolgs ist die Gefahr keinesfalls gebannt. Zwar konnten mit der Festnahme der drei Beschuldigten am 4. September deren konkrete Anschlagspläne unterbunden werden. Aber nach allem was wir wissen, gehören sie zu einem größeren Netzwerk islamistischer Gotteskrieger, die von Zentralasien und Pakistan aus gesteuert werden.
Wir müssen also davon ausgehen, dass andere Personen rekrutiert werden oder schon bereit stehen, die Deutschland zum Schauplatz eines blutigen Anschlags machen wollen.
Deswegen sage ich an alle hier im Hause: Wir können uns einen Parteienstreit auf Kosten unserer Sicherheit nicht leisten. Eine aufrichtige und ehrliche Sicherheitsdebatte, die dem Ausmaß der Bedrohung gerecht wird, ist überfällig. Wir stehen im Fadenkreuz gewaltbereiter Islamisten und müssen deswegen alles tun, um ihre Strukturen rechtzeitig zu erkennen und möglichst vollständig aufzuklären.
Wir wissen: Die jetzt festgenommenen Täter verfügten über Kontakte nach Niedersachsen und besorgten sich hier auch die wesentlichen Materialien zum Bau der Sprengsätze. Wir hatten bundesweit 41 Durchsuchungen, davon eine in Wolfsburg.
Und es gibt weitere deutliche Belege dafür, dass islamistische Extremisten in Niedersachsen aktiv sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Festnahme eines irakischen Staatsangehörigen im Oktober 2006 in Georgsmarienhütte wegen des dringenden Verdachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung.
Es ist also unabdingbar, dass wir wachsam bleiben, Aktivitäten islamistischer Extremisten aufklären und – wo immer möglich – mit allen rechtsstaatlich zu Gebote stehenden Mitteln konsequent unterbinden.
Die niedersächsische Landesregierung hat in der Vergangenheit immer wieder auf die realen Gefahren der terroristischen Bedrohung hingewiesen und die Sicherheitsbehörden in ihrer schwierigen Aufgabe nach Kräften unterstützt. Beispielhaft möchte ich in Erinnerung rufen:
- Wir haben das Personal für den Kampf gegen islamistische Extremisten und Terroristen aufgestockt. Im Bereich Staatsschutz beim Landeskriminalamt und der PD Hannover um 31 Beamte, im Bereich Verfassungsschutz um insgesamt 22 Stellen.
- Wir haben ein Gemeinsames Informations- und Analysezentrum von Polizei und Verfassungsschutz eingerichtet, das die Informationsbündelung und -auswertung im Anti-Terror-Kampf erheblich optimiert.
- Wir haben die operative Schlagkraft unserer Sicherheitsbehörden durch Strukturreformen im Bereich Polizei und Verfassungsschutz erhöht.
- Niedersachsen hat sich konsequent und letztlich erfolgreich für die Realisierung der Anti-Terrordatei im Bund eingesetzt.
Trotz knapper Kassen hat sich die Landesregierung den drängenden Herausforderungen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit jederzeit gestellt und die erforderlichen Maßnahmen umgesetzt. Und wir werden weiterhin alles dafür tun, dass unsere Sicherheitsbehörden für einen effektiven Anti-Terror-Kampf personell und technisch gewappnet sind:
- Es ist selbstverständlich, dass wir die Mobilen Einsatzkommandos so ausstatten, dass sie auch in Zukunft die Observation terrorverdächtiger Zielpersonen optimal bewältigen können.
- Und wir werden auch weiterhin gezielt in moderne Operativ- und Kommunikationstechnik sowie Spezialsoftware investieren. Denn nur so können unsere Sicherheitsbehörden die konspirativen Strukturen militanter Islamisten wirksam aufdecken.
Das sind nur einige, aber ganz entscheidende Schwerpunktbereiche. Notwendige finanzielle Mittel wird diese Landesregierung zu jeder Zeit für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bereitstellen. Darauf können sich Polizei und Verfassungsschutz in Niedersachsen verlassen!
Vielfach waren in der Vergangenheit politische Widerstände zu überwinden und Kraft in Überzeugungsarbeit zu investieren, um Skeptiker von der Notwendigkeit konsequenter staatlicher Reaktionen auf die terroristische Bedrohung zu überzeugen.
