Reform des niedersächsischen Gemeindehaushaltsrechts
Sitzung Nds. Landtag am 23.01.2004; Fragestunde Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Althusmann (CDU); Es gilt das gesprochene Wort!
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Die dramatische Haushaltslage von Städten und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland ist hinlänglich bekannt. Für eine differenzierte Haushaltspolitik fehlen den Bürgermeistern und Stadträten oftmals aber genaue Informationen über die anfallenden Kosten. Die Stadtkämmerer stellen ihre Haushalte noch immer nach den Regeln der Kameralistik auf. Bei diesem System werden Einnahmen und Ausgaben als reine Zahlungsvorgänge nur zum Zeitpunkt der Zahlung erfasst. Was ein Kindergartenplatz kostet, wie teuer Dienstleistungen wie das Ausstellen eines Personalausweises oder einer Geburtsurkunde tatsächlich sind, ist wenig bekannt. Die Kameralistik lässt nicht zu, die exakten Kosten darzustellen, weil sie das Sachvermögen und die darauf entfallenden Abschreibungen nur lückenhaft einbezieht. Den Ressourcenverbrauch, einen Überblick über Schulden und Vermögen verschafft nur die "doppelte Buchführung", die so genannte Doppik, die künftig für die Kommunen in allen Bundesländern maßgeblich sein wird. Bund und Länder haben bisher mit der dringend notwendigen Umstellung auf die kaufmännische Rechnungslegung gezögert, weil dies zu einem Systemwechsel in der Finanzpolitik von Gemeinden und Städten geführt hätte.
Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hat im November 2003 nach jahrelangen Fachdiskussionen und Modellversuchen in mehreren Bundesländern nunmehr endgültig den Weg für eine Umstellung der Buchführung auf die kaufmännischen Grundsätze bei den Kommunen frei gemacht. Damit liegt endlich ein Konzept für die Ablösung der Kameralistik im öffentlichen Sektor vor.
Ich frage die Landesregierung:
-
Welche Vorschläge und Konzepte für die Ablösung der Kameralistik im öffentlichen Sektor hat die Innenministerkonferenz beschlossen?
-
Wie bewertet die Landesregierung den Lösungsvorschlag aus Sicht des Landes und mit Blick auf die Kommunen in Niedersachsen?
-
Welche Pläne und Vorstellungen hat die Landesregierung zur Umsetzung der Beschlüsse unter Berücksichtigung der speziellen Erfahrungen aus den kommunalen Modellprojekten?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung wie folgt:
Die Kleine Anfrage gibt Gelegenheit, auf das 'Eckpunktepapier' des Ministeriums für Inneres und Sport 'für die Reform des niedersächsischen Gemeindehaushaltsrechts' hinzuweisen. Es wurde den niedersächsischen kommunalen Spitzenverbänden als Grundlage für weitere Gespräche zugesandt und ist auch zur Eröffnung einer breiten Diskussion in das Internet gestellt worden.
Schon seit mehr als einem Jahrzehnt haben auch niedersächsische Kommunen eine betriebswirtschaftlich orientierte Reform ihrer Verwaltungen eingeleitet. Diese Reform war - nicht zuletzt vor dem Hintergrund finanzwirtschaftlicher Bedrängnisse - die Konsequenz aus einer kritischen Analyse des bisherigen kameralistischen Rechnungswesens, auch aus praktischen Erfahrungen mehrerer Modellprojekte in vielen Kommunen und aus Erkenntnissen wissenschaftlicher Begleitung. Das Schlagwort 'Neues Steuerungsmodell' und die Bezeichnungen der dazugehörigen Instrumente verbreiteten sich schnell, stellvertretend für eine ganze Reihe dieser betriebswirtschaftlichen Begriffe sind die Kosten- und Leistungsrechnung und die Budgetierung zu nennen. Das kameralistische Rechnungswesen wurde zwar durch die Neufassung der Gemeindehaushaltsverordnung im Jahr 1997 an diese Erfordernisse angepasst. Um eine den neuen Herausforderungen gewachsene Verwaltungssteuerung und Haushaltswirtschaft zu ermöglichen, konnte dies nur ein erster Schritt sein. Es werden aber vollständige Informationen über den tatsächlichen Verbrauch und das Aufkommen der finanziellen, sachlichen und personellen Ressourcen benötigt. Diese Informationen können zurzeit, trotz der möglich gewordenen Nutzung betriebswirtschaftlicher Instrumente, nur unvollständig abgebildet werden, weil der Rechnungsstil nach wie vor kameralistisch ist. Es werden nur die schlichten Einnahmen und Ausgaben nachgewiesen, nicht aber der vollständige Ressourcenverbrauch. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für eine grundlegende Reform des Gemeindehaushaltsrechts.
