Neofaschismus im Landkreis Stade
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 20.02.04; Fragestunde Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Hans-Albert Lennartz und Hans-Jürgen Klein (GRÜNE)
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Einem Bericht der tageszeitung zufolge konnten in Buxtehude am 12. Januar 2004 und 13. Januar 2004 zwei Veranstaltungen zum Thema Neofaschismus nicht stattfinden, weil Neonazis aus der niedersächsischen Region Präsenz zeigten. Der Informationsabend "Neofaschismus im Landkreis Stade" wurde von den Veranstaltern aus Sicherheits gründen abgesagt, weil Neonazis ihr Kommen angekündigt hatten und am Veran-staltungsort anwesend waren. Bereits am Vortag wurde eine Diskussionsveranstaltung zur Ausstellung "Neofaschismus in der Bundesrepublik" abgebrochen, weil Mitglieder der NPD und der "Jungen Nationaldemokraten" im Publikum saßen. Eine Vertreterin der organisierenden Schülerinitiative des Gymnasiums Halepaghen begründete dies mit dem Hinweis, man wolle solchen Kadern kein Forum geben. Der Abbruch der Diskussion rief offenbar das Missfallen eines anwesenden Staatsschützers hervor, der den Diskutierenden empfahl, mit denen (gemeint waren die Neofaschisten) doch zu reden. Gegenüber der tageszeitung gab der Beamte zu, von der Gegenmobilisierung gewusst zu haben. Die Veranstalter wurden jedoch nicht darüber informiert. In einem verteilten Flugblatt war von den "Jungen Nationaldemokraten" angekündigt worden, dass sie sorgfältig registrieren und archivieren wollen, wer gezielte Infos über vermeintliche Nazi-Funktionäre verbreite. Die Schülerinitiative will ihre Veranstaltung nun zu einem späteren Zeitpunkt durchführen.
Wir fragen die Landesregierung:
1.Welche Erkenntnisse besitzt sie über neofaschistische Aktivitäten im Landkreis Stade, und wie begegnet sie ihnen?
2.Wie begründet sich aus ihrer Sicht die Aufforderung des anwesenden Staatsschutzes, die Debatte weiterzuführen und so den Neofaschisten ein öffentliches Forum zu bieten?
3.Aus welchen Gründen ist es aus ihrer Sicht angebracht, die veranstaltende Schülerinitiative nicht von der Gegenmobilisierung der Neofaschisten zu informieren, obwohl diese damit drohten, Informationen über die Veranstalter zu sammeln?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage wie folgt:
Am 07.01.2004 berichtete das Buxtehuder Tageblatt über eine Wanderausstellung "Neofaschismus in der Bundesrepublik", die in der Zeit vom 12.01. bis zum 16.01.2004 in der Halepaghenschule Buxtehude stattfinden sollte. Parallel dazu waren zwei Veranstaltungen für den 12.01. und 13.01.2004, jeweils 19.30 Uhr, in den Räumen der Volkshochschule (VHS) Buxtehude angekündigt. Für den 12.01.2004 war eine öffentliche Podiumsdiskussion unter dem Thema "Neofaschismus/Rechtsextremismus – eine Gefahr für die Gesellschaft?" und am 13.01.2004 ein Referat über den "Neofaschismus im Landkreis Stade" vorgesehen.
Nach polizeilicher Einschätzung konnte auf Grund der Presseveröffentlichung nicht ausgeschlossen werden, dass Personen der rechtsextremistischen Szene die Veranstaltung für einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt nutzen könnten. Deshalb nahm ein Mitarbeiter des für den Staatsschutz zuständigen Fachkommissariates der Polizeiinspektion Stade Kontakt zum Leiter des Halepaghengymnasiums und zum Leiter der VHS Buxtehude auf. Am Veranstaltungstag (12.01.) fanden nochmals persönliche Gespräche mit den beiden Schulleitern statt. In den Gesprächen wurde die polizeiliche Lageeinschätzung erörtert. Insbesondere dem Leiter der VHS Buxtehude als Hausrechtsinhaber und Veranstaltungsleiter sind die rechtlichen Rahmenbedingungen (geschlossene Veranstaltung, Hausrecht pp.) dargelegt und die polizeilichen Möglichkeiten erläutert worden.
