Abschiebungen in das Kosovo
Sitzung Niedersächsischer Landtag am 24.06.2005; Fragestunde; Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Polat und Langhans (Grüne); Es gilt das gesprochene Wort!
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Ende April wurde zwischen einer deutschen Delegation und Vertretern von UNMIK ein Gespräch zur Rückführung von Minderheiten in das Kosovo geführt. Das Ergebnis dieses Gespräches findet sich nun in dem Erlass des Innenministeriums vom 3. Mai 2005 wieder, mit dem die Rückführung von Angehörigen der Ashkali, Ägyptern und Roma geregelt wird. Nieder-sachsen macht von den Rückführungen Gebrauch, obwohl zwangsweise Rückführungen zu einer weiteren Destabilisierung der Region führen. Die Region ist weiterhin durch hohe Kriminalität, ethnische Gegensätze und politischen Extremismus gekennzeichnet. Durch die zu erwartende Per-spektivlosigkeit ist zu befürchten, dass Mädchen und Frauen in die Prosti-tution und Männer in die Kriminalität gezwungen werden.
Wir fragen die Landesregierung:
- Wie viele Personen der Minderheiten aus dem Kosovo leben derzeit mit einer Duldung in Niedersachsen (bitte getrennt nach Ashkali, Ägyptern, Roma auflisten)?
- Wie viele zwangsweise Rückführungen der Minderheiten der Ashkali und Ägypter plant die Landesregierung in den Zeiträumen bis Ende Juni, bis Ende Dezember und ab Januar 2006 in Niedersachsen mit wel-cher Begründung?
- Bei dem Rückführungsprozess der Roma sollen zunächst nur Straftäter abgeschoben werden. Ab September 2005 ist die Ausweitung des Personenkreises vorgesehen. Auf welchen Personenkreis wird die Landesregierung die Möglichkeit der zwangsweisen Abschiebung dann ausweiten, und mit wie vielen Abschiebungen ist in den jeweiligen Zeiträumen in Niedersachsen zu rechnen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Nach den gewalttätigen ethnischen Auseinandersetzungen im März 2004 hat sich die Situation im Kosovo nach Auskunft des UNHCR insgesamt wieder stabilisiert. Die Parlamentswahlen im Kosovo am 23.10.2004 haben in einer insgesamt friedlichen Atmosphäre stattgefunden und können als frei und fair bezeichnet werden. Gemessen an der Zahl schwerwiegender Verbrechen gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten hat sich die Sicherheitslage verbessert. Die ernsthaften Bemühungen der Selbstverwaltungsorgane im Kosovo bei der effektiven Umsetzung von Normen, insbesondere zum Umgang mit ethnischen Minderheiten, erlauben den Einstieg in die Rückkehr dieses Personenkreises. In Anerkennung der positiven Entwicklung der Sicherheitslage im Kosovo wurde mit UNMIK vereinbart, dass eine gestaffelte Rückführung mit ausreichender Vorlaufzeit für die in jedem Einzelfall durchgeführten Überprüfungen durch UNMIK erfolgt und der Rückfüh-rungsprozess laufend überprüft wird.
Als Ergebnis der Ende April dieses Jahres zwischen einer deutschen Delegation und Vertretern von UNMIK geführten Gespräche wird die Rückführung von Ashkali und Ägyptern wieder aufgenommen, wobei angestrebt wird, die zahlenmäßige Begrenzung auf 300 bzw. 500 Personen ab Januar 2006 entfallen zu lassen. Darüber hinaus wird UNMIK die Rücknahme von bundesweit 70 Roma in den Monaten Juli bis September 2005 prüfen, die zu einer Freiheitsstrafe von mindes-tens zwei Jahren oder mehreren Freiheitsstrafen von insgesamt mindestens zwei Jahren verurteilt worden und nicht schutzbedürftig sind.