Ziel für Niedersachsen ist es, den kommunalen Körperschaften ein einheitliches neues Haushalts- und Rechnungswesen anzubieten, das sie als besser und vorteilhafter akzeptieren können. Weiteres Ziel der Haushaltsrechtsreform in Niedersachsen soll insbesondere eine verbesserte Transparenz der finanzwirtschaftlichen Verhältnisse sein. Das setzt vollständige, nachvollziehbare und vergleichbare Informationen aus dem Rechnungswesen voraus. Durch sichtbare Zuord-nung der Kosten und Erlöse zu den einzelnen Verwaltungsleistungen und durch Anreize zum wirtschaftlichen Umgang mit Leistungen und Ressourcen soll bei allen Beteiligten der Haushaltswirtschaft ganz selbstverständliches, systematisch unterstütztes Kostenbewusstsein erzeugt werden. Strategische Entscheidungen, bei denen zwischen widerstreitenden Zielen abgewogen werden muss, können besser belegt und begründet werden, wenn eine leistungs- und kostenorientierte Transparenz flächendeckend vorhanden ist. Die Reform wird deshalb das Angebot beinhalten, auch das für die Aufgabenerfüllung nicht erforderliche realisierbare Vermögen zu realistischen Verkehrswerten auszuweisen. Dafür spricht die internationale Entwicklung des öffentlichen und auch des Rechnungswesens der privaten Wirtschaft mit dem Ziel, der Vermögensrechnung qualifiziertere Informationen für die Beurteilung der Eigenfinanzierung, des Verschuldungsgrades und der dauernden Leistungsfähigkeit entnehmen zu können.
Die Kommunen brauchen also modernes 'Handwerkszeug', mit dem sie an der Wiedergewinnung ihrer finanzwirtschaftlichen Handlungsfähigkeit zielgenauer arbeiteten können. Dafür sollen zukunftsfähige haushaltsrechtliche und haushaltssystematische Entscheidungsgrundlagen und Instrumente bereitgestellt werden. Die Doppik verbindet alle Rechengrößen, die den Ressourcenverbrauch und das Ressourcenaufkommen der Gemeinden - einschließlich ihrer ausgegliederten Bereiche - abbilden können und verknüpft sie ohne Hilfsrechnungen systemgerecht mit der Bilanz. Deshalb kann sich Niedersachsen nur für die Doppik entscheiden.
Ein optionales Haushaltsrecht und die damit verbundene Weiterentwicklung der Kameralistik neben einem doppischen System wäre aus Kostengründen und wegen mangelnder Vergleichsmöglichkeiten, nicht zuletzt auch aus Gründen der einheitlichen Finanzstatistik, unvertretbar. Andere Flächenländer mit einer noch aus vielen kleinen Gemeinden bestehenden Struktur mögen das übergangsweise noch anders sehen. Aber auch dort wird erwartet, dass später die Doppik flächendeckend Einzug hält.
