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Beantwortung der Mündl. Anfrage der FDP zur Verkehrsunfallstatistik 2015

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 15. April 2016; Fragestunde Nr. 38

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport antwortet namens der Landesregierung auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Gabriela König, Jan-Christoph Oetjen und Jörg Bode (FDP) wie folgt:

Vorbemerkung der Abgeordneten

Die Zahl der Verkehrstoten in Niedersachsen hatte im Jahr 2013 seit Einführung der Unfallstatistik einen historischen Tiefstand. Seitdem steigt sie wieder. Mit 59 Todesopfern je eine Million Einwohner liegt Niedersachsen über dem Bundesdurchschnitt von 42 Todesopfern (Bezugsjahr 2014 mit ansteigender Tendenz in 2015). Die Zahl der Unfalltoten variiert innerhalb Deutschlands und der EU erheblich. In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen ist sie im Verhältnis eher gering, in den Flächenstaaten Sachsen-Anhalt und Niedersachsen ist sie überdurchschnittlich erhöht. Der EU-Durchschnitt lag 2014 bei 50 Verkehrstoten. Weniger Verkehrstote als Deutschland verzeichnen nur Malta (26), Großbritannien (29), Schweden (29), Dänemark (33), Spanien (36) und Finnland (41). Lettland ist mit 106 je eine Million Einwohner das Land mit der höchsten Zahl an Verkehrstoten in Europa. Danach kommen absteigend Rumänien (91), Bulgarien (90), Litauen (90), Polen (84), Kroatien (73), Griechenland (72), Luxemburg (65), Belgien (64), Ungarn (63), Tschechien (61), Portugal (59), Estland (59), Slowakei (54), Frankreich (53), Zypern (52), Italien (52), Slowenien (52), Österreich (51) und Irland (43). Laut EU-Kommission passieren die meisten tödlichen Unfälle auf Landstraßen, gefolgt von innerstädtischen Straßen.

Die EU-Kommission verfolgt das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2020 gegenüber dem Jahr 2010 zu halbieren. Hierfür hat sie bereits im Sommer 2010 Leitlinien für mehr Verkehrssicherheit im Zeitraum 2011 bis 2020 vorgelegt (http://www.dvr.de/download2/p1996/1996_0.pdf). Ziele sind u. a. der konsequente Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer, die Verbesserung der Fahrausbildung, die stringente Anwendung der Verkehrsvorschriften und vor allen Dingen eine sichere Verkehrsinfrastruktur. Die Stichwortsuche „Bußgeld“ und „Strafe“ ergibt im EU-Dokument jeweils null Treffer.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Haltung der niedersächsischen Landesregierung zur Verkehrssicherheitsarbeit hat sich nicht geändert. Nach wie vor gehört die Verkehrssicherheitsarbeit zu den unverzichtbaren Kernaufgaben der Polizei. Aus ihren umfassenden Zuständigkeiten im Verkehrsrecht, in der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung bündelt die Polizei ein hohes Maß an Handlungskompetenzen und spezifischen Fachkenntnissen. In diesem Zusammenhang trägt die Polizei mit ihren Maßnahmen der Verkehrsunfallaufnahme, -bearbeitung und -analyse, der Verkehrsunfallprävention, der Verkehrsüberwachung und der Beteiligung an der Verkehrsraumgestaltung wesentlich zur Verbesserung der Verkehrssicherheit bei.

