Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge
Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann beantwortet in Vertretung von Innenminister Uwe Schünemann die Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 09.12.2005; Dringliche Anfrage
Die Fraktion hatte gefragt:
Die Hoffnungen, mit dem Zuwanderungsgesetz eine Altfallregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge zu erhalten, haben sich nicht erfüllt. Die Regelungen zu einer Härtefallregelung werden von den Bundesländern und auch Niedersachsen eher dürftig und unterschiedlich umgesetzt. Seit vielen Jahren beklagen nicht nur die Wohlfahrtsverbände, Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften, sondern auch Politiker unterschiedlicher Couleur die unbefriedigende Situation, dass viele Menschen, die lange - aber ohne Perspektive - in Deutschland leben, kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten können. Nun endlich scheint sich etwas zu bewegen, für die Innenministerkonferenz liegen Vorschläge für einen Daueraufenthalt der Betroffenen vor. Die Vorschläge sehen eine Stichtagsregelung für geduldete Familien mit Kindern mit mindestens sechsjährigem Aufenthalt oder eine solche Regelung, die aber auch Einzelpersonen mit einschließt, oder ein Aufenthalts- bzw. Rückkehrrecht nur für Kinder- und Jugendliche ohne ihre Eltern vor. Alle Vorschläge haben den Nachteil, dass viele Betroffene aus den Regelungen herausfallen, weil sie die geforderte mehrjährige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht vorweisen können. Häufig sind langjährig hier lebende Asyl suchende und geduldete Ausländer vom Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt ausgeschlossen. Flüchtlingsverbände fordern daher eine Aufenthaltser-laubnis "auf Probe".
1. Wie bewertet die Landesregierung die Bleiberechtsvorschläge des FDP-Innenministers in NRW und des Innensenators in Berlin?
2. Wie steht die Landesregierung zum Vorschlag zahlreicher Flüchtlingsverbände, eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" zu erteilen, um die Chance einer Arbeits- und Ausbildungsaufnahme zu ermöglichen?
3. Wie lässt sich der grundgesetzlich verankerte Schutz von Familien mit dem Vorschlag von Innenminister Schünemann, nur Kindern und Jugendlichen ein Bleiberecht einzuräumen, vereinbaren?
Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann beantwortete namens der Landesregierung die Dringliche Anfrage wie folgt:
In der Innenministerkonferenz wurde in den letzten Jahren regelmäßig darüber diskutiert, ob es Gründe gibt, bei bestimmten ausreisepflichtigen Personengruppen die Ausreise nicht mehr durchzusetzen, sondern ihnen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Die Möglichkeit dazu bietet das Aufenthaltsgesetz in § 23. Voraussetzung ist, dass dies bundeseinheitlich geschieht, also sich die Innenminister von Bund und Ländern auf entsprechende Regelungen verständigen. Derartige Bleiberechtsregelungen für alle ausländischen Staatsangehörigen, die sich angjährig in Deutschland aufgehalten haben, hat es in den Jahren 1996 und 1999 gegeben. Sie wurden damit begründet, dass seinerzeit über viele Asylanträge erst nach langjährigen Verfahren beim Bundesamt und bei den Verwaltungsgerichten entschieden wurde und deshalb bei Ablehnung der Asylanträge und Eintritt der Ausreiseverpflichtung bereits ein Einleben der Asylbewerber in die hiesigen Lebensverhältnisse stattgefunden hat, insbesondere hinsichtlich der eingereisten Kinder.
Da es die seinerzeit langen Verfahrenszeiten durch gesetzliche Änderungen nicht mehr gibt, sondern die Asylbewerber seit Jahren bereits in aller Regel sehr früh wissen, ob sie bleiben dürfen oder zurückkehren müssen, hat es seit 1999 keine weiteren allgemeinen Bleiberechtsregelungen mehr gegeben. Stattdessen wurden Regelungen für bestimmte Personengruppen erlassen, denen aus besonderen Gründen die Rückkehr nicht zugemutet werden sollte oder die wegen der Kriegssituationen in ihren Herkunftsländern langjährig daran gehindert waren, wieder zurückzukehren.
