Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung
Rede von Innenminister Uwe Schünemann zum Gesetzentwurf der Fraktion der SPD
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 15.09.2005
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs der SPD ist von der unmissverständlichen Eindeutigkeit des Urteils des Bundesverfassungsge-richts die Rede. Das ist richtig. Das Gericht hat festgestellt, dass die nieder-sächsische Vorschrift in der bestehenden Form nicht den Erfordernissen der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit entspricht, es hat weiter festgestellt, dass dem Nds. Gesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz fehle, soweit die Vorschrift die Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten regelt. Auch wenn wir das Ergebnis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts insoweit bedauern, ist es selbstverständlich, dass wir das Urteil akzeptieren und uns danach richten werden.
Allerdings wird der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion der SPD der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli den aktuellen Erfordernissen nicht gerecht. Denn ich will einen weiteren Punkt hervorheben, der mir der wichtig ist: Das Bundesverfassungsgericht hat gerade nicht festgestellt, der Polizei dürfe generell das Instrument der präventiven Telekommunikationsüberwachung nicht zur Verfügung stehen.
Im Gegenteil: Das Gericht hat mit seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass der Landesgesetzgeber die Kompetenz hat, die präventive Telekommunikationsüberwachung als Befugnis für die Polizei zur Bekämpfung bzw. Verhütung von Straftaten gesetzlich zu regeln. Wenn wir also nach gründlicher und sorgfältiger Analyse der Entscheidung weitere verfahrenssichernde Regelungen klar festlegen, dann kann im Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Befugnis der präventiven Telefonüberwachung für die Polizei normiert werden.
Ich frage Sie daher, warum sollen wir in Niedersachsen über eine verfassungskonforme Neuformulierung der präventiven Telekommunikationsüberwachung in unserem Polizeigesetz nur rechtstheoretisch diskutieren. Ich bin der Auffassung, dass wir handeln müssen, denn wir haben mit dem Ziel der wirksamen Terrorismusbekämpfung den wichtigsten Anwendungsbereich für die vorbeugende Telekommunikationsüberwachung klar vor Augen.
In Deutschland besteht seit den ersten Anschlägen vor fast genau vier Jahren in New York eine latente Bedrohungssituation, die durch die Terrorakte in Madrid und vor wenigen Wochen in London nachdrücklich bestätigt wurde.
Wir können doch nicht die Augen davor verschließen, dass auch in Deutschland jederzeit mit terroristischen Gewalttaten gerechnet werden muss, denn Deutschland ist Teil eines beinahe globa-len Gefahrenraumes. Arabische Mudjahedin, die über vielfältige Kontakte miteinander verbunden sind und denen eine rücksichtslose Handlungsfähigkeit im Hinblick auf die Begehung von Anschlä-gen unterstellt werden muss, sehen Deutschland und andere europäische Staaten nicht nur als Ruhe-, Rückzugs- und Vorbereitungsraum, sondern eben auch als Ziel von Anschlägen. Für den Grad der Gefährdung Deutschlands sind das deutsche Engagement in Afghanistan, die Ausbildung irakischer Polizeibeamter bzw. die Ausbildung irakischer Offiziere im NATO-Rahmen sowie die Be-teiligung der Bundesrepublik am weltweiten Kampf gegen den islamistischen Terrorismus relevant.
Als Konsequenz darauf müssen wir uns auch hier in Deutschland auf diese Bedrohungslage einstellen.
In der Praxis kann eben die Situation eintreten, in der ein hinreichender Verdacht der Begehung einer Straftat verneint wird und daher eine strafprozessuale Telefonüberwachung gerade nicht möglich ist, aber der Polizei gleichwohl Erkenntnisse vorliegen, dass konkrete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, Personen bereiten möglicherweise einen terroristische Gewaltakt vor. Genau in dem Fall brauchen wir die Option der präventiven Telekommunikationsüberwachung.
Ich möchte nicht nach einem Anschlag, von dem ich hoffe, dass er nicht eintreten wird, der Öffentlichkeit erklären, dass das Bundesverfassungsgericht zwar der Polizei einen Anwendungsbereich für die präventive Telekommunikationsüberwachung zuerkennt, der niedersächsische Gesetzgeber aber nicht die rechtlichen Voraussetzungen hierfür verfassungskonform geschaffen hat.
Ich möchte nicht erläutern müssen, dass nun einmal eine Abwägung zu Gunsten der unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger getroffen werden musste, die von einer Telekommunikationsüberwachung betroffen sein könnten. Und dies, obgleich in den tatsächlich sehr wenigen Anwendungsfällen deren personenbezogenen Daten, sofern sie überhaupt gespeichert werden, sofort bei Unbegründetheit der Datenerhebung gelöscht werden.
Ich halte es schlichtweg für falsch, zu hoffen, dass schon nichts passiert. Ich fühle mich als Innenminister in der Verantwortung, mich um die stetige Verbesserung der Sicherheit der Bür-gerinnen und Bürger unseres Landes zu bemühen. Die Anschläge in London verpflichten uns geradezu, alle nur möglichen rechtsstaatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen. Eine unverzichtbare Maßnahme für eine professionelle und wirksame Gefahrenabwehr zur Verhütung von Terroranschlägen ist dabei die präventive Telekommunikationsüberwachung. Die Polizei erhält mit diesem Instrument die Chance, Informationen zu erheben, die mit Video-überwachung oder Polizeipräsenz allein nicht erlangt werden können.
Mir ist durchaus bewusst, dass ein Spannungsverhältnis zwischen dem gleichermaßen beabsichtigten Schutz der Bürger vor schwersten Verbrechen einerseits und dem Recht der Bürger auf einen unantastbaren Kernbereich der Privatsphäre andererseits besteht. Um dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, werden wir selbstverständlich unter Berücksichtigung der vom Verfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe eine gute Regelung vorlegen.
Die Bekämpfung des Terrorismus war, ist und bleibt ein zentrales Anliegen der niedersächsischen Landesregierung. Insofern ist für mich die präventive Telekommunikationsüberwachung eine Option, auf die wir nicht verzichten sollten, auf die wir nicht verzichten können.
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Artikel-Informationen
erstellt am:
16.09.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010