Sitzung des niedersächsischen Landtages am 12.07.2006; TOP 19
Regierungserklärung von Innenminister Uwe Schünemann Es gilt das gesprochene Wort!
Integration in Niedersachsen – Niedersächsische Integrationspolitik
Sehr geehrte Damen und Herren,
Deutschland ist ein gastfreundliches Land. Die Fußball Weltmeister-schaft hat in den letzten Wochen eindrucksvoll gezeigt: Gerade auch die Niedersachsen haben die ausländischen Mannschaften und Gäs-te offen und gastfreundlich empfangen. Ich selbst habe alle 5 WM Quartiere in Aerzen (Frankreich), Göttingen (Mexiko), Celle (Angola), Rotenburg (Trinidad/Tobago) und Barsinghausen (Polen) besucht. Es gab eine tolle Stimmung, die manchen vielleicht sogar überrascht hat. Diese Weltmeisterschaft war eine unglaubliche Bereicherung und hat positiv gezeigt, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen friedlich und fröhlich aufeinander zugehen und gemeinsam feiern können
Es sind viele neue Freundschaften entstanden. Gemeinsames Erle-ben verbindet – das ist der Schlüssel zum Verständnis anderer Kulturen. Deshalb steht am Anfang jeder Integrationsbemühung, die Bereitschaft aufeinander zuzugehen.
Integration ist eine der wichtigsten innenpolitischen Aufgaben und Herausforderungen unserer Zeit. Das Gelingen der Integration zugewanderter Menschen ist für diese Landesregierung ein zentrales Anliegen und entscheidend für den Zusammenhalt und die Stabilität unseres Gemeinwesens. Deshalb hat die Niedersächsische Landesregierung das Jahr 2006 zum "Jahr der Integration" erklärt.
Bei meinen Besuchen der Integrationsleitstellen habe ich mich in den vergangenen Wochen in vielen niedersächsischen Städten und Landkreisen über praktische Integrationsarbeit informiert – und ich war beeindruckt! Mit außerordentlichem Engage-ment wird hier sehr viel vor Ort geleistet. Auch der Einsatz von Ehrenamtlichen in den Kommunen, in den freien Wohlfahrtsverbänden, in den Kirchen und in unzähligen privaten Initiativen ist großartig – hierfür danke ich – sicher auch im Namen dieses Hauses – allen Beteiligten herzlich!
Mein Dank gilt aber auch unseren Schulen und den Kommunen, die oftmals gerade hier außergewöhnliches leisten und als erstes mit schwierigsten Problemen konfrontiert werden. Der Brief der Lehrer der "Rütli-Schule" hat alle wachgerüttelt, obwohl die Probleme seit Jahren bekannt sind. Was lernen wir daraus? Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir dürfen die Schulen mit ihren Problemen nicht alleine lassen.
Nach den aktuellen Zahlen haben weit mehr Menschen einen Migrationshintergrund als die Anzahl der Personen mit ausländischem Pass vorgibt. Der offizielle Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung Deutschlands beträgt 8,2 Prozent – aber der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund beträgt 19 Prozent! Allein aus diesen Zahlen ergibt sich weiterer Integrationsbedarf!
In Niedersachen leben Zuwanderer aus 195 Nationen. Die überwiegende Mehrheit ist sehr gut integriert: sie haben ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden; sie haben einen Arbeitsplatz oder sind selbständig; ihre Kinder machen ihren Weg in Schule und Ausbildung. Aber es bleiben die, die ihre Integrationsbereitschaft stärker als bisher unter Beweis stellen müssen und diejenigen, die der Unterstützung bedürfen. Die Niedersächsische Landesregierung hat deshalb im Oktober vergangenen Jahres die Fortschreibung des "Handlungsprogramms Integration" beschlossen und stellt im Jahr 2006 ein Finanzvolumen von rund 60 Millionen Euro für Integration zur Verfügung. Damit wollen wir mehr als ein Zeichen setzen! Integration und die Schaffung der Voraussetzungen hierfür ist für diese Landesregierung eine Herzensangelegenheit.
Integrationspolitik
Niedersachsen steht für eine pragmatische und zeitgemäße Integrationspolitik. Durch die große Anzahl von zugewanderten Menschen aus anderen Kulturkreisen werden wir heute vor völlig neue Probleme gestellt. Sie unterscheiden sich signifikant von jenen Herausforderungen, vor die uns die Zuwanderung aus den europäischen Ländern in den 60er und 70er Jahren gestellt hat. Drei Aspekte sind in diesem Zusammenhang besonders zu berücksichtigen:
- Aktuelle Integrationsansätze müssen die kulturellen und religiösen Unterschiede zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Zuwanderern berücksichtigen.
- Political correctness darf nicht dazu führen, dass Probleme verschwiegen werden. Sorge bereitet uns insbesondere eine überproportional hohe Kriminalitätsrate bei männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und ein anderes Rollenverständnis von Mann und Frau in vielen Kulturkreisen. Integration in Deutschland hat dies wahrzunehmen aber nicht kritiklos zu akzeptieren. Integration in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zielt ab auf die Vermittlung der Gleichberechtigung von Mann und Frau und auf die klare Ächtung von Gewalt und Kriminalität.
- Kanada, Australien oder viele nordische Länder haben von Anfang an Zuwanderung nach völlig anderen Kriterien geregelt und an den eigenen Interessen ausgerichtet. Diese Länder werben in erster Linie hoch qualifizierte Fachkräfte an. Ich sage es ganz deutlich: Auch wir müssen in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik hier einen Schwerpunkt setzen: Wir brauchen mehr hoch qualifizierte und zugleich integrationswillige Menschen in unserem Land!
In diesem Sinne brauchen wir eine differenzierte und flexible Integrationspolitik.
Sie muss neben den Neuzuwanderern auch die bereits seit längerem hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund erreichen und die künftigen Zuwanderer mit in den Blick nehmen. Der Osnabrücker Migrationsforscher Prof. Klaus J. Bade spricht von einer "Trias der Integrationspolitik". Er fordert "begleitende, nachholende und präventive Interventionen".
Niedersachsen hat sich diesen Aufgaben gestellt. Als erstes Bundesland hat Niedersachsen die flächendeckende Sprachfrühförderung eingeführt, als einziges Bundesland bieten wir staatlich verantworteten islamischen Religionsunterricht an. Weitere vorbildliche Integrationsmodelle haben wir mit der Einrichtung der kommunalen Leitstellen für Integration, mit einem lokalen Integrationslotsenmodellprojekt und nicht zuletzt mit unserer bundesweit vorbildlichen Kooperativen Migrationsarbeit geschaffen.
