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Rechtsextremismus und Antisemitismus in Niedersachsen

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.09.2004; TOP 26 Rede von Innenminister Uwe Schünemann zur Großen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen


Anrede,

im Rahmen der öffentlichen Vorstellung des Niedersächsischen Verfassungsschutzberichts 2003 im Mai d. J. habe ich erklärt, dass

"Neben dem islamistischen Extremismus und Terrorismus ist unser demo-kratischer Rechtsstaat nach wie vor durch den Rechtsextremismus und seine fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Ideologien gefährdet. Das Hauptaugenmerk der Sicherheitsbehörden gilt nach wie vor dem militanten Rechtsextremismus, der rechtsextremistischen Musik-szene und den neonazistischen Kameradschaften."

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt die Öffentlichkeit erneut darauf aufmerksam gemacht, dass

"…die latente und damit unkalkulierbare Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen Skinheadszene und der neonazistischen Kameradschaften weiterhin eine erhebliche Gefährdung insbesondere für das friedliche Zu-sammenleben und die Integration von Zuwanderergruppen in unsere Ge-sellschaft darstellt", und darauf hingewiesen, dass wegen dieser Sicherheitsgefährdung das Landesamt für Verfassungsschutz die Entwicklung der rechtsextremisti-schen Skinhead-Musikszene und der unstrukturierten Kameradschaftsszene aufmerksam und intensiv beobachten wird, damit erforderlichenfalls unsere Sicherheitsbehörden die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig einleiten können.

Anrede,

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr im Zusammenhang mit ihrer Großen Anfrage öffentlich behauptet, die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Niedersachsen sei unzureichend, auf "Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund sei keine Reaktion der Landesregierung erkennbar" gewesen und die Extremismusbekämpfung hätte sich nach den Anschlägen vom 11. September auf den Islamismus konzentriert und - das wird von Ihnen damit suggeriert – den Rechtsextremismus vernachlässigt.

Daraus kann man nur schließen, dass Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, bewusst weghören. Sie wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Landesregierung in allen ihr zugänglichen Bereichen konsequent und nachhaltig gegen jede Art von Rechtsextremismus vorgeht.

Anrede,

die Kritik der Grünen geht ins Leere. Mit der Wirklichkeit in unserem Lande hat sie nichts zu tun. Die Realität ist vielmehr eine langjährige Kontinuität in der Beobachtung und entschiedenen Bekämpfung des Rechtsextremismus in Niedersachsen.

Diese Landesregierung setzt diese Politik konsequent und mit Augenmaß fort.

Anrede,

lassen Sie mich auf einige Punkte der Antwort der Landesregierung näher eingehen.

Die Skinhead-Musik hat - nach den Feststellungen der Sicherheitsbehörden - bei der Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie, insbesondere von neonazistischem Gedankengut eine zentrale Bedeutung. Jugendliche kommen häufig über die rechte Musikszene erstmalig mit der rechtsextremistischen Ideologie in Berührung.

Rechtsextremistische Liedtexte, von denen der aktuelle Verfassungsschutzbericht und insbe-sondere die neue Publikation "Rechtsextremistische Skinheads – Neonazistische Kameradschaften" einige schlimme Beispiele zur Abschreckung wiedergeben, transportieren fremden-feindliche, rassistische und Gewalt verherrlichende Botschaften. Zentrales Merkmal ihrer inhaltlichen Ausrichtung ist die offene oder versteckte Verherrlichung des Nationalsozialismus. Diese Musik stellt im Übrigen eine wichtige ideologische Klammer für die rechtsextremistische Szene dar. Sie bringt den Hass von Rechtsextremisten gegen alles als fremdartig Empfundene in extremer Form zum Ausdruck.

