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Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2016

Pistorius: „Weiter große Herausforderungen im Islamismus“


Maren Brandenburger, Minister Boris Pistorius  
Maren Brandenburger, Minister Boris Pistorius

Der niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, hat am (heutigen) Dienstag den Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2016 vorgestellt. In den einzelnen Phänomenbereichen gibt es folgende Entwicklungen:

Rechtsextremismus:

In Niedersachsen haben rechtsextremistische Parteien ihren szeneprägenden Charakter verloren. Bei der NPD wird der Strukturwandel besonders deutlich. Die Mitgliederzahl sank weiter von 370 auf 350 (Bund: von 5.200 auf 5.000 Personen). Dem neonazistischen Bereich des Rechtsextremismus werden in Niedersachsen unverändert 280 Personen zugerechnet (Bund stagniert bei 5.800 Personen). Die subkulturelle rechtsextremistische Szene umfasst wie im Vorjahr 600 Personen (Bund: Anstieg von 8.200 auf 8.500 Personen). Das wichtigste Wesensmerkmal in diesem Bereich ist die rechtsextremistische Musik. Die Sicherheitsbehörden registrierten allerdings nur wenige Veranstaltungen.

Mit spektakulären Aktionen rückte die „Identitäre Bewegung Deutschland“(IBD) in den Blickpunkt. An der Besetzung des Brandenburger Tores waren auch Mitglieder aus Niedersachsen beteiligt. Das Personenpotenzial stagniert allerdings bei 50 (Bund: 300). Die IBD orientiert sich an den Theorien der Neuen Rechten. Inhaltlich werden dabei islamfeindliche und gegen Flüchtlinge sowie Einwanderer gerichtete Positionen vertreten.


Minister Pistorius: „Auch wenn die NPD weiter an Bedeutung verliert, haben wir den Rechtsextremismus genau im Blick. Insbesondere durch eine moderne Optik jenseits von Glatzen und Springerstiefeln und sehr medienwirksame Aktionen rückt die IBD weiter in den Mittelpunkt des rechtsextremen Spektrums. Wir müssen hier sehr genau hinsehen, denn mit ihrem Hipnessfaktor und ihrem Marketing wirkt die IBD im Gegensatz zu klassischen Neonazis anziehend gerade auf Jugendliche.“

Reichsbürger:

Der oft verwendete Begriff Reichsbürgerbewegung ist irreführend. Es handelt sich hier nicht um ein einheitliches Phänomen mit einer gemeinsamen politischen Zielsetzung, sondern um eine äußerst heterogene Erscheinung. Das Spektrum reicht dabei von esoterisch geprägten Gruppierungen über völkisch-traditionalistische Gruppen bis zu rechtsextremistisch ausgerichteten Zusammenschlüssen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hatte bereits frühzeitig auf die Notwendigkeit eines bundesweit abgestimmten Umgangs mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung hingewiesen. Mittlerweile sind auf Bund-Länder-Tagungen diesbezüglich Vereinbarungen getroffen worden. Vor dem Hintergrund eines möglichen Waffenbesitzes dieser Klientel hat das Landespolizeipräsidium Niedersachsen am 15. November 2016 einen Erlass zur „waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit von sogenannten Reichsbürgern“ verfügt. Verfassungsschutz und Polizei stehen in einem engen Austausch, um eine Gefährdungsbewertung vorzunehmen.

Die Anzahl der Reichsbürger und Selbstverwalter kann zu diesem frühen Zeitpunkt mit Blick auf die Heterogenität der Reichsbürgerszene und in Anbetracht der laufenden Datenerhebung noch nicht verlässlich beziffert werden. Wird ein weit gefasster Maßstab angelegt, liegt die Zahl in Niedersachsen bei rund 1.400 Personen. Davon wurden bislang rund 100 Personen als „Reichsbürger und Selbstverwalter“ kategorisiert und gespeichert, u. a. wegen einer ausgeprägten „Reichsbürgerideologie“ oder aufgrund von Straftaten, Widerstandhandlungen und Gewaltdelikten. Etwa ein Drittel der gespeicherten Personen hat rechtsextremistische Vorerkenntnisse. Rund zehn Prozent der gespeicherten Personen sind im Zusammenhang mit Gewaltstraftaten in Erscheinung getreten und sind dementsprechend als gefährlich einzuschätzen.

Minister Pistorius: „Es gibt bei den sogenannten Reichsbürgern die unterschiedlichsten Ausprägungen. Darum ist es für den Verfassungsschutz nicht einfach, die verschiedenen Bewegungen zusammenzufassen. Wichtig ist jetzt, dass wir diejenigen im Blick haben, die wirklich gefährlich sind. Wer die Bundesrepublik in Gänze ablehnt und sogar verhöhnt, kann kaum zuverlässig im Sinne des Waffengesetzes sein.“

Linksextremismus:

Das Personenpotenzial stagnierte in Niedersachsen 2016 im Bereich der Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten bei 625 Personen. Schwerpunkt der linksextremistischen Szene ist derzeit Südniedersachsen. In der Region Göttingen gab es 2016 regelmäßig gewaltsame Übergriffe auf Verbindungsstudenten und Rechtsextremisten.

