Ausrichtung der Polizei
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 30.05.2013; Fragestunde Nr. 5
Innenminister Boris Pistorius beantwortet die mündliche Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP)
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Die rot-grüne Landesregierung ist seit hundert Tagen im Amt. In ihrer Koalitionsvereinbarung haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Thema Tätigkeit der Polizei angekündigt: „Durch die demografische Entwicklung wird der Anteil älterer Menschen immer größer und die Gesellschaft immer vielschichtiger. Das hat Auswirkungen auch auf die Polizei und ihre Arbeit. Um sie darauf vorzubereiten, wird die rot-grüne Koalition dazu in dieser Legislaturperiode eine strukturierte Betrachtung/Untersuchung durchführen. Gemäß ihrer Altersstruktur werden in den nächsten Jahren starke Jahrgänge der Polizei in den Ruhestand treten.“
Eine funktionsfähige Polizei ist eine der tragenden Säulen unseres Rechtsstaats. Die Tätigkeit bei der Polizei muss attraktiv ausgestaltet sein. Neben einer angemessenen Bezahlung spielen die Beförderungschancen eine wichtige Rolle für die Attraktivität des Polizeidienstes. Nicht zu vernachlässigen sind die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Struktur und die Arbeit der Polizei.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) monierte in einem am 3. Mai 2013 erschienenen Zeitungsinterview die Zurückhaltung der neuen rot-grünen Landesregierung bei der Umsetzung ihrer Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag und mahnte die Landesregierung unter Bezugnahme auf die rot-grünen Wahlversprechen, dass man Versprechen halten müsse. Im Koalitionsvertrag wurden zur Steigerung der Attraktivität der Polizei im Wesentlichen drei Hauptänderungsziele normiert.
Die ersten hundert Tage einer Landesregierung gelten immer als Phase, in der eine Einarbeitung erfolgt, zugleich aber auch erste Weichenstellungen vorgenommen werden.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Wie will die Landesregierung sicherstellen, dass ausscheidende Beamtinnen und Beamte durch Nachwuchskräfte ersetzt werden?
2. Welche Kriterien sind für die Landesregierung bei der Erstellung ihres angekündigten Personalentwicklungskonzepts maßgeblich?
3. Wie beabsichtigt die Landesregierung, die Beseitigung der Restriktionen bei den „A-11-Erlassen“ umzusetzen?
Innenminister Boris Pistorius beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:
Die Gewährleistung der Inneren Sicherheit in Niedersachsen hat für diese Landesregierung einen herausragenden Stellenwert. Der damit verbundene hohe Anspruch an die Landespolizei erfordert auch zukünftig qualifizierte, motivierte, erfolgsgerichtete und zufriedene Beschäftigte, die ihr Handeln im Sinne einer modernen Bürgerpolizei an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ausrichten.
Der demografische Wandel und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft aber eben auch die Arbeitswelt werden zunehmend greifbarer. Auch in der Polizei steht zeitnah der Verlust von erheblichen Mengen Personals in einem relativ kurzen Zeitraum bevor; die geburten- und einstellungsstarken Jahrgänge verlassen die Organisation in den verdienten Ruhestand. Demgegenüber stehen nachwachsend lediglich geburtenschwächere Jahrgänge. Folgerichtig hat der „Wettbewerb um die klugen Köpfe“ bereits begonnen, dem sich auch die Polizei zu stellen hat. Mit dieser Tatsache ist nicht nur die Notwendigkeit erheblicher Kontingente von Neueinstellungen verbunden; es gilt gleichermaßen, einem erheblichen Verlust von langjährig erworbenem Erfahrungswissen erfolgreich zu begegnen und zeitgerechten Wissenstransfer in der Polizei zu gewährleisten.
