Erstmals Lagebild über Gewalt in unteren Fußballligen
Schünemann: Kein Gewaltproblem, aber einige ernstzunehmende Problemfans
HANNOVER. In den unteren niedersächsischen Fußballligen gibt es zwar kein ausgeprägtes Gewaltproblem, jedoch im Umfeld einzelner Vereine einige ernstzunehmende Problemfans, die offensichtlich spiel- und gegnerbezogen Gewalt suchen. Dies ist eines der wesentlichen Ergebnisse des erstmals erstellten Lagebilds über Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit Fußballspielen niedersächsischer Vereine in der Oberliga Nord sowie in der Niedersachsenliga und über Sicherheitsvorkehrungen von Veranstaltern, Verband und Polizei. Innenminister Uwe Schünemann, der das Lagebild am Mittwoch in Hannover gemeinsam mit dem Präsidenten des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV), Karl Rothmund, vorstellte, bezeichnete die jetzt vorliegenden Erkenntnisse als "wichtig und notwendig, um geplanten Gewalttätigkeiten schon im Ansatz konsequent entgegentreten zu können".
Schünemann wies darauf hin, dass standardisierte Lagebilder und Handlungskonzepte für den Spielbetrieb außerhalb der Bundes- und Regionalligen bisher nicht vorgelegen hätten. Daher sei auf seine Initiative gemeinsam mit dem NFV Ende 2006 der "Niedersächsische Ausschuss Sport und Sicherheit" ins Leben gerufen worden, der die Situation in Niedersachsen aktuell analysiert habe und ein Handlungskonzept zur Verbesserung der Sicherheit bei Spielen unterhalb der Regionalliga erarbeiten werde. Grundlage für die weitere Arbeit sei das Lagebild, für das in Niedersachsen 317 Spielbegegnungen der Saison 2006/2007 der Oberliga Nord sowie der Niedersachsenliga ausgewertet worden seien. Zusätzlich habe der Ausschuss eine Datenerhebung zu allen dort spielenden niedersächsischen Mannschaften, über die Bedingungen in den Spielstätten, die Fanlage und die Fanbetreuungsmaßnahmen durchgeführt.
Nach Angaben des Ministers gibt es in Niedersachsen 1275 Problemfans, von denen 935 der Kategorie B (gewaltbereite/-geneigte Fans) und 340 der Kategorie C (Gewalt suchende Fans) zuzurechnen sind. Diese Problemfans sind überwiegend Mannschaften im Profibereich zuzuordnen, jedoch zum Teil grundsätzlich auch mobilisierbar für Spiele unterklassiger Mannschaften ihrer favorisierten Vereine. 275 der Problemfans (160 B-, 115 C-Fans) agieren regelmäßig im Umfeld der Oberliga Nord und der Niedersachsenliga, 205 (110 B-, 95 C-Fans) davon in der Oberliga und 70 (50 B-, 20 C-Fans) davon in der Niedersachsenliga. Im Einzelnen sind fünf von zehn niedersächsischen Mannschaften der Oberliga und drei von 32 Mannschaften der Niedersachsenliga wie folgt betroffen:
- VfL Wolfsburg II (vormals Oberliga, jetzt aufgestiegen in Regionalliga: 30 B-, 5 C-Fans),
- Eintracht Braunschweig II (Oberliga Nord; 10 B-, 50 C-Fans),
- Hannover 96 II (Oberliga Nord; 20 B-, 20 C-Fans),
- VfL Osnabrück II (Oberliga Nord; 25 B-, 15 C-Fans),
- SV Meppen (Oberliga Nord; 25 B-, 5 C-Fans),
- VfB Oldenburg (vormals Nds.-Liga, nun aufgestiegen in Oberliga Nord; 10 B-, 20 C-Fans),
- SV Wilhelmshaven II (Nds.-Liga West; 25 B-Fans),
- TuS Celle (Nds.-Liga Ost; 15 B-Fans).
Während die durchschnittliche Anzahl der verzeichneten Straftaten pro Spiel in der 1. Bundesliga bei 3,71 liegt, erreicht die Quote in der Oberliga Nord einen Wert von 0,19 pro Spiel und in der Niedersachsenliga von 0,025 pro Spiel. Ähnliche Abstufungen gibt es bei Festnahmen und Ingewahrsamnahmen. Diese liegen in der 1. Bundesliga bei 7,87 pro Spiel, in der Oberliga Nord bei 0,28 und in der Niedersachsenliga bei 0,02 pro Spiel.
Schünemann wies auf die besonderen Auswirkungen von Fußballspielen auf Polizeieinsätze hin. Auch die geringen Fallzahlen in den betrachteten Ligen führten dazu, dass die Polizei vermehrt und zum Teil kräfteintensiv Spiele der unteren Ligen begleiten müsse. In der Hinrunde 2006/2007 sei bei sechs Spielen in der Ober- und bei vier Spielen der Niedersachsenliga mehr als ein so genannter Einsatzzug (30 Beamte) eingesetzt worden. Das entspreche 2.319 Einsatzstunden in der Oberliga Nord sowie 858 Einsatzstunden in der Niedersachsenliga.
Schünemann: "Insgesamt belasten Fußballeinsätze in allen Ligen die Polizei erheblich:
Umgerechnet auf der Basis von 123 Spielen waren im vergangenen Jahr in Niedersachsen insgesamt 61 Beamte mit einem Personalkostenvolumen von rund 4,6 Mio. Euro ständig nur mit dieser Aufgabe beschäftigt."
Aus dem Lagebild ergibt sich ferner, dass bauliche Sicherheitsvorkehrungen in den Stadien nicht oder nur unzureichend anzutreffen sind. Natürlich könne man nicht alle Vereine verpflichten, ihre Spielstätten gemäß den hohen Anforderungen der Profiligen auszustatten, sagte der Minister. Defizite seien dann aber durch einen gut funktionierenden Ordnerdienst aufzufangen. Auch hier sei aber festgestellt worden, dass es noch Verbesserungspotenzial gebe.
Schünemann kündigte an, dass die Erkenntnisgewinnung, der Informationsaustausch und die Erstellung eines jährlichen Lagebildes künftig standardisiert werden sollen, wie es bereits für den Bereich der Profiligen der Fall sei. Weiterhin werde die Kooperation insbesondere zwischen Polizei und Fußballvereinen und -verband weiter intensiviert. "Die Vereine werden hierzu Sicherheitsverantwortliche und Fanbeauftragte einsetzen, und es wird regelmäßige Sicherheitsbesprechungen sowie Risikobewertungen für alle Spiele geben mit direkt abgestimmten Maßnahmen."
Diese erarbeiteten Handlungsfelder und Maßnahmen, so der Innenminister, werden jetzt zu einem Maßnahmenkonzept zusammengeführt. Teilbereiche des Konzeptes sollen bereits in der bald beginnenden Saison 2007/2008 Anwendung finden, das gesamte Konzept letztendlich zur Saison 2008/2009.
Artikel-Informationen
erstellt am:
18.07.2007
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010