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Islamistische Gefährdung in Niedersachsen – Was weiß und tut die Landesregierung?

Sitzung des Nds. Landtages am 15. Juni 2017; TOP 28 a) Dringliche Anfrage

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregie-

rung auf die Dringliche Anfrage der Fraktion der FDP wie folgt:

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass mir die Anfrage die Gelegenheit gibt, auch im Landtag Sachverhalte richtig zu stellen, die in den letzten Tagen leider zu Irritationen geführt hatten. Mir ist bewusst, dass in diesem sensiblen Bereich eine besondere Sorgfalt in der Kommunikation nötig ist. Bedauerlicherweise ist der Eindruck entstanden, dass zu oberflächlich informiert wurde. Ich hatte mich im Vorfeld der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes persönlich dafür stark gemacht, öffentlich für Niedersachsen eine genaue Zahl der Gefährder zu nennen. Die mir aufgeschriebene Zahl umfasste dabei alle Personen, die in Niedersachsen als Gefährder eingestuft waren. Stand war der 22. Mai 2017. Darunter 62 islamistische Gefährder und ein Gefährder aus einem anderen Phänomenbereich. Im Nachgang zu meiner Unterrichtung hat der zuständige Innenausschuss am übernächsten Tag eine detaillierte Auflistung bekommen, die dann allerdings einen neueren Stand hatte als der von mir referierte. Leider kann ich aufgrund bundesweiter Absprachen diese detaillierten Zahlen nicht in der Öffentlichkeit benennen. Was ich sagen kann ist, dass ungefähr die Hälfte der islamistischen Gefährder in Niedersachsen sind und die Sicherheitsbehörden deren Aufenthaltsort kennen.

Insbesondere die zuständigen Kontrollgremien dieses hohen Hauses wissen aus unzähligen Unterrichtungen der Sicherheitsbehörden wie anspruchsvoll die Aufgabe ist, Gefährder zu bestimmen und zu überwachen. Ebenfalls wissen Sie, welch herausragenden Job die Polizei und der Verfassungsschutz machen. Die Herausforderungen in diesem extrem dynamischen Phänomenbereich sind dabei in allen Bundesländern und im Bund gleich. Ich komme gerade von der Innenministerkonferenz in Dresden und kann mitteilen, dass wir uns gemeinsam einig sind, dass insbesondere durch die hohe Mobilität vieler Gefährder die Kooperation weiter ver-tieft werden muss. Gleichfalls wurde die erstmalige legale Definition des Gefährderbegriffes durch Niedersachsen wohlwollend aufgenommen.

Geben Sie mir die Gelegenheit, die komplexen Zusammenhänge zur in der Anfrage dargestellten Anzahl der niedersächsischen, islamistisch motivierten Gefährder und das Thema der verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen im Sinne des § 12 Abs. 6 Nds. SOG zu erläutern.

Zunächst zum Thema Gefährder:

Zum allgemeinen Verständnis möchte ich Ihnen auch an dieser Stelle nochmal die Grundsätze erläutern. Für die Einstufung einer Person als Gefährder gelten in Niedersachsen wie auch auf Bundesebene und allen anderen Bundesländern feste Kriterien und Zuständigkeiten. Diese Kriterien sind überall gleich. Die Einstufung erfolgt auf der Grundlage eines bundeseinheitlichen Kriterienkatalogs. Demnach ist eine Person ein Gefährder, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung, begehen wird. Im konkreten Einzelfall werden zur Prüfung dieser Kriterien sämtliche vorhandenen Erkenntnisse der Sicher-heitsbehörden - auch des Bundes und anderer Bundesländer - zu einer Person zusammengetragen. Im Ergebnis kann eine Einstufung dieser Person als Gefährder oder auch eine Ausstufung erfolgen. Die Einstufung von Gefährdern ist in Niedersachsen zentrale Aufgabe des Landeskriminalamtes Niedersachsen.