Wir gestalten und optimieren Integrationsprozesse. Damit ist Niedersachsen Vorbild in der Integrationspolitik:
Wir setzen auf
• ein friedliches Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugewanderten,
• und auf die Verhinderung von Parallelgesellschaften.
Integrationspolitik ist auch präventive Sozialpolitik und Sicherheitspolitik. Dabei steht für die Niedersächsische Landesregierung fest: Migranten und Spätaussiedler sollen stärker als bisher am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben unseres Landes teilhaben. Aber Zugewanderte müssen auch selbst einen Beitrag zur Integration leisten und eigene Anstrengungen unternehmen. Denn: Integrationsverweigerung kann nicht akzeptiert werden. Sozialer Desintegration und Kriminalität wirken wir präventiv und notfalls auch repressiv entgegen.
Integration
Integration ist ein Schlüsselwort unserer Zeit. Integration bedeutet sinngemäß:
"Eingliederung in ein größeres Ganzes" (Duden, Fremdwörterbuch)
Wir wissen alle: Integration von zugewanderten Menschen ist keine einfache Aufgabe und keine schnelle Angelegenheit. Die Integration von Zugewanderten ist vielmehr ein langfristiger, vielschichtiger und auf Nachhaltigkeit ausgerichteter Prozess.
Beide Seiten sind gefordert: die einheimische Mehrheit und die zugewanderte Minderheit. Alle Beteiligten müssen in diesem Prozess aktiv mitarbeiten, vorrangig aber hat jeder einzelne Migrant bzw. Spätaussiedler seinen Beitrag zum Gelingen der Integration zu leisten. Deshalb steht die niedersächsische Integrationspolitik unter der Prämisse: fordern und fördern. Es darf keinen Zweifel daran geben, dass dies auf der Basis unserer Rechtsordnung und unseres Grundgesetzes geschehen muss – hier machen wir keine Abstriche!
Sport
Die Weltmeisterschaft ist gerade erst vorbei. Die Welt war zu Gast bei Freunden. Wir alle haben ein wunderbares, stimmungsvolles, buntes und in jeder Hinsicht erfolgreiches Fest gefeiert. Auch das sportliche Abschneiden unserer Nationalmannschaft hat alle Erwartungen übertroffen. Nicht nur der Anteil der Spieler in unserer Nationalmannschaft mit Migrationshintergrund zeigt, welche Rolle der Sport bei der Integration spielen kann.
Sport bietet hervorragende Möglichkeiten, das Zusammentreffen von Menschen verschiedener Nationalitäten positiv zu gestalten – auch außerhalb eines derartigen Großereignisses. Über 9.400 im Landessportbund Niedersachsen organisierte Sportvereine leisten wichtige Beiträge zur Gewaltprävention und zur Gesundheitsvorsorge im Land und sie erfüllen in einem großen Umfang soziale Aufgaben.
Gerade Sportvereine sind sehr erfolgreich beim Brückenschlag zwischen unter-schiedlichen Gruppen unserer Bevölkerung. Das Motto "Sport verbindet" hat in der heutigen Zeit nichts von seiner Gültigkeit verloren. Sport kann für Migranten zum Türöffner für andere gesellschaftliche Bereiche werden. Ich appelliere daher an Migranten und Spätaussiedler, in noch größerer Zahl als bisher unseren Sportvereinen beizutreten und dort den Kontakt nicht nur untereinander zu suchen.
Der Landessportbund unterstützt mit seinem Programm "Integration durch Sport" an erster Stelle die Integrationsarbeit seiner Sportvereine. Der LSB bzw. seine Sportjugend hat jedoch mit Erfolg auch eigene Projekte durchgeführt, die darauf ausgerichtet waren, gerade junge Frauen und Mädchen muslimischen Glaubens an den Sport heran zu führen und darüber hinaus die Akzeptanz für Mädchensport in ihren Elternhäusern zu steigern.
Der Christliche Verein Junger Menschen in Wolfsburg ist ein besonders gutes Beispiel für gelungene Integrationsarbeit. Unter dem Motto "Pausen-Kick statt Pausen-Kippe" werden an drei Schulen mit hohem Migrantenanteil Turniere veranstaltet, ohne den laufenden Schulbetrieb zu beeinträchtigen. Und ganz wichtig ist, dass in der Pausen-Liga auch Schüler Erfolgserlebnisse finden, die im Unterricht zum Teil weniger erfolgreich sind. Dies steht beispielhaft für das Engagement vieler anderer Vereine, Institutionen und kirchlicher Gruppen.
Im Sport steckt ein Potenzial für Integrationsarbeit, dass wir noch stärker nutzen sollten. Die vielen positiven Beispiele für einen Beitrag des Sports zur Integration der Kinder und Jugendlichen müssen wir transparent machen, damit Sportvereine von erfolgreichen Integrationsprojekten lernen können. Ich werde daher mit dem Landessportbund über die Einrichtung einer Datenbank mit allen erfolgreichen Integrationsprojekten im Sport sprechen. Auf eine derartige Datenbank sollten dann alle Sportvereine und sonstigen Interessierten über das Internet zugreifen können. Weiter werde ich prüfen, ob das Thema Integration noch stärker in die Aus- und Fortbildung der Übungsleiterinnen und Übungsleiter einfließen sollte. Der Sport kann sicherlich nicht alle Probleme in unserer Gesellschaft lösen, er leistet aber einen bedeutenden Beitrag. Herzlichen Dank den vielen tausend im Sport ehrenamtlich Tätigen! Ebenso danke ich dem Landessportbund und dem Niedersächsischen Fußballverband für ihr großes Engagement in diesem Bereich.
Integrationsstrukturen
Integration ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Erfolgreiche Integrationsarbeit setzt Integrationsstrukturen voraus. Mit der interministeriellen Arbeitsgruppe Integration und dem Forum Integration, dem bedeutende Organisationen, Institutionen, Verbände und Vertreter der Wissenschaft angehören, hat die Niedersächsische Landesregierung wichtige Strukturen geschaffen, in denen das Zusammenwirken aller am Integrationsprozess Beteiligter gelingt.
