Zusammenarbeit von Polizei- und Ausländerbehörden
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 29.10.2004; Fragestunde Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Lennartz (Grüne)
Der Abgeordnete hatte gefragt:
In einer der letzten Veröffentlichungen des Wochenblattes DIE ZEIT beschäftigt sich das Blatt mit den Kompetenzen der Polizei, die nach dortiger Ansicht drei Jahre nach dem 11. September schon fast wie ein Geheimdienst arbeitet. DIE ZEIT berichtet, dass vom Frühjahr 2003 an die Landeskriminalämter fast aller Bundesländer an die Ausländerbehörden so genannte "Merkblätter zum Erkennen von potenziellen islamistischen Gewalttätern" verteilt hätten. Anhand eines als "Verschlusssache" eingestuften zweiseitigen Grobrasters sollten Mitarbeiter der Ämter bestimmte Treffer der Polizei melden. Die Merkmale, nach denen gesucht werden solle, sind u. a.: Reisetätigkeit, Passverlust, Namensänderung, Verbesserung des Aufenthaltsstatus oder selbst anwaltliche Vertretung. Die Merkmale sind vergleichbar mit denen bei der Rasterfahndung.
Ich frage die Landesregierung:
1. Hat das LKA Niedersachsen seit dem Frühjahr 2003 oder gar schon früher die "Merkblätter zum Erkennen von potenziellen islamistischen Gewalttätern" an Ausländerbehörden verteilt?
2. Welche Rechtsgrundlage sieht die Landesregierung für die Durchführung einer solchen Sammelaktion bei den Ausländerbehörden?
3. Wie viele Hinweise der Ausländerbehörden sind aufgrund dieser Sammelaktion bereits eingegangen, und wo werden die Ergebnisse gespeichert?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Erlauben Sie mir zur vorliegenden Anfrage die folgende Vorbemerkung:
Die Bedrohung der westlichen Welt durch den islamistischen Terrorismus hält unvermindert an.
Die von Tätern der Netzwerke arabischer Mudjahedin verübten Anschläge auf die Pendlerzüge in Madrid am 11.03.2004 verdeutlichen, dass mit Terrorakten auch in West-Europa gerechnet werden muss. Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gilt, dass es als Teil einem beinahe weltweiten Gefahrenraum zugerechnet werden muss.
Die Gefahrenabwehr ist seit jeher Aufgabe der Polizei. Zur Vorbereitung der Abwehr von Gefahren ist die Polizei insbesondere bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und unter Berücksichtigung der aktuellen Bedrohungssituation auf eine umfassende Erkenntnislage angewiesen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, müssen im Rahmen rechtlicher Möglichkeiten Informationen gewonnen, analysiert und bewertet werden.
Der Erkenntnisgewinnung über Strukturen, Potenzial, Logistik, Finanzierung, Aktivitäten, Planungen und Vorhaben islamistischer Extremisten und Terroristen kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu, um Anschlagsvorbereitungen möglichst frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Deshalb sind ergänzend zu gezielten gefahrenabwehrrechtlichen und strafverfolgenden Maßnahmen in einem breiten Ansatz die vielfältigen Möglichkeiten der Informationsgewinnung und –analyse auszuschöpfen.
Kennzeichnend für diesen Phänomenbereich ist, dass das Profil der Terroristen keine klaren Strukturen hat. Anstelle ideologisch fest gefügter Gruppen bestehen transnationale Netzwerke aus Glaubenskämpfern, Intellektuellen, Studenten und Gewerbetreibenden bis hin zu Kleinkriminellen. Neben dem Abtauchen in die Illegalität muss davon ausgegangen werden, dass potenzielle islamistische Gewalttäter im Rahmen alltäglicher Kontakte mit deutschen Behörden, u.a. auch bei Ausländerbehörden vorstellig werden.
Um potenzielle terroristische Personen und Strukturen erkennen zu können, bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Ausländerbehörden.
Vor diesem Hintergrund wurde zur Information und Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ausländerbehörden von den der Ständigen Konferenz der Innenminister und
–Senatoren des Bundes und der Länder nachgeordneten Gremien ein "Merkblatt für Ausländerbehörden zum Erkennen von potenziellen islamistischen Gewalttätern" entwickelt.
Mit Hilfe dieser Unterlage sollen Bedienstete von Ausländerbehörden in die Lage versetzt werden, Informationen anhand von Verdachtskriterien an die Polizei weitergeben zu können.
Die im Merkblatt beschriebenen Verdachtsmerkmale basieren auf dem Ergebnis der Auswertung bestehender Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zu islamistischen Personen und Strukturen.
Die Polizei verlangt von den Ausländerbehörden nicht die Übermittlung von personenbezogenen Daten aus Dateien zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen, wie dieses die sog. Rasterfahndung vorsieht.
Vielmehr werden Ausländerbehörden mittels der in Rede stehenden Merkblätter in die Lage gesetzt, auffällige Verhaltensweisen zu erkennen und die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten, wozu auch die Benachrichtigung bzw. Einbindung der Polizei gehört.
Mit dem Merkblatt wird keineswegs ein Generalverdacht gegen bestimmte ethnische Gruppen erzeugt. U.a. wird darauf hingewiesen, dass erst der Kombination bestimmter Kriterien bzw. Verdachtsmerkmale eine Bedeutung zukommt.
Bislang erfolgte in Niedersachsen keine Verteilung des Merkblattes, das zwischenzeitlich überarbeitet wurde. Die Neufassung liegt derzeit den zuständigen Gremien auf Bundesebene zur Beschlussfassung vor.
Im Anschluss daran ist auch in Niedersachsen die Verteilung des Merkblattes an die Ausländerbehörden vorgesehen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die mündliche Anfrage namens der Landesregierung
wie folgt:
Frage Nr. 1: Nein
Frage Nr. 2: § 41 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung regelt die Datenübermittlung zwischen Verwaltungs- und Polizeibehörden. Danach können die Verwaltungs- und Polizeibehörden untereinander personenbezogene Daten übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung der Aufgabe der Gefahrenabwehr erforderlich ist.
Frage Nr. 3: entfällt
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