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Beantwortung der Mündl. Anfrage der SPD zum Verfassungsschutz

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 10. Juni 2016; Fragestunde Nr. 3

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Gabriele Andretta (SPD) wie folgt:

Vorbemerkung der Abgeordneten

Wie Presseberichten zu entnehmen ist (u. a. Göttinger Tageblatt vom 19. April 2016), wurde ein Kultursachbearbeiter des Göttinger Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) und Mitglied der Jusos, Rasmus Kahlen, im Jahre 2005 vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Den Presseberichten zufolge wurde dies erst 2014 durch eine Routineanfrage durch Rasmus Kahlen, der inzwischen als Rechtsanwalt tätig ist, bekannt. Damals wurde durch den Verfassungsschutz mitgeteilt, dass die personenbezogenen Daten Kahlens zur Löschung anstünden. Weitere Nachforschungen des Betroffenen im Zuge zu Recherchen zu dem ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachteten Journalisten Kai Budler im April 2016 hätten nun ans Licht gebracht, dass - anders als angekündigt - keineswegs sämtliche Daten von Rasmus Kahlen gelöscht worden seien.

Den in der Presse zitierten Aktenauszügen zufolge hätten sich in der Akte u. a. ein Text zum Kulturangebot des Göttinger AStA sowie zwei juristische Texte Kahlens zum Vorgehen der Berliner Polizei gegen G-8-Gipfel-Gegner befunden.

Weiter stellen die Presseberichte des Göttinger Tageblatts heraus, dass Kahlen - zur fraglichen Zeit Mitglied der Nachwuchsorganisation der SPD - zu keiner Zeit einer extremistischen Gruppierung angehört habe oder in irgendeiner Weise straffällig geworden sei.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Beobachtung einer demokratischen Partei oder deren Nachwuchsorganisation durch den Verfassungsschutz wäre ein schwerer Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleistete Staatsfreiheit der Parteien. Ein solcher ist zwar durch die grundgesetzliche Entscheidung für eine „wehrhafte“ und „streitbare“ Demokratie unter gewissen Umständen möglich. Aus Sicht der Landesregierung kann die Beobachtung einer demokratischen Partei oder deren Nachwuchsorganisation indes nur die Ultima Ratio sein. Keine der in der aktuellen und vorherigen Wahlperiode im Landtag vertretenen Parteien wird heute vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet.

Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger und wichtiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie fördern die aktive Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am politischen Leben und unterstützen sie bei der Übernahme öffentlicher Verantwortung in Kommunen, beim Land, im Bund und in Europa. Die Landesregierung ist sich der Bedeutung gerade der Nachwuchsorganisationen sehr bewusst.

Im Rahmen ihres politischen Engagements und des gesellschaftlichen Diskurses ist es allerdings auch nicht auszuschließen, dass es zu Kontakten mit Gruppierungen und Personen kommt, welche durch den niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet werden. Die präzise Abgrenzung zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und Extremismus ist dabei eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben. Demokratischer Protest darf einerseits nicht diskreditiert werden, anderseits aber ist Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele in keinem Fall zu tolerieren. Daher bleibt es aus Sicht der Landesregierung unerlässlich, extremistische gewaltbereite Bestrebungen durch den Verfassungsschutz aufklären zu lassen um unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen.

Der Verfassungsschutz als Inlandsnachrichtendienst hat dabei eine Frühwarnfunktion. Er soll helfen, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu erkennen. Um die notwendigen Erkenntnisse für eine dazu erfolgreiche, umfangreiche Analysetätigkeit zu erlangen, sind die Speicherung von personenbezogenen Daten und ein damit verbundener Eingriff insbesondere in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung leider nicht immer zu vermeiden. Diese Grundprämisse ändert auch die derzeit im Parlament beratene Novelle des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes nicht. Der Fokus muss vielmehr auf Datensparsamkeit und einen sensiblen Umgang mit den gespeicherten Daten liegen.

