Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz (NGefAG)
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 25.06.2003; TOP 16 Rede von Innenminister Uwe Schünemann zu den Anträgen der Fraktionen der CDU und der FDP Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
mit dem heute eingebrachten Entwurf eines "Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz" setzen wir im Bereich der Inneren Sicherheit das um, was wir vor der Wahl versprochen haben. Die Innere Sicherheit ist ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit der Landesregierung. Wir wollen Niedersachsen zum sichersten Land in der Bundesrepublik machen. Dafür werden wir zum einen die Polizeidichte in Niedersachsen durch die Schaffung von zusätzlich 1000 Stellen in den nächsten Jahren erhöhen. Gleichzeitig werden wir durch die Schaffung eines neuen effektiven Polizeigesetzes die Eingriffsbefugnisse der Polizei an den Erfordernissen der sich entwickelnden Kriminalität, insbesondere auch der Organisierten Kriminalität, und seinen Erscheinungsformen sowie auch der Bedrohung durch extremis-tische oder terroristische Angriffen ausrichten.
Lassen Sie mich zunächst auf einige wesentliche Punkte im Rahmen der Novellierung des Gefahrenabwehrgesetzes eingehen.
Anrede,
wir wollen mit der Aufnahme des Begriffs der "öffentlichen Ordnung" in das Gesetz ein deutliches Signal setzen, dass wir die Wertvorstellungen die mit dieser Begrifflichkeit verbunden sind und die von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung nicht nur mitgetragen, sondern geradezu eingefordert werden, ernst nehmen. Wir wollen die Diskreditierung des Begriffs als "Sekundärtugend" oder die bewusste Ausklammerung, die mit der Streichung der öffentlichen Ordnung im alten SOG verbunden war, eine deutliche Absage erteilen und unterstreichen dies auch durch die neue Gesetzesbezeichnung, in die der Ordnungsbegriff ausdrücklich aufgenommen wird.
Anrede,
wir wollen eine Erweiterung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse, um die Menschen in unserem Land vor Gefahren und Straftaten zu schützen
Die Erhöhung der Dauer des Unterbindungsgewahrsams von 4 auf 10 Tagen ist nicht nur als ein Signal für ein entschlossenes Polizeihandeln zu verstehen, sondern ist auch vor dem Hintergrund möglicher Großdemonstrationen wie wir sie im Zusammenhang mit den Castor-Transporten in das Transportbehälterlager Gorleben kennen erforderlich. Um aufkommenden Aufgeregtheiten vorzubeugen, sage ich ausdrücklich: Die erweitere Maßnahme richtet sich nicht gegen die überwiegende Mehrheit der friedlichen Demonstranten, gibt aber der Polizei die rechtliche Möglichkeit, eine richterliche Anordnung für eine entsprechend längerfristige Ingewahrsamnahme zu erwirken.
Anrede,
es ist doch noch gar nicht so lange her, dass an dieser Stelle eiligst die Rasterfahndung in das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz aufgenommen werden musste, um auf aktuelle Situationen mit den erforderlichen polizeilichen Mitteln reagieren zu können.
Wir sehen dies anders, wir schaffen die Eingriffsbefugnisse im Vorhinein und laufen der Entwicklung nicht hinterher.
Anrede,
wir wollen durch die Wieder-Einführung der ausdrücklichen Regelung des sog. "Finalen Rettungsschusses" – also der Möglichkeit, in extremer Gefahrenlage einen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirkenden Schuss abgeben zu können - Rechtssicherheit in dieser für unsere Polizeibeamtinnen und -beamtem einmaligen Ausnahmesituation schaffen. Auch hier gilt im Übrigen, was ich schon zur öffentlichen Ordnung gesagt habe: Wir regeln eine sehr schwierige und sensible Thematik für jeden erkennbar im Gesetz selber und setzen sie an die Stelle einer eher verschleiernden Regelung, die man den Beamtinnen und Beamten erst durch die Erläuterung in den Ausführungserklärungen erklären musste.
Es geht nicht darum, nunmehr leichter einen "Schießbefehl" geben zu können, wie es in einer Kleinen Anfrage von Mitgliedern der SPD-Fraktion ohne Einschränkung heißt. Diese Formulierung, meine Damen und Herren, halte ich angesichts der Bedeutung der Sache für wenig sachdienlich. Sie erweckt nicht nur falsche Assoziationen, sondern will auch suggerieren, dass nunmehr die niedersächsischen Polizeibeamtinnen und -beamten weniger verantwortungsbewusst handeln werden.
Nein, meine Damen und Herren, um einen Schießbefehl geht es eben gerade nicht. Ich hoffe vielmehr sehr, dass die Regelung des finalen Rettungsschusses bei keinem polizeilichen Einsatz zur Anwendung kommen muss. Gleichwohl sehe ich es als sehr wichtig an, den niedersächsischen Polizeibeamtinnen und -beamten auch die Rechtssicherheit zu geben, die neun andere Landesparlamente ihren Beamtinnen und Beamten gegeben haben, wenn der finale Rettungsschuss nach gründlichster Abwägungen in letzter Konsequenz zur Rettung von Leben oder Bewahrung vor schwerwiegenden Verletzungen erforderlich sein sollte.