Die Ausländerbeauftragte
Die anspruchsvolle und mitunter aufreibende Aufgabe wird auf Landesebene von der Ausländerbeauftragten des Landes Niedersachsen wahrgenommen. Mit großem Engagement verfolgt Gabriele Erpenbeck seit vielen Jahren das Ziel, die Integration der in Niedersachsen lebenden Migranten und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen weiter zu verbessern.
Die Ausländerbeauftragte übt eine Mittlerfunktion zwischen der deutschen und ausländischen Bevölkerung aus. Sie koordiniert die Arbeit der vielen Mitstreiter sowohl in den Verbänden, Organisationen und Kirchen als auch in den Verwaltungen und Parlamenten, von der kommunalen bis zur Landesebene.
Sie leistet Informationsarbeit zu integrationsrelevanten Themen und Fragestellungen und trägt durch Publikationen, Veranstaltungen und Projekte auch zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit bei.
Für Ihr großartiges und erfolgreiches Engagement möchte ich Frau Gabriele Erpenbeck an dieser Stelle herzlich danken.
Die Kooperative Migrationsarbeit (KMN)
Integrationsarbeit kann nur erfolgreich sein, wenn die Angebote und Maßnahmen aufeinander abgestimmt sind und eine systematische Verzahnung gewährleistet ist. Das erspart Reibungsverluste und bringt Synergieeffekte. Niedersachsen hat deshalb das System der Kooperativen Migrationsarbeit Niedersachsen(KMN) entwickelt, das Integrationsaktivitäten bündelt und systematisiert und sie dadurch effektiver gestaltet. Dieses Netzwerk ist bundesweit einmalig. Ich bin sehr froh darüber, dass wir als Koordinierungsstelle die Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg gewinnen konnten.
Die Richtlinie Integration
Integration ohne eigenes Engagement der Zugewanderten kann nicht gelingen. Dieser Ansatz beschreibt das Grundprinzip des Landesprogramms Integrationsberatung. Die Beratung richtet sich auch an bereits länger hier lebende Migranten. In Einzelfall-beratungen machen die Integrationsberater Rat suchenden Migranten deutlich, dass Integration ohne eigene Anstrengungen nicht gelingen kann.
Ein weiterer Teil des Programmes ist die Rückkehr- und Weiterwanderungsberatung für Menschen, die die Bundesrepublik wieder verlassen müssen. Wir müssen gerade den nicht bleibeberechtigten Ausländern Hilfestellung für eine freiwillige Ausreise geben und die Rückkehrmöglichkeiten in das jeweilige Heimatland verbessern. In diesem Zusammenhang ist es nicht hinnehmbar, dass der Bund beabsichtigt für 2006 und 2007 seine Mittel zur Förderung der freiwilligen Rückkehr auf ca. die Hälfte der bisher verabredeten Mittel zu kürzen.
Erfreulich ist dagegen, dass der Bund nach der durch das Zuwanderungsgesetz erfolgten Neuausrichtung die Migrationserstberatung finanziert und die Zusammenarbeit aller Beratungsstellen vor Ort unabhängig von deren Finanzierung unterstützt. Hierfür stehen 38 Stellen zur Verfügung. Die Länder übernehmen die Kosten für Maßnahmen der so genannten nachholenden Integration. Wir setzen in Niedersachsen auf eine qualifizierte Beratung. Derzeit werden 27,5 Stellen für 47 Personen finanziert. Dieses flächendeckende Netzwerk der Integrationsberatung hat sich bewährt und soll auch in Zukunft weitergeführt werden.
Die Leitstellen für Integration
In der örtlichen Gemeinschaft entscheidet sich, ob Integration gelingt oder nicht. Deshalb steht das Land auch hier an der Seite der Kommunen und hat die Einrichtung von neuen Leitstellen für Integration durch die Bereitstellung von Landespersonal initiiert.
Die Leitstelleninhaber nehmen eine Bestandsaufnahme der örtlichen Integrations-angebote vor, verzahnen diese miteinander, binden Selbstorganisationen ein, stellen Defizite und Schwachstellen im lokalen Integrationsgeschehen fest und tragen durch ihre Tätigkeit zur Optimierung der Integration vor Ort bei. Sie koordinieren alle kommunalen Aufgaben, die sich auf die Integration von Migranten und Spätaussiedlern auswirken. Ich bin sicher, dass durch die Einrichtung der Leitstellen der Integrationsprozess der in diesen Kommunen lebenden Zuwanderer entscheidend verbessert wird.
Mit der Region Hannover, den Landkreisen Emsland, Gifhorn, Harburg, Peine, Schaumburg und Verden sowie mit den Städten Braunschweig, Hildesheim, Lüneburg und Osnabrück sind zurzeit 11 von 15 geplanten Leitstellen besetzt. Die Besetzung zweier weiterer Leitstellen steht unmittelbar bevor. Zehn Leitstellen habe ich in den letzten Wochen neben vielen anderen Integrationsprojekten besucht. Die Bereisung war überaus informativ und interessant. Ich habe dabei festgestellt, dass die Leitstelleninhaber durch-weg sehr gute Arbeit leisten. Sie schaffen in den Kommunen wichtige Integrations-
Netzwerke oder bauen bereits vorhandene aus. Sie wirken vor Ort als Keimzellen, von denen weitere integrationsfördernde Aktivitäten und neue Impulse ausgehen werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Leitstellen für Integration als unverzichtbarer Bestandteil niedersächsischer Integrationsarbeit etablieren werden. Die Leitstellen für Integration sind schon jetzt ein absolutes Erfolgsmodell!
Das Osnabrücker Integrationslotsenprojekt
Ich konnte mich im Rahmen meiner Bereisung der Leitstellen Integration nicht nur über deren erfolgreiche Arbeit, sondern auch über eine Vielzahl hochinteressanter Integrationsprojekte vor Ort informieren. Als ein sehr überzeugendes Beispiel nenne ich das Projekt "Integrationslotsen". In Osnabrück werden Menschen, die ihren eigenen Weg der Integration erfolgreich gegangen sind, durch spezielle Schulungen qualifiziert, um Neuzuwanderer zu unterstützen. Wie überall, sind persönliche Vorbilder auch im Integrationsprozess von besonderer Bedeutung. Diejenigen, die selbst auf eine positive Integrationsleistung verweisen können, werden als Brückenbauer dringend gebraucht.
