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Bericht des Niedersächsischen Verfassungsschutzes für das Jahr 2015

Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, hat heute (26. Mai 2016) gemeinsam mit der Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2015 vorgestellt.

Rechtsextremismus

Die öffentliche Wahrnehmung des Rechtsextremismus war in den vergangen Wochen und Monaten von fremdenfeindlich motivierten Übergriffen auf Asylbewerber und Flüchtlings-unterkünfte bestimmt. Die Ereignisse haben sehr eindrücklich gezeigt, dass der Rechts-extremismus nicht allein auf Parteien und organisierte Strukturen reduziert werden kann. Rechtsextremes Gedankengut ist immer seltener in festen Organisationen gebündelt. Dies betrifft in Niedersachsen vor allem rechtsextremistische Parteien wie NPD und Die Rechte, aber auch die Neonaziszene.

An ihre Stelle treten eher lose und zumeist temporäre Aktionsformen, die nicht selten im Graubereich zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus angesiedelt sind und die oftmals sowohl thematisch und ideologisch als auch personell Überschneidungen zur Neuen Rechten aufweisen. Beispiele hierfür sind die Pegida-Bewegung oder auch die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD). So lassen sich immer mehr Aktivitäten und Zusammen-schlüsse beobachten, die auf einzelne Aktionen oder auf gezielte Kampagnen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Muslime oder Flüchtlinge setzen. Dieser Hass äußert sich seit geraumer Zeit immer häufiger in konkreten Übergriffen, wie die aktuellen Zahlen zur Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) zeigen.

Die Zahl der Neonazis ist zwar auf Bundesebene wieder von 5.600 auf 5.800 gestiegen, in Niedersachsen aber erneut von 320 auf 280 gesunken.

An die Stelle neonazistischer Kameradschaften treten aktuell vermehrt lose Netzwerke von Personen. Für deren ideologische Orientierung sind Veranstaltungen und Aktionen mit Bezug zum Nationalsozialismus immer unbedeutender. Ein Beispiel dafür: Die vergleichs-weise geringe Beteiligung am sogenannten Trauermarsch in Bad Nenndorf. Zugleich verschwimmen die Grenzen zur subkulturellen rechtsextremen Szene immer mehr. Entsprechend ist die Zahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten bundesweit von 7.200 auf 8.200 gestiegen, Niedersachsen verzeichnet auch hier mit 600 Personen (2014: 630) einen leichten Rückgang.

Auch rechtsextremistische Parteien haben in Niedersachsen erneut an Bedeutung verloren, das gilt vor allem für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), deren Mitgliederzahl sich ein weiteres Mal um zehn Prozent auf noch 370 Mitglieder verringerte. Die NPD ist in weiten Landesteilen organisatorisch kaum noch präsent und übernimmt auch keine steuernde Funktion für rechtsextremistische Aktivitäten. Bundesweit stagniert die NPD bei 5.200 Mitgliedern, wobei ihre Hochburgen unverändert im Osten Deutschlands liegen. Minister Pistorius: "Auch wenn die NPD zumindest in Niedersachsen zuletzt Mitglieder verloren hat, bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass das laufende NPD-Verbots-verfahren richtig ist und bleibt. Die Partei ist im Kern demokratiefeindlich und fremden-hassend und damit auch gefährlich. Es ist unerträglich, dass sich ausgerechnet so eine Partei zu einem guten Teil über Steuergelder finanziert. Ich freue mich deshalb, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbotsverfahren bereits im vergangenen Dezember eröffnet hat. Damit sind wir bereits einen wichtigen Schritt weiter als noch beim ersten, gescheiterten Anlauf im vergangenen Jahrzehnt."

Wesentlich weniger Mitglieder zählt die zweite in Niedersachsen beobachtete rechtsextre-mistische Partei „Die Rechte“ (50 Mitglieder in Niedersachsen, 650 im Bund), die in erster Linie als Sammelbecken für Neonazis fungiert. Mit der Beteiligung an Wahlen und parteiinternen Meinungsbildungsprozessen wird dem Parteiengesetz lediglich pro forma Rechnung getragen. Im Falle eines NPD-Verbots stünden mit der Partei „Die Rechte“ und ihren mittlerweile zehn Landesverbänden entsprechende Auffangstrukturen zur Verfügung. Gleiches gilt für die Partei „Der III. Weg“, die in Niedersachsen jedoch nur mit einzelnen Mitgliedern präsent ist.

Zu diesem Spektrum zählt auch die ausgeprägt rassistische und antisemitische Europäische Aktion (EA), obwohl es sich bei dieser Organisation nicht um eine Partei handelt.

Die EA versteht sich als ein organisations- und länderübergreifender ideologischer Taktgeber für verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen.