Die Anzahl der als Gefährder eingestuften Personen unterliegt naturgemäß ständigen, oft täglichen Veränderungen. Sie ist keine statische, sondern eine dynamische Größe. Mit Stand 15.06.2017 – aktuell also – beläuft sich die Anzahl niedersächsischer islamistischer Gefährder auf 66. Insofern hat sich die Zahl der Gefährder seit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes erhöht. Die in der Anfrage genannte Zahl von „55“ Gefährdern wurde durch die Landesregierung nicht genannt. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die niedersächsische Polizei danach differenziert, ob sich ein Gefährder in Deutschland oder aufgrund vorliegender Erkenntnisse vermutlich im Ausland aufhält oder mutmaßlich verstorben ist. Aus nachvollziehbaren Gründen kann eine Person als Gefährder erst dann ausge-stuft werden, wenn sein Ableben zweifelsfrei feststeht. Solange dieser Umstand nicht belegbar ist, wird dieser Personenkreis auf der Grundlage einer bundesweiten Abstimmung weiterhin als Gefährder geführt. Es ist ja durchaus vorstellbar, dass beispielsweise der IS bewusst Personen über z. B. Soziale Netzwerke für Tod erklärt werden, um eine Wiedereinreise mit gefälschten Dokumenten zu erleichtern. Deshalb gibt es die Abstimmung zwischen allen zuständigen Sicherheitsbehörden in Deutschland - ich wiederhole das - Gefährder erst zu streichen, wenn diese zweifelsfrei für Tod erklärt sind. Dies ist ein wichtiger Sicherheitsaspekt!

Und meine Damen und Herren, am Beispiel des Dennis Cuspert ist uns bekannt, dass in Syrien mutmaßlich Verstorbene sich nach einiger Zeit wieder an Kämpfen oder ähnlichem beteiligt haben.

Die Sicherheitsbehörden treffen unter Ausschöpfung aller materiellen und personellen Ressourcen alle erforderlichen Maßnahmen, um eine nachhaltige Bekämpfung des islamistischen Terrorismus zu gewährleisten. Welche Maßnahmen dabei getroffen werden, orientiert sich an einer differenzierten Einzelfallbetrachtung und richtet sich nach geltendem Recht. Gegen alle in Deutschland aufhältigen niedersächsischen islamistischen Gefährder sind Haftbefehle vollstreckt worden, sofern diese vorlagen. Gleichwohl bestehen gegen islamistische Gefährder, die sich nach vorliegenden Erkenntnissen im Ausland aufhalten oder vermutlich verstorben sind, nicht vollstreckte Haftbefehle. Die Anzahl dieser Personen bewegt sich aktuell im einstelligen Bereich. Nun zu den ebenfalls von Ihnen angesprochenen verdachts- und ereignisunab-hängigen Kontrollen im Sinne des § 12 Abs. 6 Nds. SOG:

Diese Befugnisnorm ermöglicht es der Polizei, auf der Grundlage polizeilicher Lageer-kenntnisse zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung mit internationalem Bezug jede im öffentlichen Verkehrsraum angetroffene Person u. a. kurzzeitig anzuhalten, zu befragen und zu verlangen, dass mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung ausgehändigt werden. Diese Maßnahme kommt nach geltender Rechtslage somit auch heute im Umfeld von Moscheen in Betracht.

Um unverhältnismäßige Kontrollen von vornherein auszuschließen, hat das Niedersächsische Innenministerium bereits im Jahr 2010, also vernünftiger Weise bereits unter der Vorgängerregierung, (!) per Erlass erheblich Einschränkungen beschrieben, die wir schlicht übernommen haben - es gibt also keine neue Rechts- oder Erlasslage.

Auch unter der Vorgängerregierung sind deshalb derartige Kontrollen seit 2010 nicht mehr durchgeführt worden. Ich halte diese Entscheidung der Vorgängerregierung für richtig, weil auch schon 2010 nach meinem Wissen, die fachliche Überzeugung herrschte, dass derartige Kontrollen eher dazu führen können, dass sich unbescholtene Besucher stigmatisiert fühlen und eine Gefahr besteht, dass sich gerade diese Personen dann radikalisieren. Diejenigen Personen auf die wir es aber absehen, verhalten sich derartig konspirativ, dass wir sie durch diese plakativen Kontrollen gemein hin nicht erreichen. Sollten allerdings durch derartige Maß-nahmen „im Einzelfall (...) unverzichtbare Erkenntnisse" erlangt werden, können nach Genehmigung durch den Behördenleiter weiterhin Kontrollen stattfinden. In einem solchen Fall würde das Landespolizeipräsidium die Maßnahme auch genehmigen. Insgesamt ist aus polizeifachlicher Sicht jedoch davon auszugehen, dass verdeckte Maßnahmen deutlich effektiver sind.

