Artikel-Informationen
erstellt am:
26.01.2007
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Gerade wegen der knappen Finanzen der kommunalen Ebene gibt es in Niedersachsen vielfältige Formen interkommunaler Zusammenarbeit, die nun durch geltendes, kommunalfeindlich ausgelegtes EU-Recht und durch Gerichtsentscheidungen infrage gestellt werden.
Noch in der Antwort auf die Kleine Mündliche Anfrage Nr. 35 in der Drucksache 15/2540 vertritt die Landesregierung die Auffassung, dass die Vereinbarung einer kommunalen Kooperation auch in Form von privatrechtlichen Gesellschaftsformen nicht dem Vergaberecht unterliegt. Das OLG Naumburg hatte dazu eine andere Auffassung vertreten. Mit Hinweis auf die Zuständigkeit des OLG Celle, von dem kein einschlägiges Urteil vorliege, wurde Entwarnung gegeben.
Nun liegt seit dem 14. September 2006 ein Urteil des OLG Celle vor, dass auch so genannte Inhouse-Geschäfte dem europäischen Vergaberecht unterliegen (Kommune21, Ausgabe7/16 bis 17). Inwieweit das niedersächsische Vergabegesetz hier bestimmte Vergaberegelungen weiter konkretisiert, ist bisher gerichtlich nicht geklärt. Entscheidungen der Vergabekammern sind auch nicht bekannt.
Gleichzeitig wird in der Öffentlichkeit bekannt, dass schon die interkommunale öffentlich-rechtliche Zusammenarbeit zum Entstehen von Umsatzsteuerpflicht der erbrachten Leistungen führen könnte. So soll es nach einer Meldung der Elbe-Jeetzel-Zeitung vom 6. Januar 2007 in einem entsprechenden Schreiben der Staatssekretärin im Finanzministerium zum Sachverhalt heißen: Es sei "zweckmäßig, dass sich die betroffenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts bereits jetzt auf die potenzielle Steuerpflicht einstellen". Nun hat aber gerade diese Landesregierung auf Kosteneinsparungen mithilfe von kommunalen Kooperationen gesetzt. Von der Gefahr einer möglichen Umsatzsteuerpflichtigkeit der erbrachten Leistungen war bei der Bildung von drei Samtgemeinden im Landkreis Lüchow-Dannenberg, die zusammen mit dem Landkreis kostengünstige Formen der Zusammenarbeit finden sollten, keine Rede. Ob möglicherweise völlig oder in Teilbereichen auch hier das europäische oder niedersächsische Vergaberecht zum Tragen kommen könnte, ist bisher ungeklärt.
Seit 2004 gibt es im Bundesfinanzministerium zum Problemkreis "Problematische Felder der interkommunalen Zusammenarbeit" eine Arbeitsgruppe, an der sich Niedersachsen erstaunlicherweise trotz prekärster kommunaler Finanzlage der Kommunen, was die Höhe der Kassenkredite unterstreicht, nicht beteiligt.
Wir fragen die Landesregierung:
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Die Förderung der freiwilligen interkommunalen Zusammenarbeit bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben hat für diese Landesregierung einen besonderen Stellenwert. Sie ist Gegenstand eines umfassenden Projekts der Verwaltungsmodernisierung Phase II unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und vieler Kommunen. Durch eine intensivierte interkommunale Zusammenarbeit werden die Gemeinden, Städte und Landkreise in die Lage versetzt, den gestiegenen Anforderungen an die Erfüllung ihrer Aufgaben, insbesondere in Folge von Veränderungen im Bereich der Wirtschaftsstruktur und verursacht durch die demographische Entwicklung, besser gerecht werden zu können und zugleich ihre Haushaltswirtschaft zu entlasten. Interkommunale Zusammenarbeit verliert nicht dadurch an Bedeutung, dass sich für einzelne Fallgestaltungen Fragen im Bereich der vergabe- und steuerrechtlichen Behandlung stellen.
Bei der weiteren Behandlung dieser Fragen sollten allerdings - anders als im Vorspann der Anfrage geschehen - die Themenkomplexe interkommunale Zusammenarbeit und Inhouse-Geschäfte, letztere als Tatbestand aus dem Vergaberecht, nicht vermischt werden. Unter einem Inhouse-Geschäft wird die Leistungserbringung innerhalb einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder mit einem eng verbundenen Auftragnehmer verstanden. Unter bestimmten Voraussetzungen sind derartige Leistungsbeziehungen nicht den Regelungen des Vergaberechts unterworfen.
Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 18.11.1999 (Rs. C-107/98-Teckal) festgestellt, dass das Vergaberecht bei Dienstleistungsaufträgen grundsätzlich dann anzuwenden ist, wenn der Vertrag zwischen einer Gebietskörperschaft und einer von dieser rechtlich verschiedenen Person geschlossen wird. Nach dieser Rechtsprechung liegt ein vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft nur vor, wenn im Wesentlichen folgende Kriterien kumulativ gegeben sind: der öffentliche Auftraggeber ist am Auftragnehmer nicht nur anteilmäßig beteiligt, sondern er übt eine umfassende Kontrolle über den Auftragnehmer wie über seine eigenen Dienststellen aus und der Auftragnehmer ist im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber tätig.
Der erwähnte Beschluss des OLG Celle vom 14. September 2006 befasst sich nur mit den Voraussetzungen für Inhouse-Vergaben. Entgegen den Ausführungen in der Anfrage hat das OLG nicht entschieden, dass auch sogenannte Inhouse-Geschäfte dem europäischen Vergaberecht unterliegen. Das OLG hat vielmehr entschieden, dass in dem von ihm verhandelten Fall die Voraussetzungen für ein (vergaberechtsfreies) Inhouse-Geschäft nicht vorgelegen haben. Das OLG begründet dies damit, dass das kommunale Unternehmen nicht im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber tätig gewesen sei, da etwa 7,5% des Umsatzes mit Dritten getätigt wurden. Das dritte Kriterium der Teckal-Entscheidung (im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber tätig) war damit nach Auffassung des Gerichts nicht erfüllt.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.
Eine vergleichende Bewertung der Entscheidungen der OLG Naumburg und Celle kann nicht vorgenommen werden, da sie unterschiedliche Sachverhalte betreffen. Im Unterschied zum OLG Celle hat das OLG Naumburg eine Entscheidung zur interkommunalen Kooperation getroffen, der sich nach Kenntnis der Landesregierung bisher kein anderes Gericht angeschlossen hat. Das OLG Celle ging in seiner Entscheidung – wie oben schon grundsätzlich dargestellt - davon aus, dass das beauftragte kommunale Unternehmen wegen des Umsatzes für Dritte in nicht unerheblichem Umfang am Markt tätig und der Wettbewerb wegen des fehlenden Vergabeverfahrens verfälscht sei. Aufgrund dieser Entscheidung können die niedersächsischen Kommunen rechtssicher nur dann von vergaberechtsfreien Aufträgen an ihre Unternehmen ausgehen, wenn diese ausschließlich für die kommunalen Auftraggeber tätig sind.
Im Übrigen schließen nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 11. 1. 2005, Rs. C-26/03-Stadt Halle) private Beteiligungen an kommunalen Unternehmen vergaberechtsfreie Inhouse-Geschäfte aus.
Zu 2.
Es ist langjährige Praxis der Finanzverwaltung, dass Leistungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts dienen (sogenannte Beistandsleistungen) keinen Betrieb gewerblicher Art im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 6 des Körperschaftsteuergesetzes begründen und damit nicht der Besteuerung unterliegen. Dies gilt insbesondere, wenn die beteiligten juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Ausführung der hoheitlichen Aufgabe in den hierzu erforderlichen Vereinbarungen entsprechend regeln.
Die dieser Praxis zugrundeliegende Auffassung wurde durch einen entsprechenden
Beschluss der Abteilungsleiter (Steuer) der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder im Mai 2001 bekräftigt. Tätigkeiten, die bei der einzelnen juristischen Person des öffentlichen Rechts dem hoheitlichen Bereich zugeordnet werden und die nunmehr nicht mehr von dieser selbst, sondern im Hinblick auf das Ziel wirtschaftlichen Verwaltungshandelns zum Zwecke der Erzielung von Synergieeffekten von einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts übernommen werden, sind auch bei der Beistand leistenden juristischen Person des öffentlichen Rechts dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen. Insoweit ist der allgemeine Wettbewerb nicht betroffen, weil der Umfang der hoheitlichen Tätigkeit gleich bleibt. Ein wettbewerbsrelevanter Eingriff in den bestehenden Markt ist damit nicht verbunden.
Ungeachtet dessen sind Fragen zur Besteuerung von Leistungserbringungen durch die öffentliche Hand schon seit langem rechtspolitisches Thema; so gibt es auch andere Auffassungen zur steuerrechtlichen Relevanz von Beistandsleistungen als Form interkommunaler Zusammenarbeit. Dies trifft insbesondere auf den Bundesrechnungshof zu (s. hierzu die Bemerkungen 2002, BT-Drs. 15/60 Nr. 77, und den Bericht vom 2. November 2004 "Umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand - Vorschläge für eine EG-konforme Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts"). Seine andere Auffassung begründet der Rechnungshof damit, dass eine Nichtbesteuerung weder mit den nationalen Regelungen (Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) noch mit den EG-rechtlichen Vorgaben (Gebot der Wettbewerbsneutralität) vereinbar sei.