Denken Sie nur an die jahrelang verschleppte Einrichtung der gemeinsamen Anti-Terrordatei: Erst nach den knapp gescheiterten Kofferbombenanschlägen auf die Nahverkehrszüge nach Koblenz und Dortmund im Sommer letzten Jahres konnten die letzten politischen Barrieren gegen dieses zentrale Informationsinstrument überwunden werden.
Und gerade mit Blick auf fanatisierte Konvertiten, die uns in den aktuellen Ermittlungen beschäftigen, zeigt sich jetzt:
Die von uns immer gewollte, aber lange Zeit blockierte Aufnahme der Religionszugehörigkeit in die Anti-Terrordatei ist richtig und notwendig, um weitreichende Aufschlüsse über islamistische Strukturen und Akteure zu erlangen.
Es kann in Anbetracht der jüngsten Ereignisse nicht darum gehen, eine Leistungsbilanz der Regierung zu präsentieren. Die Dramatik der Ereignisse, der Ernst und die fortdauernde terroristische Bedrohung lassen uns keine Zeit, in der Zufriedenheit über erreichte Erfolge zu verharren. Hier und heute muss es daher um die Antwort auf die Frage gehen:
Wie können wir zukünftig noch besser und noch wirksamer der andauernden terroristischen Gefahr in Niedersachsen und in Deutschland begegnen?
Wir haben es auf Seiten der islamistischen Terroristen und ihrer Unterstützer mit Gotteskriegern zu tun, die zu allem entschlossen sind. Diese Dschihadisten hassen uns nicht für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind. Sie nehmen bei der Durchsetzung ihres menschenverachtenden Weltbildes nicht nur die Tötung Unschuldiger in Kauf, sondern es kommt ihnen gerade auf möglichst viele Opfer an.
Die Unbestimmbarkeit und scheinbare Beliebigkeit der Zielauswahl ist dabei kaltes Kalkül, steigern die Terroristen damit doch die Angst und die Verunsicherung in der Bevölkerung. Nicht herausgehobene Repräsentanten der ihnen verhassten Gesellschaft sind Ziel ihrer Gewalttaten, sondern jedes einzelne Mitglied selbst.
Das ist Massenmord quasi als Kommunikationsstrategie, als zynische Zurschaustellung der Verwundbarkeit einer demokratischen Gesellschaft und der hier lebenden Menschen.
Die scheinbare Wahllosigkeit und die Unbestimmbarkeit der Anschlagsorte erschweren darüber hinaus effektive Schutzmaßnahmen. Die gewählten Tatmittel sind, wie uns auch das jüngste Beispiel wieder zeigt, in einer freien und offenen Gesellschaft leicht zu erlangen. Erforderliche Kenntnisse werden in Ausbildungslagern oder – in einem immer größeren Umfang – im Internet vermittelt.
Per Mausklick werden alle Fertigkeiten zum Bombenbau und zu Erfolg versprechenden terroristischen Vorgehensstrategien erworben, die notwendigen Materialien eingekauft und die weltweite Kommunikation zu Mittätern und Unterstützern aufrechterhalten, ohne die eigenen vier Wände verlassen zu müssen und sich einer ernstzunehmenden Entdeckungsgefahr auszusetzen.
Das Internet mutiert gleichsam zu einer virtuellen Schule des Terrors. Auf diese Bedrohungsdynamik durch neue Technologien muss der wehrhafte Rechtsstaat reagieren. Es darf keinen geschützten Kommunikationsraum für Terroristen in unserem Land geben!
Viele einschlägige Ermittlungen der jüngeren Vergangenheit, auch und gerade im Zusammenhang mit den jüngst vereitelten Anschlägen sowie im Fall von Georgsmarienhütte, haben in aller Deutlichkeit die Schlüsselrelevanz des Internets für die Tatvorbereitungen und die Täterkommunikation belegt.
Die Fachleute sind sich einig: Hier liegt ein unverzichtbarer Ansatzpunkt für unsere Sicherheits-behörden. Die Aufklärung und Enttarnung der Täterkommunikation ist von zentraler Bedeutung in dem Bemühen, Anschläge terroristischer Gewalttäter zu verhindern.
Aus dieser Tatsache erklären sich unsere Forderungen nach effektiven Aufklärungsinstrumenten. Dies sind nahe liegend insbesondere die aktuell diskutierte Online-Durchsuchung von Computern und die präventive Telekommunikationsüberwachung bei Terrorverdächtigen. Die schnelle Bereitstellung der rechtlichen Befugnisse und der entsprechenden technischen Ausstattung ist alternativlos.
