Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 23.03.2012; Fragestunde Nr. 3
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Renate Geuter (SPD)
Die Abgeordnete hatte gefragt:Für Leistungen, die eine Gemeinde im Wettbewerb mit privaten Anbietern erbringt, muss Umsatzsteuer gezahlt werden. Das hat der Bundesfinanzhof in München durch Urteil vom 10. November 2011 (Az.: 2011 V R 41/10) entschieden. Mit der Besteuerung solle eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der öffentlichen Hand verhindert werden, so das Gericht.
Diese geänderte Sichtweise, die auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2008 beruht, führe zu einer „erheblichen Ausweitung der Umsatzsteuerpflicht für die öffentliche Hand im Vergleich zur gegenwärtigen Besteuerungspraxis der Finanzverwaltung“, teilte der Bundesfinanzhof mit.
Im konkreten Fall forderte eine Gemeinde den Vorsteuerabzug für die Errichtung einer Sport- und Freizeithalle. Die Kommune nutzte die Halle für den Schulsport, überließ das Gebäude aber auch gegen Bezahlung privaten Nutzern sowie einer Nachbargemeinde für deren Sportunterricht.
Laut Bundesfinanzhof muss die Gemeinde für alle Tätigkeiten außerhalb des eigenen Schulsports Umsatzsteuer bezahlen. Die Gemeinde sei deshalb zum anteiligen Abzug der Vorsteuer entsprechend der Verwendungsabsicht bei Errichtung der Halle berechtigt.
Auch sogenannte Beistandsleistungen, bei denen eine Kommune einzelne Leistungen für eine andere Kommune gegen Kostenerstattung erbringt, sind steuerpflichtig, sofern es sich um Leistungen handelt, die auch von Privatanbietern erbracht werden können. Entgegen der derzeitigen Besteuerungspraxis können danach z. B. auch die Leistungen kommunaler Rechenzentren umsatzsteuerpflichtig sein.
Ich frage die Landesregierung:
1. Welche Bereichsfelder werden nach Ansicht der Landesregierung bei Land und Kommunen von den Auswirkungen dieses Urteils erfasst?
2. Welche finanziellen Auswirkungen und daraus resultierenden eventuellen Kostensteigerungen ergeben sich aus Sicht der Landesregierung aus dieser Entscheidung für die Bürgerinnen und Bürger?
3. Wird die Landesregierung dem Wunsch der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände entsprechen und sich beim Bundesfinanzminister für einen Nichtanwendungserlass einsetzen und, wenn nein, warum nicht?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Der Bundesfinanzhof hat in einer Reihe von Entscheidungen, zuletzt im Urteil vom 10. November 2011 (Az.: V R 41/10), klargestellt, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren nachhaltigen und entgeltlichen Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage stets Unternehmer sind und deshalb mit den hierbei erzielten Einnahmen der Umsatzsteuer unterliegen. Dies gilt entsprechend für ihre entgeltlichen und nachhaltigen Leistungen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, wenn diese Leistungen entweder im Anhang I der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) aufgeführt sind und mehr als unbedeutenden Umfang haben oder aber die Nichtbesteuerung der juristischen Person des öffentlichen Rechts zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde, die nicht nur unbedeutend ist. Über Hintergründe und weitere Einzelheiten dieser Rechtsprechung sowie die bislang veranlassten Maßnahmen der Finanzverwaltung wurde der Niedersächsische Landtag bereits am 13.03.2012 unterrichtet (vgl. Drs. 16/4599). Die auf der Rechtsprechung des EuGH beruhenden Entscheidungen des Bundesfinanzhofes führen im Vergleich zur gegenwärtigen Besteuerungspraxis zu einer erheblichen Ausweitung der Umsatzsteuerpflichtigkeit der öffentlichen Hand. Obwohl der Bundesfinanzhof im zuletzt entschiedenen Fall lediglich über die entgeltliche Überlassung einer gemeindlichen Turnhalle zu entscheiden hatte, hat das Gericht in seiner Pressemitteilung zum Urteil ausdrücklich auch auf kommunale Rechenzentren als Beispiel für eine umsatzsteuerpflichtige Beistandsleistung hingewiesen. Dieser Hinweis dürfte als Signal dafür zu werten sein, dass das Gericht auf eine umfassende Anwendung seiner Entscheidung abzielt. Sofern die das Urteil tragenden Erwägungen auf sämtliche Körperschaften des öffentlichen Rechts anzuwenden wären, könnten neben den Kommunen auch die Länder betroffen sein, soweit sie entgeltliche Leistungen für andere juristische Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Beistandsleistungen, Aufgabenerledigung) erbringen. Welche steuerrechtlichen Konsequenzen das Urteil für Länder und Kommunen tatsächlich hat, wird derzeit durch das Bundesministerium der Finanzen in Zusammenarbeit mit den Ländern geprüft. Vor dem Hintergrund dieser noch nicht abgeschlossenen Prüfung und aufgrund der Komplexität der Gesamtthematik sind derzeit noch keine weiteren Aussagen zu inhaltlichen Fragen möglich. Eine ähnliche Einschätzung hat auch der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen Hartmut Koschyk in seiner schriftlichen Antwort vom 2. März 2012 an die Bundestagsabgeordnete Katrin Kunert geäußert. Die Abgeordnete hatte gefragt, unter welchen Voraussetzungen juristische Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere Kommunen, ihre Leistungen nach dem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 10. November 2011 noch umsatzsteuerfrei erbringen können und welche gesetzgeberischen Spielräume, kommunale Leistungen nicht der Umsatzsteuerpflicht unterfallen zu lassen, noch für den Bund bestehen (schriftliche Fragen Nrn. 340 und 341 für den Monat Februar 2012;. BT-Drs. 17/8829, S. 15).
