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Durchsuchung in Fitness-Studios in Hannover

Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Grote (SPD); Es gilt das gesprochene Wort!


Die Abgeordnete hatte gefragt:

In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2005 wird unter der Überschrift "Razzien kommen oft zu spät" berichtet, dass "bei Großrazzien in der Region Hannover (…) mutmaßlichen Straftätern viel Zeit (bleibt), Beweismaterial beiseite zu schaffen: Durchsuchungsbe-schlüsse werden oft erst mit monatelanger Verspätung in die Tat umgesetzt". So sei etwa die Ende September durchgeführte Großrazzia in 24 Fitnessstudios erst vier Monate nach Ausstellung des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses durchgeführt worden. Ein Sprecher des Innenministeriums wird dahin gehend zitiert, dass nicht Personalnot der Grund für die aufgeschobenen Durchsuchungsaktionen sei, sondern "taktisches Vorgehen". Diese Begründung erscheint vielen Beobachtern jedoch problematisch, weil im Fall der Fitnessstudiodurchsuchungen so genannte Fatburner sichergestellt wurden, die nach Auskunft von Polizei und Staatsanwaltschaft unter Umständen tödlich wirken. Angesichts der erkannten Lebensgefährdung Dritter erscheint es klärungsbedürftig, warum die zuständigen Behörden vier Monate haben verstreichen lassen, bevor die lebensgefährlichen Fatburner im Zuge der Durchsuchungen sichergestellt wurden. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München II wurden die Kundenlisten mit den 24 Fitnessstudios bereits im April 2005 nach Hannover geschickt. Dennoch erfolgte die Durchsuchung dieser 24 Studios erst im September 2005.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Seit wann war niedersächsischen Behörden bekannt, dass in Fitnessstudios lebensgefährdende Fatburner vertrieben werden, und welche konkreten "taktischen Erwägungen" haben die Landesregierung veranlasst, sich mit der Durchsuchung und Sicherstellung von lebensgefährdenden Präparaten bis September 2005 Zeit zu lassen, und wie rechtfertigt die Landesregierung diese Zeitspanne gegenüber besorgten Kundinnen und Kunden der betroffenen Fitnessstudios, die in diesem Zeitraum diese Fatburner konsumiert haben?
  2. Wie hat sich die Personalstärke der Polizei im Bereich der Polizeidirektion Hannover zwischen 2003 und 2005 verändert, und wie begegnet die Landesregierung dem Vorwurf, die verspätete Durchführung der Großrazzien stünde im Zusammenhang mit diesen Veränderungen?
  3. Wie viele Hausdurchsuchungen konnten in Niedersachsen seit dem 1. November 2004 nicht durchgeführt werden, da der richterliche Durchsuchungsbeschluss durch Verfristung ungültig geworden ist?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Nach einem Bericht der zuständigen Polizeidirektion Hannover, der sich auf die in der Anfrage zitierte Presseveröffentlichung bezieht, war Hintergrund des bei der Polizeidirektion Hannover betriebenen Emittlungsverfahrens der offensichtlich illegale Vertrieb eines speziellen "Fatburners", der so oder in ähnlicher Zusammensetzung durch eine Firma mit Sitz in Peißenberg (Bayern) bereits seit März 2002 als so genanntes Nahrungsergänzungsmittel in den Handel gebracht wurde.

Nach einer bereits am 04.11.2003 erfolgten ersten Produktsicherstellung durch die bayerische Polizei kamen nach nur wenigen Wochen Alternativprodukte auf den Markt. Auch deren Zusammensetzung entspricht laut Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit denen eines Fertigarzneimittels.

Ein Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit stellt u. a. dieses Produkt aufgrund seiner Zusammensetzung ausweislich einer Untersagungsverfügung der Regierung von Oberbayern vom 17.08.2004 als ein Fertigarzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetztes (AMG) dar. Trotz dieser Einstufung wurde es weiter ohne erforderliche Zulassung vertrieben.

Die (Gegen-) Gutachten im Auftrag des Herstellers verweisen dagegen auf eine Einstufung als Nahrungsergänzungsmittel.

Die vorliegende gutachterliche Bewertung bzw. die Untersagungsverfügung der Regierung von Oberbayern vom 17.08.2004 stellen keine dringenden Gesundheitsgefahren oder gar Lebensgefahren fest, die eine sofortige Sicherstellung oder sonstige gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen erforderlich gemacht hätten.

Dies wird auch dadurch deutlich, dass die bayerischen Behörden von der ersten Produktsicherstellung in Bayern im November 2003 bis zur ersten Erkenntnisübermittlung an die PD Hannover 15 Monate verstreichen ließen.