Wer glaubt, diese notwendigen Aufklärungsinstrumente durch andere ersetzen zu können, befindet sich auf einem Irrweg.
Verstärkungen von Observations- oder Ermittlungseinheiten sind fraglos wichtig, das Eindringen in die Täterkommunikation ermöglichen sie indes nicht. Im Vergleich zu den genannten Aufklärungsmaßnahmen sind sie ungleich aufwändiger, ohne qualitativ annähernd vergleichbare Er-gebnisse bringen zu können.
Darüber hinaus müssen wir uns sehr schnell und sehr intensiv mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit die dynamische Entwicklung der modernen Kommunikationstechnologien Anpassungen der Sicherheitsbehörden in rechtlicher, technischer, personeller, finanzieller und organisatorischer Hinsicht erfordern. Denken Sie in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Möglichkeit, Telefonate über "Voice over IP" zu betreiben, schwer aufschlüsselbare Kryptierungssoftware einzusetzen oder Datenströme über weltweit verteilte Anonymisierungsserver zu leiten.
Unsere Aufklärungsmaßnahmen müssen mit dieser Dynamik Schritt halten, ja nach Möglichkeit antizipieren. Mit eben diesen Möglichkeiten und den hieraus folgenden strategischen Anpassungserfordernissen beschäftigt sich zurzeit eine hochrangige Expertengruppe auf Bund-Länder-Ebene unter der Federführung Niedersachsens.
Umso bedauerlicher ist es, dass am vergangenen Freitag (07.09.07) eine gemeinsame Position der Innenministerkonferenz in zentralen Fragen des Anti-Terror-Kampfes gescheitert ist.
Wir wissen: Trotz der Professionalität unserer Sicherheitsbehörden konnten die Terrorpläne letzte Woche nur vereitelt werden, weil wir aufgrund der Tätigkeit Anderer an Schlüsselinformationen gelangt waren. Noch nie war der Handlungsbedarf, mit den Terroristen Schritt halten zu können, so dringlich wie jetzt.
Der Präsident des BKA Jörg Ziercke hat – man muss schon sagen – in einem beinahe flehentlichen Appell die Innenminister aufgefordert, die Online-Durchsuchung bei Computern von Terrorverdächtigen zuzulassen. Hier geht es nur um wenige, aber dafür entscheidende Fälle.
Uns allen muss doch klar sein: Wenn wir in der Frage der Online-Durchsuchung weiter keine Einigung finden werden, machen wir uns umso mehr abhängig von den Informationsfähigkeiten ausländischer Dienste. Dieser Zustand "geliehener Sicherheit" ist auf Dauer nicht tragbar, weil er immer ein Restrisiko birgt, wertvolle Informationen verspätet oder gar nicht zu erhalten.
Wir können es nicht zulassen, blind und wehrlos gegenüber den Dschihadisten zu werden, weil unsere Sicherheitsbehörden keine Möglichkeit mehr haben, in ihre Kommunikationsstrukturen einzudringen.
Wenn jetzt, wie in aktuellen Pressemeldungen zu lesen war, die Bundesjustizministerin immer noch fordert, die Sicherheitsbehörden sollten erst einmal definieren, ob und wofür sie eine Online-Durchsuchung brauchten, dann antworte ich: Wir brauchen dieses Instrument bei Terrorverdächtigen, weil es nach Meinung der Fachleute unverzichtbar ist, um in die Kommunikationswege militanter Islamisten über Computer und Internet einzudringen und Anschlagspläne rechtzeitig aufzudecken.
Und ich muss die Frage an Frau Zypries richten:
Wollen wir in Kauf nehmen, dass Terroristen die "blinden Flecken" unserer Sicherheitsbehörden weiter gezielt ausnutzen und ihre mörderischen Pläne unentdeckt bleiben?
Oder wollen wir ein Anschlagsrisiko im Vorfeld so weit wie möglich minimieren und "Schaden vom deutschen Volk" nach besten Kräften abwenden?
Dann aber sollten wir den sicherheitspolitischen Mehrwert, der sich durch neue Fahndungsinstrumente erzielen lässt, schon jetzt aktiv nutzen und Schlupflöcher für militante Islamisten so rasch wie möglich schließen.