Insofern bedarf es für die Polizei eines modernen, ganzheitlichen und zukunftsfähigen Personalmanagements insgesamt. Hierzu zählen insbesondere Themenfelder wie Personalplanung und -einsatz, Besoldungsstruktur und Karriereperspektive, Personalrekrutierung und Bindung des Personals an die Organisation. Folgerichtig und in Anerkennung dieser Aufgabe und Verantwortung hat die Landesregierung bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt, die Polizei auf diese Herausforderungen vorzubereiten. Die bestehenden Bedingungen sollen im Laufe dieser Legislaturperiode einer strukturierten Betrachtung unterzogen werden mit dem Ziel, weiteren Optimierungsbedarf zu erkennen und zu gestalten sowie überflüssige Hemmnisse und Restriktionen abzubauen. Mit diesem Weg gilt es sicherzustellen, dass auch zukünftig ausreichend geeigneter polizeilicher Nachwuchs verfügbar ist, die Berufsattraktivität erhalten und weiter gesteigert wird sowie demotivierende Faktoren abgebaut werden. Bei alledem ist wichtig, nicht vorschnell zu handeln, sondern auf der Basis einer soliden Bewertung des Ist-Standes lediglich sinnvolle und vor allem auch nachhaltige Anpassungen und Veränderungen vorzunehmen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1.:
Unabdingbare Erfolgsfaktoren erfolgreicher Nachwuchssicherung für die Polizei – und damit über allem stehend – sind zwei Voraussetzungen:
Es muss auch zukünftig gelingen, die hohe Akzeptanz, das große Vertrauen und die Wertschätzung der Bevölkerung in eine demokratische, bürgerorientierte sowie „barrierefreie“ Polizei und damit deren gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Regelmäßig belegen Studien die derzeitige Wertschätzung des Berufsbildes Polizei eindrucksvoll. Dies muss so bleiben, um geeignete Berufsanfänger für die Polizei zu interessieren und zu fesseln.
Weiterhin gilt es, nachhaltig die Berufszufriedenheit zu erhalten bzw. weiter zu verbessern. Die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Polizei wirkt nach innen, aber auch meinungsbildend nach außen. Positive Botschaften in persönlichen Gesprächen sind die beste Werbung für dieses „Unternehmen“, die vorstellbar ist. Deshalb gilt es, neben angemessenen Arbeitsbedingungen und einer erträglichen Arbeitsbelastung auch dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre vielfältigen Aufgaben unter einer modernen, aufgeschlossenen sowie auf Kooperation und gemeinsamen Erfolg angelegten Führung weitgehend eigenverantwortlich wahrnehmen können. Kaum ein anderer Beruf weist eine solche Vielfalt von Tätigkeitsfeldern und neigungsorientierten persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten auf, wie der der Polizistin bzw. des Polizisten. Dies gilt es deutlich herauszustellen.
Darüber hinaus erfordern die geänderten Rahmenbedingungen Anpassungen im Bereich der Einstellungen. Mit modernen, kreativen Werbekampagnen muss auch die Polizei die Bewerberinnen und Bewerber dort „abholen“, wo sie zu finden sind. Dabei beschreitet sie zunehmend kreative und auch unkonventionelle Wege. Unbürokratische, zeitnahe, bewerberfreundliche und kulturneutrale Auswahlverfahren müssen beschleunigt zu verbindlichen Einstellungszusagen führen, um Verlässlichkeit für beide Seiten zu schaffen. Sinnvoll erscheint auch, bereits vor Aufnahme des Bachelor-Studiums an der Polizeiakademie am Aufbau einer „Beziehung“ zu den künftigen Berufsanfängern zu arbeiten, um eine frühzeitige Berufsbindung zu fördern und um zu verhindern, dass Bewerberinnen und Bewerber zwischen Einstellungszusage und Studienbeginn wieder abspringen.
Von großer Bedeutung ist darüber hinaus, sich alle potentiellen Zielgruppen der Nachwuchs-werbung zu erhalten bzw. nachhaltig zu erschließen. Neben der seit vielen Jahren selbstverständlichen Einstellung von Frauen, die jährlich bei ca. 40 % liegt, gilt es insbesondere, den Einstellungsanteil von Migrantinnen und Migranten bei der Polizei weiter zu erhöhen, um gesellschaftliche Diversität auch in der Polizei angemessen abzubilden und zu leben. Das ist nicht nur zahlenmäßig ein großer Gewinn für die Organisation insgesamt. Neben der langjährig zurück liegenden Einführung der sogenannten zweigeteilten Laufbahn, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht, hat die Polizei Niedersachsen außerdem die Zielgruppe der Realschüler nie aus den Augen verloren. Den Weg, Bewerberinnen und Bewerbern mit einer verbindlichen Einstellungszusage über die Fachoberschule einen Zugang zu einem sich anschließenden Bachelor-Studium an der Polizeiakademie zu ermöglichen, gilt es bei Bedarf rechtzeitig auszuweiten. Gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels erhält und erschließt sich die Polizei so eine gewichtige Option für die Zukunft. Darüber hinaus gilt es, auch die Rahmenbedingungen während des Berufslebens so zu gestalten, dass Bewerberinnen und Bewerber animiert und angezogen werden. Hierzu verweise ich auf die Ausführungen zu 2.
