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Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.09.2011; Fragestunde Nr.5

Radikale Tierschützer im Fokus des Verfassungsschutzes


Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP)

Der Abgeordnete hatte gefragt:

In Niedersachsen kam es in jüngster Vergangenheit gehäuft zu Bränden und Anschlägen in neu gebauten Geflügelställen sowie Schlachtbetrieben. Militante Tierschützer stehen im Verdacht, dafür verantwortlich zu sein. Sie sind bereits seit einiger Zeit im Blickfeld des niedersächsischen Verfassungsschutzes, da die Vermutung besteht, dass sie Verbindungen zu extremistischen Gruppierungen unterhalten, mit denen sie kooperieren. Zuletzt hat ein Feuer in einem fast fertigen Geflügelstall bei Vechelde einen Schaden von einer halben Million Euro verursacht. Kurz darauf kam es erneut zu einem Brand. Auch in diesem Fall gibt es Hinweise auf Brandstiftung.

Ich frage die Landesregierung:

1. In welchen anderen Bundesländern werden Tierschützer vom Verfassungsschutz beobachtet, und wie viele aktive Personen sind in Niedersachsen der militanten und gewaltbereiten Szene zuzuordnen?

2. Wie viele Brandereignisse oder sonstige Anschläge gab es in den vergangenen fünf Jahren auf Tierhaltungsanlagen, und wie verläuft die Entwicklung dieser Kennzahlen in dem genannten Zeitraum?

3. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, ob organisierte Tierschützer mit extremistischen Gruppierungen kooperieren, und, wenn ja, um welche Gruppen und wie viele Personen handelt es sich?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:

Die Tierschutzszene insgesamt lässt sich grob in Tierschützer, „Tierrechtler“ und „Tierbefreier“ unterscheiden. Während es Tierschützern in erster Linie um das einzelne Tier und seine Unversehrtheit, d.h. um ein artgerechtes Leben ohne Zufügung von unnötigen Leiden, Schmerzen und Schäden geht, räumen „Tierrechtler“ und „Tierbefreier“ den Tieren unveräußerliche und weitgehende Rechte ein. Aus diesen Rechten leiten sie Forderungen zum gesellschaftlichen Umgang mit Tieren her. Sie fordern die Anerkennung „nichtmenschlicher Tiere“ als den Menschen im Wesentlichen gleichberechtigte Wesen.

In Deutschland sind insbesondere seit Anfang der 1980er Jahre Aktionen militanter Tierschützer festzustellen. Durch die Begehung von Straftaten, wie z.B. Tierbefreiungen, Brandanschläge oder Sachbeschädigungen, verursachten sie Sachschäden bis in Millionenhöhe.

Die Bezüge von „Tierrechtlern“ zur linksextremistischen Szene verdeutlicht vor allem die Internetseite http://veganelinke.antispe.org. Auf dieser Webseite werden neben Tierrechtsaktionen auch die von Linksextremisten besetzten Themenfelder Antikapitalismus, Antisexismus, Antirassismus und Antifaschismus thematisiert. Logos mit den Bezeichnungen „vegantifa“ sowie „veganarchist“ und Aufrufe, die mit der Losung „fight capitalism!“ enden, unterstreichen, dass sich militante Aktionen zur Tierbefreiung oder gegen Tierhaltung und –nutzung immer auch als Kampf gegen das zu überwindende politische System verstehen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1:

Nach hiesigem Kenntnisstand erfolgt keine gesonderte Beobachtung oder eine explizite Nennung extremistischer Tierrechtler in den jährlichen Verfassungsschutzberichten von Bund und Ländern. Sofern tierrechtliche Aktivisten jedoch Bezüge zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen, insbesondere in die linksautonome Szene aufweisen, werden sie von den Verfassungsschutzbehörden im Phänomenbereich Linksextremismus erwähnt.

Über die Personenzahl von Gruppierungen und Zusammenschlüssen militanter Tierschützer lassen sich derzeit noch keine gesicherten Angaben machen. Nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörde bewegt sich die Zahl in Niedersachsen im unteren zweistelligen Bereich.

Zu Frage 2:

Nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) wurde bundesweit im Jahr 2001 ein Definitionssystem der Politisch motivierten Kriminalität eingeführt, um eine einheitliche und differenzierte Auswertung und Lagedarstellung zu ermöglichen. In diesem Kriminalpolizeilichen Meldedienst - Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) werden Straftaten im Zusammenhang mit dem Tierschutz in einem spezifischen Themenfeld erfasst. Dieses Themenfeld umfasst sowohl Tatzusammenhänge aus dem Bereich Tierschutz und Tierrecht als auch gegen die Jagd gerichtete Straftaten.

In der nachfolgenden Übersicht wurden die im KPMD-PMK verzeichneten Fälle von Brandstiftungen an Tierhaltungsanlagen aufgeführt. Eine Recherche nach „sonstigen Anschlägen“ ist im KPMD-PMK nicht möglich, da es sich um keinen definierten Begriff im Sinne des Meldedienstes handelt. Aus diesem Grund wurden in der Übersicht alle politisch motivierten Straftaten der Jahre 2007 bis 2011 (Stand: 06.09.2011) auf - auch noch in der Planungs‑/Bauphase befindliche - Tierhaltungsanlagen aufgeführt.

Polizeilich bekannt gewordene politisch motivierte Straftaten auf Tierhaltungsanlagen in Niedersachsen in den Jahren 2007 bis 2011 (Stand 06.09.11):

2007

2008

2009

2010

2011

(Stand 06.09.11)

1

3

2

8

6

davon Brandstiftungen:

0

0

0

1

1

Zu Frage 3:

Nach Erkenntnissen der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde existieren bundesweit und in Niedersachsen Gruppen und Organisationen militanter Tierschützer, die linksextremistische bzw. linksextremistisch beeinflusste Positionen vertreten.