Anrede,

anlässlich der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts habe ich die Öffentlichkeit deutlich über die Einschätzung der niedersächsischen Sicherheitsbehörden unterrichtet, dass der organi-sierte Rechtsextremismus in Niedersachsen zwar keine mit der rechten Skinhead- und Kamerad-schaftsszene vergleichbare Gefährdung darstellt, aber hinzugefügt, dass unsere Verfassungs-schutzbehörde die Ansätze einer Verjüngung der NPD-Szene wie im Bereich Verden und auch die neonazistische Ausrichtung jüngerer NPD-Funktionäre mit Sorge beobachtet.

Außerdem existieren in Niedersachsen unverändert zwanzig bis fünfundzwanzig rechtsextremis-tische Kameradschaften. Die meisten von ihnen sind Zusammenschlüsse von jüngeren Neonazis und so genannten "anpolitisierten" Skinheads. Daneben haben sich neonazistische Kamerad-schaften mit einem stärker ausgeprägten ideologisch-politischen Handlungswillen entwickelt. Zu nennen sind hier die Kameradschaften Weserbergland, Eichsfeld, Göttingen, Salzgitter und Osnabrücker Land. Damit hat sich der bisherige regionale Schwerpunkt der Kameradschaften vom Norden Niedersachsens in den westlichen und südlichen Bereich des Landes verschoben. Ein rechtsextremistisches Potential für die Bildung weiterer Kameradschaften ist grundsätzlich auch in anderen Landesteilen zu beobachten. Die Beobachtung der Sicherheitsbehörden zeigt aber auch, dass dieses Potential erst mobilisierbar wird, wenn rechtsextremistische Führungspersonen in Erscheinung treten.

Bei der Bewertung der vom Rechtsextremismus in Niedersachsen ausgehenden Gefahren plädiere ich dafür, sich mit diesen Herausforderungen realistisch auseinanderzusetzen und nicht – um ein Stichwort von Professor Pfeiffer abzuwandeln - das Böse noch zu dämonisieren. Mit Blick auf die Prognosen für die Wahlchancen der rechtsextremistischen DVU bei der kommenden Landtagswahl in Brandenburg und der NPD in Sachsen schließe ich mich der Warnung von Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker an, der vor übertriebener Panikmache gewarnt hat, die letztlich nur den Rechtsextremen Auftrieb gibt. In der Geschichte der Bundesrepublik sind rechtsextremistische Parteien 14-mal in Landtage eingezogen und 14-mal kläglich gescheitert.

Anrede,

gleichwohl ist nach wie vor die Aufklärung über die Gefahren des Rechtsextremismus und des Antisemitismus und seine Bekämpfung erklärtes Ziel der Landesregierung. Diese Aufgabe ist aber keine Aufgabe nur einer Landesbehörde, es ist das gemeinsame Ziel der Landesregierung sowie aller Landesbehörden mit einer Vielzahl von langfristigen präventiven und repressiven Maßnahmen.

Ich will hier die in unseren Antworten aufgelisteten Maßnahmen, Projekte und Programme nicht wiederholen, sondern nur auf Folgendes hinweisen:

In der Antwort der Landesregierung wird deutlich, wie vielfältig Schulen und Jugendsozialarbeit, Polizei und Verfassungsschutz, Justiz und Landespräventionsrat auf extremistische Erscheinungsformen in unserer Gesellschaft reagieren bzw. bereits auf die bekannten Entstehungs-milieus einwirken, damit sich Rechtsextremismus nicht entfalten kann. Wir haben durch Vernetzung und Informationsaustausch auf der administrativen Ebene die Voraussetzungen für eine reibungslose Zusammenarbeit aller Einrichtungen geschaffen. Nun kommt es darauf an, dass diese Zusammenarbeit praktiziert wird.

Anrede,

die Landeszentrale für politische Bildung hat in den letzten Jahren eine Reihe von Programmen und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus auf den Weg gebracht. Die vorige Landesregierung hatte dafür seit 2001 Sondermittel bereitgestellt. Ein großer Teil dieser Mittel wurde im Rahmen von Kleinstförderung für Zuwendungen unter 2.500 Euro verwendet. Diese Kleinstförderung wollen wir aufgeben, weil sich hier generell die Frage der Effizienz des Einsatzes von Landesmitteln stellt.