In Richtung der Kritik des Bundesrechnungshofes weist neuerdings auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Dieser entschied mit Urteil vom 8. Juni 2006 (C-430/04) in der Rs. "Feuerbestattungsverein Halle e. V." ,dass sich ein Einzelner, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und der geltend macht, diese Einrichtung werde für Tätigkeiten, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübe, nicht zur Umsatzsteuer herangezogen, im Rahmen eines Rechtsstreites gegen die nationale Steuerverwaltung auf Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie) berufen kann. Nach dieser Vorschrift gelten juristischen Personen des öffentlichen Rechts dann als Steuerpflichtige, wenn deren Tätigkeiten oder Leistungen anderenfalls zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würden. Die Entscheidung erging allerdings nicht zu einem konkreten Fall der sogenannten Beistandsleistungen, sondern betraf eine Tätigkeit einer Kommune (Feuerbestattungen), die sowohl von juristischen Personen des öffentlichen Rechts als auch von Privaten als eigene Aufgabe wahrgenommen werden konnte und wegen der unmittelbaren Wettbewerbsrelevanz im Einzugsbereich von vornherein nicht dem hoheitlichen Bereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts zugeordnet werden durfte. Hingegen betreffen die sogenannten Beistandsleistungen von Kommunen dem hoheitlichen Bereich unterfallende Tätigkeiten, die Private nicht als eigene Aufgabe wahrnehmen, sondern lediglich als Erfüllungsgehilfen. Ob der EuGH, falls ihm der Bundesfinanzhof einen Fall der sogenannten Beistandsleistungen vorlegen sollte, auch hier ohne weitere Differenzierung auf eine Wettbewerbsrelevanz erkennen würde, ist ungewiss.
Die in der Elbe-Jeetzel-Zeitung sinngemäß wiedergegebene Äußerung des Leiters der Kommunalabteilung im Innenministerium erfolgte vor dem Hintergrund einer Berichterstattung in eben dieser Zeitung zu übertriebenen Befürchtungen vor Ort, dass allein wegen der Möglichkeit einer zukünftig entstehenden Steuerpflicht bei bestimmten Fallkonstellationen kommunaler Zusammenarbeit die gesamte Strukturreform in Lüchow-Dannenberg einschließlich des Einsatzes der zugesagten 30 Mio. Euro Strukturhilfemittel gefährdet oder gar gescheitert sei. Richtig ist demgegenüber, dass die Strukturreform nur zu einem Teil (von insgesamt drei Teilen) aus einer intensivierten freiwilligen kommunalen Zusammenarbeit besteht, die Frage einer möglichen zukünftigen Steuerpflicht bei bestimmten Formen kommunaler Zusammenarbeit kein spezifisches Problem der Strukturreform in Lüchow-Dannenberg darstellt und die Zusage des Landes über den Einsatz von bis zu 30 Mio. Euro für Maßnahmen der Strukturreform in Lüchow-Dannenberg durch mögliche zukünftige Steuerpflichten nicht in Frage gestellt ist.
Zu 3.
Die Landesregierung wird sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten insbesondere gegenüber dem Bund und der EU dafür einsetzen, dass an der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung zur steuerrechtlichen Behandlung kommunaler Zusammenarbeit festgehalten wird. Sollten Änderungen aufgrund von Entwicklungen auf EU-Ebene unabwendbar sein, wird sie sich für Übergangsregelungen stark machen.
Entgegen der zitierten Darstellung in der Elbe-Jeetzel-Zeitung gibt es beim Bundesfinanzministerium keine eigenständige Arbeitsgruppe zum Problemkreis "Problematische Felder der interkommunalen Zusammenarbeit". Vielmehr ist die steuerrechtliche Problematik der sogenannten Beistandsleistungen nur eines von vielen Themen, zu denen in einer verwaltungsinternen Arbeitsgruppe "Besteuerung der öffentlichen Hand" Überlegungen angestellt werden und deren Arbeit deshalb noch nicht abgeschlossen ist. Von selbstgenügsamer Ruhe der Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder kann daher keine Rede sein. In die Entscheidung über die Ergebnisse bzw. Vorschläge der Arbeitsgruppe ist Niedersachsen eingebunden.
Über ihre Haltung zur Anwendung des Vergaberechts im Rahmen interkommunaler Zusammenarbeit hat die Landesregierung bereits auf die mündliche Anfrage Nr. 35 in der Plenarsitzung am 27. Januar 2006 Auskunft gegeben. Dem ist nichts hinzuzufügen.
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erstellt am:
26.01.2007
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010