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Korruptionsbekämpfung in Niedersachsen

Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lennartz und Briese (Grüne); Es gilt das gesprochene Wort!


Die Abgeordneten hatten gefragt:

Laut Untersuchungen des Institutes für Rechtstatsachsenforschung der Universität Bielefeld und der Stiftung Pro Justitia führt das anonyme Korruptionsbekämpfungsprojekt des Landeskriminalamtes Niedersachsen zu fragwürdigen Ergebnissen. Durch die Möglichkeit der anonymen Anzeige durch das webbasierte Hinweissystem, bei dem absolute Vertraulichkeit gewährleistet und die Möglichkeit der Identifizierung des Anzeigenstellers ausgeschlossen werden, komme - laut den empirischen Untersuchungen von Professor Backes und Dr. Lehmann - ein hoher Teil Unschuldiger unter Tatverdacht. Die Beschuldigten müssten grundrechtsintensive Ermittlungen wie Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachung über sich ergehen lassen und damit hohe persönliche Nachteile hinnehmen. Die grundgesetzlich zugesicherte Unschuldsvermutung würde durch das LKA-System extrem strapaziert. Die der Korruption verdächtigen Bürger hätten durch die zugesicherte Anonymität der Anzeigensteller keine Möglichkeit, sich rechtlich zur Wehr zu setzen, da eine Straftat nach § 164 StGB (falsche Verdächtigung) nicht verfolgt werden kann. Gleichzeitig ist nach den vorliegenden Untersuchungen von Backes und Lehmann der Erfolg dieser Korruptionsbekämpfungsmethode sehr gering. Danach kam es bei 185 eingeleiteten Verfahren nur in einem Fall zu einer Verurteilung. Jenseits der Frage, dass effektive Korruptionsbekämpfung absolut notwendig und wünschenswert ist, stellt sich die Frage der rechtlichen Verhältnismäßigkeit, wenn durch ein anonymes Anzeigensystem viele Unschuldige unter Strafverdacht geraten, es aber kaum zu anschließenden Verurteilungen kommt. Daneben ist zu klären, ob durch die staatliche Ermunterung zur anonymen Anzeige dem Denunziantentum Vorschub geleistet wird.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse der Studie von Backes und Lehmann "Staatlich organisierte Anonymität als Ermittlungsmethode bei Korruptions- und Wirtschaftsdelikten"?
  2. Welche rechtlichen Möglichkeiten haben unschuldig unter den Verdacht der Korruption geratene Bürger, die erhebliche Nachteile durch Ermittlungsverfahren in Kauf nehmen müssen, sich gegen den Verdacht zur Wehr zu setzen?
  3. Ist nach Ansicht der Landesregierung die Verhältnismäßigkeit gegeben, wenn zwar viele Ermittlungsverfahren durch das LKA-System aufgenommen werden, aber kaum Verurteilungen ausgesprochen werden?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Elementarer Bestandteil jedes Rechtsstaates ist eine verlässliche, sich allein an sachlichen Erfordernissen orientierende Verwaltung, die dem Wohl der Allgemeinheit ebenso dient wie sie die Rechte des einzelnen Bürgers achtet. Korruption gefährdet das rechtsstaatliche Gefüge, weil die Bürgerinnen und Bürger unter ihrem Einfluss das Vertrauen in Politik und Verwaltung verlieren können. Korruption richtet immensen wirtschaftlichen Schaden an, sie verzerrt den Wettbewerb und wirkt sich nachteilig auf die Investitionsbereitschaft von Unternehmen aus.

Deutschland belegt laut Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International den 16. Rang. Die Niedersächsische Landesregierung tritt deshalb dieser Form der Kriminalität energisch entgegen.

Das besondere – auch kriminalistische – Problem dieses Kriminalitätsfeldes ist das Dunkelfeld und die geringen Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden, sich auf Zeugen stützen zu können. Hier sind die Strafverfolgungsbehörden in besonderem Maße auf Hinweisgeber angewiesen, die ihr Wissen preisgeben.

In der Kriminalistik gibt es seit jeher auch anonyme und Vertraulichkeit fordernde Hinweisgeber, d.. Personen, die Ihr Wissen um kriminelle Aktivitäten preisgeben, sich selbst aber nicht benennen. Somit besteht für die Polizei auch keine Möglichkeit, mit diesen Personen in Kontakt zu treten, Sachverhalte zu hinterfragen und zu verifizieren. Trotzdem werden und müssen diese anonymen Hinweise polizeilich entgegen genommen, ver- und bearbeitet werden. Das Legalitätsprinzip aus §§ 152 und 163 StPO verpflichtet dazu die Staatsanwaltschaft und die Polizei gleichermaßen. Die sog. "namenlosen" Anzeigen müssen nach Nr. 8 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren durch die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Notwen-digkeit einer Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geprüft werden.

Da sich im Bereich der Korruptionsdelinquenz in den meisten Fällen alles im beruflichen und sozialen Nahfeld abspielt, scheuen sich die meisten Mitwisser, ihre Erkenntnisse "offen" den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Sie fürchten Nachteile und Repressalien.