Wir sind zwar wegen der äußerst schwierigen Finanzlage, in der sich das Land befindet, ge-zwungen, zum Jahresende die Landeszentrale insgesamt aufzulösen. Das bedeutet jedoch nicht, dass erfolgreiche Programme und Maßnahmen der Landeszentrale in diesem Bereich ersatzlos gestrichen werden.

Programme gegen Gewalt und Rechtsextremismus werden im Geschäftsbereich des Kultusministeriums und in Kooperation mit anderen Ressorts fortgesetzt.

So ist zum Beispiel geplant, - dies steht noch nicht in unserer Antwort, weil es ganz neu ist - in Zusammenarbeit mit der Landesmedienanstalt allen Schulen der Sekundarbereiche I und II eine CD-Rom zum Thema "Rechtsextremismus im Internet – Recherchen, Analysen, pädagogische Modelle zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus", herausgegeben von der Bundes-zentrale für politische Bildung, zur Verfügung zu stellen.

Als weiteres Beispiel möchte ich das Programm "Erwachsen werden" nennen, das mit Hilfe der Lions-Clubs realisiert wird und sich mit den Problemen Heranwachsender auseinandersetzt. Mehrere tausend Lehrkräfte wurden inzwischen von Lions-Trainern ausgebildet und setzen das Programm in ihren Schulen um. Zurzeit werden Praxisbegleiter ausgebildet, die die Lehrkräfte bei der Durchführung des Programms unterstützen.

Anrede,

besonders bedeutsam bei der Aufklärung über die Gefahren des Rechtsextremismus und des Antisemitismus ist die niedersächsische Gedenkstättenarbeit. Die pädagogische Arbeit, die besonders in Bergen-Belsen, aber auch in zahlreichen kleineren Gedenkstätten im Lande geleistet wird, stellt auch einen unverzichtbaren Beitrag zur Prävention gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus dar. Diese Gedenkstättenarbeit wird künftig durch die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten fortgesetzt.

Anrede,

in diesem Zusammenhang möchte ich auch unterstreichen, was mein Kollege Busemann bei der Beantwortung der Dringlichen Anfrage der SPD-Fraktion "Was unternimmt die Landesregierung gegen die Gefahren des Rechtsextremismus?" am 24. Mai hier hervorgehoben hat:

"Die Bildungs- und Erziehungsarbeit, die täglich von rund 81.000 Lehrerinnen und Lehrern in unseren Schulen geleistet wird, gehört zu den wichtigsten präventiven Anstrengungen dieses Landes gegen politischen Extremismus jeder Art."

Anrede,

die Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität hat auch innerhalb der niedersächsischen Landespolizei hohe Priorität. Hierbei handelt es sich um eine mit großem Engagement verfolgte Aufgabe aller Polizeibeamtinnen und –beamten.

Die Grundlage bildet dabei die "Rahmenkonzeption zur Intensivierung der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und sonstiger Politisch motivierter Kriminalität – rechts", die als Reaktion auf die vermehrten rechtsmotivierten, fremdenfeindlichen und antisemitischen Vorfälle im Sommer 2001 entwickelt wurde und sich bewährt hat. Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Phänomenbereich "Rechts" werden nachdrücklich und unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten verfolgt. Noch wichtiger ist jedoch, dass bereits im Vorfeld potenzielle Täter frühzeitig ermittelt, ihre Vorhaben erkannt sowie "rechte" Taten verhindert werden.

