Antifaschistische Handlungen
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wenzel (GRÜNE) Es gilt das gesprochene Wort!
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Am 10. Mai 2007 fand in Göttingen ein "Antifaschistischer Stadtrundgang - Göttingen und seine Universität im Nationalsozialismus" statt. Die Veranstaltung war Teil der Veranstaltungsreihe "Kultur gegen Rechts - Eine Stadt zeigt Gesicht". Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass diese Veranstaltung von mehreren zivilen Polizeibeamten observiert wurde.
In der Zwischenzeit haben sich Vertreter des Bündnisses "Göttingen zeigt Gesicht", darunter der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Göttingen und der Regionsvorsitzende des DGB Südniedersachsen - Harz, in einem Schreiben an den Göttinger Polizeipräsidenten gewandt und gegen die Observierung des Rundgangs protestiert.
In der Presse vom vergangenen Samstag weist der Polizeipräsident den Vorwurf der "illegalen Observierung" zurück und will nun prüfen, ob die Veranstaltung "möglicherweise strafrechtlich verfolgt werden müsse, weil sie als Versammlung nicht angemeldet war". (Zitat GT 19. Mai 2007)
Offenbar verträgt der Göttinger Polizeipräsident, der auch politischer Beamter ist, keine Kritik. Registriert wurde auch die Tatsache, dass ausgerechnet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Veranstaltung, die darauf angelegt war, "Gesicht zu zeigen" und damit gegen rechtsextremistische Aktivitäten der rechten Szene zu demonstrieren, heimlich observiert wurden.
Dabei stellt sich auch die Frage, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, wenn der Polizeipräsident im Vorfeld einfach zum Telefonhörer gegriffen und den Veranstalter - in diesem Fall u. a. DGB und Jüdische Gemeinde - angerufen und zum Verlauf der Veranstaltung befragt hätte. Denkbar wäre auch gewesen, dass der Polizeipräsident selbst Gesicht zeigt, sich bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorstellt und um Auskunft bittet.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1. Wie bewertet die Landesregierung die heimliche Observierung der o. g. Veranstaltung, zu der u. a. die Jüdische Gemeinde und der DGB in Göttingen eingeladen hatten?
2. Will die Polizeidirektion Göttingen tatsächlich strafrechtliche Schritte gegen die Durchführung eines "Antifaschistischen Stadtrundgangs" u. a. durch DGB und Jüdische Gemeinde Göttingen einleiten (Bericht GT vom 19. Mai 2007)?
3. Hält die Landesregierung die Aktivitäten der Polizeidirektion Göttingen im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Aktivitäten im südniedersächsischen Raum, u. a. Parteitag der NPD in Herzberg, für ausreichend?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Der Polizei Göttingen wurde die Veranstaltung mit dem Titel "Antifaschistischer Stadtrundgang - Göttingen und seine Universität im Nationalsozialismus" durch ein Faltblatt und das Internet bekannt. Im Zusammenhang mit der "Kulturwoche gegen Rechts" vom 06. bis zum 11.05.2007 war u.a. der "Antifaschistische Stadtrundgang" vorgesehen, welcher am 08.05.2007 um 18:30 Uhr am "Gänseliesel" in Göttingen beginnen sollte. Initiator der "Kulturwoche gegen Rechts" war das "Bündnis gegen Rechts", welchem verschiedene Organisationen und Gruppen angehören.
U. a. hat sich neben der in der Anfrage benannten Jüdischen Gemeinde Göttingen und dem DGB Südniedersachsen-Harz auch die "Antifaschistische Linke International (A.L.I)" diesem Bündnis angeschlossen. Diese Gruppierung ging im Jahr 2004 aus der "Autonomen Antifa [M] (AA[M])", welche sich auf Grund von ideologischen Differenzen auflöste, hervor. Die A.L.I. ist neben der Gruppierung "redical (m)" der autonomen Szene Göttingens zuzurechnen. Angehörige der autonomen Szene engagieren sich insbesondere im "Antifaschismus-Kampf" und zeigen diesbezüglich hohe Aggressivität, welche sich auch in gewalttätigen Aktivitäten gegenüber Sachen und Personen äußert.