Insofern erfolgte eine Untersagung des Vertriebs und der Bewerbung des Produkts allein deshalb, weil eine nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) erforderliche Zulassung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht vorlag.

Die Verfahren gegen die Firmenleitung wurden durch die Kriminalpolizeiinspektion Weilheim (Oberbayern) geführt. Nach dabei gewonnenen Ermittlungserkenntnissen wurden u. a. auch Fitness-Studios in Hannover beliefert.

Diese Erkenntnisse wurden als Einzelvorgänge von der Kriminalpolizeiinspektion Weilheim an die Polizeidirektion Hannover im Zeitraum vom 18. Februar (erster Eingang) bis 14. März 2005 (letzter Eingang) übermittelt. Die Beschlüsse der verschiedenen zuständigen Amtsgerichte lagen bis zum 16. Juni 2005 vor. Im Folgenden waren die Objekte kriminalistisch abzuklären und eine zeitgleiche Durchsuchung vorzubereiten. Die Durchsuchungsmaßnahmen in den Fitness-Studios erfolgten am 28. September 2005. Ein abschließendes Ergebnis der Ermittlungen liegt noch nicht vor.

Die im Anschluss an die Durchsuchungsaktion von der PD Hannover herausgegebene Pressemitteilung hatte folgenden Wortlaut: "Beamte der Kriminalfachinspektion 3 haben heute Vormittag, gegen 10.00 Uhr insgesamt 24 Fitnessstudios im Bereich Hannover und der Region durchsucht. Umfangreiche Arzneimittel wurden sichergestellt.

Hintergrund der Ermittlungen sind Hinweise aus dem Süden Deutschlands. Eine dort ansässige Firma hat ein neues Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Dieser so genannte Fatburner ist aufgrund seiner Zusammensetzung ein Fertigarzneimittel und unterliegt dem Arzneimittelgesetz. Der Vertreiberfirma war dieses bekannt. Zurzeit werden die sichergestellten Präparate von Fachleuten untersucht. Die Ermittlungen dauern an."

Eine Aussage zur vermeintlichen Gefährlichkeit wurde aufgrund der oben geschilderten Bewertung, ausdrücklich nicht getroffen. Auch der verantwortliche Pressesprecher der PD Hannover hat auf Nachfrage erklärt, die im Presseartikel zitierte Aussage zur Gefährlichkeit der Fatburner, nicht getroffen zu haben.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Wie auch die bayerischen Behörden kam die PD Hannover aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu der Bewertung, dass von diesen Fertigarzneimitteln keine dringende Gesundheitsgefährdung oder gar Lebensgefahr ausging. Dementsprechend war bei der notwendigen Prioritätenfestlegung für die Durchführung strafprozessualer Maßnahmen zu berücksichtigen, dass neben einer erheblichen Anzahl erforderlicher Durchsuchungskräfte (ca. 60) polizeilicher Sachverstand mit Spezialausbildung der sachlich zuständigen Kriminalfachinspektion mit entsprechenden Kenntnissen eingebunden werden musste.

Ansonsten verweise ich auf die Vorbemerkungen.

Zu 2.:

Der Planstellenbestand für den Polizeivollzugsdienst im Bereich der Polizeidirektion Hannover stellt sich wie folgt dar:

  • 01.04.2003: 3.082 , davon 68 Planstellen in der sachlich zuständigen Kriminalfachinspektion 3 des Zentralen Kriminaldienstes
  • 01.04.2004: 3.061, davon 70 Planstellen in der Kriminalfachinspektion 3
  • 01.04.2005: 2.954, davon 77 Planstellen in der Kriminalfachinspektion 3
  • 01.10.2005: 2.950, davon 76 Planstellen in der Kriminalfachinspektion 3.

Die Zahlen für die Jahre 2003 und 2004 beziehen sich dabei auf die Polizeidirektion Hannover -alt- (ohne Spezialeinsatzkommando) zuzüglich der bisherigen Polizeiinspektion Hannover-Land.

Ein Zusammenhang mit einer vermeintlich verspäteten Durchsuchung mit der Polizeireform –so wie ihn die Fragestellerin unterstellt- besteht nicht.

Zu 3.:

Die Vollstreckung einer richterlich angeordneten Durchsuchung nach §§ 102 bzw. 103 Strafprozessordnung (StPO) wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) unzulässig, wenn sie nicht binnen sechs Monaten vollzogen ist.

Der Landesregierung liegen keine Informationen darüber vor, dass in Niedersachsen richterlich angeordnete Durchsuchungen wegen der Überschreitung dieser Frist nicht vollstreckt werden konnten.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen

Artikel-Informationen

erstellt am:
11.11.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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