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Beantwortung der Mündl. Anfrage der FDP zu Koranständen in Niedersachsen

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 20. April 2018; Fragestunde Nr. 28

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner, Jan-Christoph Oetjen, Jörg Bode, Sylvia Bruns, Dr. Marco Genthe und Björn Försterling (FDP) wie folgt:

Vorbemerkung der Abgeordneten

Am 20. März 2018 berichtete die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ), dass die Landesregierung plane, mit einer Änderung des Niedersächsischen Straßengesetzes, Koranverteilaktionen an Informationsständen salafistischer Gruppen leichter durch die kommunalen Ordnungsämter verbieten lassen zu können.

Dazu stellte Innenminister Pistorius einen entsprechenden Kabinettsentwurf vor. „Koranstände, wie die der Aktion ‚Lies!‘ seien in den vergangenen Jahren öffentliche Anlauf- und Anwerbepunkte der Salafistenszene gewesen, begründete Pistorius den Vorstoß. Dabei hätten die Infostände eine Doppelfunktion gehabt: Nicht nur Informationsmaterial zu verteilen, sondern auch vor allem junge Menschen anzulocken.“ (NOZ 20. März 2018)

Vorbemerkung der Landesregierung

Koranverteilaktionen im öffentlichen Straßenraum dienen in vielen Fällen nicht nur der Weitergabe des Korans und der Verbreitung des Glaubens, sondern werden genutzt, um insbesondere mit jungen Menschen in Kontakt zu treten und salafistisches Gedankengut zu verbreiten.

Mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des Niedersächsischen Straßengesetzes – LT-Drs. 18/533 – soll den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, solche Stände rechtssicher zu unterbinden, wenn Erkenntnisse vorliegen, dass eine Verteilaktion der salafistischen Propaganda dienen soll. Dies soll die Aktionsform des Koranstandes weiter zurückdrängen.

Allerdings hat nicht jede Koranverteilaktion einen salafistischen oder sonst extremistischen oder strafrechtlichen Hintergrund. Ein vollständiges Bild über die „Koranstände“ in Niedersachsen liegt deshalb auch bei Polizei und Verfassungsschutz nicht vor.

1. Wie viele „Koranstände“ wurden ab dem September 2016 in welchen Kommunen aufgestellt (bitte nach Jahren, Kommunen und Veranstalter aufschlüsseln)?

Die erbetenen Angaben müssten durch Beteiligung der über 900 niedersächsischen Städten und Gemeinden, die für die Genehmigung von Sondernutzungen nach dem Niedersächsischen Straßengesetz zuständig sind, erhoben werden. Hiervon musste in Anbetracht der Kürze der für die Beantwortung einer Mündlichen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit abgesehen werden.

Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden das Landeskriminalamt Niedersachsen und die niedersächsischen Polizeidirektionen um Stellungnahme gebeten. Auf der Grundlage der zusammenfassenden Berichterstattung des Landeskriminalamtes Niedersachsen ergeben sich polizeiliche Erkenntnisse zu 39 „Koranständen“ im Sinne der Anfrage, die sich wie folgt verteilen. Angaben zu den jeweiligen Veranstaltern werden aus Gründen des Datenschutzes im Rahmen der zu veröffentlichenden Antwort auf die Kleine Anfrage für die Fragestunde nicht gemacht (Artikel 24 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung).

Innenstadtbereich Braunschweig

2016: 4

2017: 13

2018: 1

Regionen Wolfsburg/Gifhorn/Salzgitter

2016: 1

2017: 13

2018: 4

Hildesheim

2016: 1

Hannover

2016: 2

2. Die Aufstellung wie vieler „Koranstände“ wurde ab dem September 2016 in welchen Kommunen angemeldet und von der zuständigen Behörde nicht genehmigt (bitte nach Jahren, Kommunen, Grund der Ablehnung mit Rechtsgrundlage und Anmelder aufschlüsseln)?

Polizeiliche Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen den Berichten des Landeskriminalamtes und der Polizeidirektionen nur in einem Fall in der Polizeidirektion Braunschweig vor. Durch die Stadt Wolfsburg wurde ein für den 5. April 2018 in Wolfsburg geplanter Informationsstand auf der Grundlage von § 11 Nds. SOG untersagt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.

3. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über aktuelle Anwerbemethoden und –orte salafistischer Gruppen?

Für die salafistische Propaganda hat das Konzept der „Dawa“, also der Werbung für den Islam, eine wichtige Bedeutung. In diesem Kontext werden Informationsmaterialien in Form von Flugblättern, Koranen oder CD’s verteilt. Die Verteilung kann über Informationsstände erfolgen, teilweise aber auch mittels „Haustüraktionen“ oder auch mittels so genannter „Bauchläden“. Durch eine zunächst unverfängliche Kontaktaufnahme mit interessierten Außenstehenden werden vor allem junge Menschen in der Identitätsfindungsphase gezielt an die salafistische Ideologie herangeführt und anschließend in die Szene eingebunden. Salafisten betreiben die „Dawa“ u. a. durch Lehrveranstaltungen in den Moscheen, aber auch zunehmend durch entsprechende Angebote im Internet. Als Beispiel hierfür kann das Projekt „Eindruck TV“ des Braunschweiger Predigers Muhamed Ciftci angeführt werden. Hierbei werden auf verschiedenen Social Media-Portalen wie Youtube, Facebook und Twitter Videobeiträge eingestellt sowie Livestreams gesendet. Weitere Anwerbeversuche erfolgen auch gegenüber Personen im engeren oder weiteren Bekanntenkreis der Szene in Form von Gesprächen mit religiösem Inhalt und/oder der Einladung in bestimmte Moscheen bzw. Gebetsräume. Darüber hinaus spielen Literaturverteilaktionen eine zentrale Rolle, deren Ziel neben der Werbung für die salafistische Ideologie und der Vernetzung innerhalb der Szene auch ist, öffentlichkeitswirksam aufzutreten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass es auch nach dem rechtskräftigen Verbot der Vereinigung „Die Wahre Religion“ und der „LIES!“-Kampagne weitere Koranverteilaktionen von Salafisten im öffentlichen Raum geben wird, auch wenn die Organisationsfähigkeit der salafistischen Szene durch den gestiegenen staatlichen Verfolgungsdruck aktuell eingeschränkt ist. So sind Versuche, überregionale „Dawa“-Initiativen in der Größenordnung von „LIES!“ zu etablieren, bislang nicht erfolgreich gewesen. Nichtsdestotrotz kann perspektivisch zumindest lokal mit weiteren salafistischen „Dawa“-Aktivitäten, wie beispielsweise Verteilungen von Koranen in Verbindung mit salafistischen Publikationen, gerechnet werden. In Niedersachsen liegen bereits Anmeldungen für Islam-Informationsstände in Braunschweig, Wolfsburg und Gifhorn vor. Aufgrund der äußerst dynamischen salafistischen Szene kann perspektivisch jederzeit mit Neugründungen von „Dawa“-Projekten und Verteilaktionen auch in Niedersachsen gerechnet werden.

Presseinformation

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erstellt am:
20.04.2018

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