Abschiebungen in die Republik Syrien dauerhaft einstellen
Rede des Innenministers Uwe Schünemann in der Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.11.2011; TOP 28 zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen nimmt die aktuelle Situation in Syrien zum Anlass, um einige Forderungen an die Landesregierung zu richten.
Bevor ich auf einzelne dieser Forderungen der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen eingehe, möchte ich zunächst für die Landesregierung erklären, dass sie die Kritik der Bundesregierung und der westlichen Staatengemeinschaft an dem gewaltsamen Vorgehen des Assad-Regimes gegen die Protestdemonstrationen syrischer Oppositionsgruppen in vollem Umfang teilt. Die Landesregierung erwartet, dass das Assad-Regime den von den Vereinten Nationen und von den Staaten der arabischen Liga erhobenen Forderungen nach einer sofortigen Beendigung aller Militäreinsätze gegen die Protestbewegungen unverzüglich nachkommt.
Die Beurteilung der politischen Verhältnisse in den Herkunftsstaaten und mögliche Folgerungen hinsichtlich der asylrechtlichen Relevanz aktueller Entwicklungen obliegen im Rahmen der außenpolitischen Kompetenz dem Bund. Neben den regelmäßig vom Auswärtigen Amt verfassten Lageberichten werden auch anlassbezogene aktuelle Berichte gefertigt, die den inländischen Behörden, namentlich dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, als Grundlage für die Entscheidung über die Anerkennung als Flüchtling oder für die Schutzgewährung wegen anderweitiger zielstaatsbezogener Gefahren dienen.
Darüber hinaus gibt es eine unmittelbare Kooperation der Innenministerien der Länder mit dem Bundesinnenministerium, um bei aktuellen Krisensituationen sofort reagieren zu können. So hat der Bundesminister des Innern auch auf die im Frühjahr in Syrien erfolgten militärischen Einsätze gegen die Protestbewegungen reagiert und mit den Ländern vereinbart, dass die Abschiebung von ausreisepflichtigen syrischen Staatsangehörigen – mit Ausnahme von Straftätern – bis auf Weiteres ausgesetzt wird.
Rückführungen nach Syrien finden seither also bundesweit nicht mehr statt. Da derzeit nicht absehbar ist, wie sich die politische Situation in Syrien weiterentwickelt, kann derzeit keine dauerhafte Entscheidung getroffen werden. Die sofortige Aussetzung der Abschiebungen war geboten und die Vorläufigkeit dieser Anordnung ist weiterhin richtig.
Die Landesregierung sieht auch keinen Grund, die Bundesregierung aufzufordern, das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen zu kündigen.
Jeder Staat ist zur Rückübernahme seiner Staatsangehörigen verpflichtet, wenn diese aus anderen Staaten ausreisen müssen. Hierbei handelt es sich um eine allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung. Rückübernahmeabkommen begründen somit nicht die Verpflichtung der Vertragspartner zur Übernahme eigener Staatsangehöriger, sondern regeln das administrative Verfahren, insbesondere die Identitätsfeststellung. Da die Durchführung von Abschiebungen nach Syrien bis auf Weiteres ausgesetzt ist, besteht für eine Kündigung ohnehin kein Anlass.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass für die Bewertung der asyl- und abschiebungsrelevanten Situation in den Herkunftsstaaten der ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer vom Auswärtigen Amt Lageberichte erstellt werden. In diese Lageberichte fließen alle Erkenntnisse über die innenpolitische Situation dieser Staaten ein, die dem Auswärtigen Amt bzw. den Botschaften vor Ort zugänglich sind. Dazu gehören sowohl die Erkenntnisse von Organisationen der Vereinten Nationen, von anderen Staaten, aber auch von international tätigen Hilfsorganisationen, wie Amnesty International.
Auf dieser Grundlage wird vom Bundesamt über die Flüchtlingsanerkennung bzw. die subsidiäre Schutzgewährung wegen anderweitig drohender Gefahren entschieden. Die Entscheidungen können verwaltungsgerichtlich überprüft werden, wobei die Verwaltungsgerichte nicht an die Bewertung des Auswärtigen Amtes gebunden sind, sondern eine eigene Bewertung vornehmen, wozu auch gutachtliche Bewertungen anderer Stellen zusätzlich eingeholt werden können. Ich halte nichts davon, die behördlichen Entscheidungen nicht mehr von den nach der Verfassung dafür zuständigen unabhängigen Gerichten, sondern von demokratisch nicht legitimierten Kommissionen vornehmen zu lassen. Auch ist nicht erkennbar, wie eine derartige deutsche Kommission das Vorgehen der Behörden in Syrien nach Durchführung von Abschiebungen aufklären kann. Sie würde sich allenfalls im Rahmen der ihr von der deutschen Botschaft eröffneten Möglichkeiten bewegen können. Darunter dürfte dann allerdings der diplomatische Handlungsspielraum der Botschaft leiden.
Gestatten Sie mir noch einen Hinweis zu einer Behauptung, die sich in der Begründung des Entschließungsantrags findet.
Die im Februar dieses Jahres abgeschobenen syrischen Staatsangehörigen Anuar und Bedir Naso sind nach Ankunft bei der syrischen Einwanderungsbehörde zur Klärung ihrer Identität vorübergehend festgehalten worden. Die Klärung der Identität des Sohnes hat längere Zeit in Anspruch genommen, da widersprüchliche Daten zu seinem Alter vorlagen, die von der Familie selbst angegeben worden waren. Letztendlich wurde das im Passersatzpapier für den Sohn eingetragene Geburtsjahr 1992 von der zuständigen Registerbehörde bestätigt, so dass der Sohn nachgewiesenermaßen tatsächlich 19 Jahre alt und damit nicht mehr minderjährig ist. Die Angabe der Eltern bei den deutschen Behörden, dass ihr Sohn erst im Jahr 1995 geboren sei, war somit offensichtlich Teil des Täuschungsverhaltens der Eltern. Für ein noch minderjähriges Kind kann sich schließlich aus dem Schutzgedanken des Art. 6 GG ein rechtliches Abschiebungshindernis ergeben. Dies habe ich bereits umfassend in der Beantwortung parlamentarischer Anfragen dargestellt.