Durchsuchung in Fitness-Studios in Hannover
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Dringliche Anfrage der Fraktion der SPD
Die Fraktion hatte gefragt:
Unter der Überschrift "Illegale Präparate in Fitness-Studios" berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung am 29. September 2005 auf der Titelseite, dass in Hannover und Umgebung 24 Fitnessstudios durchsucht worden sind und "in großen Mengen" verbotene "Schlankheitsdrinks" sichergestellt worden seien. Auf Seite 15 wurde unter der Überschrift "Polizei entdeckt tödliche Schlankheitsdrinks" berichtet, dass es um "Riesenmengen" dieser Präparate gehen solle. Was zunächst ein großer Ermittlungserfolg zu sein schien, hat sich jedoch zwischenzeitlich als katastrophale Panne mit ebenso unabsehbaren wie vermeidbaren gesundheitlichen Folgewirkungen herausgestellt. In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2005 wird unter der Überschrift "Razzien kommen oft zu spät" berichtet, dass bei Großrazzien in der Region Hannover (...) mutmaßlichen Straftätern viel Zeit (bleibt), Beweismaterial beiseite zu schaffen: Durchsuchungsbeschlüsse werden oft erst mit monatelanger Verspätung in die Tat umgesetzt". So sei etwa die Großrazzia in 24 Fitnessstudios, die Ende September in Hannover und Umland stattgefunden hat, erst vier Monate nach Ausstellung des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses durchgeführt worden. Ein Sprecher des Innenministeriums wird dahin gehend zitiert, dass nicht Personalnot der Grund für die aufgeschobenen Durchsuchungsaktionen sei, sondern "taktisches Vorgehen". Diese Begründung erscheint jedoch höchst problematisch, weil die im Zuge der Fitnessstudiodurchsuchungen sichergestellten Schlankheitsdrinks nach Auskunft von Polizei und Staatsanwaltschaft tödlich wirken können. Angesichts der erkannten Lebensgefährdung Dritter erscheint es dringend klärungsbedürftig, warum fünf Monate verstreichen konnten, bevor die lebensgefährlichen Schlankheitsdrinks im Zuge der polizeilichen Durchsuchungen sichergestellt wurden. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München II wurden die Kundenlisten mit den 24 Fitnessstudios bereits im April 2005 nach Hannover geschickt. Dennoch erfolgte die Durchsuchung dieser 24 Studios erst am 26. September 2005.
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
- Seit wann war niedersächsischen Behörden bekannt, dass in Fitnessstudios in Hannover und Umland lebensgefährdende Fatburner vertrieben werden?
- Welche konkreten "taktischen Erwägungen" haben dazu geführt, dass man sich mit der Durchsuchung und Sicherstellung von lebensgefährdenden Präparaten bis zum 26. September 2005 Zeit gelassen hat?
- Wie rechtfertigt die Landesregierung diese Zeitspanne gegenüber besorgten Kundinnen und Kunden der betroffenen Fitnessstudios, die in diesem Zeitraum diese Schlankheitsdrinks konsumiert haben?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Dringliche Anfrage wie folgt:
Nach einem Bericht der zuständigen Polizeidirektion Hannover, der sich auf die in der Anfrage zitierte Presseveröffentlichung bezieht, war Hintergrund des bei der Polizeidirektion Hannover betriebenen Ermittlungsverfahrens der offensichtlich illegale Vertrieb eines speziellen "Fatburners", der so oder in ähnlicher Zusammensetzung durch eine Firma mit Sitz in Peißenberg (Bayern) bereits seit März 2002 als so genanntes Nahrungsergänzungsmittel in den Handel gebracht wurde.
Nach einer bereits am 04.11.2003 erfolgten ersten Produktsicherstellung durch die bayerische Polizei kamen nach nur wenigen Wochen Alternativprodukte auf den Markt. Auch deren Zusammensetzung entspricht laut Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit denen eines Fertigarzneimittels.
Ein Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit stellt u. a. dieses Produkt aufgrund seiner Zusammensetzung ausweislich einer Untersagungsverfügung der Regierung von Oberbayern vom 17.08.2004 als ein Fertigarzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetztes (AMG) dar. Trotz dieser Einstufung wurde es weiter ohne erforderliche Zulassung vertrieben.