Demzufolge richtet die Polizei Niedersachsen weiterhin ihr Handeln auf Grundlage einer
orts-, zeit- und zielgruppenbezogenen Verkehrsunfallanalyse vorrangig auf das schwere Verkehrsunfallgeschehen aus. Anhand der Ergebnisse werden die personellen und materiellen Ressourcen vorrangig auf besonders unfallbelastete Streckenbereiche sowie auf die im Unfallgeschehen auffälligen Personengruppen konzentriert. Dabei bettet die Polizei Niedersachsen ihre präventiven und repressiven Maßnahmen in eine unter ganzheitlichen und integrativen Gesichtspunkten gestaltete strategische Gesamtkonzeption ein. Grundsätzlich wird dabei der Prävention der Vorrang eingeräumt. Die Verkehrssicherheit in Niedersachsen konnte in den letzten Jahren insgesamt weiter deutlich verbessert werden. So ist die Zahl der Verkehrstoten im Zeitraum von 2001 bis 2010 um 41,15 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Schwerverletzten verringerte sich um 34,15 Prozent. Wenngleich in den Jahren 2014 und 2015 im Vergleich zu 2013 eine leichte Zunahme bei der Zahl der Verkehrstoten in Deutschland und ebenso in Niedersachsen zu verzeichnen ist, nahm die Zahl der Verkehrstoten im Betrachtungszeitraum von 2011 bis 2015 um 15,21 Prozent ab. Im Jahr 2013 wurden in Niedersachsen die wenigsten Verkehrsunfallopfer seit Einführung der Verkehrsunfallstatistik im Jahr 1956 gezählt; der zweitniedrigste Wert wurde in 2014 erreicht. In der örtlichen Verteilung tödlicher Verkehrsunfälle ist festzustellen, dass in Niedersachsen jährlich bis zu rund 70 Prozent der Verkehrstoten bei Verkehrsunfällen außerhalb geschlossener Ortschaften ohne Bundesautobahnen zu verzeichnen sind, während dieser Anteil im Bundesdurchschnitt bei 60 Prozent liegt.

Zu den besonders schweren Folgen von Unfällen auf dem Landstraßennetz in Niedersachsen tragen auch heute noch folgende Gründe bei: Die Geschwindigkeit ist sowohl Unfallursache als auch ein gravierender folgenverschärfender Faktor. Insbesondere dann, wenn verunfallte Autos auf starre Hindernisse prallen, wie z. B. an Straßenbäume. Deshalb müssen Geschwindigkeitsüberschreitungen insbesondere auf Landstraßen nachdrücklich bekämpft werden. Verkehrsunfällen liegt fast immer menschliches Fehlverhalten zugrunde.

Im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheitsinitiative 2020 zielt die Polizei Niedersachsen daher weiterhin darauf ab, das Geschwindigkeitsniveau zu senken. Hierbei gilt es, die Akzeptanz und Einsicht der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer für die Verkehrsüberwachung zu erhöhen, um langfristig ein regelkonformes und rücksichtsvolles Verhalten im Straßenverkehr zu erreichen. Gleichwohl kann die Polizei die Verkehrssicherheit in der Gesamtheit und insbesondere auf Niedersachsens Landstraßennetz maßgeblich und nachhaltig nicht als alleiniger Akteur steigern. Vor diesem Hintergrund genießt die vernetzende Zusammenarbeit und enge Abstimmung mit den weiteren Ressorts der Landesregierung und ergänzenden Kooperationspartnern in allen Feldern der Verkehrsunfallpräventionsarbeit dauerhaft hohe Priorität.

1. Vor dem Hintergrund der KOM(2010) 389 endgültig „Ein europäischer Raum der Straßenverkehrssicherheit: Leitlinien für die Politik im Bereich Straßenverkehrssicherheit 2011 bis 2020“ und der sieben Ziele: An welchen Stellen (Ziele 1 bis 7) erkennt die Landesregierung noch ein Potenzial zur Verbesserung der Verkehrssicherheit insbesondere an niedersächsischen Landstraßen?

Die vorgeschlagenen Leitlinien der EU-Kommission geben einen allgemeinen Rahmen vor, innerhalb dessen auf verschiedenen Ebenen - auf der europäischen, nationalen, regionalen oder lokalen Ebene - konkrete Initiativen ergriffen werden könnten. Dabei sind die einzelnen Ziele nie losgelöst voneinander zu betrachten, sondern stellen erst in ihrer Gesamtheit ein entsprechendes Wirkungspotential zur Steigerung der Verkehrssicherheit dar. Unter Berücksichtigung dessen führt auch die Landesregierung eine Vielzahl an Maßnahmen durch, um die Verkehrssicherheit auf Niedersachsen Straßen stets zu steigern.

