Verwaltungsmodernisierung
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 24.06.2004; Dringliche Anfrage Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Dringliche Anfrage der Fraktion der SPD
Die Fraktion hatte gefragt:
Der CDU-Innenminister hat auf einer Pressekonferenz vom 15. Juni 2004 der Öffentlichkeit eine Folgekostenabschätzung zu der von der Landesregierung ohne vorherige Aufgabenkritik betriebenen Verwaltungsreform vorgestellt. Dabei hat er die Behauptung aufgestellt, das Land würde durch die Reform bereits im Jahr 2005 Einsparungen in Höhe von 36,5 Millionen Euro verzeichnen können. Wie die Braunschweiger Zeitung und die Nordwest-Zeitung vom 17. Juni 2004 berichten, ist der Innenminister in der Pressekonferenz auch nach wiederholtem hartnäckigen Nachfragen bei seinen Zahlen geblieben. Aus der Kabinettsvorlage zu den Folgekosten der Verwaltungsreform geht jedoch hervor, dass die Landesregierung mit unterschiedlichen Zahlenwerken operiert. Der Öffentlichkeit präsentierte der Innenminister in seiner Pressekonferenz lediglich eine fiktive Kalkulation, in die u. a. Pensionslasten und Sachkostenpauschalen für Stellen eingerechnet worden sind, ohne dass diese überhaupt anfallen. Der Innenminister hat die um diese Verzerrungsfaktoren bereinigten, für ihn weit weiniger vorteilhaften Berechnungen der Öffentlichkeit vorenthalten. Damit erscheint seine Reform in einem besseren Licht. Die während der Pressekonferenz verteilten Materialien des Innenministeriums enthalten nicht einmal einen Hinweis auf die Existenz abweichender Berechnungen.
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
1.Wie erklärt die Landesregierung den Widerspruch zwischen den vom Innenminister der Öffentlichkeit präsentierten Berechnungen, nach de-nen die Verwaltungsreform bereits im Jahr 2005 zu Einsparungen in Höhe von 36,5 Millionen Euro führen wird, und den in der Kabinettsvorlage enthaltenen Berechnungen, nach denen es im Jahr 2005 zu Einsparungen von lediglich 523 080 Euro kommen soll?
2.Warum hat es der Innenminister unterlassen, in seiner Pressekonferenz auf die unterschiedlichen Berechnungsergebnisse zu verweisen, und sich ausschließlich darauf beschränkt, die Berechnung der Öffentlichkeit zu präsentieren, die seine Verwaltungsreformbemühungen im besten Licht erscheinen lassen?
3.Der Innenminister hat bei der von ihm präsentierten Folgekostenabschätzung sämtliche Kosten ausgeblendet, die durch die Umorganisation der Polizei, des Brand- und Katastrophenschutzes, des Landesbetriebs für Straßenbau und Verkehr, der Hafenämter, der dem Umweltministerium nachgeordneten Bereiche und des Landesamts für Statistik sowie - z. B. infolge der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens - für den Bereich des Justizministeriums entstehen werden. Wie stellen sich die finanziellen Auswirkungen der Verwaltungsreform auf den Landeshaushalt unter Einbeziehung dieser Bereiche dar?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Dringliche Anfrage wie folgt:
Anrede,
mit der Regierungserklärung "Verwaltungsmodernisierung in Niedersachsen" und der sich anschließenden Debatte sind die meisten Fragen der Dringlichen Anfrage der Fraktion der SPD beantwortet worden. Uns verbindet seit gestern ein gemeinsames Wissen, dass für die Finanzfolgenabschätzung von Gesetzen Berechnungen anzustellen sind. Es reicht allerdings nicht aus, nur die Folgewirkungen zu beschreiben, die in Form von Ausgaben im Haushalt sichtbar werden. Uns verbindet seit gestern das gemeinsame Wissen, dass die Verwaltung wie ein Wirtschaftsbetrieb gehalten ist, alle entstehenden Kosten und Mindereinnahmen aufzuzeigen. Erst durch diese betriebswirtschaftliche Sicht können Investitionen oder Gesetzesvorhaben abgeschätzt werden. Das bedeutet: Neben den direkten Personalausgaben sind u.a. Beihilfen, personalbezogene Sachkosten, Personalgemeinkosten, Versorgungszuschläge, kalkulatorische Abschreibungen und Zinsen zu berücksichtigen. Erst damit werden der Ressourcenverbrauch und der finanzpolitische Handlungsspielraum des Landes ausgeleuchtet, erst damit können die erforderlichen Entscheidungen getroffen werden. Mit seinem Beschluss vom 18.6.1997 hat genau das der Landtag eingefordert und Weitsicht bewiesen.
Ich bin gerne bereit, erneut einige grundsätzliche Anmerkungen auszuführen, ehe ich die drei Fragen beantworte:
Zur Ermittlung der Folgekosten der Verwaltungsreform hat das Innenministerium eine Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) durchgeführt. Grundlage für die am 15.06.04 im Kabinett vorgelegte GFA sind die Vorläufigen Grundsätze für die Durchführung von Gesetzesfolgenabschätzungen vom 15.4.1998. Für die Berechnungen wurden die aktualisierten Tabellen für standardisierte Kostengrößen für die Durchführung von Gesetzesfolgenabschätzungen angewandt. Ich frage mich, warum sich die SPD nicht an dieses ausgezeichnete Instrument erinnert, dass sie in ihrer Regierungszeit verabschiedet hat? Die gestrige Debatte anlässlich meiner Regierungserklärung hat allerdings meine Zweifel bestärkt, dass die SPD-Fraktion bereit ist, die Unterschiede von Ausgaben und Kosten zu akzeptieren.