Die (Gegen-) Gutachten im Auftrag des Herstellers verweisen dagegen auf eine Einstufung als Nahrungsergänzungsmittel.
Die vorliegende gutachterliche Bewertung bzw. die Untersagungsverfügung der Regierung von Oberbayern vom 17.08.2004 stellen keine dringenden Gesundheitsgefahren oder gar Lebensgefahren fest, die eine sofortige Sicherstellung oder sonstige gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen erforderlich gemacht hätten.
Dies wird auch dadurch deutlich, dass die bayerischen Behörden von der ersten Produktsicherstellung in Bayern im November 2003 bis zur ersten Erkenntnisübermittlung an die PD Hannover 15 Monate verstreichen ließen.
Insofern erfolgte eine Untersagung des Vertriebs und der Bewerbung des Produkts allein deshalb, weil eine nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) erforderliche Zulassung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht vorlag.
Die Verfahren gegen die Firmenleitung wurden durch die Kriminalpolizeiinspektion Weilheim (Oberbayern) geführt. Nach dabei gewonnenen Ermittlungserkenntnissen wurden u. a. auch Fitness-Studios in Hannover beliefert.
Diese Erkenntnisse wurden als Einzelvorgänge von der Kriminalpolizeiinspektion Weilheim an die Polizeidirektion Hannover im Zeitraum vom 18. Februar (erster Eingang) bis 14. März 2005 (letzter Eingang) übermittelt.
Die Beschlüsse der verschiedenen zuständigen Amtsgerichte lagen bis zum 16. Juni 2005 vor. Im Folgenden waren die Objekte kriminalistisch abzuklären und eine zeitgleiche Durchsuchung vorzubereiten. Die Durchsuchungsmaßnahmen in den Fitness-Studios erfolgten am 28. September 2005. Ein abschließendes Ergebnis der Ermittlungen liegt noch nicht vor.
Die im Anschluss an die Durchsuchungsaktion von der PD Hannover herausgegebene Pressemitteilung hatte folgenden Wortlaut:
"Beamte der Kriminalfachinspektion 3 haben heute Vormittag, gegen 10.00 Uhr insgesamt 24 Fitnessstudios im Bereich Hannover und der Region durchsucht. Umfangreiche Arzneimittel wurden sichergestellt.
Hintergrund der Ermittlungen sind Hinweise aus dem Süden Deutschlands. Eine dort ansässige Firma hat ein neues Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Dieser so genannte Fatburner ist aufgrund seiner Zusammensetzung ein Fertigarzneimittel und unterliegt dem Arzneimittelgesetz. Der Vertreiberfirma war dieses bekannt. Zurzeit werden die sichergestellten Präparate von Fachleuten untersucht. Die Ermittlungen dauern an."
Eine Aussage zur vermeintlichen Gefährlichkeit wurde aufgrund der oben geschilderten Bewertung, ausdrücklich nicht getroffen. Auch der verantwortliche Pressesprecher der PD Hannover hat auf Nachfrage erklärt, die im Presseartikel zitierte Aussage zur Gefährlichkeit der Fatburner, nicht getroffen zu haben.
Dies vorausgeschickt beantworte ich die Dringliche Anfrage der Fraktion der SPD namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Siehe Vorbemerkung
Zu 2.:
Wie auch die bayerischen Behörden kam die PD Hannover aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu der Bewertung, dass von diesen Fertigarzneimitteln keine dringende Gesundheitsgefährdung oder gar Lebensgefahr ausging.
Dementsprechend war bei der notwendigen Prioritätenfestlegung für die Durchführung strafprozessualer Maßnahmen zu berücksichtigen, dass neben einer erheblichen Anzahl erforderlicher Durchsuchungskräfte (ca. 60) polizeilicher Sachverstand mit Spezialausbildung der sachlich zuständigen Kriminalfachinspektion mit entsprechenden Kenntnissen eingebunden werden musste.
Zu 3.:
Vor dem Hintergrund der dargestellten Sachlage besteht für mich kein Anlass, die Bewertung der Gefährdungslage der bayerischen Behörden und der Polizeidirektion Hannover in Frage zu stellen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
10.11.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010