Anrede,
wir wollen weiterhin zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger eine Erweiterung der Eingriffsbefugnisse für die niedersächsische Polizei zur Bekämpfung von Kriminalität, Extremismus und Terrorismus. Dafür stehen die Erweiterung der Katalogstraftaten zur Einrichtung einer polizeilichen Kontrollstelle sowie die Neuaufnahme der präventiven Telekommunikationsüberwachung.
Die Einrichtung einer Kontrollstelle nach § 14 des NGefAG dient der Verhinderung von Straftaten sowie der Sicherung des friedlichen Verlaufes von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen. Die Erweiterung der Katalogstraftaten für ihre Einrichtung orientiert sich an dem Straftatenkatalog des § 100a StPO und findet sich im Einklang mit den Regelungen in anderen Ländern. Nunmehr soll die Kontrollstelle u.a. zusätzlich möglich sein in Fällen des Bandendiebstahls, des Menschenraubes oder der Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie auch zum Schutz von ausländischen Truppen der Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes.
Es darf nicht verkannt werden, dass es sich bei der Erweiterung der Katalogstraftaten um Straftaten handelt, die denen für die strafprozessuale Telefonüberwachung entsprechen, wir mithin über Straftaten reden, denen der Bundesgesetzgeber bereits einiges Gewicht beigemessen hat.
Letztlich sollte bei einer ernsthaften Diskussion nicht aus den Augen verloren werden, dass die Einrichtung einer Kontrollstelle nur einen relativ geringen Eingriff in die Rechte der von ihr betroffenen Personen darstellt.
Anrede,
was passiert denn im Einzelnen an einer polizeilichen Kontrollstelle? Es wird in der Regel die Identität der dort angetroffenen Personen festgestellt und wenn entsprechende Tatsachen die Annahme rechtfertigen – erst dann - erfolgt auch eine Durchsuchung nach Waffen oder anderen gefährlichen Gegenständen.
Das war`s dann aber im Regelfall auch schon: keine weiteren Eingriffe, keine weiteren Datenspeicherungen, keine weiteren Maßnahmen.
Für mich steht die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der erweiterten Kontrollmöglichkeit außer Frage.
Anrede,
wir wollen für mehr Sicherheit in unserem Land die präventive Telekommunikationsüberwachung neu in das Gesetz aufnehmen.
Wir haben als Land die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der Gefahrenabwehr und wollen diese Kompetenz auch nutzen. Unsere Polizei braucht moderne, an der allgemeinen Entwicklung orientierte neue Eingriffsbefugnisse. Sie muss darauf reagieren können, dass die Organisierte Kriminalität alle Innovationen der modernen Telekommunikation nutzt, dass Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Gruppierungen ganz bewusst die Möglichkeiten gebrauchen, die ihnen von der Telekommunikationstechnik gegeben sind, um für die Planung und Realisierung ihrer Vorhaben Kommunikationsstrukturen und –netze aufzubauen, deren Opfer auch Bürgerinnen und Bürger unseres Landes werden können.
Diese potentiellen Straftaten sind zu gewichtig, als dass wir abwarten sollten, bis sich konkrete Anhaltspunkte für eine entsprechende Straftat zeigen, so dass erst dann Überwachungsmaßnahmen nach der Strafprozessordnung eingeleitet werden können. Ich möchte nicht vor der Situation stehen, dass diese Maßnahmen möglicherweise zu spät angeordnet werden, zuvor jedoch bereits von der Polizei ermittelte Tatsachen, die zunächst "nur" den Gefahrenverdacht einer entsprechenden Straftat begründeten, zu keiner präventiven Telekommunikationsüberwachung führen konnten, da die erforderliche Rechtsgrundlage im Polizeigesetz fehlte.
Anrede,
wir wollen nicht einfach zuwarten bis etwas passiert, wir wollen bereits durch präventive Eingriffsbefugnisse der Polizei diesen besonders schwerwiegenden Straftaten begegnen können, so dass sie gar nicht erst zur Ausführung gelangen.
Und meine Damen und Herren,
die präventive Telekommunikationsüberwachung inklusive des Einsatzes des sog. IMSI-Catchers findet ihre Begründung auch in den Fällen, in denen es um das rechtzeitige Auffinden von Personen geht, die suizidgefährdet sind oder einen Suizid gegenüber Dritten unmittelbar angekündigt haben. Ihr Aufenthaltsortes konnte bereits in der Vergangenheit in vielen Fällen mit Hilfe der Standortbestimmung ihres eingeschalteten Handy´s rechtzeitig ermittelt werden. In zahlreichen Fällen weisen jedoch Telekommunikationsunternehmen entsprechende polizeiliche Anfragen zum Teil jedoch mit der Begründung zurück, dass es keine gefahrenabwehrrechtliche Rechtsgrundlage für die Übermittlung der von ihnen erbetenen Standortdaten an die Polizei gebe. Diese Rechtslücke gilt es zu schließen. Hier geht es für mich um Menschenleben, weniger um das Recht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses.
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