Nationale Küstenwache
Sitzung Nds. LT am 11.03.2004; TOP 16 Innenminister Schünemann beantwortet Mdl. Anfr. der Abg. Buß, Fleer, Hasse, Johannßen, Plaue, Wolfkühler und Pickel (SPD) Es gilt das gesprochene Wort!
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat am 13. Januar 2004 einen Antrag (Drs. 15/2337) mit der Forderung nach einer einheitlichen nationalen Küstenwache mit folgendem Wortlaut eingebracht:
"Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, alle rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Schaffung einer nationalen Küstenwache in eigenständiger Form mit allen Zuständigkeiten zur Gefahrenerforschung und -abwehr auf See zu schaffen und dem Deutschen Bundestag einen entsprechenden Gesetzesentwurf schnellstmöglich zuzuleiten.
Die örtliche Zuständigkeit der neu zu schaffenden Körperschaft erstreckt sich auf alle deutschen Hoheitsgewässer, einschließlich des bisher im Zuständigkeitsbereich der Länder liegenden Küstenmeeres. Die sachliche Zuständigkeit erstreckt sich auf die Erforschung und Abwehr aller Gefahren auf See, insbesondere auf Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs, für externe Gefahren auf den Seeverkehr und die Umwelt, auf die Überwachung und Abwehr von Terror, den polizeilichen Grenzschutz, Überwachung des Fischfangs, die Ein- und Ausfuhr von Waren etc.
Bei der Schaffung der Organisationsstrukturen sind die Anforderungen der Europäischen Agentur für Seesicherheit und deren zukünftiger Ausbau zu einer europäischen Küstenwache zu berücksichtigen.
Für terroristische Angriffe von See, zu deren Abwehr die Mittel der Küstenwache nicht ausreichen, bedarf es einer Einsatzmöglichkeit der Bundesmarine. Solch ein Einsatz der Bundesmarine zur Abwehr von terroristischen Gefahren muss im Rahmen einer noch vorzulegenden Gesamtverteidigungskonzeption auf eine gesicherte Rechtsgrundlage gestellt werden."
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
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Welche Position hat sie zu diesem Antrag?
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Welche Kompetenzen würde das Land an den Bund verlieren, wenn das von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geforderte Gesetz wirksam würde?
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Welche Position haben die anderen norddeutschen Küstenländer nach dem Kenntnisstand der Landesregierung zur Frage einer nationalen Küstenwache?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage wie folgt:
zu 1.:
Die Schaffung einer Küstenwache unter Leitung des Bundes würde eine Grundgesetzänderung erforderlich machen, ohne dass ein Sicherheitsgewinn gegenüber dem von Niedersachsen und den Küstenländern propagierten Modell eintreten würde.
Die Landesregierung sieht derzeit keinen Anlass, die verfassungsmäßige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern für den Bereich des Küstenmeeres in Frage zu stellen und Zuständigkeiten der Polizei, die neben dem Kultusbereich die Kernkompetenz im föderalen System abbildet, ohne zwingende Notwendigkeit auf eine Bundesbehörde zu übertragen.
Komplexe Situationen, die die Zuständigkeit mehrerer Behörden / Institutionen berühren, kom-men überall vor und sind kein Exklusivtatbestand für die See. Die Kompetenzverteilung im maritimen Bereich ist nur ein Spiegelbild der bestehenden Aufgabenvielfalt, die in jeder modernen Verwaltung durch jeweils spezialisierte Behörden wahrgenommen wird. Hier unterscheidet sich der Seebereich nicht grundsätzlich von der Aufgabenwahrnehmung an Land, wo noch niemand die Zusammenlegung aller Ministerien und Behörden zu einer einzigen Verwaltungseinheit gefordert hat.
Behördenübergreifendes Verwaltungshandeln wird im Allgemeinen durch Koordinierung und nicht durch Zusammenlegung von Verwaltungseinheiten gelöst. Insbesondere werden Schnittstellenprobleme nicht bereits durch Schaffung einer großen Behörde behoben. Sie würden nur in diese Behörde übertragen und machen sie schwer lenkbar, zumal wenn die Aufgaben der einzelnen Behördenteile zumindest im Alltagsgeschäft wenige Gemeinsamkeiten aufweisen. So haben z.B. der Zoll oder der BGS mit dem Brandschutz, der Schadstoffbekämpfung, der Lebensrettung, den schifffahrtspolizeilichen Vollzugsaufgaben, dem Naturschutz und der Fischereiaufsicht im Alltagsbetrieb wenig zu tun. Sie haben im wesentlichen Berührungspunkte zur Polizei. Gemeinsam ist den genannten Institutionen lediglich, dass sie auf See tätig sind und dort bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit auch Informationen erhalten, die für andere Behörden von Nutzen sein können.
Die Landesregierung verfolgt daher einen anderen Ansatz, der ohne Grundgesetzänderung zu einer effizienten und effektiven Aufgabenerledigung kommt.
