Beantwortung der Mündl. Anfrage der SPD zur „Identitären Bewegung“ in Niedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 22. Januar 2016; Fragestunde Nr. 7
Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Markus Bosse (SPD) wie folgt:
Vorbemerkung des Abgeordneten
In den vergangenen Wochen wurden im Landkreis Wolfenbüttel in unmittelbarer Nähe zu Flüchtlingserstaufnahmeeinrichtungen vermehrt Flugblätter der „Identitären Bewegung“ verteilt. Die Inhalte, die auf den Flugblättern abgedruckt wurden, lassen einen klar rechtsnationalen Hintergrund erkennen. Die Bevölkerung vor Ort reagierte mit großem Unverständnis, dass solch klare rechte Botschaften unbehelligt verteilt werden konnten. Die Verteiler richteten sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene.
Über 21 000 „Follower“ folgen dem Facebook-Auftritt der „Identitären Bewegung Deutschland“ bereits, auf dem offen Hetze gegen den Islam und Fremdenfeindlichkeit betrieben werden. Die Wurzeln dieser Bewegung liegen in Frankreich. Seit 2012 gibt es sie in Deutschland. In Sachsen-Anhalt wurden Anhängern der „Identitären Bewegung“ bereits Verbindungen in die rechtsextreme Szene nachgewiesen.
1. Ist die „Identitäre Bewegung“ als rechtsextremistische Vereinigung bekannt?
2. Steht die „Identitäre Bewegung“ unter Beobachtung des Verfassungsschutzes?
Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet:
Die als rechtsextremistisch bewertete Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) wird seit Anfang 2014 vom Niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Die Positionen der IBD sind vor allem von einer zum antimuslimischen Rassismus tendierenden Islamfeindlichkeit geprägt. Die IBD behauptet eine Unvereinbarkeit und Feindschaft der Muslime mit der einheimischen Bevölkerung und schreibt ihnen unabänderliche Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen usw.) pauschal zu. Ethnische Zugehörigkeiten werden auf diese Weise kulturalisiert und religiös überhöht, auch um an bestehende fremden- und islamfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen zu können.
Im Fokus der IBD und ihrer aktuellen Kampagne „Der Große Austausch“ stehen daher insbesondere muslimische Migrantinnen und Migranten, aber auch die etablierten demokratischen Parteien bzw. Politikerinnen und Politiker, die von der IBD als Verantwortliche für die angebliche Islamisierung der Gesellschaft und die sogenannte Masseneinwanderung nach Deutschland und Europa gesehen werden. Hauptursache sei hier eine (links-)liberale Ideologie im Geiste der 68er-Bewegung, die seit geraumer Zeit in Politik und Gesellschaft vorherrsche und die eine Bedrohung für die eigene „ethnokulturelle Identität“ darstelle. In ihren Veröffentlichungen spricht die Identitäre Bewegung dabei vom „Großen Austausch“, der thematisch wie inhaltlich der „Volkstod-Kampagne“ neonazistischer Gruppierungen ähnelt. Dieser Sichtweise entsprechend befürchten die IBD den Untergang von „Heimat, Freiheit, Tradition“ sowie von „Religion, Kultur, Staat und Volk“.
Seit September 2014 ist mit der Ausweitung der Kampagnenfelder auf Asylsuchende eine weitere Radikalisierung der IBD festzustellen, auch wenn die Organisation bemüht ist, sich nach außen hin als eine gemäßigte, islamkritische, lediglich um das Wohlergehen des deutschen Volkes und dessen Fortbestand besorgte Bewegung zu inszenieren. Ziel ist die Anschlussfähigkeit der IBD an breitete gesellschaftliche Kreise. Dass es hierfür durchaus ein Potenzial in der Bevölkerung gibt, haben nicht zuletzt sowohl die Teilnehmerzahlen bei den Pegida-Demonstrationen als auch die wiederholten Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte gezeigt.
In Niedersachsen verfügt die IBD über etwa 50 Aktivisten, die in unterschiedlicher Zusammensetzung an Aktivitäten teilnehmen. Lokale Strukturen bestehen vor allem im Raum Lüneburg sowie im Raum Hannover. Bundesweit liegt das Mitgliederpotenzial der IBD bei ungefähr 300 Personen, hauptsächlich im Alter zwischen 16 und 30 Jahren. Zu einzelnen Aktivisten gibt es außerdem Erkenntnisse über Kontakte oder frühere Mitgliedschaften in anderen rechtsextremistischen Organisationen, vor allem NPD/JN und Nationaler Widerstand.
3. Sieht die Landesregierung eine Häufung von staatsfeindlichen Organisationen in Niedersachsen?
Aus dem Kontext der Fragestellung erfolgt die Beantwortung aus dem Blickwinkel des Rechtsextremismus. In Niedersachsen hat das rechtsextremistische Potential in den letzten Jahren leicht abgenommen. Die seit längerem zu beobachtenden strukturellen Veränderungen des Rechtsextremismus setzen sich weiter fort. An die Stelle von festen Organisationsstrukturen treten mehr und mehr aktions- und kampagnenorientierte Zusammenschlüsse von zumeist nur temporärer Bedeutung.