Dieses Projekt liegt mir sehr am Herzen! Alle, die neu zu uns kommen, müssen ein Stück weit an die Hand genommen und begleitet werden. So helfen die Integrationslotsen den Zuwanderern sich im Behördendschungel zu Recht zu finden und machen sie fit für die Deutschprüfung. Es ist für alle ein Gewinn, wenn sich Integrationslotsen verstärkt für Neuzuwanderer einsetzen, wenn sie ihre persönlichen Erfahrungen einbringen. Mit dem Integrationslotsenprojekt wird Pionierarbeit geleistet. Ich möchte die niedersächsischen Städte und Gemeinden ausdrücklich ermutigen, diese Idee aufzugreifen oder ähnliche, auf die eigenen lokalen Besonderheiten abgestimmte Projekte zu initiieren.
In diesem Zusammenhang nenne ich auch das Projekt Qantara vom Caritasverband Peine. Flüchtlinge, die in Deutschland ein Bleiberecht bekommen haben, werden zu Kulturdolmetschern qualifiziert. Sie sind in Schulen, im Jugendhilfebereich sowie im Gesundheitswesen gefragt. Beeindruckt bin ich vom Projekt Bürgerzentrum (BÜZ) in Verden. Zugewanderte Frauen werden dahingehend geschult, dass sie Migrantenfamilien zu Hause aufsuchen um erstens mit den Kindern die Hausaufgaben zu erledigen und zweitens die Mütter zu motivieren, sich weiterzubilden, um zukünftig selbst mit den Kindern üben zu können. Herzlichen Dank an all diese ehrenamtlich Tätigen, Sie sind für alle ein tolles Vorbild!
Sprache
Bei einem meiner Informationsbesuche berichtete mir eine Migrantin, sie habe die Deutschen jahrelang als "kaltherzig" empfunden. Das hat sich geändert, nachdem sie in einem Projekt des Caritasverbandes neben anderen Qualifikationen Grundkenntnisse der deutschen Sprache erworben hat. Seitdem begegnen ihr immer mehr "freundliche" Deutsche. Sie äußerte sich sehr froh darüber, nun am alltäglichen Leben aktiv teilnehmen zu können.
Sprache ist der Türöffner in unserem Land, sie ist der Schlüssel zur Integration.
Deutsche Sprachkenntnisse sind entscheidend für den erfolgreichen Bildungsweg und für die Teilhabe am Arbeitsmarkt. Wobei Sprache allein ohne die Akzeptanz unserer Werteordnung nicht ausreicht, wie die Ereignisse in den französischen Vororten gezeigt haben. Die Jugendlichen haben die französische Staatsbürgerschaft und sprechen Französisch – sind aber gleichwohl nicht integriert, weil die Konzentration von Zuwanderung in einzelnen Stadtteilen Integration erschwert. Aber andererseits: ohne Sprachkenntnisse ist Integration nicht möglich!
Das ist sicherlich keine neue Erkenntnis, aber es kommt auf die Umsetzung an. Hier sind wir in Niedersachsen Vorreiter!
Die Integrationskurse nach dem Zuwanderungsgesetz
Ich begrüße sehr, dass seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes Integrationskurse mit einem bis zu 600-stündigen Deutschkurs angeboten werden. Anspruchsberechtigt und in der Regel teilnahmeverpflichtet sind Neuzuwanderer. Schon in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses zum Zuwanderungsgesetz hatte sich
Niedersachsen nachdrücklich dafür eingesetzt, im Blick auf die nachholende Integration das Sprachkursangebot des Bundes auch für diejenigen zu öffnen, die schon länger in Deutschland leben und nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Dies ist gelungen: Auch bereits hier lebende Ausländer und Spätaussiedler werden im Rahmen verfügbarer Plätze zugelassen. Doch damit nicht genug. Es reicht uns nicht, 600 Stunden Deutschunterricht anzubieten. Die Träger der Sprachkurse sagen uns, dass die Anforderungen in der vorgegebenen Stundenzahl kaum zu bewältigen sind. Ich plädiere eindeutig für eine Erhöhung auf 900 Stunden. Bei den Jugendlichen sind wir bereits auf dem richtigen Weg.
Die Jugendintegrationskurse
Auf Initiative Niedersachsens hat sich die IMK im Mai 2006 deshalb einstimmig für eine Erhöhung der Stundenzahl bei Integrationskursen für Jugendliche von 600 auf 900 ausgesprochen. Erforderlich ist nun eine Änderung der Integrationskursverordnung; wir werden deshalb einen Entschließungsantrag zur Unterstützung dieses Ziels in den Bundesrat einbringen.
Die Willkommenskurse im Grenzdurchgangslager Friedland
Wir wollen im Integrationsprozess möglichst keine Zeit verschenken und machen ein weiteres Angebot, das sich an Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer richtet. Ich spreche von den "Willkommenskursen im Grenzdurchgangslager Friedland", die das Land im Januar 2005 gestartet hat. In siebentägigen Kursen erhalten diese Zuwanderergruppen gleich nach ihrer Ankunft erste Orientierungen in alltagsrelevanten Lebensfeldern wie zum Beispiel Wohnungssuche oder Behördengänge. Diese werden verknüpft mit ersten sprachlichen Hilfestellungen. Und wir wollen noch mehr: Künftig sollen auf meinen Vorschlag hin im unmittelbaren Anschluss an diese Willkommenskurse bereits 300 Stunden der Integrationskurse für Spätaussiedler und ihre Familien im Grenz-durchgangslager Friedland durchgeführt werden. So werden die Kurse effizienter auf die speziellen Bedürfnisse dieser Zuwanderergruppe ausgerichtet.
Die sprachliche Frühförderung
Auch mit Blick auf das Lebensalter zugewanderter oder bereits hier geborener Menschen mit Migrationshintergrund gilt es, keine Zeit zu verschenken. Deshalb ist für diese Landesregierung die sprachliche Frühförderung ein besonderes Anliegen. Wir brauchen mehr Beispiele wie dieses, das mir in einem DRK-Kindergarten in Gifhorn vorgestellt wurde. Ich unterhielt mich dort mit einem kleinen Mädchen, das fließend deutsch sprach, obwohl es noch vor zwei Jahren nicht ein einziges Wort Deutsch sprechen konnte. Dieses Mädchen wird, da bin ich mir sicher, mit guten Aussichten auf Erfolg seine Schulkarriere starten.