1. Welche Verdachtsmomente lagen gegen Rasmus Kahlen vor, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz gerechtfertigt haben?

Die Speicherung von Herrn Kahlen aus dem Jahr 2005 wurde durch die Task Force geprüft und bereits die Erstspeicherung für rechtswidrig gehalten. Die vorliegenden Erkenntnisse bezogen sich auf die Berufsausübung des Herrn Kahlen, sodass die Speicherung bereits unverhältnismäßig war. Dieser Einschätzung hat sich die Landesregierung angeschlossen. Über weitere Details zu den Verdachtsmomenten vermag die Landesregierung aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft zu geben.

2. Welche Gründe bestehen gegen eine vollständige Löschung der personenbezogenen Daten Rasmus Kahlens?

Bereits im Oktober 2013, ergänzt durch ein weiteres Aktenvorlagebegehren vom 13. Mai 2014, haben vier der Fraktion der CDU angehörende Abgeordnete die Vorlage aller Akten beantragt, die im Zusammenhang mit der Prüfung der Task Force entstanden sowie aller Akten und Speicherungen, die nach Auffassung der Landesregierung rechtswidrig sind (Aktenvorlage nach Art. 24 Abs. 2 Niedersächsische Verfassung). Um das Aktenvorlagebegehren uneingeschränkt zu erfüllen, ist das zu Beginn der Arbeit der Task Force für alle überprüften Arbeitsbereiche im Oktober 2013 verfügte Löschmoratorium aufrechterhalten worden. Die personenbezogenen Daten, deren Speicherung die Task Force für rechtswidrig erachtet hatte oder die für die Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes nicht für erforderlich angesehen wurden, sind gesperrt worden. Gesperrte Daten dürfen nicht mehr für die Aufgabenwahrnehmung des Verfassungsschutzes genutzt werden. Das Volumen der gesperrten Daten ist erheblich. Der nach § 10 Abs. 2 NVerfSchG bestehenden Löschverpflichtung wird insoweit nicht nachgekommen, um die parlamentarische Überprüfung durch den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes uneingeschränkt zu ermöglichen. Auch die betroffenen Daten des Herrn Kahlen gehören dazu, weswegen eine vollständige Löschung bislang nicht erfolgen konnte.

3. Werden gegenwärtig noch weitere Mitglieder von Nachwuchsorganisationen demokratischer Parteien vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet? Wenn ja, aus welchen Gründen und in welchem Umfang?

Mitglieder von Nachwuchsorganisationen demokratischer Parteien werden, wie in der Vorbemerkung dargestellt, nicht wegen ihrer Tätigkeit für die Nachwuchsorganisation einer demokratischen Partei gespeichert. Soweit Personen wegen der Verfolgung extremistischer Bestrebungen gespeichert werden, ist nicht in jedem Fall bekannt, ob sie auch Mitglied einer Nachwuchsorganisation einer demokratischen Partei sind. Da eine Speicherung nicht aufgrund der jeweiligen Parteimitgliedschaft erfolgt, ist auch eine strukturierte Suche nach entsprechenden Personenspeicherungen mit einem entsprechenden Hintergrund nicht möglich. Daher wurden zur Beantwortung dieser Anfrage Suchbegriffe entwickelt, um eventuell vorhandene Personenspeicherungen mit persönlichem Hintergrund zu einer der parteipolitischen Jugendorganisationen herauszufiltern. Auf dieser Grundlage, die keine abschließende Aufzählung darstellen kann, wurde in allen Extremismusbereichen recherchiert.

Aktuell sind zwei Personen mit Bezügen in dem Bereich Linksextremismus in der Verbunddatei NADIS WN und der Amtsdatei Niedersachsen gespeichert. Darüber hinaus finden sich noch zu 24 weiteren Personen Erkenntnisse in Akten und im Aktenverwaltungssystem, die jedoch nicht personenbezogen, also unter Eingabe ihres Namens, auffindbar gespeichert sind.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
10.06.2016

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