Insbesondere im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Göttingen fanden verschiedene De-monstrationen und Protestaktionen gegen den Rechtsextremismus statt. Diese Versammlungen wurden weitestgehend friedlich durchgeführt. Die Landesregierung begrüßt und unterstützt aus-drücklich die friedlichen Aktionen und Veranstaltungen gegen den Rechtsextremismus. Leider kam es aber in der Vergangenheit bei Gelegenheiten solcher Veranstaltungen in Einzelfällen zu gewalttätigen militanten Aktionen von Angehörigen linksextremistischer Gruppierungen. In die-sem Zusammenhang ist auf die gewaltsamen Ausschreitungen von Autonomen anlässlich der Demonstrationen im Oktober 2005 und auf die Brandanschläge gegen Polizeifahrzeuge im Zusammenhang mit der Demonstration der NPD am 28.10.2006 und der Demonstration der autonomen Gruppierung "redical (m)" am 19.05.2007 hinzuweisen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage auf der Grundlage des Berichts der Polizeidirektion Göttingen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Im Zusammenhang mit dem Einsatz der Polizeidirektion Göttingen bei der Veranstaltung "Antifaschistischer Stadtrundgang - Göttingen und seine Universität im Nationalsozialismus" waren Polizeibeamte mit der Zielrichtung eingesetzt, festzustellen, ob gewaltbereite Autonome an der Veranstaltung teilnehmen und ob von diesen in der konkreten Situation Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen könnten. Die Beamten der Polizeiinspektion Göttingen waren von ca. 18:15 Uhr bis ca. 18.45 Uhr am Einsatzort, um sich einen Lageüber-blick zu verschaffen. Bei dieser Maßnahme handelte es sich entgegen der Darstellung in der mündlichen Anfrage nicht um eine "heimliche Observation", sondern um eine offene Aufklärungsmaßnahme der Polizei.
Im Rahmen der kurzfristigen offenen Beobachtung konnten keine Gefahren oder Straftaten festgestellt werden.
Aufgrund der Feststellungen vor Ort und angesichts des Umstandes, dass zu einer angemel-deten Versammlung seitens der Stadt Göttingen als Versammlungsbehörde keine Informationen vorlagen, sind die Beamten zu der Bewertung gelangt, dass es sich nicht um eine Versammlung gehandelt hat. Dem entsprechend bestand für die Beamten keine Pflicht, sich bei dem Leiter dieser Veranstaltung vorzustellen. Die Beamten haben auch deshalb von einer persönlichen Kontaktaufnahme abgesehen, weil sie zum Teil ohnehin den Mitveranstaltern persönlich bekannt sind.
Zu 2.:
Die Einleitung strafrechtlicher Schritte erfolgt gegebenenfalls aufgrund gesetzlicher Pflichten. Gleichermaßen wie für die Staatsanwaltschaft gilt für die Polizei das Legalitätsprinzip. Erhält die Polizei Kenntnis von dem Verdacht einer Straftat, so ist sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und zur Erforschung des Sachverhalts verpflichtet. Die Ermittlungen der Polizei dienen der Vorbereitung der staatsanwaltlichen Entscheidung, mit der das Ermittlungsverfahren abzuschließen ist.
Vor diesem Hintergrund erlangt die Frage, ob – wie in dem Brief des Bündnisses "Göttingen zeigt Gesicht" vom 10. April 2007 behauptet – der Antifaschistische Stadtrundgang eine Versammlung war, Bedeutung. Eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ist gem. § 14 Versammlungsgesetz (VersG) anzumelden. Wird eine Versammlung unter freiem Himmel ohne vorherige Anmeldung durchgeführt, so machen sich Veranstalter und Leiter grundsätzlich gem. § 26 Nr. 2 VersG strafbar.
