Widerspruchsverfahren
Sitzung des Nds. LT am 23.06.2005; TOP 32 Rede von Justizministerin Heister-Neumann in Vertretung von Innenminister Schünemann zum Antrag der Fraktion der SPD
Anrede,
dieser Entschließungsantrag entstammt einem Staatsverständnis des letzten Jahrhunderts. Und damit meine ich den Anfang des letzten Jahrhunderts. Der Umgang des Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern hat sich allerdings seit dieser Zeit entscheidend verändert. Die Bürgerinnen und Bürger wollen fehlerfreie Entscheidungen und sie wollen zeitnahe Reaktionen des Staates. Beides kann die Abschaffung der Widerspruchsverfahren in geeigneten Fällen fördern. Lassen Sie mich einige grundsätzliche Ausführungen dazu machen:
Seit Anfang des Jahres ist in Niedersachsen das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren in den meisten Rechtbereichen für fünf Jahre ausgesetzt. Die Landesregierung hat damit wichtige Voraussetzungen geschaffen für eine Beschleunigung der Verfahren innerhalb der Landes- und Kommunalverwaltung.
Mit der Abschaffung der Bezirksregierungen ist eine Behörde aufgelöst worden, die in hohem Maße mit der Bearbeitung von Vorverfahren im übertragenen Wirkungskreis der Kommunen beschäftigt war. Wir haben aus guten Gründen nicht vorgeschlagen, diese Aufgabe einfach umzuverteilen. Als Ergebnis der Aufgabenkritik, der wir auch die Widerspruchsverfahren unterzogen haben, ist festgestellt worden: Vorverfahren führen in den allermeisten Fällen nicht zu einer Änderung des Ausgangsbescheides. Der Anteil der Bescheide, die im Rahmen eines Vorverfahrens geändert wurden - die so genannte Abhilfequote - lag im Schnitt der Jahre 2002 und 2003 bei etwa 15 Prozent. Der Anteil der erfolgreichen Klagen gegen Ausgangsbescheide in der Fassung der bestätigenden Widerspruchsbescheide lag bei etwa 5 Prozent, in vielen Rechtgebieten bei null Prozent.
Diese Zahlen sind im Gesetzgebungsverfahren erörtert worden. Niemand, auch die SPD-Fraktion nicht, hat sie angezweifelt. Aus dieser Feststellung sind Konsequenzen zu ziehen. Das Vorverfahren ist zwar nicht fristlos und nicht formlos, aber leider sehr fruchtlos.
Die Zahlen besagen doch, dass die Ausgangsbescheide seit Jahren gut sind und deshalb im Vorverfahren Bestand haben. Manche kommunalen Vertreter haben mir berichtet, dass die sorgfältigen Nichtabhilfevermerke der Ausgangsbehörden von den Bezirksregierungen fast wortgleich als Widerspruchsbescheid verwendet werden konnten. Ich bin davon überzeugt, die Kommunalverwaltungen arbeiten hervorragend. In den wenigsten Rechtsgebieten bedürfen sie noch einer verwaltungsinternen Kontrolle.
Anrede,
die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen-Anhalt haben inzwischen viele Vorverfahren abgeschafft. Das Land Hessen hat einen Entwurf im parlamentarischen Verfahren, in dem nach dem Vorbild Baden- Württembergs die Vorverfahren gegen die Bescheide der Mittelinstanz abgeschafft werden und kommunale Vorverfahren einstufig ausgestaltet werden. Auch in den Ländern, die sich für die Erhaltung der Mittelinstanz entscheiden wollen, wird der teure Instanzenstaat zurück gedrängt.
Unstrittig ist: weder möchte der Bürger sofort klagen, noch will die Behörde sofort verklagt werden. Wir wissen auch, und die Zeit seit dem Jahreswechsel hat das bestätigt, dass die Behörden und die Bürgerinnen und Bürger nicht so phantasielos sind, wie die SPD- Fraktion offenbar glaubt. Die Kommunen haben die Bürgerinnen und Bürgern umfassend und offensiv über die neuen Be-schwerdemöglichkeiten informiert. Ihnen wurde geraten, anstatt zu klagen sich schriftlich oder telefonisch an die Behörde zu wenden, um gemeinsam Fehler auszuräumen. Seit der Abschaffung von Vorverfahren beraten die Behörden noch mehr, hören sorgfältiger an, ermitteln mehr und hören im Konfliktfall noch mehr zu. Dies ist Teil eines modernen Beschwerdemanagement, das von den Kommunen, aber auch von den Landesbehörden aufgebaut wird und das den veränderten Umgang von Bürgerinnen und Bürgern mit ihrem Staat auszeichnet.
Es gibt in dem modernen Beschwerdemanagement eben mehr als nur die förmlichen Rechtsbehilfe Widerspruch und Klage.
Die Landesregierung hat seit Herbst 2004 viele Kommunen, Behörden und Einrichtungen im Umgang mit der neuen Rechtslage eingehend beraten. Viele Verwaltungen unternehmen große Anstrengungen, um zeitraubende Konflikte zu vermeiden. Statt Konflikte auf die Gerichte zu delegieren, verändern sie ihren Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern und verbessern ihre Qualität.
Anrede,
manche Verwaltungsgerichte haben Zahlen veröffentlicht, dass die Klageverfahren zugenommen haben. Die Zahlen sind allerdings noch immer geprägt von Altverfahren, in denen es noch ein Vorverfahren gab. Zusätzliche Prozesse hat in 2005 auch neues Bundesrecht verursacht, ich nenne beispielsweise das neue Zuwanderungsgesetz. Aus anderen Ländern wissen wir, dass es nach einer solchen Reform zunächst einen beachtlichen Anstieg der Klageverfahren geben wird. Die Zahl der Klageverfahren wird sich aber auch stetig verringern. In Bayern hat sich die Zahl der Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz wieder auf das Niveau aus der Zeit vor der Reform verringert. Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Behörden haben sich dort auf die Rechtslage eingestellt. Das werden sie auch in Niedersachsen tun.
Wir wollen zwei Dinge tun:
Zum einen werden wir mittelfristig diese Entwicklung verfolgen und mit den betroffenen Stellen zusammen auswerten. Die Aussetzung des Vorverfahrens ist zu diesem Zweck befristet.
Zum anderen schlagen wir vor, durch Änderung der Gemeindeordnung und des Kommunalabgabengesetzes den Kommunen bei der Entwicklung ihres Beschwerdemanagements zu helfen. Sie sollen entscheiden dürfen, in besonders schwierigen oder streitigen Einzelfällen auf eine Rechtbehelfsbelehrung zu verzichten und so mehr Zeit für eine Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern zu erhalten.
Anrede,
wir werden unseren Weg, die niedersächsische Landesverwaltung zu modernisieren und leistungsfähiger zu gestalten, nicht verlassen. Ganz im Gegenteil, wir werden ihn weiterverfolgen mit klarem Kompass, Verlässlichkeit und großer Zuversicht im Hinblick auf den Erfolg unserer Politik. Den Weg in das letzte Jahrhundert, meine Damen und Herren von der SPD, werden Sie alleine anzutreten haben.
Artikel-Informationen
erstellt am:
23.06.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010
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