Beispielhaft für neuere Entwicklungen im Rechtsextremismus ist die schon erwähnte Identitäre Bewegung Deutschland (IBD), deren Gründung die Vernetzung im virtuellen

Bereich vorausging und die in Niedersachsen etwa 50 Aktivisten umfasst (bundesweit rund 300). Sie schürt insbesondere Islamfeindlichkeit und verpackt so Aussagen, die leicht vermittelbar und damit für rechtspopulistische bürgerliche Protestbewegungen anschluss-fähiger sind, als die Volksgemeinschaftspropaganda der neonazistischen Szene.

Linksextremismus

Dem Bereich Linksextremismus werden in Niedersachsen 625 Personen zugerechnet, das sind 60 Personen weniger als im Vorjahr. Zentrales Handlungsfeld war erneut der Anti-faschismus. Während der Kampf gegen den Militarismus und die friedliche Nutzung der Kernenergie zurzeit eher nachrangig geführt wird, hat vor dem Hintergrund der Flücht-lingssituation der Antirassismus stark an Bedeutung für die linksextremistische Szene gewonnen. Antifaschismus und Antirassismus richten sich nach linksextremistischem Verständnis zwar formell gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, zielen aber darüber hinaus auch auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

Die Entwicklung im Linksextremismus wurde auch im Jahr 2015 weitgehend von der autonomen Szene bestimmt. Als Reaktion auf die zunehmende interne Kritik an der Theorieferne, der Unorganisiertheit und der Selbstbezogenheit der autonomen Bewegung, versuchen seit einiger Zeit sich selbst als „postautonom“ verstehende Gruppierungen, die autonome Szene nachhaltig zu verändern.

Gewaltsame Ausschreitungen am 18. März 2015 am Rande der Neueröffnung des Gebäu-des der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main, an denen sich auch niedersächsische Linksextremisten beteiligten, haben zudem gezeigt, dass die Hemm-schwelle von Linksextremisten zur Anwendung von Gewalt auch gegenüber Menschen weiterhin niedrig ist.

Salafismus

Im Berichtszeitraum wurden für Niedersachsen 520 Salafisten gezählt (2014: 400). Bundesweit gehen die Verfassungsschutzbehörden aktuell von 8.650 Salafisten aus
(31. Dezember 2015: 8.350), mit vermutlich steigender Tendenz.

Obwohl der Salafismus auch in Niedersachsen als ein weitestgehend flächendeckendes Phänomen eingeschätzt wird, existieren durchaus salafistische Schwerpunkte in unter-schiedlichen Regionen. Neben der DMG Braunschweig sind solche Zentren der Deutsch-sprachige Islamkreis e. V. (DIK Hannover) sowie der Deutschsprachige Islamkreis Hildes-heim e. V. (DIK Hildesheim).

Mit Stand 31. Dezember 2015 sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes 70 Isla-misten aus Niedersachsen (Stand Mai 2016: 75) und bundesweit 780 (Stand Mai 2016: 810) in Richtung Syrien/Irak ausgereist, um für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und andere terroristische Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in son-stiger Weise zu unterstützen. Insgesamt verringert sich derzeit allerdings die Ausreise-dynamik seit einiger Zeit leicht.

26 ausgereiste Islamisten sind wieder in Deutschland. Zu 24 Personen aus Niedersachsen liegen Anhaltspunkte vor, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen oder sich in Ausbildungslagern aufgehalten haben. Darunter auch zwei mittlerweile Verurteilte aus Wolfsburg und 14 nach Informationen des Verfassungsschutzes aus Niedersachsen stammende Ausgereiste, die mutmaßlich in Syrien oder dem Irak verstorben sind.

Millî Görüş-Bewegung / Islamistische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG)

Im Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht 2015 wird Anzahl der Personen im Bereich islamistischer Gruppen nach 3.430 im Jahr 2014 mit nur noch 1.055 beziffert. Das hängt damit zusammen, dass die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) in Niedersachsen nicht mehr als islamistisch eingestuft wird und aufgrund des Bedeutungsverlustes der extremistischen Millî Görüş-Ideologie im Landesverband in Niedersachsen auch nicht mehr beobachtet wird. Der Verfassungsschutz bearbeitet die Millî Görüş-Bewegung als ein Sammelbeobachtungsobjekt, unter das die Erbakan-Stiftung, die Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit), die Zeitung Millî Gazete und die Organisation Ismail Ağa Cemaati (IAC) zusammengefasst werden. In Niedersachsen werden der Millî Göruş-Bewegung derzeit 100 Personen zugerechnet.

Anlage

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
26.05.2016
zuletzt aktualisiert am:
27.05.2016

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