Bei unserer Diskussion wird ein Problem deutlich, das im Rechnungswesen der Verwaltung, der Kameralistik, begründet ist. Im Haushaltplan wird nur mit Einnahmen und Ausgaben gerechnet. Eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung wie bei einer GFA verlangt dagegen eine Rechnung mit Kosten und Erlösen. Für jedes Unternehmen und jeden Betrieb ist die kaufmännische Buchführung eine Selbstverständlichkeit und Grundlage für wirtschaftliche Entscheidungen. Auch der Landesrechungshof wendet bei den wirtschaftlichen Berechnungen diese Methodik an und geht von den standardisierten Personalkostensätzen des MF aus.
Die damalige SPD-Landesregierung hat im Jahr 1999 eine Broschüre herausgegeben. Sie trägt den Titel "Die Staatsmodernisierung kommt voran – Niedersachsen auf Gegenseitigkeit". Dort ist für jeden verständlich – wie ich finde – gut formuliert und ich zitiere deswegen daraus:" Wie soll ein Finanzamt Gebäudekosten sparen, wenn es für sein Gebäude überhaupt nicht zu bezahlen braucht? Das bisherige Haushaltssystem gibt auf diese Fragen keine Antwort. Da seine Grundsätze noch aus einer Zeit stammen, da staatliche Gelder von oben zugeteilt wurden, verzeichnet es zwar Ausgaben, setzt sie aber in keinerlei Beziehung zu den Leistungen. Zudem bildet es von den echten Kosten nur rund 70 Prozent ab: Abschreibungen, kalkulatorischen Zinsen, Wertverlust, von anderen Behörden bezogene Leistungen – all diese Posten kennt der herkömmliche Haushalt nicht. Das Verhältnis von Kosten und Leistungen kann aber nur verbessern, wer die Kosten kennt. Und im Detail weiß, wo sie entstehen. Kern der neuen Steuerungsinstrumente ist es daher, die Kameralistik, das traditionelle Haushaltssystem, durch ein neues Rechnungswesen zu ergänzen."
Ich hoffe, liebe SPD-Fraktion, dass Ihre eigenen Ausführungen Sie auch heute noch genauso kraftvoll überzeugen wie 1999.
Anrede,
aus gutem Grund hat die Vorgängerregierung im Jahr 2000 das Projekt Leistungsorientierte Haushaltswirtschaft Niedersachsen (LoHN) initiiert. Dadurch soll mehr betriebswirtschaftliches Denken in der Verwaltung verankert und das Rechnungswesen durch die Kosten- und Leistungsrechnung ergänzt werden. Zusätzlich zu den Einnahmen und Ausgaben im Haushalt sollen Kosten und Leistungen ermittelt und ausgewiesen werden. Im kommunalen Bereich geht man noch einen Schritt weiter. Dort wird in den nächsten Jahren die kaufmännischen Buchführung eingeführt wird. Das Land Hessen z. B. stellt ebenfalls sein Rechungswesen auf diese Grundlage um.
Alles was in der GFA enthalten ist, Zahlenwerk, Methoden und Rechenverfahren, wurde offen gelegt, dem Parlament als Drucksache übermittelt und der Öffentlichkeit im Internet zugänglich gemacht (unter www.niedersachsen.de).
Dies vorausgeschickt beantworte ich die Fragen wie folgt. Um Wiederholungen zu vermeiden, möchte ich mich kurz fassen:
Zu 1.:
Es besteht kein Widerspruch zwischen den Zahlen, sondern es handelt sich um zwei verschiedene Betrachtungsweisen: Die Summe 36,6 Mio. € stellt das rechnerische Gesamtergebnis der Finanzfolgenabschätzung, d.h. Einsparungen auf der Basis von Kosten für das Jahr 2005 dar. In der GFA sind allerdings zusätzlich die voraussichtlichen haushaltsmäßigen Auswirkungen aufgezeigt worden. Die zweite Summe 523 080 € sagt daher aus, wie sich die Ausgabenreduzierung auf den Landeshaushalt in 2005 entwickeln wird. Eine Betrachtung der Ausgabenentwicklung führt zwangsläufig zu niedrigeren Ergebnissen als eine betriebswirtschaftliche Berechnung.
Zu Frage 2 möchte ich auf meine Ausführungen in meiner Regierungserklärung vom gestrigen Tag verweisen. Sie waren umfassend, dem ist nichts hinzuzufügen.
Zu 3.:
Wie in der Vorlage erwähnt, sind die Bereiche nicht in die GFA einbezogen, die eine eigene GFA vorlegen bzw. deren Planungsstand für die Einbeziehung in die GFA noch nicht soweit fortgeschritten war. Dazu zählen auch die in der Dringlichen Anfrage benannten Aufgabenbereiche. Ohne den noch durchzuführenden Gesetzesfolgeabschätzungen oder Feinkonzepten für die benannten Aufgabenbereiche vorgreifen zu wollen, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich bei Einbeziehung dieser Bereiche weitere Einsparungen einstellen werden.
Abschließend möchte ich zu der Reform der Polizei anmerken: Die Reform der Polizei hat eine andere Ausrichtung als die Modernisierung der Verwaltung. Sie ist nicht Gegenstand der Zielvereinbarung II, in der die Einsparpotentiale festgelegt worden sind, und wäre auch ohne Auflösung der Bezirksregierungen eingeleitet worden. Daher wird es eine gesonderte Darstellung der finanziellen Auswirkungen der Polizeireform geben.