Es wäre falsch und gefährlich, die Last und die Verantwortung für eine effektive Terrorismusabwehr ausschließlich auf unsere Sicherheitsbehörden zu delegieren. Angesichts der eminenten Bedrohungsdimension bedarf es eines Zusammenwirkens aller gesellschaftlichen Kräfte über die ohnehin erforderliche, intensive Vernetzung aller einschlägig zuständigen Behörden hinaus. Dem terroristischen Netzwerk muss ein vollständiges und schlagkräftiges gesellschaftliches Informations- und Präventivnetzwerk entgegengestellt werden. Eine wehrhafte Demokratie muss sich der terroristischen Herausforderung auf allen Ebenen stellen.
Ein wesentliches Ziel ist es, potenzielle terroristische Gewalttäter schon dort auszumachen, wo sie sich möglicherweise mit extremistischen Verhaltensweisen zeigen. Ich will aber klarstellen: Hierbei geht es nicht um Denunzierung legitimer Meinungsäußerungen oder gar um Spitzeltum. Überprüfungen müssen aber da möglich sein, wo signifikante Hinweise auf extremistische Tendenzen vorliegen. Es ist nicht akzeptabel, dass beim islamistischen Extremismus anderes gelten soll als beispielsweise beim Rechtsextremismus.
Wir müssen in einem umfassenden Ansatz auch sicherstellen, dass zur Abwehr islamistischer Bedrohungen das gesamte staatliche Maßnahmeninventar zum Einsatz kommt. So muss es im Falle von Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die sich mit extremistischen Handlungen aktiv gegen unsere Gesellschaftsordnung stellen, möglich sein, ihren Verbleib in der Bundesrepublik zu beenden.
Die in Europa in Erscheinung getretenen Terroristen haben sehr unterschiedliche persönliche Hintergründe. Vom arabischen Studenten aus gut situiertem Elternhaus über hier geborene Kriminelle mit Migrationshintergrund bis hin zu deutschen Konvertiten ist nahezu jede Variante vertreten. Angesichts dieser sich immer heterogener darstellenden Täterprofile und der rasanten Entwicklung von Tatgelegenheiten und Tatmitteln sind wir gefordert, unser rechtliches und strategisches Instrumentarium permanent zu evaluieren und auf Zukunftstauglichkeit zu prüfen.
Natürlich müssen wir hierbei auch intensiv die Erweiterung von Strafbarkeiten prüfen. Der aktuelle Terrorfall zeigt uns auf schmerzliche Weise, dass unser geltendes Strafrecht neu justiert werden muss:
Wenn Islamisten, wie die in der letzten Woche Festgenommenen, in einem pakistanischen Terrorcamp ideologisch und militärisch gedrillt werden, um möglichst viele Menschen in Deutschland durch Terroranschläge umzubringen, dann wird es zur Pflicht, so zügig wie möglich einen praxistauglichen Entwurf für die Strafbarkeit solcher perfiden Aktivitäten auf den Tisch zu legen. Sonst macht sich unser Rechtsstaat zum Gespött der islamistischen Gotteskrieger.
Die Zeit drängt. Wir müssen nicht nur zu den richtigen Entscheidungen kommen, wir müssen die richtigen Entscheidungen auch schnell treffen. Damit will ich nicht einem hektischen Aktionismus das Wort reden. Klar ist:
Wir dürfen die rechtsstaatlichen Werte, für die wir alle stehen, nicht aus den Augen verlieren. Klar ist aber auch: Freiheit und Sicherheit bedingen einander. Freiheit ist ohne ein gewisses Maß an Sicherheit nicht möglich. Wer das eine gegen das andere ausspielen will, verliert am Ende beides.
Eine kluge und vorausschauende Sicherheitspolitik muss umfassend angelegt sein. Dazu gehört auch, sich mit den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Menschen islamischen Glaubens in Niedersachsen und Deutschland intensiv auseinanderzusetzen. Zumal die meisten von ihnen einen Migrationshintergrund haben.
Ich betone an dieser Stelle noch einmal: Die gefährliche Minderheit der gewaltbereiten Islamis-ten, die den Islam für ihre ideologischen Zwecke missbrauchen, dürfen wir nicht in einen Topf mit der überwiegenden Mehrheit der friedlich bei uns lebenden Muslime werfen. Ein Generalverdacht gegen Menschen islamischen Glaubens wäre für den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft fatal und würde militanten Islamisten nur in die Hände spielen. Denn sie wollen ja gerade Misstrauen und Ängste zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen säen.
Sie wollen durch ihre dschihadistische Ideologie ein Klima des Kulturkampfes beschwören und demokratische Werte gegen die Religion des Islam ausspielen. Das dürfen wir nicht zulassen!
