Präventive Telefonüberwachung
Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wenzel und Lennartz (Grüne); Es gilt das gesprochene Wort!
Die Abgeordneten hatten gefragt:
In unserer mündlichen Anfrage vom 16. September 2005 zur präventiven Telefonüberwachung eines Studenten hatten wir gefragt, in wie vielen Fällen der § 33 a Nds. SOG seit In-Kraft-Treten angewandt wurde. Die Landesregierung hat nun in der Beantwortung eingeräumt, dass der § 33 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds. SOG in 13 Fällen und der § 33 a Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG in 257 Fällen von niedersächsischen Polizeibehörden angewandt wurden.
Damit widerspricht die Landesregierung der Aussage des Staatssekretärs im Niedersächsischen Innenministerium Koller, der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 27. Juli 2005 in einem Gespräch mit NDR Info angegeben hatte: "Wir hatten bis zur Gerichtsverhandlung insgesamt acht Fälle, die geeignet gewesen wären. In vier Fällen ist diese Regelung angewandt worden." Offensichtlich hat der die Niedersächsische Landesregierung in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht vertretende Staatssekretär Koller nicht nur dort die Anzahl der durchgeführten präventiven Telefonüberwachungen herunterspielen wollen, um darzustellen, dass das Land "mit diesem Instrument sehr sorgfältig" umgehe.
Diese Differenz wird im Göttinger Tageblatt vom 22. September 2005 durch den Pressesprecher des Innenministeriums dahin gehend erläutert, dass bei der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht im März 2005 nur die im Meldesystem zur Unterrichtung des Landtages gespeicherten Fälle - und zwar nur die abgeschlossenen - genannt wurden. Unabhängig davon, dass bereits im März die vollständige Anzahl der bis dahin abgeschlossenen und laufenden Fälle hätte genannt werden müssen, erklärt dies nicht, warum Staatssekretär Koller auch noch Ende Juli nach dem Karlsruher Urteil von lediglich vier Fällen gesprochen hat.
Hinzu kommt, dass die Landesregierung im Zusammenhang mit der präventiven Telefonüberwachung ihre Unterrichtungspflicht verletzt hat, da die letzte Unterrichtung des Landtages u. a. über Telefonüberwachungsmaßnahmen von August 2004 datiert, obwohl nach § 37 a Abs. 1 Nds. SOG diese halbjährlich zur erfolgen hat.
Wir fragen die Landesregierung:
- Warum hat Staatssekretär Koller in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht am 16. März 2005 lediglich von vier Anwendungsfällen der umstrittenen Telefonüberwachung gesprochen, obwohl ihm als Staatssekretär im Innenministerium die tatsäch-liche Anzahl der Überwachungsmaßnahmen hätte bekannt sein müssen, und warum hat er auch noch am 27. Juli 2005 diese Zahl genannt, obwohl er spätestens zu diesem Zeitpunkt sämtliche Fälle hätte benennen müssen?
- Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung in Bezug auf Staatssekretär Koller, der offensichtlich dem Bundesverfassungsgericht und der Öffentlichkeit nicht die gesamte Anzahl der Fälle mitgeteilt hat?
- Wie begründet die Landesregierung, dass sie unter Verstoß gegen § 37 a Abs. 1 Nds. SOG den Niedersächsischen Landtag zuletzt vor über einem Jahr unterrichtet hat?
Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Kleine Anfrage wie folgt:
Vorbemerkungen:
Gemäß § 37a Nds. SOG unterrichtet das Ministerium für Inneres und Sport den Ausschuss zur Kontrolle besonderer polizeilicher Datenerhebungen über Anlass und Dauer von Datenerhebungen gemäß §§ 33 a-c, 34, 35, 36a und 37 Nds. SOG. Zu berichten ist danach über die verschiedenen Formen der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), über längerfristige Observationen, den Einsatz technischer Mittel innerhalb und außerhalb von Wohnungen, über den Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler und über Kontrollmeldungen zu Verdachtspersonen.
Die Unterrichtung des Landtagsausschusses erfolgt nicht aktuell zu jedem einzelnen Fall, sondern die meldepflichtigen Datenerhebungen werden halbjährlich zusammengefasst. An den sich danach ergebenden Berichtszeiträumen und –terminen orientiert sich auch das Meldeverhalten der Behörden.
Die Unterrichtung des Ausschusses bezieht sich in der Regel auf Maßnahmen, die im Berichtszeitraum abgeschlossen wurden. Dementsprechend ist auch das polizeiinterne Meldeverfahren so ausgestaltet, dass die einzelnen Maßnahmen erst nach ihrem Abschluss dem MI gemeldet werden.
Die Meldungen erfordern die Bewertung und Aufarbeitung der Fälle durch die zuständige Polizeibehörde, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Um eine inhaltliche Darstellung der Maßnahmen und der ihnen zugrunde liegenden Fallgestaltungen zu ermöglichen, müssen die Sachverhalte und die Anordnungspraxis im Einzelnen geprüft werden. Daneben ist die rechtliche Einordnung der verschiedenen Datenerhebungen nach Maßnahmen zur Gefahrenabwehr oder zur verbeugenden Straftatenbekämpfung und, sofern letzteres zutrifft, nach Datenerhebungen bei der Verdachtsperson selbst oder bei ihren Kontakt- und Begleitpersonen zu bewerten und gegebenenfalls eine nicht hinreichende Dokumentation in der polizeilichen und richterlichen Anordnungspraxis durch entsprechende Nachermittlungen zu ergänzen.
