Bildungs- und Teilhabepaket für Asylbewerberinnen und –bewerber in kreisfreien Städten und Landkreisen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.11.2011; Fragestunde Nr. 13
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat, Ursula Helmhold und Ina Korter (GRÜNE)
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Rückwirkend zum 1. Januar 2011 ist eine Reform der Regelungen zu Hartz IV in Kraft getreten, deren wesentlicher Bestandteil die Einführung eines sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und Jugendliche ist. Laut Bundesregierung soll das Bildungs- und Teilhabepaket „2,5 Millionen bedürftigen Kindern aus Geringverdienerfamilien mehr Zukunftschancen geben“. Ihnen sei damit ein „Rechtsanspruch auf Bildung und aufs Mitmachen“ gegeben worden. Bei Sport, Musik oder Kultur könnten sie dabei sein, an Schulausflügen und am gemeinsamen Mittagessen in Schule, Hort oder KiTa teilnehmen. Sie bekämen das Schulmaterial, das sie brauchen, und die notwendige Lernförderung, wenn ihre Versetzung gefährdet ist. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Kreise und kreisfreien Städte, Jobcenter und ihre Partner vor Ort sorgten gemeinsam dafür, dass das Bildungspaket bei den Kindern ankomme.
Das Paket stehe Kindern und Jugendlichen zu, deren Eltern leistungsberechtigt nach dem SGB II sind - insbesondere Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld -, Sozialhilfe - SGB XII -, den Kinderzuschlag - BKGG - oder Wohngeld beziehen.
Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat in einem Schreiben an die Kommunen vom 12. Mai 2011 festgehalten, dass eine entsprechende Anwendung der Regelungen zu den Bedarfen für Bildung und Teilhabe und die Erbringung von Leistungen hierfür für nach dem § 2 AsylbLG leistungsberechtigte Kinder unproblematisch ist. Das sind Kinder von Familien, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Grundleistungen - nach § 3 AsylbLG - erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Eine Einbeziehung von Kindern, die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG nicht 48 Monate lang erhalten haben, sei allerdings noch nicht geregelt. Deren Einbeziehung, zu der übrigens im September 2011 auch der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert hat, solle laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Zuge der anstehenden Änderung des AsylbLG erfolgen, die jedoch noch einige Zeit dauern werde. Für die Übergangszeit gebe es keine Aussage des Bundesministeriums, insbesondere nicht zu der Frage, ob eine Gewährung entsprechender Leistungen vom Wortlaut des § 6 Abs. 1 AsylbLG - „zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten“ - erfasst sei. Das niedersächsische Innenministerium kündigt in seinem Schreiben an, dass es angesichts der als gering eingeschätzten Chancen von Gerichtsverfahren gegen Ablehnungen von Leistungen für nach § 3 AsylbLG leistungsberechtigte Kinder keine fachaufsichtlichen Beanstandungen geben werde, wenn beantragte Leistungen zunächst in entsprechender Anwendung des § 6 AsylbLG gewährt werden. Im Juni 2011 hat dann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf eine parlamentarische Anfrage geantwortet, dass zu den Leistungen nach § 6 AsylbLG auch die Leistungen für Bildung und Teilhabe zählen können.
Wir fragen die Landesregierung:
- In welchen kreisfreien Städten und Landkreisen werden bereits Leistungen für Bildung und Teilhabe nach §§ 2, 3 bzw. 6 AsylbLG gewährt?
- In welcher Weise hat die Landesregierung gegenüber den kommunalen Spitzenverbänden und den kreisfreien Städten und Landkreisen dafür gesorgt, dass sie Informationen über Leistungen aus dem Bildungspaket an Asylbewerberinnen und Asylbewerber erhalten und - z. B. über die Ausländerbehörden - an die potenziell Leistungsberechtigten weitergeben können?
- In welcher Weise hat die Landesregierung dafür gesorgt, dass sowohl den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch den Bewohnerinnen und Bewohnern an den Standorten der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) Informationen über Leistungen aus dem Bildungspaket an Asylbewerberinnen und Asylbewerber zukommen?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II und XII) wurden u. a. mit den §§ 34 und 34a SGB XII Regelungen zu den Bedarfen für Bildung und Teilhabe getroffen. Im Einzelnen werden Bedarfe anerkannt für:
- Schulausflüge und Ausflüge in Kindertagesstätten
- mehrtägige Klassenfahrten
- Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf von insgesamt 100 € jährlich
- Schülerbeförderung
- Lernförderung
- gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Schulen und Kindertagesstätten
- Teilhabeleistungen (Mitgliedsbeiträge, Unterricht in künstlerischen Fächern und Teilnahme an Freizeiten) in Höhe von 10 € monatlich
Für Kinder, die nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) leistungsberechtigt sind, finden die genannten Regelungen analoge Anwendung. Eine Einbeziehung von Kindern, die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erhalten, ist derzeit noch nicht geregelt, wird allerdings voraussichtlich im Zuge der anstehenden Änderung des AsylbLG erfolgen.
Mit Erlass vom 12.05.2011 wurde den zuständigen niedersächsischen Behörden daher mitgeteilt, dass die Leistungen für Bildung und Teilhabe in der Übergangszeit zunächst in entsprechender Anwendung des § 6 Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) gewährt werden können.
Gem. § 6 Abs. 1 Satz 1, Alt. 3 AsylbLG können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten sind. Danach können Kosten für Bildung und Teilhabe unter Berücksichtigung sämtlicher besonderer Umstände im konkreten Einzelfall übernommen werden. Die Ausübung des Ermessens obliegt der für die Entscheidung zuständigen Behörde.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1:
Es ist davon auszugehen, dass alle kreisfreien Städte und Landkreise Leistungen für Bildung und Teilhabe nach §§ 2, 3 bzw. 6 AsylbLG gewähren. Für Schulausflüge, Klassenfahrten und Schulbedarf werden Grundleistungsempfänger - wie bereits vor der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets - auch weiterhin regelmäßig nach § 6 AsylbLG unterstützt. Darüber hinaus prüfen die Leistungsbehörden bezüglich Schülerbeförderung, Lernförderung, Mittagsverpflegung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben im Rahmen des Ermessens, ob sie die Kosten hierfür übernehmen. In diese Prüfung wird unter anderem einbezogen, ob konkrete aufenthaltsbeendene Maßnahmen bevorstehen.
Zu Frage 2:
Die Kommunalen Spitzenverbände, die Landkreise und die kreisfreien Städte sind von der Landesregierung zeitnah und laufend über den Sachstand und die Entwicklung bei den Leistungen für Bildung und Teilhabe insgesamt informiert worden:
- bereits seit November 2010 findet in der „AG Bildungsbedarfe“ unter Federführung des Sozialministeriums regelmäßig ein Austausch mit den kommunalen Spitzenverbänden und kommunalen Praktikern statt. Für Mitte November 2011 ist zur nächsten AG-Sitzung eingeladen
- den örtlichen Trägern der Sozialhilfe sind am 14.03.2011 mit den Hinweisen zur Rechtslage erste Informationen über die gesetzlichen Regelungen u.a. zum Bildungs- und Teilhabepaket zur Verfügung gestellt worden
- im Mai 2011 fanden zur Unterstützung der Umsetzung vor Ort vier Regionaltagungen in den ehemaligen Regierungsbezirken statt. Diese Tagungen richteten sich an Vertreterinnen und Vertreter der Landkreise, der kreisfreien Städte, der Region Hannover sowie der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Samtgemeinden
- zur Klärung der auftretenden Fragestellungen z.B. auch im Zusammenhang mit dem Personenkreis, der Leistungen nach dem AsylbLG bezieht, ist im weiteren Umsetzungsprozess ebenfalls mit den Kommunalen Spitzenverbänden und kommunalen Praktikern unter Federführung des Sozialministeriums eine „AG Umsetzungshinweise“ eingerichtet worden. Erste Ergebnisse wurden den örtlichen Trägern der Sozialhilfe in Form eines Frage-Antwort-Katalogs im August 2011 übersandt. Die nächste Sitzung der AG ist für Mitte November 2011 terminiert.
Zu Frage 3:
Die Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 6 AsylbLG an Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinschaftsunterkünfte der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) kommt an den Standorten Braunschweig und dem Grenzdurchgangslager Friedland (derzeit) nicht in Betracht. Aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer an diesen beiden Standorten erfolgt keine Beschulung der Kinder. Am Standort Bramsche werden die Bewohnerinnen und Bewohner durch eine bedarfsbezogene Beratung im Einzelfall informiert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der LAB NI sind über die gesetzlichen Regelungen zum Bildungs- und Teilhabepaket unterrichtet worden.