So wurde für die ehemaligen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina sowie aus Serbien und Montenegro einschließlich Kosovo im Jahre 2001 eine Bleiberechtsregelung erlassen. Danach erhielt ein Aufenthaltsrecht, wer seit 6 Jahren in Deutschland lebte, 2 Jahre erwerbstätig war und dem der Arbeitgeber ein dringendes Interesse an der weiteren Beschäftigung bestätigte.
Die Innenministerkonferenz hat in diesem Jahr eine Bleiberechtsregelung für ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge aus Afghanistan beschlossen. Auch hiervon konnte grundsätzlich nur begünstigt werden, wer seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten konnte.
Eine allgemeine Bleiberechtsregelung ist zwar auch im Vermittlungsausschuss im Zusammenhang mit den Beratungen über das Zuwanderungsgesetz diskutiert worden. Allerdings ist beim Kompromiss über das Zuwanderungsgesetz eine Bleiberechtsregelung gerade nicht vereinbart worden.
Gleichwohl werden regelmäßig in der Innenministerkonferenz Vorschläge für weitere Bleiberechtsregelungen eingebracht, wobei es dazu auch öffentliche Unterstützung von Verbänden und kirchlichen Einrichtungen gibt. Aktuell liegt ein Vorschlag des Innenministers von Nordrhein-Westfalen für eine allgemeine Bleiberechtsregelung vor. Danach soll Asylbewerbern und ausreisepflichtigen Ausländern mit langjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet ein Bleiberecht gewährt werden, wenn es sich um Familien handelt, die seit sechs Jahren im Bundesgebiet gelebt haben und der Lebensunterhalt auf Dauer gesichert ist, wobei in Härtefällen Ausnahmen möglich sein sollen.
Von Berlin wird erneut eine allgemeine Bleiberechtsregelung vorgeschlagen für Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt sowie für Ausländer, die über Jahre nicht ins Herkunftsland zurückgeführt werden konnten. Dieser Vorschlag wurde in der letzten Sitzung die Innenministerkonferenz am 24.06.2005 abgelehnt.
Beide vorgeschlagenen Bleiberechtsregelungen werden in der heute stattfindenden Innenministerkonferenz beraten, so dass darüber noch nicht beschlossen wurde. Ich werde deshalb die Haltung der Landesregierung, wie sie von meinem Kollegen Schünemann in der IMK vertreten wird, nachfolgend bei der Beantwortung der einzelnen Fragen darstellen.
Dieses vorausgeschickt beantworte ich die Dringliche Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1:
Die aus Nordrhein-Westfalen und Berlin zur IMK angemeldeten Vorschläge für allgemeine Bleiberechtsregelungen hätten zur Folge, dass ungesteuert stattgefundene Zuwanderung nachträglich legalisiert wird. Es soll jetzt belohnt werden und endgültig bleiben dürfen, wer illegal nach Deutschland gekommen ist, erfolglos Asylverfahren betrieben hat und seiner Ausreiseverpflichtung jahrelang nicht nachkam.
Das entspricht nicht den Vorstellungen der Niedersächsischen Landesregierung und wird auch von der ganz überwiegenden Mehrheit der anderen Länder abgelehnt. Die Landesregierung ist vielmehr mit anderen CDU/CSU geführten Regierungen der Auffassung, dass Zuwanderung weiterhin gesteuert und reduziert werden muss. Wer illegal einreist und nicht als Flüchtling anerkannt werden kann, muss umgehend wieder ausreisen. So ist es auch im neuen Aufenthaltsgesetz festgelegt. Es wäre ein völlig falsches Signal und würde die ungeregelte Zuwanderung erheblich verstärken, wenn jemand nach illegaler Einreise und mehreren erfolglosen Asylverfahren allein wegen der bisherigen Aufenthaltsdauer und der damit fast zwangsläufig verbundenen Eingewöhnung in deutsche Lebensverhältnisse ein Daueraufenthaltsrecht erhielte. Denn die langjährige Aufenthaltsdauer hat sich regelmäßig nicht aus langen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, sondern vielmehr aus eigenem Verhalten ergeben, weil der Ausreispflicht jahrelang nicht nachgekommen und auch die Abschiebung verhindert wurde.
Aus diesen Gründen machen die Innenminister von Bund und Ländern auch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen von der gesetzlich bestehenden Möglichkeit zum Erlass von Bleiberechtsregelungen Gebrauch.