Bis zum Veranstaltungsabend lagen der Polizei keine konkreten Hinweise auf ein Auftreten von Personen der "rechten Szene" vor. Als an dem Abend vor der VHS mehrere Personen der rechten Szene erschienen, führten die eingesetzten Polizeibeamten bei diesen Personen Gefährderansprachen durch. Es gab regen Zulauf zur Veranstaltung; dabei gelangten auch Personen der rechten Szene in den Veranstaltungsraum. Dies führte dazu, dass die vorgesehenen Diskussionsteilnehmer sich weigerten, mit der Veranstaltung zu beginnen solange sich die Personen der rechten Szene im Veranstaltungsraum befinden. Im Veranstaltungsraum waren etwa 10-12 Flugblätter der Jungen Nationaldemokraten Stade/Rotenburg verteilt worden. Die Stimmung war zu diesem Zeitpunkt hitzig und erregt. Daher bat der Veranstaltungsleiter die Polizeibeamten um Unterstützung.
Im Veranstaltungsraum gab sich ein Beamter den Anwesenden gegenüber als Mitarbeiter des Staatsschutzes der Polizei Stade zu erkennen und versuchte zunächst zur Beruhigung der Lage, die rechtliche Situation darzulegen. Der Veranstaltungsleiter äußerte gegenüber den Polizeibeamten, bei Störungen der Versammlung von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und die rechten Störer des Gebäudes zu verweisen. Aus diesem Grund wurden vorsorglich Kräfte vom Polizeikommissariat Buxtehude angefordert.
Im fortgesetzten Gesprächsverlauf versuchte der Staatsschutzbeamte eine weitere Eskalation der angespannten Atmosphäre zu verhindern, indem er anregte, doch miteinander zu reden.
Die Äußerungen des Beamten dienten hierbei vorrangig der Deeskalation bis zum Eintreffen der bereits angeforderten Polizeikräfte für weitergehende polizeiliche Maßnahmen.
Im weiteren Verlauf des Geschehens erklärte der Veranstaltungsleiter noch vor Eintreffen der angeforderten Verstärkungskräfte, dass die geplante Veranstaltung nicht durchgeführt wird. Die für den Folgetag vorgesehene Veranstaltung sagte er ebenfalls ab. Die anwesenden Personen verließen darauf hin das Gebäude.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen der Abgeordneten namens der Landesregierung wie folgt:
zu Frage 1:
Im Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Stade wurden im Jahr 2002 im Phänomenbereich Politisch motivierte Kriminalität (PMK) -rechts- insgesamt 59 Straftaten bekannt, von denen hinsichtlich der Deliktsqualität 45 als "Propaganda-" und 3 als so genannte Gewaltdelikte eingestuft wurden. Die drei Gewaltdelikte, bei denen es sich um Körperverletzungsdelikte handelt, wurden aufgeklärt und die Täter rechtskräftig verurteilt (Jugendarrest, Geldstrafen).
Im Jahr 2003 wurde das Straftatenaufkommen im Phänomenbereich PMK – rechts – auf weniger als die Hälfte des Vorjahres reduziert (Stand: 02.02.04).
Im Vergleich zu anderen Dienststellenbereichen in Niedersachsen liegt die Polizeiinspektion Stade damit bei den politisch motivierten Straftaten – rechts – in den beiden letzten Jahren im unteren Drittel der Straftatenstatistik.
Ein größeres Aktionsaufkommen, wie noch in den 90er Jahren, wurde u.a. durch verstärkte Aufklärungsarbeit und Umsetzung der Rahmenkonzeption der niedersächsischen Polizei zur Intensivierung der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und sonstiger politisch motivierter Kriminalität - rechts - unterbunden. Die verstärkte Präsenz und Beobachtung durch den Polizeilichen Staatschutz führte maßgeblich zur rückläufigen Entwicklung des Straftaten-/Aktionsaufkommens im Landkreis Stade. Obwohl amtsbekannte und zum Teil überörtlich agierende Angehörige der rechten Szene und auch Angehörige der Skinheadszene ihren Wohnsitz im Landkreis Stade haben, konnten durch konsequente Präventionsarbeit der Polizei vor Ort eine Bildung bzw. Verfestigung krimineller Strukturen innerhalb der Skinheadszene verhindert werden. Es ist zu vermuten, dass auch die rechtskräftigen Verurteilungen sowie wiederholte Gefährderansprachen durch die vor Ort tätige Staatsschutzdienststelle zu dem deutlichen Rückgang des Straftatenaufkommens führten.