Ein neues Haushalts- und Rechnungswesen soll als rentierliche Investition aufgefasst werden können, deren Kosten sich über den Zeitraum ihrer Nutzung amortisieren. Die Reform passt auch, bei allen zu beklagenden finanziellen Schwierigkeiten, zeitlich und sachlich 'in die Landschaft', nicht zuletzt, weil im Bereich der Informationstechnik bei vielen Kommunen ohnehin Entscheidungsbedarf besteht.
Basis sollen die von der Innenministerkonferenz erarbeiteten Leittexte und Empfehlungen sein verbunden mit praktischen Erfahrungen insbesondere des Modellprojekts der Stadt Uelzen im Zusammenhang mit dem Projekt in der Samtgemeinde Dannenberg, wo die Samtgemeindefähigkeit des Konzepts erprobt wird. Beide Projekte wurden ganz erheblich aus Mitteln des kommunalen Finanzausgleichs gefördert. Ich bin auch den anderen Projekt-Kommunen dankbar, die sich einzeln oder mit anderen zusammen bereits an schwierige Vorarbeiten der Reform heranwagen, beispielhaft nenne ich die Stadt Salzgitter, die Kommunalen Datenzentralen in Oldenburg, Braunschweig und Göttingen und nicht zuletzt die Gemeinde Katlenburg-Lindau ganz im Süden des Landes, die vormacht, dass auch kleine Gemeinden mit wenig Aufwand die Reform schultern können.
Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die Innenministerkonferenz (IMK) hat am 21. November 2003 beschlossen, einen Bericht ihres zuständigen Arbeitskreises zur Reform des Gemeindehaushaltsrechts mit beigefügten Leittexten für neue Gemeindehaushaltsverordnungen zu einem doppischen Haushaltsrecht und zu einem Haushaltsrecht auf der Basis einer erweiterten Kameralistik zur Kenntnis zu nehmen, ebenso Vorschläge zur entsprechenden Novellierung der Länder-Gemeindeordnungen und Empfehlungen für einen Produktrahmenplan sowie für Kontenpläne. Durch die Reform des Gemeindehaushaltsrechts soll das kommunale Haushalts- und Rechnungswesen von der bislang zahlungsorientierten Darstellungsform auf eine ressourcenorientierte Darstellung umgestellt und die Steuerung der Kommunalverwaltungen statt durch die herkömmliche Bereitstellung von Ausgabeermächtigungen (Inputsteuerung) durch die Vorgabe von Zielen für die kommunalen Dienstleistungen (Outputsteuerung) ermöglicht werden. Die IMK geht davon aus, dass die Reform des kommunalen Haushaltsrechts einen grundlegenden Wandel der kommunalen Haushaltswirtschaft und der Kommunalverwaltungen bewirken wird. Die IMK empfiehlt, die von ihrem zuständigen Arbeitskreis vorgelegten Textentwürfe für die Reform des kommunalen Haushaltsrechts zur Grundlage bei der Umsetzung in den Ländern zu machen. Die Konferenz betont, dass die Regelungsvorschläge für länderspezifische Gegebenheiten und konzeptionelle Unterschiede Raum lassen wird. Es besteht Übereinstimmung, dass länderspezifische Abweichungen nicht die Grundzüge der Einheitlichkeit des kommunalen Haushaltsrechts in Frage stellen sollen.
Zu 2.:
Auf den Vorspann wird Bezug genommen.
Zu 3.:
Nach Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden und nach Auswertung der Diskussion über das 'Eckpunktepapier' des MI für die Reform des niedersächsischen Gemeindehaushaltsrechts ist beabsichtigt, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, der vom Landtag in der zweiten Jahreshälfte 2004 beraten und beschlossen werden könnte. Die Reform könnte zum 1. Januar 2005 in Kraft treten und nach einer Übergangszeit von 5 Jahren flächendeckend abgeschlossen sein. Zur Berücksichtigung der speziellen Erfahrungen aus den niedersächsischen kommunalen Modellprojekten wird auf den Vorspann verwiesen."