Die Sprachförderung ist inzwischen fester Bestandteil des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Kindertagesstätten. Niedersachsen lässt die Kindertagesstätten mit einem hohen Anteil von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache nicht allein. Mit dem
Kindergartenjahr 2003/2004 trat ein Förderprogramm für Kindertagesstätten in Kraft, mit dessen Hilfe bereits mehrere Jahre vor Schuleintritt der Erwerb der deutschen Sprache unterstützt wird.
Niedersachsen hat hierzu als erstes Bundesland das Verfahren zur Feststellung der deutschen Sprachkenntnisse flächendeckend eingeführt. Seit dem Schuljahr 2003/20004 nehmen alle Kinder, bei denen keine oder geringe Deutschkenntnisse festgestellt wurden, an verpflichtenden Sprachförderkursen vor der Einschulung teil.
Dabei stellte sich übrigens heraus, dass nicht nur Migrantenkinder Förderbedarf haben. Auch einheimische Kinder weisen mitunter erhebliche sprachliche Defizite auf und profitieren von diesem Sprachförderprogramm. Die Auswertung der bisherigen Erfahrungen zeigt erste Erfolge. Erfreulich ist überdies, dass 90% der zugewanderten Eltern diese Maßnahme ausdrücklich begrüßen. Um diese Erfolge weiter auszubauen, wird Niedersachsen ab dem kommenden Schuljahr 2006/2007 die Sprachförderung vor der Einschulung von einem halben Jahr auf ein ganzes Jahr ausweiten.
Auch damit sind wir Vorreiter in Niedersachsen!
Die schulische Sprachförderung
In den Schulen des Primarbereichs und des Sekundarbereichs I wird Sprachförderung in Form von Förderklassen, intensiven Förderkursen und Förderunterricht in Deutsch als Zweitsprache fortgeführt. Auch im Bereich der Berufsbildenden Schulen werden im Rahmen der Berufsvorbereitung besondere Sprachförderklassen angeboten.
Ausbildung und Arbeit (Schwerpunkt: Jugendliche)
Bleiben wir bei den Jugendlichen. Einen besonderen Schwerpunkt legt die Landesregierung auf deren Integration in Ausbildung und Arbeit. Jugendliche und
junge Erwachsene mit Migrationshintergrund verfügen wesentlich seltener als Deutsche über Bildungs- und Berufsabschlüsse. Sie sind erheblich häufiger als un- und angelernte Arbeitskräfte beschäftigt. Und sie sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Ursache dafür ist auch eine andere soziale Zusammensetzung der Gruppe der Zuwanderer in Deutschland als beispielsweise in den klassischen Einwanderungsländern Kanada und Australien, die fast nur Hochqualifizierte aufgenommen haben. Zu uns sind viele gekommen, die auch in ihren Ländern zu den bildungsfernen Schichten gehören. Gerade ihnen gilt es deutlich zu machen, dass sie Voraussetzungen erwerben müssen, um Perspektiven für ihre Zukunft zu entwickeln und eigenständig leben zu können. Transferleistungen und Sozialhilfe dürfen nicht als Ersatzeinkommen verstanden werden.
Die Pro-Aktiv-Centren und Jugendwerkstätten
Mit der Förderung von 44 Pro-Aktiv-Centren und über 100 Jugendwerkstätten in Niedersachsen hat sich das Land dieser Anforderung gestellt. Damit existiert in Niedersachsen ein flächendeckendes Angebot für benachteiligte junge Menschen, von denen ein großer Teil einen Migrationshintergrund hat. Im vergangenen Jahr wurden über 22.000 benachteiligte junge Menschen in den Pro-Aktiv-Centren beraten und betreut. Jeder Zweite von ihnen konnte die Arbeitslosigkeit durch den Einstieg in eine Ausbildung, Beschäftigung oder Qualifizierung beenden. In den über 100 vom Land geförderten Jugendwerkstätten werden jährlich rd. 4.500 benachteiligte Jugendliche beruflich qualifiziert und sozial stabilisiert. Diesen Weg werden wir auch zukünftig konsequent fortsetzen.
Die Berufseinstiegsklassen (BEK)
Ein weiterer Schritt zur Verbesserung der beruflichen Situation sind die neuen Berufseinstiegsklassen (BEK), die ab 01.08.2006 an 33 berufsbildenden Schulen im Rahmen eines niedersächsischen Schulversuchs eingeführt werden. Mit diesem neuen Bildungsangebot wollen wir insbesondere den Jugendlichen mit sehr schwachem oder fehlendem Hauptschulabschluss eine bessere berufliche Perspektive geben. Erfahrungsgemäß handelt es sich hierbei um eine Zielgruppe, in der sehr viele Jugendliche mit Migrationshintergrund anzutreffen sind. Entsprechend ist das Konzept der Berufseinstiegsklasse gestaltet worden, denn es sollen vorrangig die Basiskompetenzen in den Fächern Deutsch, Mathematik und auch Englisch sowie soziale Kompetenzen gestärkt werden, um hierdurch die Ausbildungsfähigkeit zu verbessern.
Neben dem Ziel, die Teilhabe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund am ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen, ist es auch Ziel aller Maßnahmen in diesem Bereich, den Jugendlichen die Bedeutung der eigenen Anstrengungen für Ausbildung und Beruf klar zu machen. Sie müssen wissen und erfahren, dass sie ihren Lebensunterhalt grundsätzlich aus eigener Kraft zu bestreiten haben. Das gilt selbstverständlich auch für Erwachsene, für die wir ebenfalls ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Situation bereithalten. Dazu gehört beispielsweise das vielfältige EU-Projekt EQUAL, das auch in Niedersachsen Anwendung findet. Mit Hilfe eines engen Netzwerkes von Akteurinnen und Akteuren aus der Migrationsarbeit, aus Arbeitsagenturen und Sozialarbeit werden unter Einbindung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg besondere Ansätze zur beruflichen Integration von Migranten entwickelt. In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein bundesweit einmaliges Hochschulprojekt verweisen, das vom Interdisziplinären Zentrum für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen (IBKM) im Herbst 2006 zum zweiten Mal durchgeführt wird. Dieses "Kontaktstudium für hoch qualifizierte Zugewanderte" richtet sich an Migrantinnen und Migranten mit festem Aufenthaltsstatus. Ziel ist es, die Kompetenzen von Zugewanderten mit abgeschlossener Ausbildung in pädagogischen und sozialpädagogischen Berufsfeldern auszubauen und an die Anforderungen des hiesigen Arbeitsmarktes anzupassen.