Die Polizei war zum Zeitpunkt des Stadtrundgangs nicht von einer Versammlung ausgegangen. Ob diese Einschätzung zutreffend war, ist unter Berücksichtigung des in der Mündlichen Anfrage zitierten Briefes der Veranstalter des Stadtrundgangs, in dem sie den Schutz der Versamm-lungsfreiheit für ihre Veranstaltung in Anspruch nehmen, erneut zu prüfen. Diese Prüfung wird derzeit unter Beteiligung der Stadt Göttingen als zuständige untere Versammlungsbehörde vorgenommen. Sollte im Ergebnis der Stadtrundgang als Versammlung zu bewerten sein, würde der Veranstaltung einerseits der besondere Schutz des Artikel 8 Grundgesetz zukommen, andererseits hätte dann die Anmeldepflicht von den Veranstaltern beachtet werden müssen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht könnte in diesem Fall den Verdacht eines Vergehens nach § 26 Nr. 2 VersG begründen.
Zu 3.:
Die Landesregierung hält die Maßnahmen der Polizeidirektion Göttingen sowie im Übrigen der gesamten Polizei in Niedersachsen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus für geeignet und erforderlich. Landesweit geht die Polizei konsequent und unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten gegen rechtsextremistische Bestrebungen und Ten-denzen vor. Weitreichende Maßnahmen mit sowohl repressiver als auch präventiver Zielrichtung haben in der Vergangenheit dazu beigetragen, dem Rechtsextremismus in Niedersachsen wirk-sam entgegen zu treten. Auch die Polizeidirektion Göttingen setzt nachhaltig und offensiv die niedersächsische "Rahmenkonzeption zur Intensivierung der Bekämpfung von Rechtsextre-mismus, Fremdenfeindlichkeit Antisemitismus und sonstiger politisch motivierter Kriminalität – rechts" um, die einen umfangreichen Maßnahmenkatalog und Leitlinien zu niedrigschwelligem Einschreiten beinhaltet. Durch flächendeckende Maßnahmen im Bereich der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wird den Angehörigen der "rechten Szene" verdeutlicht, dass jegliche Form von Gefahren oder Straftaten von der Polizei schon im Ansatz unterbunden und verfolgt werden.
Die klaren Leitlinien zum Vorgehen gegen Rechtsextremisten haben u.a. dazu geführt, dass Skinheadkonzerte im Bereich der Polizeidirektion Göttingen –soweit das rechtlich möglich war– untersagt bzw. aufgelöst wurden.
Im Bereich Duderstadt ist es durch polizeiliche Intervention gelungen, ein "Veranstaltungszentrum" mit überregionaler Bedeutung für die rechte Szene zu verhindern.
Darüber hinaus wurden durch die Polizeidirektion Göttingen spezielle Einsatzkonzepte anlässlich der Demonstrationen der NPD in Göttingen erarbeitet.
Hinsichtlich des in der Fragestellung angeführten NPD-Parteitages am 15.04.2007 im Dorfgemeinschaftshaus in Herzberg-Scharzfeld ist festzustellen, dass die Polizei alle ihre zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten genutzt hat.
Vor dem Hintergrund der zunehmend konspirativen Vorgehensweise der rechten Szene zur Organisation und Durchführung entsprechender Veranstaltungen hat die Polizeiinspektion Hildesheim in Umsetzung einer Leitlinie der Polizeidirektion Göttingen bereits im Jahr 2006 einen Flyer "Polizeilicher Hinweis zum Umgang mit rechtsextremistischen Veranstaltungen" entwickelt, welcher an die Betreiber von Gaststätten und Veranstaltungsräumen verteilt wurde und diese über übliche Strategien und Vorgehensweisen von Anmietern aus der rechten Szene informieren soll.
Mit dem Flyer wird außerdem der Kontakt zwischen Vermietern und der Polizei intensiviert, um so Verdachtsfälle frühzeitig erkennen zu können. Als Hilfestellung werden die rechtlichen Möglichkeiten zum Rücktritt von einem Vermietungs- oder Überlassungsvertrag erläutert.
Artikel-Informationen
erstellt am:
07.06.2007
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010