Um dieses Dilemma weiter aufzulösen, hat Niedersachsen das sog. Business Keeper Monitoring System, kurz BKMS, am 30.10.2003 durch das Landeskriminalamt Niedersachsen – zunächst im Rahmen einer Pilotphase – eingeführt. Das webbasierte System eröffnet der Polizei die Möglichkeit – bei Wahrung der Anonymität des Hinweisgebers - mit diesem Kontakt aufzunehmen und ergänzende Überprüfungen vorzunehmen. Das Herzstück des Systems ist die Möglichkeit des anonymen Dialogs mit den Hinweisgebern. Es ermöglicht eine deutlich bessere Überprüfbarkeit der anonym mitgeteilten Sachverhalte. Dies liegt auch im schutzwürdigen Interesse des Verdächtigen.

Bei den anonymen Kommunikationsmöglichkeiten des BKMS-Systems ist es wichtig, dass sich die Hinweisgeber einen anonymen Postkasten am Ende des Meldeprozesses einrichten. Da sie Benutzernamen und Kennwort selbst wählen und die Angaben keinen persönlichen Daten zugeordnet werden können, bleibt der gesamte Dialog anonym.

Das BKMS-System unterscheidet sich hier vollkommen von E-Mail-Systemen. Der Rechner, auf dem die Hinweise eingehen, steht in einem Hochsicherheitstrakt von T-Systems. Dieser speichert nur den Inhalt der Meldungen, nicht aber IP-Adresse oder Uhrzeit, so dass ein Rückschluss auf den Hinweisgeber nicht möglich ist.

Mit der Einrichtung des o.a. Systems werden folgende Ziele verfolgt:

  1. Den Schutz des Hinweisgebers durch Anonymität; das ist übrigens eine Forderung von GRECO – der vom Europarat gegründeten Staatengruppe gegen Korruption und
  2. eine Erhöhung der Hinweisquantität und –qualität.

Das System wurde – nach positiver Bewertung der Pilotphase zum 01.03.2004 - in die Alltagsorganisation der niedersächsischen Landespolizei überführt.

Bis zum 31.12.2004, also nach 14 Monaten – das ist der Untersuchungszeitraum von Prof. Backes - hatten sich insgesamt 18.577 Interessierte auf die Info-Seite, über die man in den direkten Meldeprozess gelangt, eingeloggt:

  • 552 Meldungen sind eingegangen, von denen 306 nach erster Bewertung als strafrechtlich relevant eingestuft wurden.
  • 414 Hinweisgeber hatten sich einen Postkasten eingerichtet. Bei den als strafrechtlich relevant bezeichneten 306 Hinweisen wurde in 246 Fällen ein Postkasten eingerichtet.
  • 160 Hinweisgeber nutzten tatsächlich die angebotene Kommunikationsmöglichkeit.
  • 111 Hinweise führten zur Einleitung von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren.

Vom 01.01.2005 bis 31.12.2005 (außerhalb des Untersuchungszeitraumes von Prof. Backes) erfolgten

  • 8.528 Zugriffe auf die Info-Seite.
  • 289 Meldungen gingen über das System ein, von denen 63 nach kriminalistischer Einschätzung einen strafrechtlichen Hintergrund haben dürften.
  • 233 Hinweisgeber richteten sich einen Postkasten ein.
  • 55 der 63 Hinweisgeber relevanter Meldungen hatten sich einen Postkasten eingerichtet von denen 40 z.T. sehr intensiv kommunizierten.
  • Die 63 Meldungen mit strafrechtlicher Relevanz führten zu 17 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren.

Nach alledem ist festzustellen: Seit jeher werden den Ermittlungsbehörden anonyme Hinweise übersandt, die – wie bereits dargelegt - auf strafrechtliche Relevanz überprüft werden müssen.

Diese traditionellen anonymen Anzeigen sind in der Regel sehr kurz und unvollständig und lassen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte in Bezug auf strafrechtliches Verhalten häufig nicht oder nur schwer erkennen.

Von daher stellt das BKMS-System mit der Möglichkeit des anonymen Dialogs eine grundlegende Verbesserung dar. Dies wird nicht nur von der Polizei und der Justiz so bewertet, sondern von allen mit der Korruptionsbekämpfung befassten Institutionen, so z.B. auch von Transparency International.

Grundrechtsintensive Ermittlungen schließen sich einem BKMS-Hinweis nur dann an, wenn die gesetzlich vorgesehenen Prüfungen durch Staatsanwaltschaften und Gerichte einen Anfangs-verdacht ergeben oder bestätigen. Dieser Prozess findet unabhängig von dem Informationsweg statt, auf dem er die zuständigen Stellen erreicht.

Ein Verzicht auf das BKMS würde nur eine Stabilisierung des Dunkelfeldes bewirken. Der Staat würde sich gegenüber diesem bedeutsamen Kriminalitätsfeld künstlich "blind" machen – das ist nicht akzeptabel.