Interkulturelle Öffnung – interkulturelle Kompetenz
Die veränderte Zusammensetzung unserer Gesellschaft muss sich auch in den öffentlichen Dienstleistungen und Einrichtungen widerspiegeln. Im Bereich der Polizei wurde schon vor Jahren die dringende Notwendigkeit erkannt, sich interkulturell zu öffnen.
Eine Änderung im Niedersächsischen Beamtengesetz (§ 9 NBG) erlaubt seit 1993 die Einstellung von Staatsangehörigen aus EU-Staaten. Seit 1994 ist die Einstellung auch von Bewerberinnen und Bewerbern aus einem Drittstaat in den Polizeivollzugsdienst möglich. Derzeit versehen 19 ausländische Polizeibeamte in Niedersachsen ihren Dienst. Ihre Mittlerfunktion hat sich bewährt. Darüber hinaus sind 112 Polizeibeamtinnen und –beamte ausländischer Herkunft (Eingebürgerte). Um diesen Anteil deutlich zu erhöhen, werde ich weiter verstärkt um junge Menschen mit Migrationshintergrund werben, um sie für den Polizeidienst zu gewinnen und ihnen hier eine interessante berufliche Perspektive zu bieten.
Über den Bereich der Polizei hinaus muss auch in anderen Bereichen der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund erhöht werden. Es kann doch für ein Bürgerbüro in der kommunalen Verwaltung nur ein Gewinn sein, wenn auch Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zum Team gehören! Wir sollten die 2. und 3. Generation von Zugewanderten motivieren, auch diesen Bereich des öffentlichen Dienstes als berufliches Feld für sich selbst wahrzunehmen.
Gleichzeitig muss die interkulturelle Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung verbessert werden. Mitarbeiter von Behörden müssen in der Lage sein, auf die besonderen Anliegen der Migranten einzugehen. Eine bessere Gelegenheit Migranten zur Integration zu motivieren, gibt es gar nicht!
Kultur und Religion
Die Bereiche Schule, Ausbildung, Arbeit sind wichtige Felder im Integrationsprozess, doch gelungene Integration von Zugewanderten bedeutet noch wesentlich mehr.
Unser Zusammenleben basiert ganz wesentlich auf unserer Verfassung: Wir akzeptieren deshalb nicht, dass es auch nur ansatzweise rechtsfreie Räume gibt oder statt unserer Rechtsordnung, die der Sharia gilt.
Gegen Zwangsverheiratungen
Gerade Zwangsverheiratungen müssen auch durch politische Maßnahmen verhindert werden.
Die Landesregierung hat aufgrund der Entschließung des Niedersächsischen Landtages mit dem Titel "Handlungskonzept: Zwangsheirat ächten – Zwangsehen vorbeugen" am 24.05.2005 unter Federführung des MS einen interministeriellen Arbeitskreis eingerichtet, der bis Ende 2006 ein entsprechendes Handlungskonzept vorlegen wird. In einer Bundesrats-
initiative hat Niedersachsen für die anstehende Änderung des Aufenthaltsgesetzes vorgeschlagen, den Nachzug von Ehegatten aus dem Ausland künftig an zwei Bedingungen zu knüpfen: Erstens müssen beide Ehepartner mindestens 21 Jahre alt sein. Das heutige Recht sieht überhaupt kein Mindestalter vor. Zweitens muss der nach Deutschland nachziehende Ehepartner zumindest über einfache Deutschkenntnisse verfügen. Diese Maßnahme dient auch dem Ziel, Zwangsverheiratungen entgegen-zuwirken. Gerade hier muss aber auch präventiv gearbeitet werden: Als Impuls für Dis-kussionen mit Jugendlichen über Werte und Ideale hat sich die von der Ausländer-beauftragen des Landes verbreitete Postkarte mit der Aufschrift "Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen" als besonders gut geeignet gezeigt.
Der Islam
Mit den nach Deutschland zugewanderten Menschen sind auch neue Religionsgemeinschaften zu uns gekommen. Fremde Religionen können – nicht zuletzt vor dem Hintergrund islamistisch motivierter Anschläge – Unsicherheit erwecken, die mitunter zur Ablehnung der Religionsgemeinschaft und ihrer Mitglieder führt. Dem stellen wir uns entschieden entgegen. Erst recht stellen wir uns denjenigen entgegen, die diese Unsicherheiten für ihre Zwecke instrumentalisieren. Die Niedersächsische Landesregierung bekämpft Fremdenfeindlichkeit mit aller Entschlossenheit. Dies gilt insbesondere für politischen Extremismus. Wir richten unsere Anstrengungen auf die Förderung des interreligiösen Dialogs. Die Rolle der religiösen Bindungen und Überzeugungen im Integrationsprozess erfordert die Auseinandersetzung damit. Nur so können wir Integrationshindernisse abbauen und eine im Sinne des Grundgesetzes gestaltete und integrationsförderliche Entwicklung unterstützen.
Meine Damen und Herren, für alle – auch für uns selber – ist es nach meiner Überzeugung unerlässlich, unser eigenes christliches und abendländisches Fundament, unsere eigenen Wurzeln zu kennen. Nur wenn wir wissen und deutlich machen, woher wir kommen und auf welchem Fundament wir stehen, können wir tolerant und selbstbewusst mit Menschen anderer Herkunft umgehen und zusammenleben. Das erleichtert auch Migranten, sich aktiv einzu-bringen.
Durch Zuwanderung hat der Islam in unserem Land eine besondere Bedeutung erlangt.
Diskussionen über den Islam und mit den Muslimen verlaufen nicht immer sachlich – und sind nicht selten von Unkenntnis geprägt. Erforderlich sind mehr Informationen und Hintergrundwissen. Deshalb haben wir eine Wanderausstellung "Integration von Muslimen in Niedersachsen - Problemfelder und Perspektiven" konzipiert, die auf großes Interesse in allen Teilen Niedersachsens stößt und bislang an sehr unter-schiedlichen öffentlichen Orten in über 20 Städten gezeigt wurde. Die Präsentation wird auf Grund großer Nachfrage auch im Jahr 2006 fortgesetzt. Die Einführung Islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Unterrichtsfach ist gegenwärtig Thema in vielen Bundesländern. Niedersachsen nimmt mit dem sehr erfolgreichen Schulversuch "Islamischer Religionsunterricht" auch hier eine Vorreiterrolle ein.
