Nds. Ministerium für Inneres und Sport Niedersachsen klar Logo

Angehörige von Minderheiten aus dem Kosovo

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 28.05.2004; Fragestunde Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Langhans (GRÜNE) Es gilt das gesprochene Wort!


Die Abgeordnete hatte gefragt:

Mitte März 2004 kam es zu einem erneuten Aufflammen der Gewalt zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im Kosovo. Insbesondere die Minderheiten wie Roma, Ashkali, Serben, sowie Gorani und Bosniaken wurden zum wiederholten Male aus ihren Häusern vertrieben, bzw. diese wurden über ihren Köpfen angezündet. Allein in der Stadt Vucitrn wurden nach Angaben von Pax Christi 50 bis 60 Häuser der Ashkali zerstört und 258 Personen vertrieben, die sich immer noch in einem französischen Militärlager der KFOR in Zelten aufhalten. Zum Teil handelt es sich hierbei um im letzten Jahr aus Nordrhein-Westfalen abgeschobene Familien mit minderjährigen Kindern. Diese wollen nun nicht in ihre Stadt zurück und haben jedes Vertrauen in einen Schutz durch die UNMIK verloren. Erst nach kurzfristiger Verstärkung der KFOR-Truppen wurden diese in Zusammenarbeit mit UNMIK wieder Herr der Lage. Allerdings beurteilt der UNHCR in seinem aktuellen Lagebericht die Lage als wieder so instabil wie 1999 und sieht die Gefahr erneuter innerethnischer Zusammenstöße.

Auch fünf Jahre nach Beendigung des Krieges ist keine politische Lösung für den Kosovo gefunden worden, die soziale und wirtschaftliche Lage verschlechtert sich zusehends, so stieg die Arbeitslosigkeit auf inzwischen 70 %, in Mitrovica sogar auf 85 %. Eine Lösung der ethnischen Konflikte ist vor diesem Hintergrund nicht in Sicht. Auch General Klaus Reinhard, ehemaliger Oberbefehlshaber der KFOR, sieht in einem Interview im Deutschlandfunk vom 30. April 2004 die Gefahr für die ethnischen Minderheiten als nicht gebannt an, solange die Frage des politischen Status weiter offen gehalten wird und sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht verbessern.

Angesichts dieser Lage stellt sich die Frage des weiteren Umgangs mit den seit vielen Jahren hier lebenden Angehörigen von Minderheiten aus dem Kosovo. Teilweise seit über zehn Jahren leben sie nun hier mit so genannten Kettenduldungen, die eine Abschiebung von Monat zu Monat aussetzen. Kinder sind hier geboren bzw. aufgewachsen und integriert. Die Antwort auf eine Frage nach einer Lebensperspektive - insbesondere für die Jugendlichen - ist mehr als berechtigt.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Das so genannte Memorandum of Understanding sieht eine teilweise Rückführung von Angehörigen bestimmter Minderheiten in einzelne Regionen des Kosovo vor. Wie bewertet die Landesregierung diese Vereinbarung im Hinblick auf die aktuelle sicherheits- und sozialpolitische Entwicklung im Kosovo?

  2. Hält sie es für notwendig, die Rückführungen von Angehörigen aller Minderheiten in den gesamten Kosovo langfristig nicht durchzuführen, um Gefahr für Leib und Leben dieser Menschen auszuschließen? Wenn nein, warum nicht?

  3. Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund der andauernden instabilen Lage im Kosovo die Forderung nach einer Altfallregelung für langjährig hier lebende Angehörige von Minderheiten aus dem Kosovo durch die Innenministerkonferenz, um den Menschen endlich eine Perspektive für sich und ihre Familien zu schaffen?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

In der Anfrage wird darauf verwiesen, dass Mitte März dieses Jahres im Kosovo insbesondere die Minderheiten wie Roma, Ashkali, Serben, Gorani und Bosniaken zum wiederholten Male aus ihren Häusern vertrieben worden seien. Diese Angaben bedürfen der erläuternden Ergänzung: Tatsächlich ist es so, dass die Gewalt von der albanischen Volksgruppe ausging und sich ganz überwiegend gegen serbische Volkszugehörige und serbischsprachige Roma richtete. In geringerem Ausmaß waren auch albanischsprachige Roma, Ashkali und Ägypter betroffen. Andere Minderheitenangehörige (Bosniaken, Türken, Gorani) waren von den Gewaltausbrüchen nicht betroffen. Bei den Opfern der Gewaltausbrüche handelte es sich ausschließlich um Serben und Albaner.

Der in der Anfrage zitierte General Klaus Reinhard, ehemaliger Oberbefehlshaber der KFOR, hat in dem angesprochenen Interview unter Hinweis auf entsprechende Beispiele beschrieben, dass ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen im Kosovo möglich ist und be-reits heute praktiziert wird. Auch während der Auseinandersetzungen im März 2004 ist es zu positiven Zeichen gekommen, als Albaner katholischer Konfession sich in einem Ort schützend vor die Serben stellten, so dass es dort nicht zu Übergriffen gekommen ist. Auch nach Auffas-sung von UNMIK sind im Kosovo keineswegs alle Minderheitsangehörigen gefährdet.