Beispielhaft werden folgende Kampagnen/Projekte in Ergänzung zur Vorbemerkung dargestellt, die von der Landesregierung gegenwärtig durchgeführt werden und deren Entwicklung und (Zwischen-) Ergebnis in der Ausrichtung der Verkehrssicherheitsarbeit fortgesetzt Berücksichtigung finden:

Projekt „Baumunfälle“ - Niedersachsen gehört weiterhin zu der Gruppe der Bundesländer mit Flächencharakter mit den höchsten Unfallzahlen im Bereich der sog. Baumunfälle (Abkommen von der Fahrbahn mit Anprall an einen Baum) außerhalb geschlossener Ortschaften. Ziel der Landesregierung ist es daher, im Rahmen eines bis Mitte 2017 laufenden Modellversuchs verschiedene Maßnahmen, die zeitgleich in sechs Landkreisen (Cuxhaven, Emsland, Friesland, Hildesheim, Osnabrück und Osterholz) umgesetzt werden, im Hinblick auf eine mögliche Reduzierung der Baumunfälle und deren Folgen zu erproben. Die Geschwindigkeitsbeschränkungen und deren Überwachung sind dabei Bestandteil einer Gesamtmaßnahme, die auch in besonderem Maße auf Aufklärung der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer setzt, um eine höhere Akzeptanz und damit Beachtung der Verkehrsbeschränkungen zu erzielen. Auch ein Schutzplankenprogramm an den Landesstraßen ist integraler Bestandteil des Modellprojekts. Zusätzlich wurde aktuell noch ein Schutzplankenprogramm auf Bundesstraßen gestartet. Ähnlich wie im Modellprojekt werden nicht nur Unfallhäufungslinien sondern bereits unfallauffällige Streckenabschnitte mit Schutzplanken versehen, um den Anprall an einen Straßenbaum zu verhindern. Dieses Programm läuft in den Landkreisen Celle, Diepholz, Gifhorn, Göttingen, Hameln, Rotenburg/Wümme und Uelzen.

Projekt „Regio-Protect 21“ und „Regio-Protect Unfallversicherungsträger“ - Junge Erwachsene im Alter von 16 bis 29 Jahren sollen sich – unter besonderer Berücksichtigung von fahranfängerspezifischen Kompetenzdefiziten – intensiv mit regionalen Gefahrenstrecken bzw. Unfallhäufungsstellen auseinandersetzen sowie darauf aufbauend effektive Strategien zur Verkehrswahrnehmung und Gefahrenvermeidung erwerben.

Projekt „Fahrbahnmarkierungen“ - Die Unfallzahlen von Motorradfahrern gerade auf Landstraßen sind nach wie vor deutlich zu hoch. Die Landesregierung sieht daher ein Modellprojekt zur gezielten Beeinflussung des Kurvenfahrverhaltens von Motorradfahrerinnen und -fahren mittels Fahrbahnmarkierungen nach österreichischem Vorbild auf ausgewählten Strecken in Niedersachsen vor. Erste Studien aus Österreich haben gezeigt, dass auf typischen Motorradstrecken nicht die Fahrgeschwindigkeit allein die Hauptunfallursache darstellt, sondern dass gerade das Kurvenschneiden ebenfalls eine dominierende Unfallursache ist. Daher genügt es zur Unfallprävention nicht, die Fahrgeschwindigkeit zu überwachen. In einem Modellprojekt konnte in Österreich gezeigt werden, dass das gezielte Aufbringen von Bodenmarkierungen grundsätzlich ein geeignetes Mittel ist, um die Motorradfahrer zum Einhalten einer sicheren Kurvenfahrlinie zu bewegen. Auf Grundlage dieser ersten Ergebnisse hat Niedersachsen bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Streckenvorschläge für die Durchführung weiterer entsprechender Modellversuche angemeldet.

Projekt „Hochrisikogruppe Fahranfänger“ - Die Verbesserung der Fahranfängersicherheit ist ebenso ein wichtiges Anliegen der Landesregierung. Daher begleitet sie konstruktiv das bei der Bundesanstalt für Straßenwesen laufende Projekt. Ziel ist die Entwicklung eines Optionsmodells, bei dem die Fahranfänger aus verschiedenen, zu ihrer individuellen Lebenssituation passenden Maßnahmen auswählen können. Zur Institutionalisierung einer wissenschaftsgestützten Optimierung der Fahrausbildung/Fahranfängermaßnahmen soll ein differenziertes Umsetzungskonzept erarbeitet werden. Dabei sollen sowohl der Vorschlag zur Entwicklung eines Curriculums für die Fahrausbildung sowie die Einrichtung einer Curriculumkommission als auch der Vorschlag zur Entwicklung von Ausbildungs- und Prüfungseinheiten zur Verkehrswahrnehmung und Gefahrenvermeidung berücksichtigt werden. Hierzu sollen zwei prototypische Ausbildungseinheiten für die Gefahrenlehre im Theorieunterricht an Fahrschulen („Referenzausbildungseinheiten“) sowie entsprechende lernstandsdiagnostische Möglichkeiten für die Überprüfung der Ausbildungsergebnisse („Verkehrswahrnehmungstest“) erprobt werden. Niedersachsen ist eines von vier Bundesländern, in denen noch in diesem Jahr diese Referenzausbildungseinheiten in Fahrschulen erprobt werden.