Im Phänomenbereich Linksextremismus ist der Antifaschismus nach wie vor das zentrale Thema. Außerdem ist aufgrund der anhaltenden gesellschaftlichen Diskussion über Flüchtlinge und Integration auch der Antirassismus weiterhin von großer Bedeutung für die linksextremistische Szene. Die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt gegen Menschen ist niedrig. Im Raum Göttingen gab es 2016 gewaltsame Übergriffe auf Verbindungsstudenten und Rechtsextremisten. So wurden im zurückliegenden Jahr z.B. sechs Mitglieder des rechtsextremistischen Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen (FKTN) von etwa 40 bis 50 teils vermummten Personen angegriffen. Mehrere Autos von Personen, die die linksextremistische Göttinger Szene dem Rechtsextremismus zurechnet, gingen in Flammen auf – zuletzt Mitte März 2017. Opfer autonomer Gewalt werden auch immer wieder Polizeibeamtinnen und -beamte, die vor allem bei Demonstrationen zwischen die Fronten von Links- und Rechtsextremisten geraten.

Ausblick auf den G20 Gipfel:

Die geplante Anwesenheit des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump, des russischen Staatsoberhaupts Wladimir Putin und des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wirkt in der linksextremistischen Szene sehr mobilisierend. Bereits im Vorfeld des Gipfels gab es diverse Anschläge, insbesondere in Berlin und Hamburg, aber auch in Niedersachsen (z. B. im März 2017 auf den Schaltkasten einer Mauterfassungsstelle an der Autobahn 261 im niedersächsischen Rosengarten im Kreis Harburg. Mit weiteren Straftaten im Vorfeld des Gipfels ist ebenso zu rechnen wie mit einem gewaltsamen Gipfelverlauf.

Minister Pistorius: „Natürlich steht der Linksextremismus weiter sehr genau im Fokus des Verfassungsschutzes. Insbesondere die Szene in Südniedersachsen beschäftigt die Behörde. Wir erwarten, dass der G20 Gipfel in Hamburg mit Trump, Erdogan und Putin auch die niedersächsische Szene stark mobilisiert.“


Salafismus:

Von 2015 auf 2016 hat sich die Zahl der Anhänger in Niedersachsen von 520 auf 680 (aktuell sogar bereits 730) erhöht. Bundesweit ist ein Anstieg von 8.350 auf 9.700 (aktuell sprechen wir von 10.000) festzustellen. Salafistische Tendenzen lassen sich in Niedersachsen flächendeckend nachweisen. Dennoch bleiben die größeren Städte Hannover, Hildesheim, Braunschweig und Wolfsburg Schwerpunkte der salafistischen Aktivitäten. Die Prediger, die dort auftreten, sind in das nationale und internationale salafistische Netzwerk eingebunden. Die niedersächsische salafistische Szene ist überwiegend dem politischen Spektrum zuzurechnen.

Derzeit sind in Niedersachsen 63 Personen oder auch Gefährder bekannt (Bundesweit: 657), denen die Sicherheitsbehörden einen Terroranschlag zutrauen. Dazu kommen 29 mögliche Helfer und Unterstützer von Anschlägen, sogenannte relevante Personen. Die Zahl der Ausreisen aus Deutschland/Niedersachsen in die Region Syrien/Irak ist inzwischen stark rückläufig.

Die Sicherheitsbehörden legen daher einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die Identifizierung und Beobachtung von aus Kampfgebieten zurückkehrenden Personen, da von ihnen ein hohes Gefährdungspotenzial ausgehen kann. Bis Ende 2016 zählten die Sicherheitsbehörden insgesamt (auflaufend aus den letzten Jahren) 77 Ausreisen und 28 Rückkehrer aus Niedersachsen (aktuell 82 Ausgereiste und 33 Zurückgekehrte). Ein ebenso hohes Gefährdungspotenzial geht weiterhin von den Aufrufen des sogenannten „Islamischen Staates aus“, Anschläge in Europa zu begehen.

Niedersachsen hat bundesweit erstmals im April einen Gefährder nach § 58 a Aufenthaltsgesetz abgeschoben. Im Jahr 2016 wurde das Verbotsverfahren gegen den DIK Hildesheim eingeleitet und im März mit dessen Schließung abgeschlossen.

Minister Pistorius: „Der islamistische Extremismus ist weiter eine riesige Herausforderung für die niedersächsischen Sicherheitsbehörden. Dass es immer mehr Salafisten gibt, zeigt, dass wir noch lange mit dieser Problematik zu tun haben werden, genauso wie mit den Rückkehrern aus Syrien und dem Irak. Die Sicherheitsbehörden tun alles in ihrer Macht stehende, damit Gewalttaten und Anschläge verhindert werden. Natürlich prüfen wir laufend Ansatzpunkte, um zum Beispiel islamistische Hotspots zu verbieten. Aber für solche Vereinsverbote gibt es zu Recht sehr hohe Hürden.“


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