Die Landesregierung ist bestrebt, die polizeilichen Aufgaben in einer möglichst optimalen Weise zu bündeln. Die Länder nehmen im Küstenmeer (12 –Meilenzone) neben den allgemein-polizeilichen Vollzugsaufgaben die ihnen vom Bund als originäre Aufgabe übertragenen schifffahrtspolizeilichen Vollzugsaufgaben wahr. Mit der Einrichtung einer gemeinsamen Leitstelle der Wasserschutzpolizei (WSP) in Cuxhaven haben die Küstenländer bereits eine sehr gute Basis für die Koordinierung ihrer Ressourcen geschaffen. Hier werden Informationen gesammelt und die Boote auf Grund von Ländervereinbarungen nach einem Rahmenplan koordiniert. Dieser Weg muss weiter beschritten werden. Die Landesregierung setzt sich nachhaltig dafür ein, die WSP-Leitstelle zu einem echten Lage- und Führungszentrum mit umfassenden Einsatzbefugnissen auszubauen, mit dem Ziel dort zumindest alle originär länderpolizeilichen sowie die übertragenen schifffahrtspolizeilichen Vollzugsaufgaben in einer einzigen Leitzentrale für Nord- und Ostsee zu bündeln. Durch die enge Verzahnung mit der im selben Hause angesiedelten Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes wären damit ca. 80-90% der Alltagstätigkeit zentral erfasst. Das Bundesinnenministerium wurde aufgefordert, den BGS als gleichberechtigtes weiteres Mitglied mit entsprechender Aufgabenübertragung auf vertraglicher Basis in die WSP–Leitstelle einzugliedern. Dies könnte gegebenenfalls auch auf den Zoll ausgedehnt werden, so dass dann alle thematisch zusammengehörenden polizeilichen Aufgaben zentral erfasst wären.
Für die besondere Situation einer Katastrophe oder komplexen Schadenslage ist eine einheit-liche Führungsverantwortung durch das Havariekommando bereits geschaffen worden. Durch die Verzahnung zwischen WSP-Leitstelle und Havariekommando ist ein enger Informationsverbund sowie ein lückenloser Übergang vom Alltagsgeschäft zum Notfallmanagement sichergestellt.
Ein Regelungs- und/oder Organisationsdefizit, das nur durch eine einheitliche Küstenwache zu beseitigen wäre, ist nach alledem nicht erkennbar.
Dem Bund bleibt es im Übrigen unbenommen, seine Kompetenzen im Wege eines einfachen Kabinettsbeschlusses zusammenzufassen, bevor die Übernahme von Länderkompetenzen erfolgt, für die eine Grundgesetzänderung erforderlich ist.
Im Rahmen der Terrorismusabwehr sind Szenarien denkbar, die den Einsatz der Deutschen Marine erforderlich machen könnten. Die Landesregierung spricht sich gegen eine Aufrüstung der Polizei mit militärischen Einsatzmitteln aus. Dementsprechend haben sich die Innenminister der norddeutschen Küstenländer darauf verständigt, die bestehenden Möglichkeiten der Deutschen Marine zu sondieren und mit BMV und BMI abzustimmen.
Kooperationen mit den Küstenländern gibt es auch im nichtpolizeilichen Bereich, so z. B. im Bereich der Fischereiaufsicht. Niedersachsen nimmt aufgrund eines Staatsvertrages die Aufgaben der Fischereiaufsicht im Küstenmeer auch für Bremen wahr. Zurzeit werden Verhandlungen mit Hamburg geführt, diesem Vertrag beizutreten.
zu 2.:
Nach dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag würde das Land alle Zuständigkeiten zur Gefahrerforschung und –abwehr auf See an den Bund verlieren. Die Aufgaben der allgemeinen und besonderen Gefahrenabwehr im Küstenmeer nehmen gemäß Art. 30 GG grundsätzlich die Länder wahr. Es handelt sich um Aufgaben der allgemeinen Gefahrenabwehr nach dem Nds. SOG einschließlich der Verhinderung von Straftaten. Im Bereich der besonderen Gefahrenabwehr wären die Fischereiaufsicht und naturschutzrechtliche Aufgaben ebenso betroffen wie wasserwirtschaftliche Aufgaben aufgrund des Niedersächsischen Wassergesetzes und des Wasserhaushaltsgesetzes, Aufgaben nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz sowie dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Auch die vom Bund auf die Länder übertragenen schifffahrtspolizeilichen Vollzugsaufgaben (Abwehr von Gefahren, die von der Schifffahrt ausgehen), würde das Land an den Bund verlieren.Generell werden Fragen der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in der Föderalismuskommission beraten.
zu 3.:
Die anderen vier Küstenländer vertreten wie Niedersachsen die Auffassung, dass das Havariekommando ein wichtiges Instrument der maritimen Notfallvorsorge ist. Sie verfolgen gemeinsam mit Niedersachsen den oben geschilderten Ansatz einer ständig fortentwickelten Kooperation auf polizeilicher Ebene unter Einbeziehung des Bundes. Die Konferenz der Innenminister und –senatoren der norddeutschen Küstenländer (IMK-Nord) hat dementsprechend am 5.3.2004 einstimmig den Ausbau der WSP-Leitstelle zu einem Maritimen Führungs- und Lagezentrum begrüßt und angeregt, dass sich der Bund an der WSP-Leitstelle beteiligt. Die IMK-Nord hat an den Bund appelliert, eine Zuständigkeitsregelung zwischen den Bundesressorts herbei zu führen, auf deren Basis eine weitergehende Zusammenarbeit mit den Ländern geprüft werden kann.
Schleswig-Holstein nimmt allerdings insoweit eine Sonderstellung ein, als von dort eine weitgehende Verlagerung der Länderkompetenzen im Küstenmeer auf den Bund mit dem Ziel einer einheitlichen Deutschen Küstenwache angestrebt wird.