Insoweit ist es dem Meldesystem immanent, dass nicht stets tagesaktuell angegeben werden konnte, wie viele Sachverhalte insgesamt unter die Regelung des § 33a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 Nds. SOG fallen.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht erläuterte Herr Staatssekretär Dr. Koller die Anwendung des § 33a Nds. SOG auf der Grundlage des entsprechend des Berichtswesens nach § 37a Nds. SOG im Innenministerium vorhandenen Datenmaterials. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Vorfeld der mündlichen Verhandlung nicht um die Übermittlung einzelner Zahlen gebeten. Auf die Nachfrage des Gerichts während der mündlichen Verhandlung sind daher die Fälle genannt worden, die auf der Grundlage des Berichtswesens nach § 37a Nds. SOG zur diesem Zeitpunkt bekannt waren; dies waren vier.
Am 27.07.2005, dem Tag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wurden die Poli-zeibehörden aufgefordert, die auf der Grundlage der für nichtig erklärten Regelungen laufenden Maßnahmen unverzüglich zu beenden. Am 29.07.2005 wurden – abweichend von der Berichtssystematik des § 37a Nds. SOG – im Rahmen einer Sondererhebung alle bis dahin durchgeführten Maßnahmen abgefragt.
Bis zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts am 27.07.2005 bestand seitens des MI keine Veranlassung, abweichend von der Systematik des Berichts-wesens nach § 37a Nds. SOG die Zahl der Anwendungsfälle des § 33a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 Nds. SOG einer gesonderten Überprüfung zu unterziehen.
Insoweit konnten die Äußerungen von Staatssekretär Dr. Koller im Zusammenhang mit der Urteilsverkündung am 27.07.2005 sich nur auf die Zahlen beziehen, die der mündlichen Verhandlung am 16.03.2005 zugrunde lagen.
Ein Widerspruch zwischen den Äußerungen von Staatssekretär Dr. Koller und den Aussagen der Landesregierung lässt sich daraus nicht ableiten. Die Unterstellung, die Fallzahlen seien bewusst heruntergespielt worden, ist daher unrichtig und wird entschieden zurückgewiesen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Frage der Abgeordneten Wenzel und Dr. Lennartz namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1. und 2.:
Auf der Grundlage des Meldesystems zur Unterrichtung des Ausschusses zur Kontrolle besonderer polizeilicher Datenerhebungen nach § 37a Nds. SOG waren im März 2005 und bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 27.07.2005 nur vier Maßnahmen bekannt.
Ansonsten verweise ich auf meine Vorbemerkungen.
Zu 3.:
Mit der Einführung der Befugnisse zur präventiven Telefonüberwachung gemäß §§ 33a-c Nds. SOG im Dezember 2003 hat sich die Anzahl der berichtspflichtigen Maßnahmen nach § 37a Nds. SOG deutlich erhöht. Während zurückliegenden Unterrichtungen zwischen zwei und zwölf Maßnahmen zugrunde lagen, umfasst z.B. der dem Ausschuss in Kürze zugehende Bericht insgesamt 77 Maßnahmen (zum Teil zusammenhängender Art).
Dies liegt vorrangig an den hohen Fallzahlen im Bereich der TKÜ zur Gefahrenabwehr nach § 33a Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG – hierbei handelte es sich im Wesentlichen um die Ortung von Handys suizidgefährdeter Personen, also um Einsätze zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben. Diese Fälle bleiben auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiterhin Gegenstand der Unterrichtung des Landtagsausschusses.
Erste Erfahrungen im Rahmen des Meldewesens nach § 37a Nds. SOG haben zudem gezeigt, dass in den polizeilichen und richterlichen Anordnungen nicht immer ausreichend nach den verschiedenen Alternativen des § 33a – Gefahrenabwehr, vorbeugende Straftatenbekämpfung, Kontakt- und Begleitperson – differenziert worden ist. Hier waren nicht unerhebliche Nachermittlungen notwendig, um Bewertungen und entsprechende Zuordnungen vornehmen zu können, mit dem Ziel, das Datenmaterial berichtsfähig aufzubereiten. Durch diesen verstärkten Aufwand hat sich die Vorlage des Berichts insgesamt verzögert.
Vor diesem Hintergrund und angesichts des deutlich gestiegenen Meldeaufkommens ist die Meldeverpflichtung in verschiedenen Besprechungen mit den Führungskräften der Polizei eingehend erörtert und mit Erlass des MI vom 23.08.2005 einer Neuregelung unterzogen worden. Damit soll auch dem ausdrücklichen Wunsch des Ausschusses Rechnung getragen werden, dass die Unterrichtung trotz anonymisierter Darstellung ein Mehr an inhaltlichen Informationen enthält.
Die Unterrichtung des Kontrollausschusses wird in allernächster Zeit erfolgen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
10.10.2005
zuletzt aktualisiert am:
20.05.2010