Und gerade deswegen ist es wichtig, dass wir eine pauschale Stigmatisierung der Religion des Islam ausdrücklich ablehnen. Nur so können wir die Köpfe und Herzen insbesondere der jungen bei uns lebenden Muslime für unsere Demokratie gewinnen. Nur so haben wir eine reelle Chance, die aufgeklärten und moderaten Kräfte im Islam zu stärken.
Umgekehrt muss es aber auch im Interesse der muslimischen Gemeinden liegen, Extremisten und Gewalttäter zu identifizieren und – wenn notwendig – mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten.
Wenn beispielsweise Hassprediger antisemitische Parolen verkünden, gegen das Grundgesetz hetzen oder die Scharia verbreiten, dann müssen friedliche Muslime sich klar abgrenzen und ein solches Verhalten anzeigen. Nur so können wir den Anfängen wehren und islamistische Extremisten isolieren.
Für die Stabilität unseres freiheitlichen Gemeinwesens ist es elementar, die bei uns lebenden Muslime zu integrieren. Niedersachsen zielt mit seiner auf "Fordern und Fördern" angelegten Integrationspolitik darauf ab, gleichberechtigte Partizipationschancen zu eröffnen und von vornherein eine Abschottungssituation zu vermeiden. Wir fördern auf vielfältige Weise den interreligiösen und interkulturellen Austausch und setzen damit klare Signale für muslimische Mitbürger, die friedlich bei uns leben wollen.
Auch das ist ein Beitrag für mehr Sicherheit in unserem Land: Indem wir unsere muslimischen Mitbürger ernst nehmen, ihnen gleichberechtigte Partizipation eröffnen, ihre Religion nicht unter Verdacht stellen, beugen wir einer Situation der Gettoisierung vor, tragen wir dazu bei, dass keine Parallelgesellschaften entstehen. Denn wo Strukturen der Abschottung, der kulturellen Isolation sich bilden oder verfestigen, gedeiht der Nährboden für radikales Gedankengut. In einem solchen Klima erst können sich Islamisten "wie Fische im Wasser" bewegen und mit ihrer demokratiefeindlichen Ideologie Anhänger rekrutieren.
So gesehen kann eine aktive Integrationspolitik, wie sie diese Landesregierung verfolgt, spürbar dazu beitragen, den Einfluss von islamistischen Aktivisten einzudämmen. Und umgekehrt gilt: Indem wir solche Extremisten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des wehrhaften Rechtsstaates bekämpfen, helfen wir mit, dass integrative Maßnahmen besser angenommen werden und wirken können. Vorausschauende Integrations- und kluge Sicherheitspolitik sind also keine Gegensätze, sondern sie bedingen einander. Wer das eine gegen das andere ausspielt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und tut dem sozialen Frieden in unserem Land keinen Gefallen.
Llassen sie mich zum Schluss kommen. Ich will unmissverständlich unterstreichen, dass niemand einen informationssüchtigen Überwachungsstaat will. Eine wehrhafte Demokratie muss aber ihre Entschlossenheit gegenüber ihren Feinden deutlich zum Ausdruck bringen – erst recht gegenüber Extremisten, die auf eine massenhafte Tötung und Verletzung unschuldiger Menschen abzielen.
Ich halte es für dringend notwendig, schnell zu einer verfassungskonformen Regelung zur Online-Durchsuchung zu kommen und ich begrüße ausdrücklich, dass im Entwurf des BKA Gesetzes eine Regelung zur präventiven Telefonüberwachung enthalten ist. Diese Instrumentarien brauchen wir – das ist die übereinstimmende Forderung aller Fachleute.
Bei der Online-Durchsuchung sollte der Bund jetzt mit dem Gesetzgebungsverfahren sofort beginnen, das muss der Appell an alle Verantwortlichen sein. Verfassungsrechtliche Vorgaben, die im Verfahren zum Verfassungsschutzgesetz aus NRW gegebenenfalls ergehen, können wir dann im Rahmen der parlamentarischen Beratung im Bundestag und Bundesrat umsetzen.
Mit diesen Maßnahmen erhalten wir eine vernünftige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit, weil beide Elemente zu den Grundfesten unseres Rechtsstaates gehören.
Lassen Sie dies unsere gemeinsame Aufgabe sein!
Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass unsere offene Gesellschaft Terrorismus und Gewalt Einhalt gebietet!
Artikel-Informationen
erstellt am:
13.09.2007
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010