Die von Nordrhein-Westfalen und Berlin vorgeschlagenen Bleiberechtsregelungen sollen zunächst nur Personen begünstigen, die sich bereits langjährig im Bundesgebiet aufhalten und wirtschaftlich integriert sind. Dieser Personenkreis dürfte allerdings bereits von früheren Bleiberechtsregelungen erfasst worden sein. Nur wer die Einreisestichtage früherer Bleiberechtsregelungen nicht erfüllt hatte, könnte jetzt unter eine erneute allgemeine Bleiberechtsregelung fallen. Das ist aber unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten strikt abzulehnen. Dadurch würden diejenigen benachteiligt, die ihrer Ausreisepflicht nachgekommen sind oder abgeschoben wurden und jetzt wieder unter schwierigen Bedingungen im Herkunftsland leben. Deshalb sind nach der letzten allgemeinen Altfallregelung im Jahr 1999 nur noch Regelungen für bestimmte Personengruppen getroffen worden, die seither nicht ausreisen konnten, wie die Afghanen, oder für die die Regelung von 1999 nicht galt, z. B. für Bosnier, Serben und Kosovo-Albaner. Ein Teil derjenigen, der von der allgemeinen Altfallregelung 1999 nicht erfasst war, konnte also auf diesem Weg bereits ein Aufenthaltsrecht erhalten.
Von den vorgeschlagenen Bleiberechtsregelungen dürften daher im wesentlichen Personen profitieren, die geltend machen, dass bei ihnen ein Härtefall vorliege und eine Ausnahme von den Integrationsbedingungen zugelassen werden müsse, dass sie also auch dann ein Aufenthaltsrecht erhalten müssten, wenn der Lebensunterhalt aus öffentlichen Mitteln finanziert werde. Aber genau dies würde erhebliche Kosten für die öffentlichen Haushalte verursachen und ist schon deswegen abzulehnen.
Für diejenigen, die sich weitgehend sozial und wirtschaftlich integriert haben, konnten außerdem bereits in der Vergangenheit nach den allgemeinen ausländerrechtlichen Bestimmungen Lösungen gefunden werden. Das Aufenthaltsgesetz bietet auch die Möglichkeit, in einzelnen Härtefällen einen legalen Aufenthalt zu erreichen. Auch deshalb wird eine erneute allgemeine Bleiberechtsregelung abgelehnt.
Zu Frage 2:
In den bisherigen Bleiberechtsregelungen wurde der aus arbeitsmarktpolitischen sowie aus Gründen der europäischen Integration gewollte Vorrang inländischer Arbeitskräfte stets aufrecht gehalten. Bleiben durfte nur, wer einen Arbeitsplatz gefunden hatte, für den kein Deutscher, EU-Bürger oder dauerhaft bleibeberechtigter Ausländer zur Verfügung stand.
Wenn jetzt abgelehnte Asylbewerber eine Aufenthalterlaubnis für zwei Jahre "auf Probe" erhalten sollen, ist damit ein uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden. Das würde bei der jetzigen Arbeitsmarktsituation jedoch nur zu einer Verdrängung führen. Bisher bevorrechtigte Arbeitnehmer würden arbeitslos, so dass die Kosten für die öffentlichen Haushalte nicht sinken würden. Darüber hinaus würden aber auch erhebliche Kosten in dieser 2jährigen Probezeit entstehen, weil viele angesichts der Arbeitsmarksituation und der geforderten Qualifikation nicht kurzfristig einen Arbeitsplatz finden würden. Es ist daher wahrscheinlich, dass viele für weitere zwei Jahre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhielten, da sie in dieser Zeit keine Beschäftigung finden. Das hätte neben erheblichen Sozialhilfekosten zur Folge, dass sich die Kinder in dieser Verlängerungszeit weiter in die hiesigen Lebensverhältnisse eingewöhnen würden. Dadurch würde die Ausreise noch zusätzlich erschwert. Mit einer solchen Entwicklung wäre niemandem geholfen.
Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass derartige Bleiberechtsregelungen, auch die in der Vergangenheit erlassenen, immer dazu führen, dass - selbst wenn aktuell der Lebensunterhalt aus Erwerbstätigkeit bestritten werden kann – in erhöhtem Maße Versorgungslasten entstehen.