Einer Rückkehr stehen weder Unterbringungsprobleme noch Fragen der existenzsichernden Grundversorgung entgegen. Trotz begrenzter Kapazitäten und teilweise zerstörter Infrastruktur im Kosovo ist es den bis jetzt zurückgekehrten ethnischen Albanern im Allgemeinen gelungen, Unterkunft zu finden, zum Teil in ihren ursprünglichen Häusern, zum Teil bei Freunden und Verwandten. Soweit Rückkehrer nicht bei ihren Verwandten unterkommen, müssen sie um einen Platz in einem Kollektivzentrum ersuchen. Nach Einschätzung des Deutschen Verbindungsbüros im Kosovo ist die Unterbringungssituation von Rückkehrern aus Deutschland weitgehend unpro-blematisch. UNMIK/IOM besitzen die Strukturen und Finanzmittel, um sich in den wenigen zu erwartenden Einzelfällen, in denen Obdachlosigkeit droht, dieser Personen anzunehmen.
Durch die Zivilpräsenz der UNO, die Aktivitäten von über 300 Hilfsorganisationen und die KFOR-Truppen wird ein Leben über dem Existenzminimum gewährleistet. Rückkehrer geraten nicht in eine ausweglose Situation, die zwingen würde, ihren Lebensunterhalt durch Prostitution oder Kriminalität zu sichern. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmittel ist gewährleistet. Nahrungsmittelhilfe und finanzielle Unterstützung für Bedürftigste erfolgt jetzt über das Sozialfürsorgesystem der gemeinsamen Übergangsverwaltung JIAS (Joint Interim Administrative Structure). Die Abteilungen für Gesundheit und Soziale Wohlfahrt überprüfen die Berechtigung zum Empfang von Sozialhilfe. Die Sozialhilfe erfasst Familien, die mittellos und nicht arbeitsfähig sind bzw. keine Arbeit finden können. Das Gesundheitssystem kann im Großen und Ganzen zufrieden stellende primäre Gesundheitsdienste und auch weitergehende Versorgung anbieten.
Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er u. a. einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Nach § 58 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist.
Angehörige der Ashkali und Ägypter werden auf Grund negativ abgeschlossener Asylverfahren oder sonstiger ausländerrechtlicher Verfügungen der Ausländerbehörden zurzeit geduldet, weil sie nicht freiwillig ausgereist sind und Abschiebungen aus tatsächlichen Gründen nicht möglich waren. Sie sind jedoch weiterhin vollziehbar ausreisepflichtig und müssen das Bundesgebiet verlassen. Die geduldeten Flüchtlinge wissen seit langem, dass sie in das Kosovo zurückkehren müssen. Nachdem jetzt eine zwangsweise Rückführung möglich ist, ist auch der Duldungsgrund entfallen. Wenn eine freiwillige Ausreise verweigert wird, müssen die niedersächsischen Aus-länderbehörden aufenthaltsbeendende Maßnahmen einleiten und die Ausreisepflicht zwangs-weise durchsetzen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
In Niedersachsen hielten sich am 30.04.2005 noch 8.438 ausreisepflichtige Flüchtlinge aus dem Kosovo auf, die derzeit noch geduldet werden, davon sind 145 Ägypter, 917 Ashkali, 5.755 Roma und 1.621 Angehörige anderer ethnischer Minderheiten.
Zu 2.:
Bis Ende Juni 2005 sind noch keine Rückführungen von Ashkali und Ägyptern geplant. Vorgesehen für eine zwangsweise Rückführung sind für den Zeitraum Juli bis 04.08.2005 bislang insgesamt 65 Ashkali. Weitere Planungen sind von den Anmeldungen der Ausländerbehörden abhängig, die noch nicht vorliegen.
Zu 3.:
Bislang sind 3 straffällige Roma zur Überprüfung der Rücknahme durch UNMIK bis Ende August 2005 angemeldet worden. Die beabsichtigte Ausweitung des Personenkreises ist ebenso wie eine zahlenmäßige Steigerung abhängig von der weiteren Entwicklung und wird nur im Einvernehmen mit UNMIK erfolgen. Daher ist vorläufig noch keine Prognose möglich, mit wie vielen Abschiebungen von Roma ab September 2005 zu rechnen sein wird. Zu Abschiebungen wird es im Übrigen nur dann kommen, wenn die Betroffenen nicht zu einer freiwilligen Ausreise bereit sind.
Artikel-Informationen
erstellt am:
24.06.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010