Des Weiteren beteiligt sich die Landesregierung aktiv in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform des Fahrlehrerrechts. Schwerpunkt ist hierbei zunächst die Verlängerung und Verbesserung der Qualität der Fahrlehrerausbildung durch stärkere Gewichtung der pädagogischen und insbesondere der verkehrspädagogischen Kompetenzen. Das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene soll noch Ende 2016/ Anfang 2017 durchgeführt werden. Ab 2018 ist dann das neue Recht in den Ländern umzusetzen.

Erhöhung der Anzahl der polizeilichen Überwachungsgeräte zur Feststellung von Geschwindigkeitsverstößen - Die Polizei Niedersachsen plant die Anschaffung weiterer Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte.

2. Vor dem Hintergrund der Anzahl von Verkehrstoten in anderen Ländern Europas und des Vergleichs der dort gültigen Bußgeldsysteme: Warum hat der Rückschluss „weniger Verkehrstote durch hohe Bußgelder“ europaweit Gültigkeit beziehungsweise keine Gültigkeit?

Die EU-Leitlinien zur Straßenverkehrssicherheit 2011-2020 verfolgen eine Vielzahl an verschiedenen Maßnahmen, um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer/-innen, Fahrzeuge und Infrastrukturen zu verbessern. Unter Berücksichtigung der Grundlage der Gleichbehandlung der Bürger aller EU-Staaten gehört hierzu ebenso, insbesondere auch im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Straßenverkehrsvorschriften, EU-weit geltende Verkehrsvorschriften einzuführen bzw. spezifische Regelungen der einzelnen EU-Staaten aufeinander abzustimmen und ggf. anzupassen.

Das maßgebliche Verkehrsverhalten der Verkehrsteilnehmer/-innen wird durch eine Vielzahl an Faktoren beeinflusst, wie beispielhaft Infrastruktur und Fahrzeugtechnik. Im Zusammenhang mit regelwidrigem Verhalten im Straßenverkehr können sich aber auch objektive Entdeckungswahrscheinlichkeit und Sanktionshöhe als jeweiliger Einzelfaktor und in der Kombination als mögliche Einflussgrößen darstellen. Vor diesem Hintergrund sollte aus Sicht der Landesregierung eine weitergehende Analyse und Bewertung in Deutschland hinsichtlich der Wirksamkeit zur Höhe einzelner besonderer Bußgeldandrohungen vorgesehen werden.

In diesem Zusammenhang gilt hierbei zu berücksichtigen, dass sich Deutschland im Vergleich mit den weiteren EU-Staaten bei Bußgeldern im Zusammenhang mit hohem Gefährdungspotential im Straßenverkehr, wie z. B. bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen, im unteren Drittel befindet.

3. Was wird die Landesregierung konkret in den nächsten 24 Monaten unternehmen, um die Verkehrssicherheit an den niedersächsischen Landstraßen in Richtung Halbierung bis 2020 zu verbessern?

Die Landesregierung wird die in der Vorbemerkung und unter Frage 1 aufgeführten Aufgaben und Projekte intensiv fortsetzen. Neben den allgemeinen infrastrukturellen Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssituation werden insbesondere Unfallhäufungsstellen/-linien beseitigt.

Darüber hinaus sind weiterführende Maßnahmen zur Optimierung der Arbeit der Unfallkommissionen in Niedersachsen vorgesehen. Neben der Neufassung einer landesweiten Erlassregelung zu dessen Aufgaben und Tätigkeit werden bereits eingeleitete Verbesserungen von Schulu
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erstellt am:
15.04.2016

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