Denn: Eine ausreichende auskömmliche Rente kann jemand, der über 45 Jahre ist und im Niedriglohnsektor beschäftigt wird, selbst dann nicht erreichen, wenn er ununterbrochen bis zur Altergrenze arbeiten würde, ohne zwischenzeitlich arbeitslos zu werden. Das heißt, mit einer weiteren allgemeinen Bleiberechtsregelung und erst Recht in Kombination mit einer Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" würden erhebliche finanzielle Belastungen entstehen, und zwar kurzfristige, solange keine ausreichende Erwerbsarbeit gefunden wird und langfristige, weil vielfach die erreichten Rentenansprüche für die Lebensunterhaltssicherung nicht ausreichen dürften. Großzügigkeiten zu Lasten der nachfolgenden Generationen sind jedoch nicht mehr verantwortbar. Die vorgeschlagene 2jährige Probezeit wird deshalb abgelehnt.
Zu Frage 3:
Von Niedersachsen ist vorgeschlagen worden, ein Bleibe- und Wiederkehrrecht für Kinder und Jugendliche gesetzlich zu verankern. Es geht darum, in Deutschland aufgewachsenen ausländischen Kindern, wenn sie bereits ein Lebensalter erreicht haben, das ihnen ein selbständiges Leben außerhalb des Elternhauses ermöglicht, ein Angebot für ein weiteres Aufenthaltsrecht zu unterbreiten.
Dieses Angebot können die ausländischen Jugendlichen selbst annehmen, wenn sie bereits volljährig sind. Wenn sie noch minderjährig sind, müssen die Eltern ihre Zustimmung erteilen. Die Familien können sich auch entscheiden, ob sie zunächst – was die Regel sein sollte - gemeinsam ausreisen, um eine Wiedereingliederung der gesamten Familie im Herkunftsland zu versuchen. Der Jugendliche könnte später nach Deutschland zurückkehren, wenn ihm die Eingliederung im Herkunftsland der Eltern nicht gelingt. Ihm steht aber auch die Möglichkeit offen, ohne Ausreise vorübergehend oder auf Dauer hier zu bleiben. Wodurch mit diesem Vorschlag der grundgesetzlich verankerte Schutz von Familien verletzt sein soll, wie von Bündnis 90/Die Grünen behauptet, kann ich überhaupt nicht erkennen. Es handelt sich um ein Angebot, die Familien sind in ihrer Entscheidung völlig frei.
Dieser Vorschlag Niedersachsens ist der bisher einzige, der den hier aufgewachsenen geduldeten ausländischen Kindern und Jugendlichen von Eltern, die aus verschiedenen Gründen kein Aufenthaltsrecht erhalten können, überhaupt eine Perspektive in Deutschland eröffnet. Eine Perspektive, die die noch minderjährigen Kinder selbstverständlich nur in Abstimmung mit ihren Eltern annehmen können, also keineswegs annehmen müssen. Ja, es ist richtig, dass dieser Vorschlag davon ausgeht, dass die heranwachsenden Jugendlichen nicht mehr oder vorübergehend nicht bei ihren Eltern leben. Das kann aber heranwachsenden Jugendlichen durchaus zugemutet werden, es liegt möglicherweise gar in ihrem Interesse, zumal die Alternative – auch nach den vorgeschlagenen Bleiberechtsregelungen von Nordrhein-Westfalen und Berlin – die Ausreise oder Abschiebung aller Familienangehörigen wäre. Und dieser Vorschlag aus Niedersachsen ist auch der einzige, der den betroffenen Jugendlichen nützt, ohne das Verhalten der Eltern ungerechtfertigt zu belohnen. Deshalb ist dieser Vorschlag auch dem Bundesinnenministerium zur Aufnahme in das 2. Gesetz zur Änderung des Zuwanderungsgesetzes übermittelt worden. Gleichzeitig wirbt mein Kollege Schünemann in der Innenministerkonferenz für diesen Vorschlag und wir hoffen im Interesse der hier herangewachsenen ausländischen Kinder und Jugendlichen auf Unterstützung durch die anderen Länder.
Artikel-Informationen
erstellt am:
09.12.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010