Seit dem Schuljahr 2003/2004 ermöglichen wir inzwischen neunzehn Grundschulen für knapp 700 muslimische Schülerinnen und Schüler im Rahmen dieses Schulversuchs die Teilnahme am "Islamischen Religionsunterricht"; im nächsten Schuljahr kommen drei weitere Schulen dazu. Die Zufriedenheit mit dem Schulversuch ist außerordentlich hoch. Die Muslime fühlen sich ernst genommen und sehen ihre Religion wert geschätzt.
Mit der Einführung des islamischen Religionsunterrichts hat Niedersachsen Pionierarbeit geleistet. Das gilt auch für die Ausbildung der Lehrkräfte. Seit 2004 gibt es an der Universität Osnabrück einen Fernstudiengang zur Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern in dem neuen Fach islamischer Religionsunterricht. Inzwischen hat das Wissenschaftsministerium einen neuen Master-Studiengang – ebenfalls an der Universität Osnabrück – im Fach "islamische Religionspädagogik" genehmigt, der es muslimischen Lehramtstudentenerlauben wird, dieses Fach als Erweiterungsfach zu studieren. Beim Integrationsgipfel sollen all diese Punkte als Forderungen beschlossen werden. In Niedersachen sind wir weiter.
Integrationsziele - Orientierungen
Integration, ich habe es ausgeführt, zielt auf das Hineinwachsen in die zentralen Lebensbereiche unserer Gesellschaft. Die Integration von Zugewanderten ist dieser Landesregierung ein besonderes Anliegen. Wer Integration voranbringen will, muss Orientierungen vorgeben, muss klar sagen, in welche Richtung die Integrationsbemühungen laufen sollen, muss klar sagen, was von der Mehrheit und vor allen Dingen auch was von der zugewanderten Minderheit erwartet wird und was in unserem Land toleriert wird und was nicht akzeptiert werden kann.
In unserem Land wird nicht akzeptiert, wenn zum Beispiel Frauen ausschließlich in ihrem Familienverband leben müssen und ihnen durch das männliche Familienoberhaupt jeglicher Zugang zum gesamtgesellschaftlichen Leben untersagt wird.
Dies widerspricht unserer grundrechtlich geschützten Auffassung der Gleichbehandlung von Mann und Frau. Es kann nicht akzeptiert werden, dass muslimischen Mädchen von ihren Eltern beispielsweise die Teilnahme am schulischen Schwimm- und Sportunterricht oder an Klassenfahrten verwehrt wird. Es kann nicht toleriert werden, wenn sich Zuwanderer abschotten und Parallelgesellschaften entwickeln. Es kann aber auch nicht akzeptiert werden, wenn integrationswillige Migrantinnen und Migranten aufgrund ihrer Herkunft abgelehnt werden und fremdenfeindlichen Angriffen ausgesetzt sind.
Von unserer Gesellschaft wird zu Recht erwartet, dass sie mit Offenheit und Dialog-bereitschaft auf Migranten und Spätaussiedler zugeht, denn Anerkennung ist auf Gegenseitigkeit angewiesen.
Alle Integrationsbemühungen müssen sich daran orientieren, was etwa der amerikanische Soziologe Amitai Etzioni mit dem Bild der "Mosaik-Gesellschaft" als Ziel beschreibt – an einer "Komposition aus Steinchen verschiedener Farbe und Form, zusammengehalten durch einen Zementuntergrund und einen festen Rahmen."
(nach Theo Sommer, die Zeit Nr. 16, 12.04.2006, S.5)
Unsere Verfassung bietet den stabilen Untergrund, unsere Gesetze einen festen Rahmen. Sich darauf bewegend und darin verortet finden Menschen verschiedener Herkunft ihren Platz und viel Raum zur individuellen Entfaltung. In diesem Sinne ist längst eine Vielzahl von Migranten und von Spätaussiedlern in unserem Land bestens integriert. Aber wir wissen, dass es nicht reicht, verschiedene Kulturen in unserem Land aufeinander treffen zu lassen und davon zu träumen, dass alle friedlich miteinander umgehen und produktiv zusammenleben. Die Unverbesserlichen freilich halten an diesem Traum immer noch fest. So hat Claudia Roth von den Grünen vorgestern Abend in der Tagesschau die tolle friedliche Stimmung bei der Fußball-WM als Beleg dafür gewertet, dass "Mulitikulti nun zum Standortfaktor" Deutschlands" geworden sei. Bei aller Freude über die WM – man kann ihr nur zurufen: "Lass das Träumen, steh auf und komme in der Realität an!"
Der sozialromantische Traum von "Multikulti" ist endgültig ausgeträumt. Wir sehen die Realität – und sagen klar und deutlich, was wir in unserem Land akzeptieren und was nicht.
Bleiberecht, Härtefallkommission
Dazu gehört auch, sich klar und deutlich zur Perspektive derer zu äußern, die mit einer Duldung bei uns leben. Es gab und gibt im Lande, auch hier im Landtag, eine breite öffentliche Diskussion um ein Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlingsfamilien.
In der Vergangenheit haben sich Hoffnungen, durch eine "allerletzte" Bleiberechtsregelung einen Schlussstrich zu ziehen, nicht erfüllt. Diese enttäuschten Hoffnungen haben nach einer gewissen Zeit Forderungen nach weiteren Bleiberechtsregelungen ausgelöst. Die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung aber muss grundsätzlich Sache des Parlaments bleiben. Bleiberechts- und Härtefallentscheidungen dürfen nur in besonderen Einzelfällen oder für bestimmte Gruppen getroffen werden, bei denen hinreichende Gründe vorliegen, die ein Abweichen von der gesetzlichen Ausreiseverpflichtung rechtfertigen. Ein Härtefallersuchen setzt voraus, dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen. Dieses festzustellen wird Aufgabe der Härtefallkommission sein, die ich einrichten werde.
Ich sehe die Probleme, die sich daraus ergeben, dass ausreisepflichtige Menschen jahrelang mit so genannten "Kettenduldungen" bei uns leben.
