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NPD-Demonstration in Oldenburg II.

Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage des Abgeordneten Briese (Grüne)


Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.09.2005

Der Abgeordnete hatte gefragt:

Am Samstag, dem 3. September 2005, hat eine rechtsradikale Minidemonstration in der Stadt Oldenburg stattgefunden. Etwa 70 Rechtsextreme haben die Huntestadt zur Verbreitung rechtsradikaler Propaganda heimgesucht.

Ein hohes Polizeiaufgebot von 3 000 Polizisten hat für diese Demonstration über mehrere Stunden fast die komplette Innenstadt eingekesselt. Mehrere tausend Menschen wurden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, Arbeitnehmer kamen nicht rechtzeitig zu ihren Arbeitsorten, verstörte Renterinnen konnten nicht mehr zu ihren Wohnungen oder mussten kilometerlange Umwege in Kauf nehmen, Autofahrer blieben in Parkhäusern stecken, und nicht zuletzt mussten Geschäftsleute hohe Umsatzeinbußen hinnehmen. Viele Menschen waren verärgert über die beträchtlichen Bewegungseinbußen.

Die Demonstrationsfreiheit ist im liberalen Rechtsstaat ein Grundrecht und gilt natürlich auch für Minderheiten. Es stellt sich aber die Frage, ob es verhältnismäßig ist, fast die komplette Innenstadt eines regionalen Oberzentrums über mehrere Stunden einzukesseln und damit auch Grundrechte wie die Bewegungsfreiheit von vielen Bürgerinnen und Bürgern stark einzuschränken, damit Rechtsradikale ihre Propaganda an exponierten Orten verbreiten können. Eine Änderung der Demonstrationsroute der Rechtsextremen wäre daher angebracht gewesen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Warum wurde die Demonstrationsroute der NPD nicht geändert und mit entsprechenden Auflagen versehen?

2. Ist es verhältnismäßig, für 70 Rechtsextreme die Oldenburger Innenstadt durch ein hohes Polizeiaufgebot mehrere Stunden abzuriegeln und somit Freiheitsrechte anderer Bürgerinnen und Bürger stark zu beschränken?

3. Welche Kosten hat der Polizeieinsatz in Oldenburg für das Land Niedersachsen hervorgerufen?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:

Vorbemerkung:

Demonstrationen von Rechtsextremisten in unseren Straßen sind eine schwer erträgliche Provokation. Dass die Oldenburger Bürger solche Veranstaltungen nicht in ihrer Stadt haben wollen und sich ganz erheblich gestört fühlen, wenn sie sich den Parolen der NPD ausgesetzt sehen, ist ebenso verständlich wie die Kundgabe dieses Unmuts auf Gegendemonstrationen. Der demokratische Konsens über die Ablehnung rechtsextremistischen Gedankenguts bietet aber in unserem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat keine Handhabe, missliebige Versammlungen – zumal wenn sie von Parteien veranstaltet werden, die nicht verboten sind und die sich daher auf das Parteienprivileg berufen können – zu verhindern.

Die Beeinträchtigungen, zu denen es am 03. September in der Oldenburger Innenstadt kam, waren unmittelbar nur zu einem geringen Teil auf den Durchzug der ca. 90 NPD-Demonstranten zurückzuführen. Die polizeilichen Absperrungen waren erforderlich, weil eine erhebliche Anzahl von Gegendemonstranten das Ziel hatte, den Aufzug der NPD durch Blockadeaktionen zu verhindern und immer wieder versuchte, auf die Aufzugsstrecke zu gelangen. Die Polizei war verpflichtet, die Teilnehmer der NPD-Demonstration in der Wahrnehmung ihrer Versammlungs-freiheit abzusichern. Dabei hat die Polizei stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Das Einsatzkonzept sah vor, den Innenstadtring in einem Phasen- und Kontrollstufenmodell nur gestuft und abschnittsweise abzusperren. Dies beinhaltete die Erreichbarkeit der Geschäfts-straßen innerhalb des Rings über verschiedene, sich im Demonstrationsverlauf verändernde Zuwegungen. Während einige Streckenabschnitte frei zugänglich blieben, waren andere Streckenabschnitte nur für ÖPNV und Fußgänger an bestimmten Durchlassstellen zu passieren; bestimmte Streckenabschnitte waren vollständig gesperrt. Die verschiedenen Stufen waren in einem rollierenden System am jeweiligen Standort des NPD-Aufzuges orientiert und veränderten sich mit der Bewegung des Aufzugs. Entlang der kompletten Strecke waren Einsatzkräfte mit Absperrgittern für die Absperrmaßnahmen eingesetzt. Die Polizei begann mit ersten Absperrmaßnahmen gegen 9 Uhr, die letzten Sperren am Bahnhof wurden um 17.39 Uhr aufgehoben. Der Innenstadtring war von 9 Uhr an betroffen, wobei bis 12.54 Uhr lediglich der Schlossplatz gesperrt war und ein Teil des Innenstadtrings nur für ÖPNV und Fußgängerverkehr passierbar war. Von 13.23 bis 14.45 Uhr war es wegen der zahlreichen und starken Störeraktivitäten und Versuche von Gegendemonstranten, die polizeilichen Absperrungen zu durchbrechen und auf die Aufzugsstrecke der NPD zu gelangen, erforderlich, den Innenstadtring fast vollständig abzusperren. In dieser Zeit waren der Zugang und das Verlassen der Innenstadt nur noch sehr eingeschränkt möglich. Zur übrigen Zeit konnte die Innenstadt jedoch über die jeweils vorgesehenen Zugänge jederzeit erreicht und verlassen werden. Der Innenstadtring war ab 16.05 Uhr wieder vollständig frei.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1:

Die Demonstrationsroute der NPD wurde in einem Kooperationsgespräch mit der Stadt Oldenburg als zuständiger Versammlungsbehörde, Vertretern der Polizei und dem Anmelder festgelegt. Die ursprünglich angemeldete Route wurde dabei aus Sicherheits- und polizeitaktischen Gründen erheblich gekürzt. Um unverhältnismäßige Belastungen für Unbeteiligte zu vermeiden, wurden Anzahl und Dauer der Kundgebungen verringert. Darüber hinaus wurden im Hinblick auf das Erscheinungsbild des Aufzugs und das Verhalten der Teilnehmer umfangreiche Auflagen verfügt, um Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Aufzug zu verhindern. Da die Wahl von Ort und Zeit wesentlich die Chance einer Demonstration auf öffentliche Wahrnehmung bestimmt und daher konstitutiver Bestandteil der Versammlungsfreiheit ist, war eine weitere Kürzung der Demonstrationsroute oder eine Verlegung des Aufzugs aus der Innenstadt heraus nicht möglich. Nur unter den engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands, die von den Verwaltungsgerichten immer wieder aufgezeigt werden, hätte der NPD eine innenstadtfernere Aufzugsroute auferlegt werden können. Diese Voraussetzungen waren jedoch in Abwägung der Rechte von Demonstrationsteilnehmern, Gegendemonstranten, Aktivisten und Unbeteiligten nicht gegeben.

Zu 2:

Zum Einsatzverlauf siehe Vorbemerkung. Der Einsatz wurde unter größtmöglicher Rücksichtnahme auf die Interessen von Verkehrsteilnehmern, Passanten und Geschäftsleuten geplant und durchgeführt. Die Polizei hatte die Aufgabe, die Aufzugsroute der NPD nach Möglichkeit freizuhalten und Blockaden und gewalttätige Aktionen, die das Ziel hatten, die Demonstration der NPD unmöglich zu machen, zu verhindern. Zugunsten der Teilnehmer der NPD- Demonstration war dabei das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in die Abwägung einzubeziehen, dem in unserer pluralistischen Demokratie eine überragende Bedeutung zukommt.

Das Polizeiaufgebot war in Anbetracht der erwarteten Störungen erforderlich und angemessen. Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben erst aus Anlass der NPD-Demonstration in Braunschweig am 18. Juni 2005 deutlich gemacht, dass die Polizei verpflichtet ist, sich auch durch eine hinreichende Kräfteplanung so vorzubereiten, dass sie zum Schutz der Demonstration in der Lage ist.

Zu 3:

Die Kosten für den Polizeieinsatz lassen sich abschließend noch nicht genau beziffern, weil die Einsatznachbereitung durch die Polizeidirektion Oldenburg noch nicht abgeschlossen ist. Insbesondere liegen die Abrechnungen der mit Unterstützungskräften beteiligten anderen Bundesländer noch nicht vor. Im Vergleich zu dem NPD-Einsatz in Verden am 02.04.2005, bei dem allerdings weniger Einsatzkräfte als am 03.09.2005 in Oldenburg beteiligt waren, wurde von der Polizeidirektion eine Kostenschätzung durchgeführt. Danach werden sich für den Einsatz am 03.09.2005 voraussichtlich einsatzbedingte Mehrkosten in Höhe von ca. 350.000 € ergeben.

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Artikel-Informationen

erstellt am:
16.09.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010

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