Auch wenn konkrete Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen des Urteils des Bundesfinanzhofs auf Länder und Kommunen vor diesem Hintergrund derzeit nicht möglich sind, teilt die Landesregierung die Sorge der kommunalen Spitzenverbände, dass durch eine Umsatzbesteuerung von zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbrachten Beistandsleistungen das Interesse und die Bereitschaft der kommunalen Ebene, die Instrumente der interkommunalen Zusammenarbeit zu nutzen, künftig deutlich abnehmen und die interkommunale Zusammenarbeit insgesamt an Attraktivität einbüßen könnten.
Die Zusammenarbeit von zwei oder mehreren Kommunen zur gemeinsamen Erbringung von öffentlichen Leistungen ist ein seit langem etabliertes und erfolgreiches Organisationsmodell, das auch zukünftig möglich sein muss. Kommunale Zusammenarbeit ist Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltung und bedarf daher eines besonderen Schutzes. Gerade in Zeiten, in denen Städte, Gemeinden und Kreise zunehmend unter Druck stehen, Kosten zu senken und gleichzeitig ihre Leistungen qualitativ oder quantitativ möglichst zu erhalten oder gar zu steigern, stellt kommunale Zusammenarbeit eine wichtige kommunale Handlungsoption zur Verwaltungsmodernisierung dar. Auch angesichts des demografischen Wandels wird daher die Bedeutung der kommunalen Zusammenarbeit im Interesse einer leistungsfähigen und effizienten Infrastrukturversorgung vor allem im ländlichen Raum noch an Bedeutung gewinnen. Neben den operativen Verwaltungsaufgaben der Kommunen (z.B. Ver- und Entsorgung, Abfallbeseitigung, ÖPNV, Brandschutz, Rettungsleitstellen) und den freiwilligen Aufgaben mit strategischen Entwicklungszielen (z.B. regionale Wirtschafts-, Kultur- und Tourismusförderung) spielt die kommunale Zusammenarbeit auch im Dienstleistungsbereich der öffentlichen Körperschaften (z.B. IT-Infrastruktur, Datenverarbeitung, gemeinsame Beschaffung , Rechnungsprüfung) zunehmend eine gewichtige Rolle
Es ist daher unabdingbar, dass Land und Kommunen Klarheit darüber erhalten, unter welchen Voraussetzungen sie im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit mit Blick auf die erwähnte Entscheidung des Bundesfinanzhofs künftig noch von der Umsatzsteuerpflicht befreit werden können.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1 und 2:
Siehe Vorbemerkungen
Zu Frage 3:
Die Landesregierung wird den Wunsch der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens prüfen und in die Diskussion mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) einbringen.
Damit kommunale Aufgaben gemeinsam im Rahmen interkommunaler Zusammenarbeit auch zukünftig kostengünstiger und effizienter umgesetzt werden können, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Die Landesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die vorgesehenen europäischen Regelungen – betreffend die kommunalen Kooperationen – nicht über die diesbezüglichen Vorgaben des EuGH hinausgehen und damit zu weiteren Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten der Kommunen führen.
Es wird mit dem BMF gemeinsam nach Verfahren zu suchen sein, die die Kommunen in die Lage versetzen, ihre umsatzsteuerlichen Pflichten in für sie kalkulierbarer Weise umzusetzen.