Um aber hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, weise ich zur Klarstellung darauf hin, dass es sich bei geduldeten Ausländern um Personen handelt, die nach den Feststellungen des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichte weder politisch verfolgt noch schutzbedürftig sind. Sie sind somit zur Ausreise verpflichtet und halten sich nur noch in Deutschland auf, weil sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen wollen und Abschiebungen aus häufig selbst zu vertretenden Gründen nicht möglich sind.
Der mir im Entwurf vorliegende Evaluierungsbericht des Bundesinnenministers zum Zuwanderungsgesetz kommt nach erster Durchsicht nicht zu dem Ergebnis, dass es einer neuen Bleiberechtsregelung zwingend bedarf. Nach ersten Erhebungen hat sich ergeben, dass seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes insgesamt 41.560 geduldeten Personen nach § 25 Aufenthaltsgesetz Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen erteilt und damit die bisherigen sog. Kettenduldungen ersetzt wurden. Wenn man diese Zahl vergleicht mit den auf Grund der Bleiberechtsregelung von 1999 erteilten Aufenthaltsbefugnissen, nämlich rd. 30.000, lässt die vielfach wiederholte Behauptung, das Zuwanderungsgesetz habe in dieser Hinsicht keine Verbesserung ergeben, sicher nicht aufrecht erhalten.
Eine Lösung im Sinne eines "Patentrezeptes" wird es wohl auch nach Abschluss der Evaluierung nicht geben, zumal eine Reduzierung der langjährigen Duldungen nicht nur durch die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, sondern auch durch eine konsequente Rückführung erfolgen kann. Dennoch gehe ich davon aus, dass wir im Herbst 2006 bei der IMK eine tragbare Entscheidung darüber treffen können, ob eine weitere Bleiberechtsregelung erforderlich ist. Dabei will ich in aller Deutlichkeit sagen, dass weiterhin von Bleiberechtsregelungen grundsätzlich Personen nicht begünstigt werden können,
- die ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichern können,
- deren Aufenthalt wegen Identitätsverschleierung nicht beendet werden konnte oder
- die straffällig geworden sind.
In der Gruppe der Geduldeten nehme ich mit großer Sorge das Schicksal der Kinder und Jugendlichen wahr, die für Entscheidungen und Handlungen ihrer Eltern nicht verantwortlich zu machen sind. Hier muss politisch gehandelt werden, damit in Deutschland aufgewachsenen, gut integrierten ausländischen Kindern und Jugendlichen eine Perspektive zum Hierbleiben eröffnet wird, wie ich sie bereits als zusätzliche Option vorgeschlagen habe. Es geht mir nicht um das "Auseinanderreißen von Familien", sondern es geht mir darum, den Jugendlichen eine Chance anzubieten, die sie nach dem Prinzip der Freiwilligkeit annehmen können.
Einbürgerung/Eidesleistung
In Niedersachsen haben im vergangenen Jahr (2005) 10.886 Menschen durch Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Wie bei allen integrationspolitischen Maßnahmen sollte auch mit Blick auf die Einbürgerung das "fordern und fördern" die Richtschnur sein.
Deshalb hat die Innenministerkonferenz auf Vorschlag Niedersachsens folgende Punkte beschlossen:
- höhere Anforderungen an die Deutschkenntnisse
- Ablenkung der einer Einbürgerung entgegenstehenden Vorstrafen
- Teilnahme an einem Staatsbürgerkurs
- Bekräftigung der feierlichen Einbürgerung mit einem Gelöbniss oder Eid.
Mit der Einbürgerung wird dokumentiert, dass sich die Eingebürgerten in unserer Gesellschaft sozial und wirtschaftlich "zu Hause" fühlen, eben integriert sind.
Im Regelfall haben die neuen Staatsbürger ihre Sprachkenntnisse nachgewiesen, sie haben Kenntnisse über unser Staatswesen und vor allem über die Grundwerte des Grundgesetzes erworben, stehen wirtschaftlich auf eigenen Füssen. Sie sind damit willkommene Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Die Einbürgerung wird zu Recht als Krönung der Integration bezeichnet.
Integrationsgipfel – Ausblick
Erstmals – 50 Jahre nach der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte durch die Bundesrepublik Deutschland – wird es auf Bundesebene einen Integrationsgipfel geben, zu dem die Kanzlerin einlädt und der von der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung vorbereitet wird.
Diesen notwendigen Schritt begrüße ich ebenso sehr wie die Einbeziehung der Länder und der Kommunalen Spitzenverbände wie auch die vorgesehene Beteiligung der Migranten-Selbstorganisationen.
Niedersachsen hat in vielen Bereichen der Integration bundesweit eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Erfahrungen und Evaluationsergebnisse aus den Integrationsaktivitäten der Niedersächsischen Landesregierung wird Niedersachsen in die Erarbeitung eines bundesweiten Integrationsplanes mit einbringen.
- Das Erlernen der deutschen Sprache,
- die Perspektiven von Kindern und Jugendliche,
- die Lebensgestaltung auf der Grundlage unserer Verfassung
haben oberste Priorität. Diese Ziele dürfen wir nicht aus den Augen verlieren – immer ausgerichtet an dem Grundsatz: fordern und fördern. Die Integration zugewanderter Menschen muss verbessert und die Eigenverantwortlichkeit der Migranten und Spätaussiedler muss gestärkt und eingefordert werden. Der erfolgreiche Verlauf individueller Integrationsprozesse ist immer auch das Ergebnis eigener Leistungen des jeweiligen Migranten oder Spätaussiedlers. Nur durch persönliche Anstrengungen und im koordinierten Zusammenspiel der verschiedenen staatlichen und institutionellen Akteure sind die Herausforderungen der gesellschaftlich bedeutsamen Aufgabe INTEGRATION erfolgreich zu meistern.
In danke denen, die in diesem Sinne bisher viel geleistet haben.
Auf dem sicher auch künftig nicht immer einfachen Weg brauchen wir die Unterstützung aller.
Integration ist eine große Herausforderung und eignet sich deshalb nicht für parteipolitische Profilierung. Auch die Vorgängerregierungen haben in diesem Bereich Einiges auf den Weg gebracht.
Wir haben allerdings neue Akzente gesetzt und die Rahmenbedingungen entscheidend verbessert, so dass wir heute mit Überzeugung feststellen können:
Wir Niedersachsen haben in der Integration eine Vorreiterrolle!
Artikel-Informationen
erstellt am:
12.07.2006
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010