Eine dem militanten Tierschutz zuzuordnende Organisation ist die Animal Liberation Front (A.L.F.). Diese internationale Gruppe militanter Tierbefreier wurde im Jahre 1976 in Großbritannien gegründet. Ziel der A.L.F. ist es, durch Anschläge auf Einrichtungen und Personen und durch „Tierbefreiungen“ Tierversuche und Tötung von Tieren zu verhindern. Es handelt sich um eine der bedeutendsten Gruppierungen und Sammlungsbewegungen der militanten und extremistischen Tierrechtsszene in Deutschland sowie weltweit. Nach eigenen Angaben kann jeder durch die Ausführung von entsprechenden Aktionen Mitglied bei A.L.F. werden, eine offizielle Mitgliedschaft existiert dagegen nicht. Insofern besteht die A.L.F. aus kleinen, anonymen und unabhängig voneinander agierenden Zellen oder Einzelpersonen ohne zentrale Führung. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden im Namen der A.L.F. zahlreiche Brandanschläge und Sabotageaktionen in Deutschland durchgeführt.

Bereits das Logo der A.L.F., u. a. ein großes A im Kreis, weist eine Nähe zum Anarchismus auf. Ihre linksextremistische Einstellung wird aber vor allem anhand ihrer Selbstbezichtigungsschreiben für die in Niedersachsen begangenen Taten deutlich. So heißt es in einem von der A.L.F. im Zusammenhang mit dem Brandanschlag vom 30.07.2010 auf eine im Bau befindliche Hähnchenmastanlage in Sprötze bei Buchholz i.d.N. auf der Internetseite www.tierbefreier.de veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben:

„Herrschaftskritik muss eine Auseinandersetzung mit Speziesismus, Kapitalismus, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, etc. beinhalten. Wir möchten jeden dazu ermutigen für die Befreiung aller Individuen von jeglicher Form der Herrschaft auf seine/ihre Weise zu kämpfen. Für die Freiheit aller Tiere!“

Am 23.08.2010 haben unbekannte Täter im Namen der A.L.F. die Grundstückseinfahrt des Eigentümers einer im Bau befindlichen Hähnchenmastanlage in Alvesse in der Gemeinde Vechelde (Landkreis Peine) mit dem Spruch besprüht: „….., , noch hast du die Wahl, deine Taten haben Konsequenzen! A.L.F.“

Ein knappes Jahr später, am 16.07.2011, folgte ein Brandanschlag auf die Alvesser Hähnchenmastanlage. In einer auf dem linksextremistischen Informationsforum linksunten.indymedia[1] verbreiteten Bekennung (ohne Nennung einer verantwortlichen Gruppe) zu dem Brandanschlag heißt es, dass „legaler Protest“ den Bau der Anlage nicht verhindern konnte, daher habe man sich für diese Aktionsform entschieden. Neben den Folgen für die Umwelt durch die Massentierhaltung wird in dem Schreiben Kapitalismus- und Systemkritik geübt.

Eine weitere Organisation mit Verbindungen zu militanten Tierschützern ist die People for the Ethical Treatment of Animals (PETA). Diese nach eigenen Angaben mit mehr als zwei Millionen Unterstützern weltgrößte Tierrechtsorganisation wurde 1980 in Norfolk, USA, gegründet. Weltweit unterhält PETA in vielen Städten Büros, ist als gemeinnützig anerkannt.

PETA lehnt die Vorstellung, dass Tiere als Eigentum betrachtet werden, ab. Die Organisation kämpft sowohl gegen Massen- und Pelztiertierhaltung, als auch gegen Tierversuche und jeglichen Fleischverzehr. Sie beteiligt sich nach eigenen Angaben zwar nicht an Tierbefreiungen, veröffentlicht aber Videobänder, die von der A.L.F. bei Aktionen aufgenommen wurden.

In Hannover existiert eine militante Tierschutzorganisation: die Herrschaftskritischen AntispeziesistInnen Hannover (HAH).[2] Sie sind im November 2006 aus der autonomen Tierbefreiungsorganisation Hannover hervorgegangen.

Auch die Antispeziesistische Offensive Göttingen setzt sich nach eigenem Bekunden für die Überwindung der Herrschaft von Menschen über Tiere inklusive des Menschen und der Natur ein. Dabei ist deren Ziel, die Tierbefreiung, nur Teil einer grundlegenden Herrschaftskritik. So heißt es in einer Mitteilungen:

„Unser Ziel ist es, den Kapitalismus mit seiner Totalität und all seinen Widerwärtigkeiten abzuschaffen, um in einer freien Gesellschaft – hier in aller Kürze Kommunismus genannt – zu leben! …“

Mit der Tierrechtsinitiative Osnabrück (TRIOS) betätigt sich in Niedersachsen eine weitere Organisation auf diesem Themengebiet.

Über Internetseiten sind die genannten Organisationen mit Gleichgesinnten sowie zum Teil auch mit denen des allgemeinen linksextremistischen Spektrums verlinkt.

Zudem solidarisieren sich Teile der autonomen Szene mit militanten Tierschützern, insbesondere, wenn Polizei und Justiz gegen sie vorgehen.

Zu dem Personenpotenzial siehe die Antwort zur Frage 1.

[1]https://linksunten.indymedia.org, ebenfalls veröffentlicht am 29.07.11 auf www.directaction.info

[2] Der Antispeziesismus, ein besonders in der Tierrechts- oder Tierbefreiungsbewegung geläufiger Begriff, kritisiert die Abwertung oder Überhöhung von Individuen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.09.2011

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