Ich bleibe dabei, das BKMS-System ist und bleibt ein wichtiges Modul zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Das in Niedersachsen eingeführte BKMS-System wurde von Herrn Prof. Backes u. a., Universität Bielefeld, im Rahmen einer Studie begutachtet, die angebliche Defizite des Systems aufzeigt und auch zu entsprechenden kritischen Presseveröffentlichungen führte.

Dazu ist generell anzumerken, dass die Studie nur einen Teil der Hinweise untersucht hat. Hinweise, die Gegenstand laufender Ermittlungsverfahren waren, konnten zum Untersuchungszeitpunkt noch nicht freigegeben werden. Die von der Justiz freigegebenen Hinweise dürften sich aufgrund des kurzen Untersuchungszeitraumes auf eingestellte Verfahren beziehen.

Weshalb die positiven Ergebnisse keinen Niederschlag in der Studie finden, mag dahingestellt bleiben.

Im Übrigen ist festzustellen, dass die Studie von Prof. Backes hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Anspruchs auch im universitären Bereich nicht unumstritten ist.

Zu 2.:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die in dieser Frage angesprochene Problematik unabhängig vom Tatvorwurf und unabhängig vom Grund für die Ermittlungen für jeden Beschuldigten stellen kann, der im Laufe des Ermittlungsverfahrens Zwangsmaßnahmen ausgesetzt war und bei dem das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wird. Als solche Zwangsmaßnahmen kommen u. a. Durchsuchung, Kontoabfrage, Vernehmung, Beschlagnahme von Gegenständen oder Vermögen, erkennungsdienstliche Behandlung und gegebenenfalls sogar Untersuchungshaft in Betracht.

Gegen entsprechende Maßnahmen, die noch fortwirken, kann mit dem Rechtsmittel der Be-schwerde vorgegangen werden. Maßnahmen, die bereits abgeschlossen sind, können gemäß § 23 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) nachträglich überprüft werden.

Sofern durch die Ermittlungsverfahren Nachteile für den Betroffenen entstanden sind, kommen Entschädigungsleistungen nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG) oder - unter den Voraussetzungen des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG - aus Amtshaftung in Betracht.

Zu 3.:

Korruptionsverfahren sind, wie viele Wirtschaftsstrafverfahren, erfahrungsgemäß langwierig. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens können in Einzelfällen Jahre vergehen. Der Evaluierungszeitraum der in Bezug genommenen Studie ist viel zu kurz gewählt. Dies zeigt sich bereits daran, dass mittlerweile 6 durch das BKMS ausgelöste Verfahren mit einer Sanktion endeten, während es bei Abschluss der Studie nur ein Verfahren war.

Generell ist darauf hinzuweisen, dass die Masse aller bei den Staatsanwaltschaften geführten Ermittlungsverfahren mit einer Einstellung endet und lediglich ein geringer Teil zur Anklage führt. Nach der Statistik wurden in Niedersachsen bei den Staatsanwaltschaften im Jahr 2005 insgesamt 458.790 Verfahren erledigt. Dies erfolgte in 52.792 Verfahren durch Anklage, in weiteren 60.580 Verfahren durch Strafbefehl und in knapp 3.500 Verfahren durch Antrag auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren. Die übrigen Verfahren, also fast drei Viertel, endeten durch Einstellung. 114.167 Verfahren wurden eingestellt, weil ein hinreichender Tatverdacht nicht festgestellt werden konnte, bei den übrigen erfolgte die Einstellung – dies wird jedoch nicht gesondert erfasst – vermutlich wegen geringer Schuld ohne oder gegen eine Auflage (§§ 153, 153a StPO).

Dies verdeutlicht, dass die Quote der Einstellungen generell hoch ist. Dass die Anzahl von Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts bzw. das Absehen von Ermittlungen mangels Anfangsverdachts bei anonymen Anzeigen – unabhängig ob diese auf traditionellem Wege per Post oder nunmehr per BKMS eingehen – deutlich höher ist, als bei "offenen" Strafanzeigen, ist dabei selbstverständlich. Zum einen können anonyme Anzeigen von bestimmten Anzeigeerstattern auch bewusst fälschlicherweise erhoben werden. Zum anderen reichen die Angaben in der Anzeige alleine häufig nicht aus, um einen Anfangsverdacht zu begründen, da bei anonymen Strafanzeigen, mit denen die Strafverfolgungsbehörden bereits seit vielen Jahren – und nicht erst seit Einführung des BKMS-Systems - zu tun haben, entsprechend erhöhte Anforderungen an deren Werthaltigkeit gestellt werden.

Sofern die Verfasser der Studie als vermeintlichen Beleg für den Misserfolg des BKMS anführen, dass in einer überwältigenden Mehrzahl der mitgeteilten Fälle keine Ermittlungen geführt wurden, belegt gerade dieser Umstand den verantwortungsvollen Umgang der Ermittlungsbehörden beim Bejahen eines Anfangsverdachts, sofern dieser allein auf Angaben eines anonymen Hinweisgebers beruht.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
24.03.2006
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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