Im Zusammenhang mit der durch das Landeskriminalamt Niedersachsen angedachten Kontrolle im Umfeld der DIK-Moschee in Hildesheim und einem dem Innenministerium am 8. Oktober 2015 vorgelegten Entwurf eines Antrages zur Genehmigung dieser Maßnahme ist dies der entscheidende Punkt. Nach den Ausführungen des LKA war eben nicht erkennbar, welche neuen Erkenntnisse durch die Kontrolle erlangt werden sollten. Damit konnte auch nicht nachvollzogen werden, aus welchen Gründen die Maßnahme unverzichtbar sein sollte.

Daher wurde dem Landeskriminalamt aus polizeifachlichen Gründen – ich wiederhole, polizeifachliche Gründe – mitgeteilt, dass ein entsprechender Antrag auf der Grundlage des vorgelegten Entwurfs nicht genehmigungsfähig wäre. Ich war in diese Entscheidung nicht eingebunden. Genauso wie ich mich auch sonst nicht in die operative Arbeit der Polizei einmische.

Der in der Anfrage zitierte Vermerk wurde eigenständig von einem Referenten nach eigener persönlicher Überlegung gefertigt. Der dort befindliche Hinweis auf die geplante Normierung im künftigen Gefahrenabwehrgesetz (NGefAG) stellte und stellt einen falschen Kontext her, da - ich wiederhole – aus Sicht des Innenministeriums die fachliche Notwendigkeit für die durch das Landeskriminalamt Niedersachsen angedachte Maßnahme nicht dargelegt war. Der Vermerk wurde in dieser Form daher auch hausintern nicht zur weiteren Entscheidung vorgelegt.

Dem LKA wurden in Bezug auf den vorgelegten Entwurf mündlich und schriftlich rechtliche Hinweise erteilt. Dabei haben mögliche Änderungen des NGefAG keine Rolle gespielt. Insofern ist es falsch, wenn es in den Vorbemerkungen zu dieser Anfrage heißt, dass der Antrag des Landeskriminalamt Niedersachsen mit der Begründung abgelehnt wurde, dass es eine Abstimmung mit den Regierungsfraktionen im Hinblick auf zukünftige Konkretisierungen des § 12 Abs. 6 im künftigen Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz gegeben habe und sogenannte Moscheekontrollen verboten werden sollten.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass ein tatsächlicher Antrag durch das LKA Niedersachsen in diesem Zusammenhang nie gestellt wurde.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

Zu Frage 1:

(Weiß die Landesregierung tatsächlich, wo die Gefährder sind, wie von Minister Pistorius vorgetragen?)

Mit Stand vom 15. Juni 2017 halten sich nach den derzeitigen Erkenntnissen der nieder-sächsischen Sicherheitsbehörden rund die Hälfte der niedersächsischen Gefährder in der Bundesrepublik Deutschland auf. Diese in Deutschland aufhältigen Gefährder haben ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort in Niedersachsen.

Alle anderen Gefährder halten sich nach den derzeitigen Erkenntnissen im Ausland auf oder sind vermutlich tot. Im Übrigen verweise ich auf die Vorbemerkungen.

Zu Frage 2:

(Wie viele Gefährder werden in Niedersachsen durch die Sicherheitsbehörden gegenwärtig überwacht?)

Grundsätzlich werden gegen alle niedersächsischen Gefährder am Einzelfall orientierte Maßnahmen getroffen. Entsprechend findet generell auch eine Überwachung niedersächsischer Gefährder statt, die sich natürlich in der Intensität unterscheidet.

Zu Frage 3:

(Wer hat an der in dem o. g. Vermerk benannten Abstimmung mit den Regierungsfraktionen teilgenommen?)

Im Zuge der geplanten Novellierung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) erfolgten diverse Gespräche, an denen Vertreterinnen und Vertreter des Niedersächsischen Innenministeriums, insbesondere des Fachreferates „Recht“ des Landespolizeipräsidiums, und der Regierungskoalition in unterschiedlichen Konstellationen beteiligt waren.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

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erstellt am:
15.06.2017

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