Die Bekämpfung des Rechtsextremismus war ein Schwerpunktthema in der gesamten niedersächsischen Polizei. Um die Aktivitäten der rechten Szene auch im Landkreis Stade weiterhin auf einem niedrigen Niveau eingrenzen zu können, wird an der bisher erfolgreichen Strategie festgehalten.
Nach Erkenntnissen des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (NLfV) sind in der so genannten "Kameradschaftsszene" keine festen Strukturen erkennbar. In einigen Ortschaften, insbesondere im südlichen Landkreis, gibt es kleine unorganisierte und weitestgehend ortsgebundene Skinheadgruppen, die durch rechtsextremistische Propagandadelikte in Erscheinung getreten sind. Sie verfügen weder über die Strukturen einer Kameradschaft, noch entfalten sie entsprechende Aktivitäten. Aufgrund der räumlichen Nähe unterhalten sie zum Teil gute Kontakte zur rechtsextremistischen Szene in Hamburg.
Strukturen und Aktivitäten der NPD/Junge Nationaldemokraten (JN) sind im Raum Stade und Buxtehude zu verzeichnen. Der mit 50 Mitgliedern mittelgroße Unterbezirk Stade gehört zu den politisch aktiven Untergliederungen der NPD in Niedersachsen. Buxtehude gehört organisatorisch zum NPD-Unterbezirk Stade-Elbe/Weser.
Die jüngeren NPD-Mitglieder aus dem Raum Stade/Buxtehude nehmen zusammen mit Angehörigen freier Kameradschaften regelmäßig an Demonstrationen der NPD Niedersachsen, aber auch von NPD-Verbänden in benachbarten Bundesländern, teil.
Der zur Zeit inaktive Landesverband Niedersachsen der Jungen Nationaldemokraten verfügt im Raum Stade/Buxtehude seit längerer Zeit über keine Untergliederung. Einzelpersonen, die dem nur wenige Sympathisanten umfassenden "JN-Freundeskreis Stade/Rotenburg" angehören, traten seit Ende letzten Jahres unter der Bezeichnung "Junge Nationaldemokraten Stade/Rotenburg" verschiedentlich mit Aktivitäten in die Öffentlichkeit, so unter anderem mit der Herausgabe des bei der Veranstaltung vom 12.01.04 verteilten Flugblatts.
Die Aktivitäten rechtsextremistischer und insbesondere neonazistischer Gruppierungen und Personen im Raum Stade sind unverändert ein Schwerpunkt der Beobachtungen des NLfV. Eine enge Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden ist hierbei gewährleistet.
zu Frage 2 verweise ich auf die Vorbemerkungen
Im Übrigen hat der Leiter der Volkshochschule Buxtehude als Reaktion auf die Berichterstattung der "Tageszeitung" vom 15.01.04 an die "Tageszeitung" einen Leserbrief verfasst, in dem er feststellt, dass der Redakteur leider nicht mit ihm gesprochen habe. Ansonsten hätte er dem Redakteur sagen können, dass er als Hausherr von der Polizei rechtzeitig vorgewarnt und betreut wurde. Dank des Auftretens der Polizei habe er sich als Verantwortlicher stets gut beraten und sicher gefühlt.
Auch der Leiter der Halepaghenschule bedankt sich in einem Schreiben an die Polizei Stade für die hervorragende Betreuung durch die eingesetzten Polizeibeamten. Er bedankt sich bei den namentlich aufgeführten Beamten und weist darauf hin, dass die von den Staatsschutzbeamten verfolgte deeskalierende Zielrichtung – entgegen einzelner gegenteiliger öffentlicher Meinungsäußerungen – dort eine breite Zustimmung gefunden hat.
zu Frage 3 verweise ich auf die Vorbemerkungen.
Die Veranstalter (Schulleitung) wurden durch die Polizei umfassend informiert. Die am Abend des 12.01.2004 vor Veranstaltungsbeginn verteilten Flugblätter der Jungen Nationaldemokraten Stade/Rotenburg gelangten den Polizeibeamten auch erst dort zur Kenntnis.
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Nds. Ministerium für Inneres und Sport
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport
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