Zu Frage 2.:
Die Koalitionsvereinbarung der neuen Landesregierung zielt ganzheitlich auf die Erhöhung der Berufsattraktivität der Polizei. Exemplarisch, aber nicht abschließend oder gar exklusiv, nennt die Koalitionsvereinbarung in diesem Kontext auch die Personalentwicklung. Insgesamt geht es um ein komplexes, miteinander verzahntes System von vielen Einzelmaßnahmen, die heute das Berufsbild der Polizistin und des Polizisten prägen und neben der Abwechslung und der Vielfalt der Aufgaben maßgeblich für diesen Beruf sprechen und ihn attraktiv machen.
Im Rahmen der durch die Haushaltslage vorgegebenen Bedingungen ist es das Bestreben dieser Landesregierung auch weiterhin an der Verbesserung der Stellensituation der Polizei zu arbeiten, um zeitlich vertretbare Beförderungsperspektiven gerade für das erste Beförderungsamt, also A 10, zu schaffen. Aufstiegsmöglichkeiten nach A 11 soll es unter Beseitigung der derzeitigen Restriktionen des sogenannten „A 11er - Erlasses“ zukünftig wieder für alle Polizistinnen und Polizisten geben. Einen neuen Erlass unter Beachtung der durch die aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung gesetzten Rahmenbedingungen und unter ggf. erforderlicher Anpassung der gesetzlichen Grundlagen habe ich beauftragt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die erforderlichen Vorarbeiten abzuwarten sind.
Weitere wesentliche Eckpunkte eines ganzheitlichen Ansatzes zur Erhaltung und Steigerung der Attraktivität des Polizeiberufs sind die auch zukünftig bedarfsgerechte Gestaltung der theoretischen und praktischen Inhalte des Bachelor-Studienganges an der Polizeiakademie sowie ein Fortbildungskonzept, das sowohl in der Breite als auch in der Tiefe den Anforderungen der polizeilichen Praxis jederzeit gerecht wird und das zeitnah auf Veränderungen und Anpassungsbedarfe reagieren kann. Die Instrumente sowohl der horizontalen als auch der vertikalen Personalentwicklung sind im Interesse der Beschäftigten und der Organisation auch weiterhin intensiv zu nutzen, wobei es nunmehr maßgeblich auch darauf ankommt, gleichstellungspolitische Zielsetzungen auf allen Hierarchieebenen der Polizei mit Nachdruck umzusetzen. Außerdem soll den Erfordernissen der zeitgerechten Weitergabe von Erfahrungswissen (Wissenstransfer) angemessenes Augenmerk gewidmet werden. Dieser Aspekt gewinnt vor allem deshalb rapide an Bedeutung, weil zeitnah eine Vielzahl erfahrener Polizistinnen und Polizisten in den Ruhestand eintreten wird. Konzeptionelle Maßnahmen dazu sollen frühzeitig weiter intensiviert werden. Ergänzt durch eine ganzheitliche, flexible und kreative, vor allem aber gelebte „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, die gezielte Förderung des Einsatzes und der Entwicklung der zunehmenden Anzahl der Teilzeitbeschäftigten in der Polizei – auch in Führungspositionen – sowie ein begleitendes Gesundheitsmanagement für alle Beschäftigten verfügt die Polizei über ein solides Fundament auch für die Zukunft. Dies gilt es auszubauen, weiter zu optimieren und zu gestalten, um die Polizei als modernes Dienstleistungsunternehmen und damit auch als attraktiven Arbeitgeber fortzuentwickeln und auf die absehbaren Herausforderungen des demografischen Wandels vorzubereiten.
Zu Frage 3.:
Siehe Ausführungen zu 2.