Mehrarbeitsstunden bei geschlossenen Polizeieinsätzen
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage des Abgeordneten Bartling (SPD)
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.09.2005
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Ausweislich eines Berichts der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 20. Au-gust 2005 begründet die Landesregierung den vom CDU-Innenminister beschlossenen Wegfall der vollen Anrechnungsfähigkeit der während einer CASTOR-Bereitschaft geleisteten Überstunden u. a. damit, dass sich der Protest bei den vergangenen Transporten stark verringert habe, die Einsätze also für die Beamten ruhiger geworden seien. Damit komme wieder ein Grundsatzerlass aus dem Jahr 1997 zum Tragen, der nur unter be-stimmten Bedingungen eine höhere Anrechnung vorsieht. Das Ministerium schließt allerdings nicht aus, dass doch wieder nach den alten Sätzen abgerechnet wird: "Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn nach einem Regierungswechsel zur atomfreundlicheren schwarzgelben Bundesregie-rung die Proteste gegen die Transporte wieder zunehmen, was von vielen Experten erwartet wird."
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1. Will sie damit tatsächlich zum Ausdruck bringen, dass es für die von den zahlreichen Kürzungen der CDU/FDP-Landesregierung betroffenen niedersächsischen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ratsam wäre, bei der bevorstehenden Bundestagswahl CDU oder FDP zu wählen, damit sie nicht auch noch die von der Landesregierung angedrohte Kürzung der CASTOR-Einsatzvergütung hinnehmen müssen?
2. Warum enthält sich die Landesregierung nicht einer solchen Aussage?
3. Welchen Rat gibt sie denjenigen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die einerseits die Kürzungen des Ausgleichs für CASTOR-Einsätze als Ungerechtigkeit empfinden, die aber andererseits den von der Bundesregierung beschlossenen Atomausstieg nachdrücklich befürworten?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Vorbemerkung:
Für die Anrechnung von Mehrarbeitsstunden bei geschlossenen Einsätzen gilt die Arbeitszeitregelung für den Polizeivollzugsdienst, die seit 1997 regelt, dass bei bestimmten Einsätzen die Gesamteinsatzdauer als "Volldienst" (1:1) gerechnet wird, es sei denn, dass die tatsächliche Verwendung die Anerkennung als Volldienst nicht rechtfertigt und insofern von der Möglichkeit der Anordnung von Bereitschaftsdienst (1:4) Gebrauch gemacht werden sollte.
Insbesondere wegen der Belastungen durch eine schlechte Unterbringungssituation hat die Einsatzleitung vor Ort in der Vergangenheit grundsätzlich auf die Anordnung von Bereitschafts-dienst verzichtet. Wegen der nun unter erheblichem finanziellen Aufwand - insgesamt wurden ca. 18 Millionen Euro investiert - verbesserten Unterbringungsstandards ist unter Berücksichtigung der Haushaltssituation des Landes eine konsequentere Anwendung der Vorschriften angezeigt.
Schon aus Gründen der Fürsorge und zur Wahrung des Gesundheitsschutzes werden eingesetzte Kräfte nach spätestens 16 Std. Einsatz durch andere Kräfte abgelöst. Die verbleibenden 8 Std. des Tages sollen der Erholung und Ruhe dienen. Es geht insofern allein um die Bewertung der Belastung in dieser Zeit.
Die Auswirkungen der neuen Handhabung des Erlasses verdeutlichen die folgenden Modellrechnungen. Es wird bei diesen Modellrechnungen eine Einsatzdauer von zwölf Stunden zugrunde gelegt. Dies entspricht zum einen der in Castor-Einsätzen üblichen Praxis, in Zwölf-Stunden-Schichten Dienst zu versehen, zum anderen wird damit die Regelung des § 4 der Nds. ArbZVO berücksichtigt. Diese Vorschrift legt fest, dass mehr als 12 Std./tgl. nicht gearbeitet werden darf. Von dieser Arbeitszeitbeschränkung darf nur dann abgewichen werden, soweit dies im überwiegenden öffentlichen Interesse dringend geboten erscheint; dabei ist dem Gesundheitsschutz Rechnung zu tragen.
Die tatsächliche Heranziehung der Einsatzkräfte wurde bisher und wird auch künftig nach dem Maßstab 1:1 angerechnet. Hinzu kommen die Zeiten für die Einsatzvor- und -nachbereitung sowie die Wegezeit, die ebenfalls 1:1 angerechnet werden. Für die Einsatzvor- und -nachbereitung sowie die Wegezeit wird ein Durchschnittswert von vier Stunden angenommen, der auf Erfahrungen aus den bisherigen Castor-Einsätzen beruht.