In Niedersachsen halten sich noch mehr als 8.500 ausreisepflichtige Flüchtlinge aus dem Kosovo auf, die derzeit noch geduldet werden, davon 163 Serben und 7.070 Angehörige anderer ethnischer Minderheiten. Viele von ihnen leben seit etlichen Jahren in Deutschland. Unter Berücksichtigung dieses langjährigen Aufenthalts und der in vielen Fällen eingetretenen sozialen und wirtschaftlichen Integration haben die Innenminister und –senatoren der Länder bereits im Mai 2001 eine Bleiberechtsregelung für erwerbstätige Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien beschlossen. Diese Regelung begünstigte alle Flüchtlinge, die sich seit Februar 1995 in Deutschland aufhielten und seit mindestens zwei Jahren ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit bestreiten konnten. Aufgrund dieser Regelung haben 1.174 Personen ein Aufenthaltsrecht erhalten. Die Duldungen derjenigen Minderheitenangehörigen, die die Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung nicht erfüllten, wurden jeweils für mehrere Monate verlängert, so dass bei ihnen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht an einer nur kurzfristigen Duldungserteilung gescheitert sein kann. Auch Jugendlichen war und ist es möglich, eine Aus-bildung zu beginnen und auch zu beenden, wenn gewisse Mindestvoraussetzungen vorliegen. Allerdings sind für die Aufnahme von Erwerbstätigkeiten und Ausbildungen Erlaubnisse der Arbeitsverwaltung notwendig, die nur erteilt werden können, wenn keine deutschen oder andere bevorrechtigte Arbeitnehmer zur Vermittlung zur Verfügung stehen. An diesem Grundsatz muss auch angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen und der fehlenden Ausbildungsplätze festgehal-ten werden. Die geduldeten Flüchtlinge wissen, dass sie in das Kosovo zurückkehren müssen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:

Im Memorandum of Understanding vom 31.03.2003, das Bundesinnenminister Schily mit dem seinerzeit amtierenden UNMIK-Sonderbeauftragten Steiner abgeschlossen hat, ist vereinbart worden, Angehörige der ethnischen Gruppen der Türken, Bosniaken, Gorani, Torbesch, Ashkali und Ägypter zurückzuführen. Roma und Serben sind von der zwangsweisen Rückführung aus-genommen. Innerhalb der ersten zwölf Monate sollten bundesweit bis zu 1.000 Personen rückgeführt werden. Für Angehörige der Ashkali und Ägypter wurde ein besonderes Prüfverfahren (sog. Screening) vereinbart. Dieses Verfahren wendet UNMIK auch bei den anderen Minderheitenangehörigen an und besteht dabei darauf, dass sie nur in ihren letzten Wohnort vor der Ausreise zurückgeführt werden. Dementsprechend wird die Situation im Herkunftsort der betroffenen Flüchtlinge durch UNMIK in jedem Einzelfall genau überprüft. Es hat sich gezeigt, dass UNMIK dieses Verfahren äußerst sorgfältig durchführt. Bereits deshalb ist gewährleistet, dass kein in das Kosovo zurückgeführter Flüchtling einer akuten Gefährdung ausgesetzt wird. Von daher begegnen die Rückführungen nach diesem Abkommen keinen Sicherheitsbedenken.

Zu 2.:

Nein. Die Sicherheitslage im Kosovo stellt sich für die einzelnen Volksgruppen in unterschiedlichen Städten sehr differenziert dar. Für jeden Angehörigen einer ethnischen Gruppe ist es möglich, eine Stadt oder einen Ort zu finden, in dem seine Volksgruppe die Mehrheit darstellt und er dort in relativer Sicherheit leben kann. Darüber hinaus sind nicht alle Minderheitengruppen in gleichem Maße gefährdet; insbesondere Gorani und Bosniaken waren nicht direktes Ziel der Aggressionen. Die Landesregierung bewertet das Abkommen deshalb grundsätzlich positiv, wenn auch Verbesserungen noch möglich und wünschenswert sind. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass UNMIK derzeit aufgrund der Vorfälle vom März dieses Jahres bis auf weiteres kein Screeningverfahren für Minderheitenangehörige mehr durchführt. Die Rückführung dieses Personenkreises wird also ohnehin erst wieder aufgenommen, wenn auch für UNMIK keine Sicherheitsbedenken mehr bestehen.

Zu 3.:

Eine Bleiberechtsregelung für Flüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien, von der auch die Angehörigen der Minderheiten aus dem Kosovo begünstigt waren, hat es erst vor drei Jahren gegeben. Sollte die weitere Entwicklung im Kosovo entgegen den bisherigen Hoffnungen und Erwartungen ergeben, dass die ethnischen Vertreibungen trotz aller gegenteiligen Bemühungen der Völkergemeinschaft nicht beendet werden und deshalb weder die freiwillige Rückkehr noch die zwangsweise Rückführung bestimmter Minderheitsangehöriger in absehbarer Zeit möglich sein, bietet das geltende Ausländerrecht mit den Regelungen in § 30 AuslG die Möglichkeit, nach Einzelfallprüfung den Aufenthalt zu legalisieren, ohne dass es einer Altfallregelung bedarf.

Presseinformationen Bildrechte: Land Niedersachsen
zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln