Rechtswidrige Beobachtung eines Journalisten durch den Verfassungsschutz?
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.11.2011; Fragestunde Nr. 4
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Helge Limburg und Stefan Wenzel (GRÜNE)
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Durch eine Anfrage seines Rechtsanwalts beim niedersächsischen Verfassungsschutz Anfang Oktober 2011 wurde bekannt, dass der niedersächsische Verfassungsschutz seit 14 Jahren einen Göttinger Journalisten, der u. a. Mitarbeiter des Stadtradios Göttingen ist, beobachtet. Die offenbar auch mit Unterstützung der Polizei Göttingen gesammelten und gespeicherten Informationen wurden nur teilweise zugänglich gemacht. Demnach speicherte die Behörde u. a. die Anwesenheit des Journalisten auf friedlichen Antiatomkraftdemonstrationen, über die er im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeit berichtete. Insbesondere diese nachrichtendienstliche Beobachtung der journalistischen Arbeit rief massive Kritik hervor; zum Beispiel bezeichneten Beobachterinnen und Beobachter diese Aktivitäten als „Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit“.
Wir fragen die Landesregierung:
- Hält sie die lange Beobachtungsdauer von 14 Jahren vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Schutzes der freien Presse für angemessen?
- Hat es im Laufe dieser 14 Jahre irgendeine strafrechtliche Verurteilung des Journalisten gegeben?
- Hat der Verfassungsschutz oder die Polizei neben der oben erwähnten Informationen weitere Informationen über die journalistische Tätigkeit der Person oder die Teilnahme an legalen Demonstrationen gesammelt? Wenn ja, welche?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde hat nach § 3 Abs. 1 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) u.a. die Aufgabe, Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zu sammeln und auszuwerten. In Erfüllung dieser gesetzlichen Aufgabe werden auch extremistische Personenzusammenschlüsse in Göttingen beobachtet. Ein Personenzusammenschluss manifestiert sich durch Äußerungen und Handlungen seiner Mitglieder, so dass personen- und sachbezogene Informationen von Mitgliedern dieser Personenzusammenschlüsse, die für die Bewertung des Beobachtungsobjektes relevant sind, durch die Niedersächsische Verfassungsschutzbehörde erhoben und gespeichert werden.
Demonstrationen und deren Teilnehmer unterliegen an sich nicht der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Erst wenn extremistische Personenzusammenschlüsse diese Demonstrationen anmelden, zur Teilnahme aufrufen und/oder selbst daran teilnehmen, werden sie für die Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes relevant. In diesem Rahmen ist auch die Teilnahme von Personen, die einer extremistischen Bestrebung angehören, eine Information, die für die Arbeit des Verfassungsschutzes im Einzelfall erforderlich sein kann.
Die Befugnis zur Speicherung von personenbezogenen Daten ergibt sich für die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde aus § 8 NVerfSchG. Danach ist eine Speicherung rechtmäßig, wenn anhand von tatsächlichen Anhaltspunkten der Verdacht besteht, dass diese Person an extremistischen Bestrebungen beteiligt ist, und die Daten für die Beobachtung der Bestrebung erforderlich sind, oder wenn die personenbezogenen Daten für die Erforschung und Bewertung gewalttätiger Bestrebungen erforderlich sind.
Gemäß § 8 Abs. 4 NVerfSchG hat die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde die Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken.
Zusätzlich ist in § 10 Abs. 3 NVerfSchG eine regelmäßige Überprüfung nach bestimmten Fristen vorgesehen. So wird spätestens nach 5 Jahren überprüft, ob gespeicherte personenbezogene Daten für die Aufgabenerfüllung weiterhin erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Daten zu löschen. Spätestens 10 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten Speicherung einer Information sind die gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen.
In welchen Fällen personenbezogene Daten zwischen den Polizeibehörden und der Verfassungsschutzbehörde übermittelt werden dürfen, ist ebenfalls im Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz geregelt (vgl. §§ 15, 18 NVerfSchG). Eine Übermittlung von Informationen durch die Polizei an die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde erfolgt gemäß § 15 Abs. 2 NVerfSchG regelmäßig, wenn der Polizeibehörde Informationen vorliegen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie für die Aufgabenerfüllung der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde erforderlich sind.
Dies vorangestellt, beantworte ich die mündliche Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1:
Die Beobachtung extremistischer Personenzusammenschlüsse und die Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten seiner Mitglieder ist unter Beachtung der in der Vorbemerkung dargestellten rechtlichen Regelungen auch über längere Zeiträume zulässig. Dies ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.
In dem nachgefragten Einzelfall wurde die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten bei der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde nach diesen in der Vorbemerkung dargestellten Voraussetzungen und unabhängig von der beruflichen Tätigkeit der betroffenen Person durchgeführt. Der Schutz der freien Presse ist dadurch nicht tangiert.
Zwischenzeitlich hat der Landesbeauftragte für den Datenschutz auf Bitten des Betroffenen die Speicherung personenbezogener Daten durch die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde in diesem Einzelfall überprüft. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen zwei weitere gespeicherte Sachverhalte mitteilen muss. Abschließend stellt er fest, dass die sonstige Verarbeitung der Daten des Betroffenen durch die Verfassungsschutzbehörde datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden ist. Auch die teilweise Verweigerung der Auskunft und das Nichtmitteilen der Verweigerungsgründe ist datenschutzrechtlich nicht zu rügen.
Zu Frage 2:
Eine Beantwortung dieser Frage kommt aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Dies gilt umso mehr, als keinerlei Anhaltspunkte erkennbar sind, die eine öffentliche Erörterung rechtfertigen würden, so dass die Beantwortung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen würde.
Zu Frage 3:
Eine Darlegung etwaiger gespeicherter Daten in der Öffentlichkeit kommt nicht in Betracht. Insofern wird auf die Antwort zu Frage 2.) verwiesen.
Darüber hinaus steht jeder Person die Möglichkeit offen, gemäß § 16 Niedersächsisches Datenschutzgesetz bei der Polizei sowie gemäß § 13 NVerfSchG bei der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu verlangen. Von dieser Möglichkeit wurde im nachgefragten Einzelfall Gebrauch gemacht.