Es verbleiben acht Stunden Ruhezeit, für die bislang Volldienst angeordnet war; dementspre-chend erfolgte eine Anrechnung mit dem Maßstab 1:1. Insgesamt ergab sich damit eine Arbeitszeitanrechnung von 24 Stunden pro Tag:
"Niedersachsen bisher"
12 Std. Einsatzdauer (Volldienst) ( 1 : 1 ) = 12 Std.
4 Std. Einsatzvor- u. -nachbereitung sowie Wegezeit ( 1 : 1 ) = 4 Std.
16 Std.
8 Std. Ruhezeit (Volldienst) ( 1 : 1 ) = 8 Std.
Arbeitszeitanrechnung = 24 Std. / tgl.
(abzüglich Regeldienst = Mehrarbeit)
Demgegenüber wird künftig für die acht Stunden Ruhezeit Bereitschaftszeit angeordnet, die mit dem Maßstab 1:4 angerechnet wird. Es ergibt sich folgende Änderung:
"Niedersachsen neu"
12 Std. Einsatzdauer (Volldienst) ( 1 : 1 ) = 12 Std.
4 Std. Einsatzvor- u. -nachbereitung sowie Wegezeit ( 1 : 1 ) = 4 Std.
16 Std.
8 Std. Ruhezeit (Bereitschaftszeitanordnung) ( 1 : 4 ) = 2 Std.
Arbeitszeitanrechnung = 18 Std. / tgl.
(abzüglich Regeldienst = Mehrarbeit)
Die Anrechnung von 18 Stunden Arbeitszeit pro Tag kennzeichnet den Regelfall. Maßgeblich sind die tatsächlich abgeleisteten Zeiten. Verlängert sich beispielsweise die tatsächliche Einsatzzeit, wenn in Ausnahmefällen von der Arbeitszeitbeschränkung von 12 Std./tgl. unter Beachtung des Gesundheitsschutzes der Einsatzkräfte abgewichen werden muss, weil dies im überwiegenden öffentlichen Interesse dringend geboten erscheint; so wird die tatsächliche Einsatzzeit 1:1 angerechnet. Gleiches gilt für die Verringerung der Einsatzzeit (z. B. am letzten Einsatztag, wenn keine vollen zwölf Stunden Dienst abzuleisten sind). Auch sind die vier Stunden für Einsatzvor- u. -nachbereitung sowie Wegezeit keine fixe Größe, sondern von der tatsächlich benötigten Zeit abhängig.
Im Ergebnis verfährt Niedersachsen mit der Anrechnung im Regelfall von 18 Std./tgl. immer noch großzügiger als der Bund, der die reine Einsatzdauer mit 1:1 anrechnet, im Übrigen zwischen Bereitschaftszeit (1:2) und Ruhezeit (1:5) unterscheidet. Im Regelfall rechnet der Bund daher nur rd. 17 Std./tgl. an, wie die dritte Modellrechnung zeigt:
Bundesregelung (Bundespolizei, vormals BGS)
12 Std. Einsatzdauer (Volldienst) ( 1 : 1 ) = 12 Std.
8 Std. Bereitschaftsdienstanordnung ( 1 : 2 ) = 4 Std.
4 Std. Ruhezeit ( 1 : 5 ) = 0,8 Std.
Arbeitszeitanrechnung = 16,8 Std.
(abzüglich Regeldienst = Mehrarbeit) rd. 17 Std. / tgl.
Abschließend ist noch klarzustellen, dass die Landesregierung auf die Zu- oder Abnahme von Protesten mit einem entsprechend angepassten Kräfteansatz reagiert. Die Bewertung der Ruhezeit wird dadurch grundsätzlich nicht tangiert.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Da die Intensität von Protesten nur einen untergeordneten Einfluss auf die Bewertung der Ruhezeit hat, ergibt sich die beschriebene Konsequenz nicht. Eine besondere Belastung kann auch in der Ruhezeit nicht generell ausgeschlossen werden, daher ist auch die Anrechnung von Volldienst in Ausnahmefällen möglich. Bisher war dies de facto die Regel, künftig wird es die Ausnahme sein.
Zu 2.:
Siehe Vorbemerkung.
Zu 3.:
Die persönlichen Auffassungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zur von der Bundesregierung beschlossenen Atompolitik haben auf die Befolgung von dienstlichen Weisungen keinerlei Einfluss.
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Artikel-Informationen
erstellt am:
16.09.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010