Anrede,

die Aufgabe der Prävention stellt hohe Anforderungen an die Polizei, da die in Niedersachsen bekannt gewordenen rechtsmotivierten Gewalttaten fast ausnahmslos auf spontane Übergriffe zurückzuführen sind, die häufig vor einem fremdenfeindlichen Hintergrund begangen werden. In Niedersachsen sind keine Strukturen oder Vorgehensweisen erkennbar, die darauf hindeuten, dass die rechtsextremistische Szene zur nachhaltigen Durchsetzung ihrer politischen Bestrebungen bewusst auf Militanz bzw. gewalttätige Mittel zurückgreift. Vielmehr haben wir es oftmals mit so genannten "unorganisierten" Tätern zu tun, die der Polizei oder dem Verfassungsschutz nicht als ideologisch gefestigte Gewalttäter im "rechten" Phänomenbereich bekannt sind. So wurden beispielsweise im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Hannover im ersten Quartal diesen Jahres neun Gewaltdelikte verübt, die jeweils von verschiedenen Tätern begangen wurden. Das Verhalten solcher Täter entzieht sich im Regelfall polizeilichen Prognosemöglichkeiten. Auch eine noch so starke polizeiliche Präsenz kann diese Übergriffe auf offener Straße nicht immer verhindern.

Die Polizeibehörden erarbeiten mit fachlicher Unterstützung durch den Verfassungsschutz kontinuierlich und lageangepasst die notwendigen Maßnahmen um zu erreichen, dass "rechte" Gruppenstrukturen, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in besonderem Maße beeinträchtigen, verunsichert und zerstört werden.

Anrede,

rechtsextremistische Straftaten werden von der niedersächsischen Justiz konsequent verfolgt und nachdrücklich geahndet. Ziel der Strafverfolgungsbehörden ist eine nachdrückliche und schnelle Reaktion, um dem Gesichtspunkt der Abschreckung Rechnung zu tragen. Bei allen Staatsanwaltschaften sind besondere Dezernate und Abteilungen eingerichtet worden, die auf die Verfolgung von Straftaten mit extremistischer, ausländerfeindlicher oder antisemitischer Motivation spezialisiert sind. Diese sind auch für die Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten im Internet zuständig.

Anrede,

die Beobachtung und die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist und bleibt ein wichtiges, nicht allein mit strafrechtlichen Mitteln zu erreichendes Ziel dieser Landesregierung. Neben repressiven Maßnahmen und polizeilicher Prävention spielen bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus auch längerfristige präventive Maßnahmen eine entscheidende Rolle. Mittel- und langfristige Veränderungen rechtsextremistischer, ausländerfeindlicher, antisemitischer und gewaltbereiter Einstellungen und Verhaltensweisen erfordern nach Auffassung der Landesregierung auch konkrete Angebote an ausstiegswillige Anhänger der rechtsextremistischen Szene, die ihnen eine Rückkehr in unsere Gesellschaft ermöglichen. Aus diesem Grund ist das Niedersächsische Ministerium der Justiz in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium, der Polizei und dem Verfassungsschutz langfristig in zwei Schwerpunktbereichen präventiv tätig:

1. dem Aussteigerprogramm "AussteigerhilfeRechts" und

2. dem Landespräventionsrat Niedersachsen, der insbesondere mit der Kommission "Rechtsextremismus" Grundlagenarbeit für die kommunalen Präventionsgremien leistet.

Die Einrichtung einer "Clearingstelle für die Prävention von Rechtsextremismus" in der Geschäftsstelle des Landespräventionsrates Niedersachsen im April 2004 beruht auf einer Empfehlung der Kommission "Rechtsextremismus". Die Landesregierung unterstützt diese für die kommunalen Präventionsgremien unseres Landes wichtige Koordinierungsarbeit, indem sie einen erfahrenen Kriminalbeamten für die Arbeit der Clearingstelle abgeordnet hat.

Anrede,

die Bekämpfung des politischen Extremismus – von rechts, von militanten Islamisten, aber auch von links – ist unser gemeinsames Anliegen. Diese Landesregierung jedenfalls stellt sich den aktuellen Herausforderungen durch den Rechtsextremismus und Antisemitismus in unserem Lande.

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Tel: 0511/120-6258/ -6255
Fax: 0511/120-6555

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